Unterlassene Hilfeleistung qua Gesetz
Es ist so weit. Nach vielen Jahren des politischen Drucks, der gezielten Desinformation und konzertierter Medienkampagnen steht die Abtreibungslobby unmittelbar vor ihrem Ziel: der Legalisierung der Abtreibung im größten Land der Europäischen Union.
Nach der monatelangen, offenkundigen Agonie der Ampel-Koalition kam es Anfang November zum endgültigen Bruch. Laut aktuellen Umfragen müssen SPD und Grüne mit herben Stimmenverlusten bei der bevorstehenden Neuwahl rechnen, die FDP und die Linkspartei sogar um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen.
Um den prognostizierten Absturz möglicherweise zu verhindern, haben Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken entschieden, den dreißig Jahre alten Konsens in Sachen Paragraf 218 StGB aufzukündigen. Um von der konkreten politischen Bilanz der vergangenen drei Ampel-Jahre abzulenken, wird das nächste gesellschaftspolitische Pulverfass aufgemacht und damit bewusst in Kauf genommen, dass sich die politischen und gesellschaftlichen Gräben in diesem Land weiter vertiefen.
Auf dem Rücken von Schwangeren in Not
Nicht nur haben die drei treibenden politischen Kräfte schon lange keine Mehrheit in der Bevölkerung mehr hinter sich. Es liegt auf der Hand, dass es auch auf Jahre hinaus keine parlamentarische Mehrheit mehr im Bundestag für das ideologische Projekt der Liberalisierung von Abtreibungen geben wird.
Für die Mobilisierung von ein paar mehr Wählern versuchen SPD, Grüne und Linke nun also auf den allerletzten Metern – auf dem Rücken von Schwangeren in Not und ihren ungeborenen Kindern – aus geltendem Recht Unrecht und aus Unrecht Recht zu machen.
Die Kernpunkte des Gesetzesentwurfs (Drucksache 20/13775) und des dazugehörigen Antrags (Drucksache 20/13776) sind:
- § 218 StGB soll in Zukunft ausschließlich Abtreibungen „gegen oder ohne den Willen der Schwangeren“ regeln und unter Strafe stellen. Über Abtreibungen nach beziehungsweise mit dem Willen der Schwangeren sagt der neugefasste Paragraf nichts mehr.
- § 219 StGB, der Paragraf, der bislang die Qualität der Beratung „der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage“ sichern sollte, soll vollständig entfallen. Damit werden die dort formulierten Maßstäbe obsolet, wie zum Beispiel: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“ oder dass die Beratung sich „von dem Bemühen leiten zu lassen [hat], die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“.
- Dafür wird in § 240 StGB ein neuer Straftatbestand eingeführt: die Nötigung zum Unterlassen eines Schwangerschaftsabbruchs. Wer eine Schwangere zur Austragung ihres Kindes „nötigt“, soll in Zukunft mit einer Freiheitsstrafe von „sechs Monaten bis zu fünf Jahren“ bestraft werden. Dabei bleibt offen, was genau in Zukunft als eine solche „Nötigung“ zur Austragung geahndet werden soll. Wird das z. B. auch schon für Beratung gelten, die – wie heute noch von § 219 StGB gefordert – dem Schutz des ungeborenen Lebens dient?
- In den §§ 12, 13 und 14 eines erneuerten Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG) soll geregelt werden, dass nurmehr Abtreibungen nach der 12. Schwangerschaftswoche eine Straftat bleiben. Gleichzeitig steht in § 14 Absatz 4 des Entwurfs ohne zeitliche Einschränkung: „Die Schwangere bleibt straffrei.“ Damit gilt die Strafbarkeit in Zukunft nur noch für beteiligte Dritte, etwa Ärzte oder Krankenschwestern. Der Entwurf des neuen SchKG sieht zwar den Erhalt der Beratungspflicht vor, streicht aber zugleich die bisherige dreitägige Wartezeit nach der Beratung und vor der Abtreibung.
