Direkt zum Inhalt
Kolumne „Ein bisschen besser“

Angela, die Weihnachtsmutti

Wir liegen auf dem Bett, das fast ins Wohnzimmer ragt: Meine Frau Judith und ich und das Töchterchen, das wir froh betrachten. Der Adventskalender ist schon angeknabbert. Gerade haben wir das abgegriffene Weihnachtsbuch aus dem Regal gezogen und lesen dem Töchterchen diesen urvertrauten Satz vor: „Es begab sich aber zu der Zeit, als Cyrenius Landpfleger in Syrien war …“ Ein Zipfel vom Weihnachtsgefühl senkt sich auf uns.

Ich merke, wie meine Sehnsucht nach Wohlfühl-Welterklärern spürbar steigt. Nach denen, die nicht brüllen, fordern oder jammern, die nicht klagen oder drohen, bei denen es nicht ständig eine Minute vor zwölf ist, die nicht die Bühnenshow abgeben, sondern die das Kammerspiel bevorzugen. Krippe statt Kreißsaal sozusagen.

Der Krawumm-Auftritt verschwindet, der Typ Tiefgang bleibt

„Judith“, sage ich vorweihnachtlich-sanft gestimmt zu meiner Frau, „ich bin in Wahrheit ein Mann der leisen Töne.“ Ich ahne, dass sie das ein bisschen besser findet, weil sie den Krawumm-Auftritt für etwas Vorübergehendes hält, während sie in den stilleren Typen Tiefgang wittert. Ich bekomme prompt einen Kuss. 

 

> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.

 

Das Töchterchen seufzt sich in himmlische Ruh, wir liegen wohlig ausgestreckt im Ehebett und sind im Abendprogramm beim vertrauten Gesicht von Angela Merkel hängengeblieben. Sie steigt gerade in die Liga der Welterklärer auf, wo ihr Nachfolger Olaf Scholz niemals hinkommen wird. Nach drei Jahren Pause ist sie wieder zur Erde niedergekommen.

Ob Sahra Wagenknecht oder Alice Weidel besser wären als die Männer?

Wenn der Weihnachtsmann eine Frau wäre, denke ich, würde er sich anhören wie Frau Merkel. Mütze auf, Bart dran, fertig wäre die Weihnachtsmutti. Seine Rute ist ihre Raute. Ihre Weihnachtsbotschaft zum Koalitionsknall fasst sie mit dem Ausruf „Männer!“ zusammen. 

Ob die amtierenden Frauen von Sahra Wagenknecht über Alice Weidel bis Marine Le Pen bessere Alternativen zu den Ampelmännchen wären, frage ich mich. Und ich denke: Für Weihnachtsmänner wie -frauen gilt, dass sie nicht recht haben müssen, damit wir ihnen glauben. Aber der Satz kommt mir nicht über die Lippen.

Nicht heute, wo ich der Stille-Nacht-Typ bin. Ich will noch einen Kuss. Aber alles schläft.

 

› Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?

8
6

Kommentare