Gott ist schuld
In der vergangenen Woche ging er beinahe geräuschlos an uns vorüber: der zehnte Jahrestag des islamistischen Terroranschlags auf die Redaktion des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris. Am 7. Januar 2015 wurden dabei zwölf Menschen ermordet, darunter acht Mitarbeiter der Zeitschrift. Charlie Hebdo hatte wiederholt Mohammed-Karikaturen veröffentlicht.
Die Welt machte sich anschließend Gedanken über die Täter, über deren Herkunft, Lebenseinstellung, Motivation. Nachdem man zunächst glaubte, man wüsste, wer genau das grausame Attentat auf die Redaktion des Satiremagazins verübt hatte und dass dies eben islamistische Extremisten gewesen seien, wurden wir von der angegriffenen Redaktion zum ersten Jahrestag des Mordes eines Besseren belehrt: Es waren keine Islamisten, es war Gott! Gott? Ja, Gott! – und zwar näherhin der Gott der Christen!
Man sah ihn in der Ausgabe zum Jahrestag des Attentates über das schwarze Cover rennen. Ein böser, zähnefletschender und blutbefleckter bärtiger Gott, eine Kalaschnikow umgehängt und mit allsehendem Auge über dem Kopf als Symbol für die Dreifaltigkeit. Dazu der Text: „Ein Jahr danach: Der Mörder ist noch immer auf der Flucht.“ Diese Variante der Verdächtigungen ist nicht ohne. Das Magazin sagt mit kämpferischem Atheismus: alles Böse und vor allem die religiösen Auseinandersetzungen stammen von denen, die an einen Gott glauben, und zwar namentlich an den Gott der Christen. Er ist die Quelle allen Übels.
Selten ist in der Gegenwart eine Provokation so ungeschminkt dem christlichen Glauben entgegengeworfen worden. Denn sie erweitert den Täterkreis vom islamistischen Terroristen auch auf alle christlichen Gläubigen. Sie wurden von Gottgläubigen, über deren Naivität man sich bislang lediglich lustig gemacht hatte, zu bösen Kriminellen, die der Welt des Charlie Hebdo gefährlich werden, weil sie anderen Gesetzmäßigkeiten folgen als denen des ungebundenen Liberalismus und des ungebremsten Luststrebens und seines Ablegers, des strengen Egoismus.
„Auf ihn sollt ihr hören!“
Zum Abschluss der religiös gefeierten Weihnachtszeit am heutigen Sonntag passt der Jahrestag des Pariser Anschlags nebst seiner christenfeindlichen Aufarbeitung wie die Faust aufs Auge. Die katholische Kirche feiert nämlich am letzten Tag der Weihnachtszeit das Fest der Taufe des Herrn und erinnert an die Begegnung Jesu mit Johannes dem Täufer am Jordan.
In einer Art Vorschau entlässt die katholische Liturgie die Gläubigen nach den Tagen der Krippen-, Hirten- und Königsbetrachtungen mit dem Blick auf die Proklamation des Gottessohnes durch seinen Vorläufer und Ankündiger Johannes. Bei der Bußtaufe zur Vorbereitung auf das nun bald anstehende Auftreten des Messias in der Öffentlichkeit öffnet sich der Himmel, und eine Stimme verkündet Jesus als den Christus, als den „geliebten Sohn“ Gottes, auf den fortan zu hören ist.
Damit ist die Zeit der seligen Welt des kleinen Jesus in Krippe und Stall abgeschlossen, und man geht in das noch junge Jahr mit den Berichten über das öffentliche Wirken Jesu und die Auseinandersetzungen, in die dieses öffentliche Wirken führt. Denn es ist von vornherein klar: der Anspruch des Messias ist nicht widerstandsfrei vermittelbar. Er stößt auf Zustimmung und Ablehnung, nicht zuletzt in seiner Heimat.
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Von daher wundert es nicht, dass später seine Anhänger in eine ebensolche Kontroverse eintreten, wenn sie an ihn glauben und seine Weisungen zur verbindlichen Grundlage ihres Lebens machen. Angefangen von den Verfolgungen in den ersten drei christlichen Jahrhunderten über die im Laufe der Geschichte beständig abwechselnden Phasen von Repressalien gegenüber Christen und ihrem Glauben bis hin zu den gegenwärtigen Mischungen aus Unverständnis, Ablehnung und Spott reichen die Erfahrungen, die man machen kann, wenn man einer un- oder andersgläubigen Welt den Absolutheitsanspruch der christlichen Offenbarung entgegenhält.