- § 24b Sozialgesetzbuch soll dahingehend geändert werden, dass zukünftig grundsätzlich sämtliche Kosten einer Abtreibung durch die Krankenkassen übernommen werden.
Zusammengefasst heißt das:
- Abtreibungen bis zur 12. Woche sollen in Zukunft prinzipiell rechtens und legal sein.
- Sämtliche Vorgaben an staatliche Beratungsstellen, zur Unterstützung der Schwangeren im Sinne der Erhaltung des Lebens ihres ungeborenen Kindes zu beraten, sollen entfallen.
- Dafür sollen jene mit drakonischen Strafen bedroht werden, die Schwangere zu einer Entscheidung für das Leben „nötigen“ – wie diese „Nötigungen“ in Zukunft definiert werden und ob dies auch für pro-life-basierte Beratung gelten wird, bleibt abzuwarten.
- Außerdem sollen Schwangere zukünftig unmittelbar nach der Beratung ohne jede Wartezeit zur Abtreibung gehen können – was die grundlegende Frage nach Sinn und Zweck der verbliebenen Beratungspflicht aufwirft.
- Und schließlich soll Abtreibung zukünftig „Kassenleistung“ und damit grundsätzlich kostenlos sein.
Ein Dammbruch von ungeheurer Tragweite
Dieser Gesetzesentwurf ist ein rechtlicher, moralischer und ethischer Dammbruch von ungeheurer Tragweite und ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der Frage nach dem Wert des Lebens und der Unantastbarkeit seiner Würde.
Alles, was wir seit Gründung der Bundesrepublik über den Schutz ungeborener Kinder gedacht, geglaubt und für Recht gehalten haben, würde zu Unrecht erklärt werden. Was wir dagegen für furchtbares Unrecht gehalten haben, würde mit diesem Gesetz zu Recht erklärt werden. Das Leben des Menschen während der ersten 12 Wochen seiner Existenz würde mit der Verabschiedung dieses Gesetzes vollständig entwertet und entrechtet.
Abgesehen von der hanebüchenen Unwissenschaftlichkeit und der erschreckenden Willkür dieser Regelung – warum sollte ein ungeborenes Kind am letzten Tag der 12. Schwangerschaftswoche um 23.59 Uhr kein schützenswerter Mensch sein, eine Minute später aber schon?! – haben wir es mit einer viel weitergehenden Entwertung menschlichen Lebens zu tun. Mit einer Entwertung, die über kurz oder lang zu einer existentiellen Bedrohung und konkreten Gefahr für das Leben aller Menschen werden wird, die schwach oder krank sind und sich selbst nicht schützen und verteidigen können.
Geht es wirklich um Selbstbestimmung?
All dies soll im Namen und zugunsten der „Selbstbestimmung“ geschehen. Aber wie soll ein Mensch – ganz gleich wie alt oder wie jung – „über sich selbst bestimmen“, der nicht für sich sprechen, sich nicht selbst schützen und sich nicht verteidigen kann?
Auch mit dem behaupteten Selbstbestimmungsrecht der Frau sieht es bei näherer Betrachtung der Wirklichkeit von Schwangeren in Not nicht besser aus als beim Recht ungeborener Jungen und Mädchen. Ganz einfach deshalb, weil sich diese Selbstbestimmung als Schimäre herausstellt und die zentrale Pro-Choice-Argumentation damit als Lüge entlarvt.
Denn: Würde es um die Herstellung von Selbstbestimmung, von Entscheidungsfreiheit und echter Wahlmöglichkeit gehen, würde dieser Gesetzentwurf auch konkrete Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen enthalten. De facto enthält dieser Entwurf jedoch nicht ein einziges Hilfsangebot und nicht eine einzige Maßnahme der konkreten Unterstützung für Schwangere in Not und ihre Familien, die sich für ihr Kind entscheiden wollen.
