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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Der Staat gegen die Eltern

Das Bundesgericht in der Schweiz erlaubt es einem 16-jährigen Kind, seinen Geschlechtseintrag ohne Zustimmung der Eltern zu ändern. Das zeigt eindrücklich, wie die Selbstbestimmung des Individuums zum Fetisch der Moderne erhoben wurde – koste es, was es wolle. Langsam, aber sicher stürmt der Verwaltungsstaat die letzte Bastion des elterlichen Einflusses.

Natürlich, wer würde widersprechen, dass mündige Menschen ihr Leben nach eigenem Gutdünken gestalten dürfen? Wobei die Krux im Wort „mündig“ liegt. Mit 16 Jahren darf man in der Schweiz weder harten Alkohol trinken noch Auto fahren – denn offenbar traut man Jugendlichen in diesen Belangen und vermutlich zu Recht nicht zu, die Konsequenzen ihres Handelns vollständig zu überblicken.

Aber wenn es darum geht, einen Geschlechtseintrag zu ändern, der mit tiefgreifenden Fragen der Identität und mit möglichen psychischen Folgen verknüpft ist, scheint Urteilsfähigkeit plötzlich kein Problem mehr zu sein. Diese Doppelmoral spricht Bände über die Prioritäten unseres Staates.

Ein Verwaltungsakt. Wirklich?

Die Genfer Justiz und das Bundesgericht betonen, dass es sich hier lediglich um einen „widerrufbaren Verwaltungsakt“ handelt, der keinerlei medizinische Konsequenzen nach sich ziehe. Doch diese nüchterne Betrachtung ignoriert die gesellschaftliche Realität. Ein solcher Akt ist alles andere als neutral; er ist ein Symbol. Er bestätigt und verstärkt eine Identität, die in vielen Fällen noch im Wandel ist.

Jugendliche sind in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit selten statisch. Das Eingreifen des Staates in dieser Lebensphase, ohne die Zustimmung der Eltern, wirkt wie ein Signal. Es lautet: „Deine Eltern sind irrelevant, der Staat weiß es besser.“

 

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Und genau das ist der Punkt, der die Wogen so hochgehen lässt. Eltern, die oft die ersten sind, die die emotionalen Kämpfe ihres Kindes erleben, werden in diesem Fall an die Seitenlinie verbannt. Ihr Anliegen, dass ein erfahrener Psychiater die Lage beurteilen sollte, wurde als übertrieben abgetan. Aber sollte nicht gerade in einem solch sensiblen Bereich eine professionelle Einschätzung Standard sein, um Fehlentscheidungen zu vermeiden? Vor allem aber: Fürchtete man sich schlicht und einfach vor dieser Einschätzung?

Das Fundament bröckelt

Die Verteidigung des Kindes durch eine internationale christliche Organisation hat diesem Fall vermutlich zusätzliche Schärfe verliehen, so absurd es klingen mag. Denn es war aus der Sicht der Fackelträger des Zeitgeistes wohl eine Unterstützung aus der falschen Richtung, die ihnen zusätzliche Munition gab. Eltern, die Christen an ihrer Seite haben: das riecht doch förmlich nach konservativ-abendländischem Fundamentalismus mit einem Schuss Mittelalter!

Aber abseits der ideologischen Schlachten bleibt die grundsätzliche Frage: Wie viel Einfluss dürfen Eltern noch haben, wenn es um die Identität ihrer Kinder geht? Die vorläufige Entziehung des Sorgerechts zeigt, wie tief das Misstrauen des Staates gegenüber der elterlichen Autorität bereits geht.

Was hier auf dem Spiel steht, ist nicht nur die Rolle der Eltern, sondern auch das Vertrauen in die Reife von Verwaltungsentscheidungen. Die Ansicht, dass ein Standesbeamter ausreichend qualifiziert sei, um die Tragweite eines solchen Eingriffs zu beurteilen, grenzt an institutionellen Leichtsinn. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Bürokratie das menschliche Maß verliert.

Musk und die Selbstmordkrise

Elon Musk, der sich aus den fernen USA zu dem Fall vernehmen ließ, mag ein gelegentlich exzentrisch agierender Kommentator sein. Doch sein Einwurf, dass die westliche Zivilisation von einem „Virus des Selbstmordgedankens“ durchzogen sei, hat einen bitteren wahren Kern. Die Tragik dieses Falls liegt nicht nur in der juristischen Auseinandersetzung, sondern in den emotionalen und psychischen Abgründen, die sich dahinter verbergen. 

Ein Kind, das in eine suizidale Krise gerät, sollte nicht zum Spielball zwischen Eltern, Staat und Ideologien werden. Die Tatsache, dass das Bundesgericht nicht wenigstens die Forderung der Eltern nach einer professionellen psychologischen Abklärung ernst genommen hat, zeigt, wie oberflächlich hier agiert wurde.

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Was bleibt, ist ein Präzedenzfall, der die Rechte der Eltern weiter untergräbt und die Macht des Staates stärkt. Man fragt sich, wo diese Entwicklung enden soll. Werden Eltern demnächst auch bei anderen grundlegenden Entscheidungen übergangen, wenn der Staat meint, es besser zu wissen? Oder hat das Bundesgericht hier nur einen weiteren Schritt in Richtung einer Gesellschaft getan, in der Selbstbestimmung über alles gestellt wird – selbst, wenn sie auf Kosten der langfristigen Stabilität und des Wohlbefindens der Betroffenen geht?

Es bleibt die Hoffnung, dass wir irgendwann innehalten und fragen: Haben wir wirklich die richtigen Prioritäten? Aber vermutlich wird der nächste Verwaltungsakt uns wieder zeigen, dass diese Frage längst beantwortet ist – und zwar nicht zu unseren Gunsten.

P.S.: Wer gerne seine Meinung zum Fall bei der Onlinezeitung 20 Minuten abgegeben hätte, konnte das nicht. Man halte die Kommentarspalte geschlossen bei Themen, „bei denen wir wiederholt Hasskommentare und Beleidigungen erhalten“. Das gelte auch bei „Storys rund um Todesfälle, Verbrechen und Unglücke“. Es ist offensichtlich, was hier unter „Hasskommentaren“ läuft und vermieden werden sollte: Einsendungen, die das Urteil kritisch sehen.

 

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