Tiefsitzende Abneigung der Welt gegen das Christentum ist nur größer geworden
Insofern wundert die Reaktion des Satiremagazins nicht, wenn es durch die unsanfte Weise islamistischer Terroristen daran erinnert wird, dass es immer noch Menschen gibt, die an einen Gott glauben, und es damit in seiner Meinung, Gott sei tot, erschüttert wird. Die Welt ist in den zehn Jahren, die seither vergangen sind, in ihrem Ressentiment gegenüber Gott und Glauben nicht besser geworden ist, und die Anklage der Gefährlichkeit der Christen ist heute allgemein hoffähig. Und zwar weil die Christen das tun, was das Evangelium ihnen als Forderung entgegenhält: an die Liebe Gottes zu glauben, die in Jesus Christus Mensch geworden ist und die sich am Jordan offenbart hat.
Was sich erst einmal nur fromm und wenig kontrovers anhört, ist der Anlass der tiefsitzenden Abneigung der liberalen Welt gegen das Christentum. Denn die Christen stellen sich nach der Forderung der Stimme vom Himmel eben unter das Gesetz Gottes und nicht unter die zeitgeistlichen Lebenseinstellungen, die heute so und morgen so sind. Und sie bekennen – das ist es, was die atheistische Satire damals herausgestellt hat –, dass die Wahrheit, an die sie glauben, unabdingbar ist, weil sie nicht von Menschen gemacht ist, sondern von Gott kommt.
Er ist derjenige, der sagt, wo es langgeht und nicht die Medien, die Kulturschaffenden oder die politischen Mehrheiten. Und deswegen ist er, Gott, für die Christen die Quelle ihres Handelns. Seine Offenbarung ist bindend. Sie unterliegt keinerlei Änderung – weder einer persönlichen Änderung noch einer demokratischen Mehrheitsentscheidung. Diese Unabänderlichkeit der Wahrheit, die von Gott kommt und an die Christen glauben, macht sie – die Wahrheit und die, die an sie glauben – in unserer Zeit des Wandels und des Autonomiestrebens verdächtig, die Abläufe eines moralisch ungebundenen Lebens zu stören.
Schon nach dem 11. September wurde jede Religion unter Verdacht gestellt
Denn man kann nicht an Gott glauben und gleichzeitig das, was er sagt, zur Disposition stellen. Also – so die Feststellung des französischen Magazins – sind alle gläubigen Menschen per se verdächtig, nicht kompatibel zu sein mit einer Welt, in der Gott mehrheitlich keine Rolle mehr spielt und die deswegen ihre Gesetze aus sich selbst erfindet und folglich stets verändert, weil sie eine Bindung an göttliche Gebote als eine Einschränkung ihrer Freiheit empfindet.
Der satirische Vorwurf, dass alles Übel in unseren Tagen von der Religion stamme, ist dabei nicht neu. Es wurde schon nach dem 11. September 2001 in vielen Medien, allen voran im Spiegel, klargestellt: Problematisch für eine freie Welt ist nicht der Islam, sondern unter Verdacht steht jede Religion, weil sie in sich ein Anschlag auf die aufgeklärte Menschheit bedeute.
Dieser Vorwurf ist heute hoffähig, und man richtet in der Tat in vielen Bereichen des Alltagslebens den Fokus mehr und mehr auch auf uns als Christen und sagt uns: Wenn ihr und euer blöder Glaube nicht wären, wenn ihr nicht auf Forderungen hören würdet, die ihr aus dem Himmel zu vernehmen glaubt, und solange ihr die Gesellschaft und ihren Fortschritt zur totalen Freiheit mit eurem religiösen Quatsch aufhaltet und behindert, solange wird es keinen Frieden geben!
Aufgefordert, sich auch öffentlich zu entscheiden: glaube ich an Jesus oder nicht?
