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Kolumne „Mild bis rauchig“

Vorweihnachtsengel

Sie sind deutsche Staatsbürger und heißen Mehmet, Ecegül, Özaltan oder Abdullah. So bekundet es ihr Personalausweis. In Wirklichkeit sind sie Türken und Abkömmlinge von Gastarbeitern in der dritten oder vierten Generation. Sie sind in Deutschland geboren und haben dennoch ihre Wurzeln in der Türkei. Ihre Familie ist ihnen wichtig und auch ihre Religion, der Islam. Sie glauben an Allah und an Mohammed, seinen Propheten. Sie kennen auch Jesus, den sie als Propheten respektieren, wenngleich sie Ihn auch nicht den „Christus“ nennen und schon gar nicht „Sohn Gottes“. Denn Allah ist groß und erhaben und hat keinen Sohn. Allah wird nicht Mensch, das wäre ein Zeichen von Schwäche und Kleinheit. Ein Gott, der Mensch wird, ist nicht ernst zu nehmen.

Im Islam ist Religion, wenigstens wenn sie öffentlich ist, eine Sache für Männer. Freitags gehen sie in ihre Moschee und beten gen Mekka. Sie neigen sich dabei tief zur Erde. Wenn Abdullah einmal freitags Mittagsschicht hat, dann betet er in seinem Betrieb. Der Betriebsrat hat für ihn und seine moslemischen Kollegen dieses Recht erneut durchgesetzt. Er hat einen kleinen Teppich dabei, den er in einer stillen Ecke der Werkhalle ausbreitet. Zur Not tut es auch ein Taschentuch.

Wenn er zur Zeit des Freitagsgebetes arbeiten muss, hört er neuerdings den Ruf des Muezzin, der von der Moschee in seinem Wohnviertel ruft: „Allahu akbar, Allahu akbar“, „Gott ist groß, Gott ist groß“. Oder: „Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Allah“, Oder: „Ich bezeuge, dass Mohammed Gottes Gesandter ist“ und „Eilt zum Gebet, eilt zum Gebet!“ – Der Muezzin ruft es natürlich nicht in Türkisch, sondern in Arabisch, der Sprache des Propheten.

Das Christentum wohnt nur noch in Sonntagsreden und im privaten Kämmerlein

Die Kollegen von Mehmet und Abdullah sind in der Regel Christen. Sie entstammen christlichen Familien und wurden als Neugeborene getauft. Kaum einer von ihnen praktiziert jedoch seine Religion. Es sei denn, es ist jemand gestorben. Oder es ist Weihnachten. Aber selbst da sind es die wenigsten, die ein christliches Gotteshaus aufsuchen. Außerdem ist man neuerdings aus der Kirche ausgetreten und hat sich auch des letzten Restes von Anstandsbindungen an ein kirchliches Vereinsformat entledigt.

Das Christentum wohnt in Sonntagsreden und im privaten Kämmerlein. In ihrem Wohnviertel haben Mehmet und Abdullahs Landsleute den Bau einer neuen Moschee durchgesetzt. Zwei katholische Kirchen in ihrer Nähe wurden kürzlich geschlossen. Aus ihnen werden ein Wohnhaus und eine Skaterhalle. Katja und Wibke – vor einigen Jahren noch katholisch gefirmt und evangelisch konfirmiert – sind heute trotz feministischer Dauerbeschallung in Medien und Schulen Muslimas und tragen stolz Hijab und Chador, Kopftücher zur Verhüllung ihrer blonden Haarpracht.

Wenn Mehmet und Abdullah ihre christlichen Kollegen fragen, weshalb es in unseren Städten und Dörfern morgens, mittags und abends läutet, dann bekommen sie in der Regel keine Antwort. Die meisten Christen wissen nicht, dass dieses Morgen-, Mittag- und Abendläuten ein Aufruf zum Gebet ist, das jeder katholische Christ während des Läutens privat verrichten soll, egal, wo er gerade ist – ohne Aufhebens, still im Auto, beim Bügeln oder an der Bushaltestelle im Schatten des Glockenturms oder im Wartezimmer des Zahnarztes.

Der Angelus – eines der wichtigsten Gebete

Man nennt dieses Gebet den „Angelus“, zu Deutsch den „Engel des Herrn“. Es ist eines der wichtigsten Gebete, die wir Christen kennen. Es verkündet das Gegenteil von dem, was der Muezzin ruft. Es spricht davon, dass ein Bote Gottes – der Engel Gabriel – einer Jungfrau die Nachricht brachte, dass Gott aus ihr Mensch werden sollte.

Es sagt, dass diese Jungfrau, Maria, damit einverstanden war und dass dadurch das Wort, wie es im Gebet heißt, also der Schöpfergott, dessen Wort die Welt ins Leben gerufen hat, „Fleisch“ geworden ist. Das heißt, dass Gott sich barmherzig gezeigt hat und klein geworden ist, um der Menschen willen. Es bedeutet, dass Gottes Größe in Seiner Barmherzigkeit und Liebe liegt – in seiner Fleischwerdung.

