Godot wartet nicht
Sie gehören zu den Prominenten unter den Landstreichern: Estragon und Wladimir. Bekannt und berühmt wurden sie im Jahre 1953 als Hauptfiguren des Bühnenstücks „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, an einem nicht näher definierten Ort, einer Landstraße mit einem kahlen Baum, ihre Zeit damit zu verbringen, „nichts zu tun“ und auf eine Person namens Godot zu warten, die sie nicht kennen, von der sie nichts Genaues wissen, nicht einmal, ob es sie überhaupt gibt.
Godot selbst erscheint in der Tat bis zuletzt nicht, das Warten auf ihn ist offensichtlich vergeblich. Am Ende eines jeden der beiden weitgehend identischen Akte erscheint ein angeblich von ihm ausgesandter, etwas ängstlicher Botenjunge, ein Ziegenhirte, der verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögern, er aber ganz bestimmt kommen werde. Spätestens dann dämmern den Wartenden Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihrer Situation.
Zwei Akte lang tritt das Stück statisch auf der Stelle. Um die unheimliche Stille auf Abstand zu halten, wird viel mit absurden Diskussionen über Belangloses gestritten und sich wieder versöhnt. Vor allem aber beschäftigt man sich mehr schlecht als recht damit, kleine Übungen und Spielchen zu erfinden, um sich die zähe Zeit zu vertreiben, oder man erörtert die verschiedenen Möglichkeiten des Selbstmords. Bis zum Schluss wird nicht klar, wer Godot ist und warum genau man in einer solch gottverlassenen Gegend auf ihn wartet.
Aller Optimismus zerrinnt, übrig bleibt ein Verharren in Aussichtslosigkeit
Samuel Beckett hat damit ein nicht nur für seine Zeit typisches Lebensgefühl eingefangen. Damals, in den 1950er Jahren, war der Existenzialismus in Mode. Dementsprechend dreht sich auch in Becketts Stück alles im Kreis, die Handlung läuft ins Leere, aller Optimismus zerrinnt, und übrig bleibt ein Verharren in Aussichtslosigkeit und Tatenlosigkeit. Das Warten auf eine Erlösung aus der Unbehaustheit ist genauso sinnlos wie das „Warten auf Godot“. Den metaphysischen Landstreicherclowns Estragon und Wladimir bleibt nicht viel mehr, als die Unerträglichkeit des Wartens zu überspielen.
Damit könnten sie auch Vertreter des gegenwärtigen Lebensgefühls vieler Menschen sein. Das Leben – so scheint es – ist eingepfercht zwischen Geburt und Tod. Ganz klar ist man sich nicht über den Sinn des einen wie des anderen. Es entsteht ein tatenloses Herumsitzen angesichts der Sinnlosigkeit und Absurdität der Welt. Die Ablenkungen, das Ganze zu ertragen, sind zahlreich.
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Social Media, mit denen man fotografierte Pizzen und Eisbomben der Welt zur Kenntnis bringt oder was man soeben bei Amazon bestellt hat, kleine Videos mit sinnlosen Kurzszenen und Banalbotschaften – „Make your day TikTok!“ – und auch eine Menge höherwertige, aber nicht wesentlich andersartige Verweilstrategien wie Talkshows und Parlamentssitzungen offenbaren allesamt das eine: es mangelt an Zutrauen, dass endlich etwas oder jemand kommt, der alles besser machen kann, erlöster, schöner, sicherer, friedlicher, gesünder.
Die herbe Wahrheit der Gegenwartszeitläufte
Man hat die Welt vor sich wie ein fast gänzlich abgelaufenes Uhrwerk. Und man findet den nicht, der sie neu aufzieht. Man hat den Eindruck, es bliebe nur noch das Verlangsamen des endgültigen Verfalls, es bliebe nur noch Bremsen und Ablenken. Godot, auf den man im zeitgenössischen Lebensgefühl vergeblich wartet, kommt nicht deswegen nicht, weil er etwa aufgehalten wurde oder es vergessen hat zu kommen.
Er kommt nicht, weil die Wartenden ihn nicht interessieren. Das ist die herbe Wahrheit der Gegenwartszeitläufte. Godot versetzt die Gesellschaft der Erwartungsvollen, weil sie unbedeutend für ihn ist, so sehr, dass er umgekehrt auf sie keineswegs warten würde. Man wartet nur auf jemanden oder etwas, wenn er oder es einem etwas bedeutet. Und in diese Richtung, also von Godot aus gesehen – das ist auch der Verdacht von Estragon und Wladimir in der literarischen Fassung des Problems –, gibt es keine Erwartung. Das Leben ist zufällig und vorübergehend.
