Aufbruch aus der Defensive
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Dom zu Salzburg, 13. Jänner 2025: Requiem für den verstorbenen Salzburger Weihbischof Andreas Laun. Als Moraltheologe, der seit 1981 an der phil.-theol. Hochschule Heiligenkreuz unterrichtet hatte, war Laun jemand, der ohne Menschenfurcht Klartext redete. Sein großes Thema war der Schutz des ungeborenen Lebens, und auch vor anderen „heißen Eisen“ der letzten Jahrzehnte hatte er keine Angst.
Die Reaktionen auf seinen Tod spiegelten es: Laun war einer, der „polarisierte“. Ist diese Marke einmal vergeben, denn ist Verschiedenes klar: Dann weiß man erstens, dass er sich durch die ungeschriebenen Gesetze des Mainstreams nicht einschüchtern und knicken ließ und zweitens, dass es die stillschweigende Verpflichtung gab, ihn als „problematisch“, „erzkonservativ“ und „rechts“ zu verachten. Entsprechend konnte man auf X/Twitter nach der Todesmeldung aus dem „amtskirchlichen“ Umfeld Wortspenden lesen wie: „Mit Andreas Launs Tod ging die unselige Ära der bischöflichen Fehlbesetzungen von JPII in Österreich zu Ende.“
Ja, klingt böse – und ist genau so gemeint. Das katholinke Restmilieu ist um nichts besser als die Leser des linken Standard, wo Laun im Forum „Nachrufe“ übelster Sorte zuteilwurden.
Es gibt die andere Wirklichkeit
Doch das ist medial produzierte Realität. Das Requiem im Salzburger Dom zeigte die andere Wirklichkeit: die internationale Wertschätzung eines Kämpfers für das ungeborene Leben durch viele hunderte Menschen – darunter mehr als 50 Priester, Bischöfe, Äbte, angeführt vom ungarischen Kardinal Péter Erdő, der die Predigt hielt.
Die allgemeine Dimension dieses aktuellen Präludiums: Weihbischof Andreas Laun – übrigens gerngesehener Gast in deutschen Talkshows – war einer der bischöflichen Pioniere jenes Aufbruchs aus der Defensive, den wir dringend vorantreiben müssen.
Was ich damit meine? Steigen wir mit einem Beispiel ein: „Sprachübung“ am Romanistik-Institut. Der superlinke Lehrbeauftragte hatte selbstverständlich ausschließlich Artikel aus Le Monde und Libération ausgewählt, die dann auch einschlägig interpretiert wurden. Häufig löste sich das Gespräch von den Artikeln ab und geriet zu einer Schule des Mainstreams der neunziger Jahre. Wohlgemerkt, die Lehrveranstaltung war eine „Sprachübung“, doch die Sprachkompetenzen standen meist nicht im Fokus der Diskussion. Alle schienen einig, immer gab es einige wenige Wortführer, andere, die beipflichteten, die Mehrheit, die das Geschehen einfach nur verfolgte und schwieg.
Die Angst ist nicht unberechtigt, aber dennoch ein Fehler
Nach einigen Terminen pflegte Monsieur sich regelmäßig an einen bestimmten Teilnehmer zu wenden: „Et vous, qu’est-ce que vous en pensez?“ – „Und Sie, was denken Sie darüber?“ Und dann ging’s los: Der solchermaßen Angefragte vertrat meist eine deutliche Gegenposition zum Mainstream. Und jedes Mal passierte dann das Gleiche, denn, nachdem sich der Betreffende exponiert hatte, sprangen drei oder vier andere auf die Dynamik auf und bekannten sich ebenfalls zu seinen Ansichten. Nein, nicht die Mehrheit, aber doch genug, dass die zwanghafte Einheitsmeinung zu Themen wie Abtreibung, Drogen, Homosexualität, Feminismus, Kirche etc. gesprengt werden konnte und das Gespräch kontrovers und ehrlich wurde.
Tatsache ist, dass Christen und Wertkonservative zumindest seit Anfang der siebziger Jahre in vielen gesellschaftspolitischen und kulturphilosophischen Fragen mit dem Rücken zur Wand stehen. Die Gefahr ist aber, dass wir das resignierend akzeptieren, weil wir Angst haben. Angst, nicht mehr akzeptiert zu sein, nicht gelobt und geliebt zu werden, gemobbt, geschnitten und verfolgt zu werden. Je öffentlicher wir agieren oder je sichtbarere Positionen und Ämter wir belegen, desto mehr.
Die Angst ist nicht unberechtigt, aber dennoch ein Fehler, und zwar aus vielen verschiedenen Gründen: Falsch, weil man sich an die Rolle des Opfers auch gut gewöhnen kann und das verordnete „Gefängnis“ im Laufe der Jahre vielleicht als Komfortzone der Passivität zu schätzen gelernt hat. Falsch, weil wir uns aus Angst das Kämpfen abgewöhnen, allzu vorsichtig, träge und schlapp werden. Falsch, weil wir dann in unseren schüchternen Wortmeldungen missverständlich, ambivalent und erst recht angreifbar werden – und zwar von allen Seiten.
„Fürchtet Euch nicht, öffnet die Türen für Christus!“
Klar, selbstbewusst und proaktiv können wir dann agieren, wenn wir starke Überzeugungen haben. Der verstorbene Bischof Laun hatte den Wahlspruch gewählt „Scio, cui credidi“ – „Ich weiß, wem ich geglaubt habe“. Pflegen wir unseren Glauben, entwicklen und vertiefen wir die persönliche Beziehung zu Christus. Je näher wir bei dem sind, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist, desto mutiger werden wir sein.