Zum Abschluss betet der Gläubige:

„Allmächtiger Gott, gieße Deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, Deines Sohnes, erkannt. Führe uns durch Sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung.“

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Damit ist eine Hoffnung ausgesprochen, die das Zentrum des christlichen Glaubens berührt: dass in der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, durch Seine Nähe, Sein Leiden und Sterben und durch den Sieg, den Er über den Tod und die Sünde errungen hat, diese Welt von den Schrecken ihrer tödlichen Zukunft befreit ist.

Schließlich liegt darin auch die Hoffnung, dass diese Welt – selbst wenn die Menschen sie dem Untergang weihen – nicht im Nichts versinken, sondern in Gott vollendet werden wird. Das Gebet des Angelus, zu dem die Kirchenglocken aufrufen, ist also ein Weckruf, so etwas wie die Zusammenfassung des christlichen Glaubens in der paganen Öffentlichkeit.

Eines Glaubens, der sich zu Weihnachten bekennt, zur Menschwerdung Gottes, und der darin die einzige Rettung erblickt: Jesus Christus als den Erlöser zu bekennen, der für die Menschheit gestorben und auferstanden ist.

Bekenntnis eines Wunders, das größer nicht gedacht werden kann

Es ist das Bekenntnis eines Wunders, das größer nicht gedacht werden kann: dass der Schöpfer sich in die Hülle eines Geschöpfes kleidet, mehr noch, dass Er selbst ein Teil Seiner Schöpfung wird – ein Umstand, mit dem sich der Islam niemals arrangieren kann, denn Allah, den die Moslems bekennen, ist so allmächtig, dass er in der Ferne bleiben muss. Er neigt sich nicht in Barmherzigkeit und reicht seiner Schöpfung nicht die Hand.

Nein, wir haben – trotz der immer wieder mantrahaft wiederholten Phrase – nicht (!) denselben Gott. Denn nach der christlichen Offenbarung möchte Gott kein unnahbarer Allah sein, er möchte die Dunkelheit, in die Seine Schöpfung durch die Bosheit des Menschen gefallen war, durch Seine Barmherzigkeit und Nähe erhellen. Er will sie heilen, indem Er selbst das Fleisch annimmt, das durch das notorische Fallen des Menschen verwundet worden war.

„Das Angelusgebet“ von Jean-François Millet (1814–1875): Die meisten Christen wissen nicht, dass das Morgen-, Mittag- und Abendläuten ein Aufruf zum Gebet ist

Ich wünsche mir deswegen – nicht nur weil ich Pfarrer bin –, dass alle, die den Namen Christi tragen, inmitten unserer multikonfessionellen Gesellschaft dieses Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes neu beherzigen. Bald werden wir es ja an Weihnachten ganz plastisch feiern mit Krippe und Weihnachtsliedern. Lassen wir (Christen) das nicht Folklore sein!

Vielleicht wäre es ja eine gute Idee, das Profil des Christlichen in dem kleinen schlichten Gebet des „Angelus“ neu zu schärfen, in dem „Ave Maria“ den zentralen Glauben der Christen an die Menschwerdung Gottes wie in einer Short Message zusammenfasst.

Noch läuten unsere Glocken – ihr Klang sollte nicht ungehört verhallen

Noch läuten unsere Glocken, um an ihn zu erinnern, den Vorweihnachtsengel, der die Botschaft einer Erlösung bringt, wie die Menschen sie nie leisten werden – nicht mit Wissenschaft, nicht mit Waffen, nicht am Verhandlungstisch und auch nicht durch die von ihnen gefütterte Künstliche Intelligenz.

Der „Angelus“ ist ein Anfang, sich selbst immer wieder neu von dieser Wirklichkeit berühren zu lassen, dass Gott ein menschliches Antlitz hat. Der Angelus kleidet den Tag in Gebet. Es heiligt den Tag, wenn man den Angelus gemeinsam betet, denn er trägt dazu bei, dass Gott nicht aus unseren Familien verschwindet, dass die jungen Christen Orientierung und Halt in Christus finden, anstatt in Esoterik und okkulten Praktiken einen Anker zu suchen.

Der Angelus ist ein mächtiges Gebet, das etwas bewirken kann, was alle Synoden und Predigten nicht können: es verändert durch Erinnerung. Noch werden die Glocken der Kirchen nicht übertönt vom Ruf des Muezzins. Das wird jedoch nicht mehr lange so sein, wenn die Mehrheit der Christen vergessen haben wird, was sie glaubt. Das Angelus-Gebet hilft gegen diese Verdunstungsgefahr – wenn es gebetet wird und die Kirchtürme, im Gegensatz zu den Minaretten, ihre Botschaft nicht ungehört verhallen lassen.

 

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Kommentare

Kommentar
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Annemarie Karmann
Vor 11 Monate

Besser hätte man es nicht formulieren können! Dankeschön, in Bayern sagte man früher „Vergelt’s Gott“!

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Annemarie Karmann
Vor 11 Monate

Besser hätte man es nicht formulieren können! Dankeschön, in Bayern sagte man früher „Vergelt’s Gott“!