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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Eine Schweizer Kuriosität, die wegmuss

Derzeit debattiert das Schweizer Parlament den sogenannten „Eigenmietwert“. Nicht zum ersten Mal, aber endlich sieht es danach aus, dass diese eidgenössische Erfindung in der Tat verschwinden könnte.

Natürlich sind zunächst umfangreiche Erklärungen nötig. Denn in Deutschland zum Beispiel verstehen viele nicht, was der Eigenmietwert überhaupt sein soll. Bedauerlicherweise das, wonach es klingt: Wer in den eigenen vier Wänden lebt, zahlt dafür Steuern. Ja, genau so ist es in der Schweiz. Nur hier kommt man auf die glorreiche Idee, die eigene Wohnung, das eigene und hart erarbeitete Eigentum, wie eine Einnahme zu behandeln.

Der Eigenmietwert, auch „fiktive Miete“ genannt, wird den Hauseigentümern angerechnet, als ob sie ihre Wohnung an sich selbst vermieten würden. Das bedeutet, dass man für das Privileg, in der eigenen Immobilie zu wohnen, auch noch Steuern zahlen darf. Während man sich in Deutschland ins eigene Haus zurückzieht und – im wahrsten Sinne des Wortes – seine Ruhe hat, bekommt man in der Schweiz mit dem Eigenmietwert noch eine Portion Bürokratie obendrauf. Aber wieso gibt es das überhaupt?

Gleichstellung – oder der Versuch davon

Historisch gesehen stammt der Eigenmietwert aus einer Zeit, in der man vermeiden wollte, dass Hauseigentümer steuerlich bessergestellt werden als Mieter. Der Gedanke: Ein Hausbesitzer „verdient“ quasi die Miete, die er sich spart, weil er nicht zur Miete wohnt. Diese „Ersparnis“ soll versteuert werden, um Gerechtigkeit zwischen Mietern und Eigentümern herzustellen. Klingt theoretisch nett, oder? Aber wie so oft hat diese Idee einen Haken: Die Praxis ist alles andere als gerecht.

Zum einen funktioniert der Eigenmietwert wie eine Strafe für Eigenheimbesitzer. Man spart und investiert in ein eigenes Haus, vielleicht für die Altersvorsorge, nur um dann Jahr für Jahr zur Kasse gebeten zu werden, als ob man ein Mieter in den eigenen vier Wänden wäre. Ist das fair? Sicherlich nicht, und es sendet vor allem die falsche Botschaft: „Kauf dir ruhig dein Eigenheim – aber wehe, du lebst auch darin. Sonst geht’s gut? Zahl!“

Absurde Effekte und unlogische Konsequenzen

Das System hat zudem kuriose Nebeneffekte. Zum Beispiel können Hauseigentümer, die ihre Hypotheken noch nicht abbezahlt haben, die Zinskosten von der Steuer absetzen. Klingt erst einmal gut. Aber dadurch werden viele dazu animiert, ihre Hypothek künstlich hochzuhalten, statt sie schnell abzuzahlen. Warum sollte man seine Schulden tilgen, wenn man dadurch steuerlich bestraft wird? So entsteht eine absurde Situation: Menschen bleiben hoch verschuldet, nur um den Eigenmietwert zu umgehen.

Außerdem trifft der Eigenmietwert gerade jene, die ihn am wenigsten verkraften können: pensionierte Hauseigentümer. Sie haben vielleicht jahrzehntelang gespart, um im Alter schuldenfrei zu leben, und müssen dann plötzlich den fiktiven Wert ihres Eigenheims versteuern. Während das Einkommen sinkt, bleibt der Eigenmietwert konstant oder steigt sogar. So werden viele Senioren gezwungen, ihr hart erarbeitetes Eigenheim zu verkaufen, weil sie die Steuerlast nicht mehr tragen können. Das ist nicht nur unfair, es widerspricht auch der Idee der Altersvorsorge.

Warum der Eigenmietwert abgeschafft gehört

Es gibt gute Gründe, den Eigenmietwert endlich abzuschaffen. Erstens ist er schlicht und einfach unlogisch. Ein Eigenheim ist keine Einkommensquelle, sondern eine Ausgabe. Wer sich ein Haus kauft, zahlt dafür mit seinem Geld – und muss dafür nicht auch noch zur Kasse gebeten werden, als ob er Gewinne erwirtschaften würde. Schon gar nicht an den Staat. Die Idee, dass man für etwas besteuert wird, das man sich selbst hart erspart hat, ist an sich schon fragwürdig.

 


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Zweitens führt der Eigenmietwert zu Fehlanreizen im Immobilienmarkt. Viele Eigentümer lassen ihre Hypotheken absichtlich hoch, um die steuerlichen Vorteile der Schuldzinsen zu nutzen. Das verstärkt das Risiko von Immobilienblasen und sorgt dafür, dass Menschen länger in der Schuldenfalle stecken als nötig.

Drittens trifft der Eigenmietwert diejenigen besonders hart, die am verletzlichsten sind: Rentnerinnen und Rentner. Es ist absurd, dass Menschen im Ruhestand dazu gezwungen werden, ihr Haus zu verkaufen, weil sie die Steuerlast nicht mehr tragen können. Das Eigenheim sollte im Alter Sicherheit bieten – und nicht zur Last werden.

Deutschland zeigt, wie es anders geht

In Deutschland, wo es keinen Eigenmietwert gibt, sieht man: Es geht auch ohne. Dort zahlen Hauseigentümer keine fiktive Steuer auf den „Wert“ ihres Eigenheims. Stattdessen werden Immobilien beim Kauf besteuert, was wesentlich klarer und fairer ist. Die Abschaffung des Eigenmietwerts würde auch in der Schweiz für mehr Gerechtigkeit sorgen – und endlich die Fehlanreize beseitigen, die das System derzeit schafft.

Der Eigenmietwert ist ein Relikt aus einer Zeit, in der man glaubte, Mieter und Eigentümer auf diese Weise gleichstellen zu können. Doch in der heutigen Zeit hat dieses System ausgedient. Es schafft mehr Probleme, als es löst und gehört abgeschafft. Statt den Besitz von Wohneigentum zu bestrafen, sollte der Staat die Menschen ermutigen, für ihre Altersvorsorge und ihre finanzielle Unabhängigkeit zu sorgen.

Es wird Zeit, den Eigenmietwert zu beerdigen – und damit eine der letzten echten Kuriositäten der Schweizer Steuerlandschaft. Wer einmal Eigentum erwirbt, soll das als langfristige Investition in die Zukunft sehen können, ohne von einer absurden Steuer belastet zu werden. Deutschland zeigt uns, dass es auch anders geht – und vielleicht sollten wir uns bei diesem Thema mal von unseren Nachbarn eine Scheibe abschneiden. Sehr ausnahmsweise natürlich.

 


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