Und flugs geraten Charlie Hebdo zufolge auch wir Christen mehr und mehr in die Täterrolle, weil wir, wenn wir unseren Glauben ernst nehmen, der Gegenwartswelt Widerstände verschiedener Art entgegenhalten. Wir glauben an Gott als Schöpfer und nicht an den Zufall, wir bekennen uns dementsprechend zu unserer Verantwortung dem menschlichen Leben gegenüber und lehnen die Idee ab, selbst darüber zu richten, wer geboren werden darf und wer nicht. Wir glauben an eine göttliche Ordnung durch die Gebote als Grundlage der menschlichen Gesellschaft und folgen deswegen nicht der Idee, dass man über das Wesen des Menschen, über Gut und Böse und über den Sinn des Lebens abstimmen kann.
Christen, die dies alles leben, finden sich aktuell deswegen nicht nur in vielen Medien, sondern auch in den Parlamentsreden der sogenannten Volksparteien zwischen aus der Zeit gefallener Spaßbremse und staatsfeindlichem Schädling eingeordnet.
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Heute, am Fest der Taufe des Herrn, wo von der Offenbarung – man könnte sogar sagen: von der Proklamation – Jesu Christi als Sohn Gottes am Jordan berichtet wird, verlangt das Hören des Berichtes aus dem Lukasevangelium den Christen eine wichtige Entscheidung ab, die weit mehr ist als nur eine private Zustimmung. Sie werden aufgefordert, sich auch öffentlich zu entscheiden: glaube ich an Jesus Christus oder glaube ich nicht? Handle ich nach seinen Geboten oder nach meiner eigenen Fasson? Bin ich bereit, den Glauben, dass Gott Mensch wurde und der Gottessohn Jesus Christus die Welt rettet, auch in der Öffentlichkeit erkennen zu lassen und zu verteidigen? Oder räume ich ihn mit der Weihnachtsdekoration wieder für ein Jahr auf den Speicher?
Aussteigen aus dem Sog des Gewohnheitschristentums
Am heutigen letzten Tag der Weihnachtszeit hören wir nicht zufällig davon, wie den Menschen am Jordan die Offenbarung Gottes in Jesus Christus geschenkt wird. Denn diese Offenbarung ruft nach den verhalten betrachtenden Weihnachtstagen in eine Entscheidung. Es ist die Entscheidung zu glauben oder nicht und nach diesem Glauben zu leben oder nicht.
Es ist damit ein Appell an die Christen verbunden, aus dem Sog des Gewohnheitschristentums auszusteigen und sich neu darüber klar zu werden, was einen überhaupt Christ sein lässt. Denn die Bedrängnis wird in jedem Fall stärker werden. Jeder Getaufte muss damit rechnen, dass ihm irgendwann ein blutiges oder unblutiges Zeugnis für Christus abverlangt wird. Wer das für übertrieben hält, konsumiert möglicherweise die falschen Medien oder ist einem fatalen Harmoniebedürfnis erlegen.
Unbequeme Worte zum Ausgang der Weihnachtszeit. Aber notwendige Worte. Denn es muss deutlich sein, worum es für uns an Weihnachten geht: um den Gehorsam dem Gott gegenüber, der die Liebe ist, und der sich aus Liebe auf hartes Krippenholz legen und an ebenso hartes Kreuzesholz nageln lässt. Und der damit zeigt, dass der Weg zum Guten kein einfacher und angepasster, aber ein lohnender ist.
Uns zu retten auch vor uns selbst und den Abgründen unserer Möglichkeiten
Man kann nicht Christ sein – und sich den Vorwurf des absoluten Glaubens an die Wahrheit der Menschwerdung nicht anziehen! Denn ohne den Glauben an den Sohn Gottes, auf den Johannes der Täufer heute zeigt, wäre das Christentum genauso unvollständig wie eine Weihnachtskrippe ohne Kind.
Auch wenn eine steigende Zahl unserer Zeitgenossen es für heilsamer hält, die Religion abzuschaffen und wir von vielen nicht verstanden werden – wenn die Welt eine Chance haben soll, sich nicht selbst aus den Angeln zu heben, dann wohl nur, wenn sie der Stimme am Jordan Glauben schenkt, die das eine Entscheidende sagt: Gottes Liebe ist Mensch geworden und hat sich unter uns Menschen gemischt. Nicht um uns zu unterjochen, sondern um uns zu retten – vor der Macht der Sünde, vor dem ewigen Nichts und auch manchmal vor uns selbst und den Abgründen unserer Möglichkeiten. Denn nur die Liebe zu Gott hält am Ende die Menschheit davon ab, sich selbst zu vergötzen und dadurch zu vernichten.
