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Renaissance des Christentums in Österreich?

Zwischen Glauben und Kalkül: Herbert Kickl, die FPÖ und das Christentum

Schon in Kürze könnte in Österreich mit Herbert Kickl erstmals ein FPÖ-Politiker ins Bundeskanzleramt einziehen. Immer wieder hat der 56-Jährige, der auch in seiner Partei zum rechten Flügel zählt, in seinen politischen Botschaften Bezug auf das Christentum genommen. So verwendet er im Wahlkampf etwa den Slogan „Euer Wille geschehe“, und er wird nicht müde, die christliche Identität Österreichs zu betonen – freilich als klare Abgrenzung zu anderen Glaubensrichtungen. 

Das lässt jetzt bei manchem die Hoffnung auf eine Renaissance des Christentums im Alpenland aufkommen, doch bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich schnell, dass die Instrumentalisierung christlicher Symbole und Begriffe durch die FPÖ vielmehr einem strategischen Kalkül als einer authentischen Glaubensüberzeugung entspringt. 

Die Kirche selbst hat diese politische Vereinnahmung immer wieder mit bemerkenswerter Klarheit kritisiert. Kirchenvertreter, wie etwa der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, haben in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass sie in der Verwendung biblischer Formulierungen wie „Euer Wille geschehe“ nicht nur eine Respektlosigkeit erkennen, sondern auch eine bewusste Trivialisierung religiöser Inhalte. Die FPÖ entleere die Symbole des Christentums, um sie als Verstärker ihrer politischen Botschaften einzusetzen. Der Slogan „Abendland in Christenhand“ beschwöre nicht etwa Demut und Nächstenliebe, sondern sei eine klare Botschaft gegen Überfremdung. 

Das „Dritte Lager“ in Österreich

Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die historische Einordnung der Freiheitlichen in das sogenannte „Dritte Lager“, das sich traditionell zwischen Sozialdemokratie und Christlich-Sozialen positioniert. Dieses Lager, das auf eine lange Geschichte zurückblickt, hat sich in Österreich stets einen antiklerikalen und deutschnationalen Charakter bewahrt.

 

„Euer Wille geschehe“ und „Abendland in Christenhand“: FPÖ-Wahlplakate im Wahlkampf 2024 (l.) und 2006:

Während sich die FPÖ öffentlich gerne als Hüterin der kulturell-christlichen Identität präsentiert, geht es eigentlich nicht um ein religiöses Bekenntnis, sondern um die politische Notwendigkeit, konservative Wählergruppen anzusprechen, die sich durch die wachsende Islamisierung in Österreich verunsichert fühlen. Diese historische Prägung erklärt übrigens auch, warum die FPÖ häufig auf Konflikt statt auf Kooperation mit kirchlichen Institutionen setzt, insbesondere wenn es um soziale Fragen geht. 

 

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Herbert Kickl gehört zweifellos zu den prominentesten Vertretern dieses Lagers. Nach seinem abgebrochenen Studium an der Universität Wien – zunächst Publizistik und Politikwissenschaft, dann Geschichte und Philosophie –, machte er als Redenschreiber von Jörg Haider Karriere und entwickelte sich schnell zum Architekten der modernen FPÖ-Kommunikationsstrategie. 

Kickl und der Glaube

Mit seiner scharfen Rhetorik und seiner Fähigkeit, gesellschaftliche Stimmungen aufzugreifen, hat er die FPÖ erfolgreich als Anti-Establishment-Partei positionieren können. Doch seine politische Laufbahn war immer wieder Gegenstand kontroverser Debatten, besonders während seiner Amtszeit als Innenminister in der türkis-blauen ÖVP/FPÖ-Koalition unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) von 2017 bis 2019.

Kickl setzte dabei auf eine strikte Asyl- und Migrationspolitik zu einer Zeit, in der Deutschland noch immer die Augen vor den Konsequenzen der Massenmigration fest verschlossen hielt. Seine Amtszeit war geprägt von einer konsequenten Durchsetzung von Abschiebung, Einführung verschärfter Asylgesetze und einer vehementen Betonung innerer Sicherheit. 

Es ist kein Geheimnis, dass Kickl und seine Partei vor allem auf die berechtigten Sorgen eines konservativen, oftmals von gesellschaftlichem Wandel verunsicherten Publikums eingehen. Indem er christliche Begriffe in seine Rhetorik integriert, versucht er, sich als Verteidiger einer kulturellen Identität zu inszenieren, die zunehmend in Gefahr gerät. 

