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Kolumne „Der Philosoph“

Abtreibung und die Angst vor dem Argument

Der gesellschaftliche Streit über die Zulässigkeit von Abtreibungen scheint in fast allen westlichen Ländern an Fahrt aufzunehmen. In den USA entschied das Verfassungsgericht im Jahr 2022, dass die Abtreibungsgesetzgebung eine Sache der einzelnen Bundesstaaten sei. Seitdem hat sich die politische Auseinandersetzung auf diese Ebene verlagert und dort neue Schärfe gewonnen. Die radikalste, weil zu einer Normalisierung von Abtreibung führende Entscheidung zu dieser Frage ist allerdings gerade eben in Europa gefallen: In Frankreich hat die „Freiheit zur Abtreibung“ nun sogar Verfassungsrang erhalten.

Die deutsche Bundesregierung scheint im westlichen Nachbarn eher ein Vorbild als ein abschreckendes Beispiel zu sehen. Die Abschaffung von Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, in dem das Werbeverbot für Abtreibungen festgehalten war, wurde 2022 auf Betreiben der Ampel-Koalition vorgenommen. Als nächstes will die Bundesregierung auch Paragraf 218 und damit den Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs selbst ins Visier nehmen. Damit ist eine Annäherung an französische Zustände kein unrealistisches Szenarium.

Ich selbst bin klar gegen Abtreibung. Ein ungeborenes Kind zu töten, verstößt gegen seine unveräußerliche Würde. Die Würde eines jeden Menschen wiederum speist sich aus seiner Gottesebenbildlichkeit und hängt nicht von Alter, Größe, Geschlecht, Gesundheit oder sonstigen Faktoren ab. Was aber, so der unmittelbare Einwand, ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau? Nun, das gilt es in der Tat ernst zu nehmen und bei der moralischen Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen. Allerdings endet das eigene Selbstbestimmungsrecht in der Regel dort, wo die Würde des anderen beginnt.

Vernunftgeleiteter Austausch weder möglich noch erwünscht

Daher lautet die alles entscheidende Frage bei der Debatte um die moralische Zulässigkeit der Abtreibung: Was ist der Embryo? Ist er ein lebendiges Exemplar der Gattung „Mensch“ oder ein bloßer „Zellhaufen“? Wenn er nämlich ein Mensch ist, dann muss auch der Embryo dieselbe Würde haben, die allen Menschen – unabhängig von Entwicklungsstand, sozialem Status oder Fähigkeiten – zukommt.

Diesen Argumentationsansatz weiter auszuführen, substanziell zu begründen und gegen Einwände zu verteidigen, wäre eigentlich eine Aufgabe, bei der man sich als Philosoph ausnahmsweise einmal nützlich machen könnte. Allerdings scheint ein argumentativer, durch vernünftige Gründe geleiteter Austausch in Deutschland gar nicht mehr möglich oder auch nur erwünscht zu sein. Stattdessen lässt sich eine geradezu hysterische Dämonisierung all jener beobachten, die sich für den Lebensschutz engagieren. Im Januar beschloss das Bundeskabinett etwa einen Gesetzesentwurf, dem zufolge die „Gehsteigbelästigung“ von Frauen vor Abtreibungskliniken künftig als Ordnungswidrigkeit gewertet werden soll und mit einem saftigen Bußgeld belegt werden kann. Eine Belästigung sieht die zuständige Ministerin Lisa Paus aber offenbar schon darin, mit einer abweichenden Meinung konfrontiert zu werden, die sie pauschal als „Hass und Hetze“ titulierte.

Auch medial findet derzeit eine regelrechte Kampagne gegen den Lebensschutz statt. Eine aktuelle ZDF-Dokumentation warnt vor dem „gefährlichen Netz der Abtreibungsgegner“ und rückt diese pauschal in die Nähe von „Rechtsextremisten“.

Weder hier noch da leichtfertig verteufeln

Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass eine solch irrationale Haltung sich leider nicht auf Politik und Medien beschränkt. Ich habe langjährige Freundschaften daran zerbrechen sehen, dass eine Positionierung gegen Abtreibung – entgegen jeder Logik – als pauschale Abwertung der Frau gedeutet wurde. Ein sachlicher Austausch von Gründen war schlicht unmöglich. Wer gegen Abtreibung ist, müsse schlicht böse oder verrückt geworden sein.

Nun sollten Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, in der Tat vor allem eins erfahren: eine gute Beratung, die Verständnis für ihre meist enorm schwierige Lebenssituation aufbringt und die ihnen Unterstützung und konkrete Perspektiven bietet, um zum Leben ihrer Kinder Ja sagen zu können.

In der Sache aber muss, vor allem auf gesellschaftlicher Ebene, der nüchterne rationale Diskurs nicht nur möglich, sondern sogar gesucht und gefördert werden. Voraussetzung dafür ist, dass niemand sein Gegenüber leichtfertig verteufelt, und zwar selbst dann nicht, wenn er in einer moralisch schwerwiegenden Sache wie der Abtreibungsfrage anderer Ansicht ist. Denn nur so hat die Vernunft eine Chance, gehört zu werden.

 


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