Womit wir es hier zu tun haben
Damit liegt auf der Hand, womit wir es hier ganz offensichtlich zu tun haben. Einmal mehr entlarvt sich die Pro-Choice-Motivation mit all ihrem moralischen Impetus als Kompensation für die mangelnde Bereitschaft und den eigentlichen Unwillen ihrer Vertreter, Frauen im Schwangerschaftskonflikt wirklich zu sehen und ihnen zu helfen.
„Neutralität“, „Selbstbestimmung“ oder „Entscheidungsfreiheit“ werden nur als abstrakte Worthülsen benutzt und vorgeschoben. Abtreibungslobbyisten wollen nicht auf die wirkliche Not sehen, nicht wirklich helfen und nicht wirklich für diese Schwangeren da sein und die Probleme hinter einem Schwangerschaftskonflikt nicht wirklich lösen.
› Folgen Sie uns schon auf Instagram oder LinkedIn?
So laut sich Abtreibungs-Aktivisten und Pro-Choice-Politiker auf Demonstrationen und in Talk-Runden als Vorkämpfer für Frauenrechte auch gerieren mögen, so wenig ist von ihnen zu sehen und zu hören, wenn es um die Umsetzung echter Hilfe und um konkrete, persönliche Anstrengung zugunsten realer Schwangerer in Not geht.
Die Wahrheit ist: Den Weg zur Abtreibung gesetzlich noch einfacher und noch schneller zu gestalten, Abtreibungen zur Kassenleistung zu machen (anstatt z. B. finanzielle Hilfe bei einer Entscheidung für das Kind in Aussicht zu stellen) und lebensbejahende Beratungsangebote zu diskriminieren, ist nicht neutral, und vor allem ist all das keine Hilfe für eine Frau im Schwangerschaftskonflikt und ihre Familie. Und es löst keine einzige Konfliktursache.
Genau deshalb sind und bleiben alle Versuche, die Legalisierung und Liberalisierung der Abtreibung als Dienst an Schwangeren in Not darzustellen, letztlich unglaubwürdig.
Noch einen Schritt weiter
Aber: Dieser „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ geht noch einen Schritt weiter. Nicht konkret helfen und die Ursachen von Schwangerschaftskonflikten nicht wirklich angehen zu müssen, reicht den angeblichen Vorkämpfern für Frauenrechte nicht: Sie wollen, dass auch sonst niemand mehr Schwangeren in Not dabei hilft, sich für das Leben ihrer Kinder zu entscheiden.
In seiner jetzigen Form diskreditiert und delegitimiert dieser Entwurf jede Beratung, die sich der bisherigen Vorgabe verpflichtet weiß, „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ zu dienen und sich von dem Bemühen leiten lässt, „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“ (vgl. § 219 StGB in seiner aktuellen Fassung). Wer sich dem Neutralitäts-Dogma der Abtreibungslobby nicht beugen und stattdessen Schwangeren in Not helfen will, soll nach der Lesart dieser Neuregelung in Zukunft kriminalisiert werden.
Für ein Informations- und Beratungsangebot wie das von profemina.org, mit dem wir im vergangenen Jahr allein in Deutschland über eine Million Frauen erreicht und rund 170.000 Mal digitale Sofortberatung zur Verfügung gestellt haben, stellt sich damit die existentielle Frage: Wird diese Beratung, die sich strikt am Wohl der Schwangeren und ihres Babys orientiert, in Zukunft noch legal sein?
Fest steht: Die bisherige Kultur der Unterstützung und der Förderung, der Ermutigung und Stärkung von Frauen in schwierigen Schwangerschaftssituationen soll dem Gebot einer strikten Neutralität weichen, die in Wahrheit unterlassene Hilfeleistung ist.
Das aber ist und bleibt falsch – es ist schlicht Unrecht.
› Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?
Vielen Dank, Herr Aufiero! Sie haben meine VOLLE Zustimmung! 👏👏👏
Vielen Dank, Herr Aufiero! Sie haben meine VOLLE Zustimmung! 👏👏👏