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Die Erwartungen an das Leben, so empfinden es viele, werden nicht zuletzt deswegen enttäuscht, weil das Leben sich nicht für die Menschen interessiert – so wie Godot, von dem man annehmen muss, dass er nie bereit war zu kommen, weil ihm das Interesse zu kommen fehlt. Und das Interesse zu kommen fehlt wiederum, weil diejenigen, die dieses Kommen erwarten, ihm grundsätzlich schnuppe sind.
Du brauchst nicht länger zu warten, denn das Heil ist bereits da
Ein durchaus adventliches Motiv. Wir hören in den kommenden Tagen in den Kirchen oft davon. Dort ist es Johannes der Täufer, der seine Zweifel anmeldet, ob sich das Warten des Volkes Israel auf den Messias gelohnt hat, denn er steht kurz vor seiner Hinrichtung, zu der ihn König Herodes verurteilt hat, weil Johannes ihm mit seinem Einsatz für die Unauflöslichkeit der Ehe ins Gewissen geredet hatte. Nun ist es dunkel und kalt im Kerker, und er hat Zeit zum Nachdenken. Das Warten wird ihm zur Qual. Er hat an das Kommen des Messias bis dahin geglaubt.
Deshalb schickt er seine Jünger aus und lässt Jesus aus seiner Zelle heraus die Frage übermitteln: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Bist du es oder bist du es nicht, kommst du oder kommst du nicht, und wir warten am Ende auf Godot ... ?!
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Die Antwort, die Jesus ihm überbringen lässt, ist eine bildhafte: „Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium verkündet.“ (Mt 11, 4f.) Mit anderen Worten: Du brauchst nicht länger zu warten, denn das Heil ist bereits da, und der Heiland ist da. Das, was dir deine Freunde zu berichten haben, spricht dafür, dass das, was alle erwarten, endlich eingetroffen ist.
Das Warten wird zum Advent
Und dass man sich nicht länger die Zeit vertreiben muss mit mehr oder weniger intelligenten Ablenkungen, die das eine, Schreckliche überspielen sollen: dass es womöglich keine Erlösung gibt und keinen Erlöser, und dass es vielleicht gar keinen Godot gibt, keinen Messias, keinen Gott. Und wenn es den Godot-Gott gibt, dann interessiert er sich nicht für mich und lässt mich brutal und unerfüllt auf ihn warten. Er, der niemals auf mich warten würde. Welch eine defätistische Ahnung!
Aber es kommt anders. Das Warten wird zum Advent. Die Jünger können dem Johannes ins Gefängnis zurückmelden: es gibt Ihn! Sonst könnten wir dir nicht das berichten, was wir sehen und hören. Er ist da! Er wirkt, und wenn Er wirkt, dann lässt Er sich auch finden, der Erlöser. Und es kommt noch besser: Er lässt nicht nur auf sich warten, Er wartet tatsächlich auch auf uns.
Zu Beginn des diesjährigen Advents eine tröstliche Gewissheit, wo wir gerade weltpolitisch in einem mehr als fragwürdigen Sinnzusammenhang leben. Jedoch nicht, ohne einige wichtige Fragen an die Christen in den Raum zu stellen, bevor ihnen ihre Gewissheit, erlöst zu sein, zu einem glühweinseligen Phlegma wird. Sind die Christen diejenigen, die anderen etwas Substanzielles berichten können, wenn sie in ihren Wartezimmern irrewerden? Können sie ihnen berichten, was sie sehen und hören, dass es Gott gibt? Dass es das Heil gibt? Und dass sie es schon erfahren haben?
Gibt es in ihnen den Glauben, der stärker ist als die Resignation? Sind sie geheilte Blinde, die glaubhaft machen können, dass sie das Licht sehen, das Gott schenkt, die die Orientierung kennen, die andere suchen, die den Weg gehen, nach dem so viele fragen? Oder ist es anders? Fühlen sich die Christen als Anhänger des Erlösers eher als untätig-ahnungslos Wartende auf Godot? Sind sie selbst schon unsicher geworden, ob es die Erlösung aus Schwäche und Sterblichkeit überhaupt gibt?
