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Elon Musk und unsere Neurosen

Dagegen zu sein reicht nicht

Wer auf Glatteis steht und merkt, dass er den sicheren Stand verliert, versucht meist instinktiv mit zunehmend hektischeren Bewegungen der Beine wieder sicheren Stand zu gewinnen. Dass dies das Problem schlimmer macht, bis man endgültig den Halt verliert und mit den Füßen in der Luft krachend auf den Rücken fällt, macht dieses Motiv für viele Komödien so beliebt.

Daran erinnert fühlt sich, wer die hektischen und hyperventilierenden Diskussionen ansieht, die sich derzeit zu Elon Musks (Tesla) mutmaßlichem Hitlergruß oder Mark Zuckerbergs (Meta) vermeintlichem vorauseilenden Kotau vor US-Präsident Donald Trump entspinnen. Auf allen Seiten des politischen Spektrums wird versucht, mangelnde Standsicherheit und Selbstbewusstsein durch fiebriges Gestikulieren und Schimpfen auf das jeweils im Gegenüber personifizierte absolut Böse auszugleichen. Zoomt man heraus, sieht man, dass unsere gesamte Gesellschaft indessen auf dem Weg ist, krachend auf den Rücken zu fallen.

Warum haben wir unsere Trittsicherheit verloren? Der britische Historiker Tom Holland hat einmal sinngemäß folgende Beobachtung gemacht: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die normative Ausrichtung der westlichen Gesellschaften grundlegend geändert. War diese zuvor eindeutig christlich geprägt mit Jesus Christus als positivem Orientierungspunkt, dem man nachzufolgen strebte, wurde dieser durch einen rein negativen Bezugspunkt ersetzt, nämlich Adolf Hitler. Fortan hieß das Ziel nicht mehr „folge Christus“, sondern „sei bloß kein Hitler“.

Schlimmes Phänomen der Extremprosa

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aktuellen Disputs um Musks „Hitlergruß“ scheint diese Analyse aus mehreren Gründen sehr hilfreich. Zuallererst, weil schnell klar wird, dass aus dieser invertierten Moralvorstellung in keiner Form eine positive gesellschaftliche Utopie erwachsen kann. „Du kannst alles sein und tun, solange du kein genozidaler Diktator wirst“, ist schwerlich ein brauchbares Fundament und Orientierung für eine komplexe und pluralistische Gesellschaft. Von der damit verbundenen Relativierung und Individualisierung aller Werte und Moralvorstellung und deren negativen Effekten ist bereits an vielen Stellen geschrieben worden.

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Ein weiteres Problem zeigt sich darin, dass diese Fehlorientierung auch unser Denken und kommunikatives Handeln in genau diese grobschlächtige, undifferenzierte Art und Weise hineinführt. „Sei bloß kein Hitler“ erlaubt mir alles Verhalten unterhalb dieser Schwelle. Und dies, umso mehr es sich gegenüber jemandem abspielt, den ich vermeintlich für eben diesen halte. „Nie wieder ist jetzt“, „Wehret den Anfängen“ usw. rechtfertigt jede Tat des Widerstands. Diese allgegenwärtige „Ich gut, dort böse“-Kommunikation ist damit die natürliche Ausdrucksweise dieses Denkens.

 

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Begleitet wird dies alles von einem kommunikativen Phänomen, das ich gern Extremprosa nenne. Gemeint ist die völlige Überhöhung oder Entgrenzung von Begriffen wie Demokratie, Meinungsfreiheit, Hass/Hassrede oder auch Nazi/Faschist etc. Begriffe, die einmal Orientierung boten, werden praktisch wertlos, weil sie nichts mehr bedeuten oder gar ins Gegenteil verkehrt werden. Dann wird es plötzlich zur Auszeichnung in der eigenen In-Group, wenn der Gegner einen als Nazi beschimpft.

Und auch der Begriff der Demokratie wird vom eher formalen Prozess der Abstimmung zu einem normativ überladenen Konstrukt. „Demokratie“ ist dann nur, wenn herauskommt, was ich gut finde. Dass gerade in Demokratien sehr leicht katastrophale Mehrheiten zustande kommen, lehrt hingegen jeder Blick in die Geschichte und ist seit Platon ein so gängiger wie berechtigter Einwand in der politischen Philosophie.