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Kommentare
Wer hört den Stein schreien, wenn er geschliffen wird?
Jedem seine individuelle Wahrheit - als Christin glaube ich daran, dass Jesus mit Gottes Liebe in uns ist.
@Bettina Schürer Jesus Christus beansprucht für sich, die Wahrheit zu sein. Ziemlich exklusiv, der christliche Gott. Damit wird die Wahrheit zum Singular, individuelle Wahrheiten kann es nicht geben. Aber natürlich individuellen Glauben.
Ich kenne niemanden, der Christen in Deutschland als gefährlich ansehen würde. Sie werden aber vielfach als Heuchler und Moralapostel wahrgenommen. Wobei das nur die extrem wenigen Kirchenmitglieder betrifft, die durch ihr Verhalten im Alltag auch als Christen zu erkennen sind. Ihr Ansehen leidet unter der Masse der "Namenschristen", die genauso weltlich leben wie alle anderen Zeitgenossen auch.
Ich kenne auch niemanden, der den mörderischen Islamismus mit dem Christentum gleichsetzt. Wenn das Satirezeitungen machen, heißt das nicht, dass die Leser das eins zu eins übernehmen.
Es gibt aber mittlerweile viele Menschen in Deutschland, die die institutionelle Kirche als kriminelle Organisation ansehen. Und hier gibt es dann den Brückenschlag zum Islamismus. Die tausendfachen Straftaten innerhalb der Kirchen Deutschlands in den letzten Jahrzehnten, die systematische Struktur dieser Kriminalität, die unglaubliche Verharmlosung (Kardinal Meissner: „Brüder im Nebel“) und die konsequente Verhinderung von Strafverfolgung rücken die Kirche ins kriminelle Milieu. Der widerwillig durchgeführte und immer wieder verzögerte Aufklärungsprozess seit zwei Jahrzehnten und das skandalöse Verhalten gegenüber vielen Opfern tun ihr Übriges.
@Ralf Schröder Lieber Herr Schröder, würden Sie eine große, wertvolle Maschine entsorgen, nur weil ein paar Teile darin fehlerhaft sind? Oder würden Sie die fehlerhaften Teile entfernen oder austauschen? Sie verstehen, worauf ich hinauswill.
Die Kirche besteht auch aus Menschen. Menschen machen Fehler oder sind bösartig.
Charlie Hebdo: Non serviam!
Der Athener Alkibiades war bei einem Saufgelage. Am Morgen fehlten einigen steinernen Gottheiten die Köpfe. Er floh sofort. Der Kriminalfall „Bonifatius-Eiche“ ist bekannt.
Beleidigungen der Götter ziehen deren Rache nach sich. Die Gottlosen wurden bisher in allen Kulturen aus der Gemeinschaft rasch verbannt. (Als es noch Götter gab, war der Teufel oft ´der Lichtbringer´. Heute gilt: Finsternis für alle!)
Wenn nun die Gottheiten selber böse wären? Das lehnen Herz und Vernunft ab. Aber der Gott, der befahl, alles Lebende in Jericho zu vernichten? Kann es nach Auschwitz noch einen Gott geben? Unsere Sicht ist unzulänglich, unser Urteil weihrauchvernebelt, aber wer sonst hätte Worte des ewigen Lebens, an dem wir alle doch so hängen?
„Jesus, das kleine Ars*****“, so hieß ein blasphemisches Büchlein im Eichbornverlag. Der Widerstand der Christen war sehr milde. (Nebenbei. Wenn ich heute von einem Politiker sagte: „Hornbeck, das kleine Rindvieh!“?)
Müssen wir Gott schützen? Das muss Er selber machen. Aber es geht dabei auch um unsere wichtigsten Werte. Wer für diese nicht offen eintritt, wer da nicht ´kriegstüchtig´ ist, wer woken Moden oder der Geopolitik anderer anhängt, ist Seiner nicht wert.