Keiner hat alles, und keiner hat nichts
Es wird keinen anderen Weg geben, als dass die Christen sich darin gegenseitig unterstützen und sich gegenseitig helfen, die Zeichen der Gegenwart Gottes zu entdecken und sich gegenseitig Zeugen der Gegenwart Gottes zu sein. Denn keiner hat alles, und keiner hat nichts. Johannes braucht nicht durch den Messias selbst überzeugt zu werden. Ihm genügen die Antworten seiner Schüler, die die Spuren des Erlösers gefunden haben, die ihm glaubhaft machen können, dass sich das Warten auf den Messias gelohnt hatte.
Eine Resignation verbietet sich für ihn, darf er doch erfahren, dass der Messias sich schon nach ihm und seiner Tapferkeit gesehnt hat, noch bevor er sich selbst in die Erwartungshaltung bringt. Er weiß nun, dass er nicht vergeblich gewartet hat und dass er nun bald auch nicht vergeblich sterben würde. Denn es hatte Menschen gegeben, die ihm glaubhaft berichten konnten, dass der Messias Wort hält und kommt.
Es ist hohe Adventszeit, dass die Christen unserer Tage diese Botschaft laut und lauter sagen. Denn wenn sie es nicht tun, oder wenn sie sich nur mit sich selbst beschäftigen – wie man es gerade umfänglich feststellen kann, wenn man den Decknamen „Synodalität“ decodiert –, wenn die Christen vergessen, was sie zu sagen haben und sie die Zeichen der Zeit nicht mehr deuten können, weil ihnen dazu die nötige Glaubenstiefe fehlt, hört die Menschheit am Ende auf zu warten, weil sie glaubt, Gott wäre Godot und käme nicht, weil Ihm an ihr nichts liegt.
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Vielleicht sind Estragon und Wladimir ihrem verheißungsvollen Godot schon begegnet? Vielleicht erkannten sie ihn nur nicht, wie damals die Juden und die Estragons und Wladimirs dieser Tage? Der Autor dieses Artikels schlägt analog eine Brücke zu Johannes dem Täufer, der synonym für die ganze Menschheit auf den Messias, den Göttlichen Erlöser der Menschheit, wartete. Obwohl er Ihm bereits beim Besuch Marias bei ihre Base Elisabeth begegnen durfte, wo er vor Freude im Leib seiner Mutter hüpfte und von Ihm bereits geheiligt wurde, obwohl er Ihn mit Wasser am Jordan hat taufen dürfen, quält Johannes die Ungewissheit, plagen ihn Zweifel. Johannes glaubte letztlich Seinen Glaubensboten und war mit Freude erfüllt, trotz seines nahenden Todes. Estragon und Wladimir glaubten dem vorbeikommenden Ziegenhirten nicht. Sie wollen nicht glauben. Der Existenzialismus lehnt das metaphysische Glück kategorisch ab. Wenn Herzen verhärtet sind, dann kann kommen, wer will. Kann es für einen Wohlstandsbürger, der nichts entbehrt, noch ein größeres transzendentes Glück geben? Das ist für viele kaum vorstellbar. Müssen Menschen erst die Untiefen des Lebens erleben, um Ihn zu erkennen? Scheinbar ist es so.
Vielleicht sind Estragon und Wladimir ihrem verheißungsvollen Godot schon begegnet? Vielleicht erkannten sie ihn nur nicht, wie damals die Juden und die Estragons und Wladimirs dieser Tage? Der Autor dieses Artikels schlägt analog eine Brücke zu Johannes dem Täufer, der synonym für die ganze Menschheit auf den Messias, den Göttlichen Erlöser der Menschheit, wartete. Obwohl er Ihm bereits beim Besuch Marias bei ihre Base Elisabeth begegnen durfte, wo er vor Freude im Leib seiner Mutter hüpfte und von Ihm bereits geheiligt wurde, obwohl er Ihn mit Wasser am Jordan hat taufen dürfen, quält Johannes die Ungewissheit, plagen ihn Zweifel. Johannes glaubte letztlich Seinen Glaubensboten und war mit Freude erfüllt, trotz seines nahenden Todes. Estragon und Wladimir glaubten dem vorbeikommenden Ziegenhirten nicht. Sie wollen nicht glauben. Der Existenzialismus lehnt das metaphysische Glück kategorisch ab. Wenn Herzen verhärtet sind, dann kann kommen, wer will. Kann es für einen Wohlstandsbürger, der nichts entbehrt, noch ein größeres transzendentes Glück geben? Das ist für viele kaum vorstellbar. Müssen Menschen erst die Untiefen des Lebens erleben, um Ihn zu erkennen? Scheinbar ist es so.