Das falsche „Wer hat angefangen“-Narrativ

Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die nur noch schwarz oder weiß kennt, sich über grundlegende Begriffe nicht mehr verständigen kann und damit jeden sicheren Stand und Orientierung verloren hat. Eine Gesellschaft, in der von links wie von rechts emotional zugespitzte und polarisierende Kommunikation aka Populismus der Normalfall geworden ist. Gesehen wird dieser Populismus nur in der Kommunikation der anderen. Dient es der eigenen Sache, beispielsweise Elon Musk als Hitlers Wiedergänger zu inszenieren, darf es auch bei Linken und sogar in der kaum noch vorhandenen bürgerlich konservativen Mitte gern deftig zugehen bei der Bildwahl oder dem passenden Kommentar.

Und so haben wir aller Orten die Klage darüber, dass sich unsere Gesellschaft polarisiert. Und verwenden dagegen immer großzügiger jene kommunikativen Rezepte, die uns in genau diese Lage gebracht haben, erwarten aber ein anderes Ergebnis – die Definition von Wahnsinn.

In beliebt-nutzloser und zudem falscher Weise ist dazu ein gern platziertes „Wer hat angefangen“-Narrativ in den Mainstreammedien, dass der Populismus insbesondere von rechts komme. Und ja, die politische Rechte hat sich hier in den letzten Jahren einiger beachtlicher Zivilisationsbrüche schuldig gemacht, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass nicht noch weitere folgen. Dennoch ist es falsch, auf dem linken Auge blind zu sein und zu verkennen, wie sich das mediale und politische Spektrum zu Lasten der Mitte weit nach links verlagert hat.

Erfolge der extremen Rechten durch Fehlverhalten der bürgerlichen Mitte

Diese vermeintlich so aufgeweckte Linke ist erstaunlich blind gegenüber der eigenen Bigotterie. Die aktuellen Diskussionen um Wahleinmischung, Medienmacht und so weiter zeigen, dass Doppelmoral und zweierlei Maß kein Problem zu sein scheinen, wenn sie dem vermeintlich Guten dienen. Und vielen Linken ist es offensichtlich wichtiger, den Eindruck zu erwecken, zu den Guten zu gehören, als tatsächlich das Gute zu bewirken. Impression vor Impact lautet das Motto, das Populismus auch von Links salonfähig macht. Hauptsache moralisch überlegen fühlen und bloß nicht „Nazi“ sein.

Erschütternd, dass viele Menschen nicht sehen, dass die Erfolge der extremen Rechten im Wesentlichen dem Fehlverhalten und dem Scheitern der bürgerlichen Mitte und der gemäßigten Linken entspringen. Entsprechende Demut und Selbstkritik sucht man in diesem Lager jedoch vergebens.

Doch, wie verhindern wir, dass 2033 zum 100. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers nicht wieder Rechtsextreme den Kanzler stellen? Ein Szenario, das ich aus persönlicher, katholischer Sicht nicht erleben möchte. Extremismus jedweder Farbe darf nie wieder unser Schicksal bestimmen. Dieses Szenario ist aber kaum auszuschließen, wenn wir von den beschriebenen Mechanismen nicht wegkommen.

Offene Diskussion über ein tragfähiges, ganzheitliches Menschen- und Gesellschaftsbild

Ein erster Schritt wäre es, die Pluralität und den demokratischen Diskurs zu stärken, damit wir wieder lernen, echte Meinungsvielfalt auszuhalten. Schluss mit Diffamierungen und Schmähungen für jeden, der auch nur versucht, komplexe Themen zu differenzieren. Das wird aber nicht funktionieren, wenn wir „Sei bloß kein Hitler“ als einziges Lösungsprinzip behalten, weil es keine Orientierung und keine positive Sinnstiftung ermöglicht.

Deshalb ist ein weiterer notwendiger Schritt eine offene Diskussion über ein tragfähiges, ganzheitliches und positives Menschen- und Gesellschaftsbild. Postmoderne Irrwege haben uns häufig aufs Glatteis geführt. Und von diesem müssen wir herunter, ohne auf dem Rücken zu landen. Diesen Weg zu gehen wird aber für diese postmoderne und auch postchristliche Gesellschaft ein schwerer Gang.

 

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