Interessanterweise vermeidet Kickl es, in der Öffentlichkeit über seinen persönlichen Glauben zu sprechen. Wie aus seinem Umfeld zu entnehmen ist, soll er ein römisch-katholischer Christ sein. Ein braver Kirchgänger sei er nie gewesen. Kraft schöpft Kickl beim Wandern oder an der Steilwand. Seine Ehefrau Petra, eine Juristin bei der Volksanwaltschaft, mit der er seit 20 Jahren verheiratet ist und mit ihr einen inzwischen erwachsenen Sohn hat, hält ihm den Rücken frei. „Sie unterstützt mich voll und ganz in meinen politischen Projekten. Sie hat in vielen Bereichen zurückgesteckt und sich um die Erziehung unseres Sohnes gekümmert und mir den Rücken freigehalten“, ließ er in einem Radio-Interview einmal durchblicken.

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Während die christlichen Kirchen unermüdlich darauf hinweisen, dass christliche Werte in erster Linie eine Herausforderung zur Selbstlosigkeit und zur Hilfe für die Schwächsten darstellten, betont die FPÖ den Erhalt des Eigenen als unverzichtbaren Bestandteil einer stabilen Gesellschaft. Beide Ansätze schließen sich nicht zwangsläufig aus, doch sie bedürfen einer ehrlichen Auseinandersetzung darüber, wie christliche Werte im politischen Alltag gelebt und geschützt werden können. 

Eine Stimme für die Entfremdeten

Die FPÖ gibt vielen Bürgern eine Stimme, die sich von den einstigen Großparteien entfremdet fühlen und nach einem klaren Bekenntnis zu nationalen Werten suchen. Dies als Gegensatz zur Kirche zu betrachten, greift jedoch zu kurz, denn auch in einer pluralistischen Gesellschaft kann es Raum für beides geben: den Schutz des kulturellen Erbes und die Verpflichtung zur Nächstenliebe – auch über den eigenen Kulturkreis hinaus. 

Besonders eindrücklich offenbart sich diese Diskrepanz in einem Vorfall aus der Zeit, als Herbert Kickl Innenminister war. In Salzburg missachteten Polizeibeamte – angeblich auf seinen Druck hin –  das Kirchenasyl, indem sie den bestens integrierten Flüchtling Ali Wajid aus St. Peter holten, wo er den persönlichen Schutz von Erzbischof Franz Lackner genoss. Der Pakistani, der von der örtlichen Gemeinschaft als Musterbeispiel für gelungene Integration angesehen wurde, sollte trotz des eindringlichen Protests kirchlicher Vertreter abgeschoben werden und fand schließlich Zuflucht in einem Kloster in Kenia. Der Fall sorgte für ein größeres Medienecho, weil schon damals der Vorwurf im Raum stand, dass die Behörden eher Integrationsvorbilder abschieben als Schwerverbrecher. 

Die Kirche als Symbol für Zuflucht und Barmherzigkeit wurde in diesem traurigen Fall zu einem politischen Schauplatz degradiert, auf dem unterschiedliche Vorstellungen von Recht und Mitgefühl aufeinanderprallten. Die Bilder der Polizeiautos vor St. Peter sind noch immer vielen katholischen Salzburgern in unangenehmer Erinnerung.

Schutz der kulturellen Identität und der christlichen Werte stehen nicht im Widerspruch

Woran sich hingegen viele Christen beider Konfessionen im ganzen Land erinnern, ist eine Maßnahme der türkis-blauen Regierung, die das Vertrauen in die Politik nachhaltig erschütterte: Mit der Abschaffung des Karfreitags als Feiertag 2019 verlor einer der wichtigsten christlichen Gedenktage seinen besonderen Status. Von da an mussten Gläubige Urlaub nehmen, um am Gottesdienst teilnehmen zu können. Diese Entscheidung wurde von der damaligen Regierung mit dem Hinweis gerechtfertigt, dass die betroffene Gemeinschaft ohnehin nur eine Minderheit darstelle, ein Schritt, der von vielen als Affront empfunden wurde. 

Historisch betrachtet führten politische Bewegungen, die religiöse Symbole für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, oft zu einer Art Entfremdung, vor allem wenn der Glaube nicht durch echte Überzeugung gestützt wurde. Doch gleichzeitig ist es in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs von zentraler Bedeutung, die Werte des Christentums nicht als statisch zu betrachten, sondern sie in einem modernen Kontext zu verteidigen und neu zu interpretieren. 

Wer also eine authentische Blütezeit des Christentums in Österreich herbeisehnt, sollte sich weniger von plakativen Parolen und vermeintlich christlich inspirierten Slogans blenden lassen. Gleichzeitig muss die Gesellschaft anerkennen, dass der Schutz der eigenen kulturellen Identität und der christlichen Werte keine Widersprüche sind, sondern sich ergänzen können. Ob der Kanzler nun Herbert Kickl heißt oder nicht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

 

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