„Wir wollen keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem!“, hat Kardinal Meißner 1987 beim Katholikentreffen in Dresden wegweisend vorgegeben. Ein anderer unvergesslicher Satz der Bewegung des Aufbruchs aus der Defensive war jenes „Fürchtet Euch nicht, öffnet die Türen für Christus!“, das der neugewählte Papst aus dem kommunistischen Polen der Welt am 16. Oktober 1978 entgegenrief.
Die Klugheit und Kraft dieser Sätze muss man sich bewusst machen: Sie waren keine direkte Kampfansage. Dennoch wischten sie in Vollmacht das Sekundäre und die lähmende Angst einfach weg, orientierten und ließen eine Hoffnung erstarken, die wenige Jahre später Mauern einreißen sollte. Das waren Sätze einer ungeheuren performativen Kraft! Der hl. Johannes Paul II. war darin ein Meister.
Die Zeit des vorsichtigen Lavierens muss vorbei sein
Unvergleichlich auch die Wirkkraft und Dynamik, die er am 2. Juni 1979 in Warschau mit einem inspirierten Wort in Gang setzte: „Sende aus deinen Geist! Und erneuere das Angesicht der Erde! Dieser Erde!“ Der demonstrative Nachsatz hatte die Gewalt eines Sprengsatzes, der die Plattenbauten der menschenverachtenden Ideologie unmittelbar ins Wanken brachte. Ja, solche Sätze von solchen Hirten brauchen wir! Ein Vorausgehen auf Christus zu, auch und gerade in feindlichen Kontexten. Denn, „wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“ (Röm 8,31).
Nicht nur für die Hirten, sondern für uns alle gilt, dass die Zeit der noblen Zurückhaltung, des ambivalenten Geredes, des vorsichtigen Lavierens, der frommen Ausflüchte und des Sich-Entschuldigens (beim geringsten Gegenwind) vorbei sein muss. Gründlichkeit, Gelassenheit und Geradlinigkeit könnte die Devise lauten. Aus der Defensive auszubrechen bedeutet vor allem ein grenzenloses Vertrauen, das sich auf den Grund all unserer Hoffnung bezieht: „Alles vermag ich durch ihn [Christus], der mich stärkt.“ (Phil 4,13). Und es bedeutet auch, aus Nächstenliebe und aus Sorge für die anderen das Wort zu ergreifen und die Wahrheit zu bezeugen.
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Mit Schwerpunkt in den neunziger Jahren und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, aber bis heute nachhallend, war es von katholisch-linker Seite üblich, das „Wie“ zu kritisieren, wenn man eigentlich das „Was“ angreifen wollte, das bedeutete, etwa via Medien zu suggerieren, jemand sei „lieblos“ oder „nicht dialogbereit“, während man in Wirklichkeit seine inhaltlichen Positionen ablehnte. Was uns selbst betrifft, so müssen wir im Ausbruch aus der Defensive beides bedienen, das „Wie“ und das „Was“: sympathisch, aber absolut sattelfest in unseren Überzeugungen.
Vermeintlich „kritische“ Ansichten sind längst fade geworden
Oft geht es tatsächlich darum, dass jemand den Anfang macht, dass jemand „springt“. Klar, das kann für den Betreffenden auch eine sehr harte Landung bedeuten. Aber Mut ist auch anziehend und ansteckend. Es bleibt ein Wagnis, aber wir haben auch die Verpflichtung, die „andere Seite“, jenes, was wir als richtig erkannt haben, hörbar und verstehbar zu machen.
Es muss uns auch bewusst sein, dass sich die Dinge ja längst umgedreht haben: Die vermeintlich „kritischen“ Ansichten sind mittlerweile ins Fade und Ungesunde gekippt, aufregend sind jetzt die konturierten und klaren Positionen. Nur muss man sie auch vermitteln und vertreten, damit sie Präsenz bekommen.
De facto ist längst bekannt, dass fehlender Widerstand fatal sein kann. Um ein aktuelles Phänomen anzuführen: immer mehr „Detransitioners“ beklagen die ausschließlich affirmative Begleitung ihres Weges, die zu übereilten Schritten und teils irreversiblen Schäden führte. Widerstand ist ein zentrales Moment, um wachsen zu können.
Wenn wir andere auch oft nicht überzeugen können, so wollen wir wenigstens Widerstand leisten. Und zwar aktiv. Warten wir nicht, bis eventuell jemand auf die Idee kommt, uns das Wort zu erteilen, ergreifen wir es selbst und wagen wir den Aufbruch aus der Defensive!
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Kommentare
Chapeau, fabelhaft!
Aufbruch aus der Defensive – dieser Artikel hat mir wirklich aus der Seele gesprochen. In so vielen Bereichen brauchen wir ein neues Sprechen: mit neuen Ansätzen, kreativen Mitteln und mutigen Perspektiven. Besonders bei Themen wie Abtreibung, Euthanasie, Transgender, Gender und vielen anderen. Danke für den ermutigenden Impuls! Es ist wichtig, daran zu erinnern: Es braucht Menschen, die mit Freude und Leidenschaft vorangehen.
Do you think that Christianity is the only answer to all questions? And if so, why? The Sermon on the Mount seems to be a dubious answer to anthropological fascism. Not to mention the arbitrariness of the Judeo-Christian God, he/she is absolutely uncontrollable!