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Echte emanzipatorische Ausbrüche

Die neue deutsche Mündigkeit

Mündige, aufgeklärte Staatsbürger sind in der Bundesrepublik Deutschland sehr erwünscht. Der Begriff Mündigkeit weckt Assoziationen über Politik im Allgemeinen, über den Abnabelungsprozess von den Eltern und lässt Erinnerungen an die Abiturprüfung, an das sogenannte „Reifezeugnis“, neu ins Bewusstsein treten. An die Stelle der scheinbar weitgehend politisch erwünschten Mündigkeit trat mit Beginn der Coronajahre die uneingeschränkte Gefolgschaft gegenüber den restriktiven Maßnahmen der Regierungen. 

Im ersten pandemischen Herbst, nämlich im November 2020, plädierte kurioserweise der Erziehungswissenschaftler Markus Rieger-Ladich  dafür, den „Kadavergehorsam“ zu überwinden, denn die Bürger sollten die Haltung und den Habitus der „Mündigkeit einüben“. Wünschte sich der Pädagoge kritische Diskussionen? 

Mitnichten legte er nahe, die Demonstrationen der von vielen Medien als unverständige Querulanten stigmatisierten Querdenker – seinerzeit übrigens weder als Querdenker:innen noch als Querdenker*innen in den öffentlich-rechtlichen Medien bezeichnet – zu besuchen und sich vor Ort ein reflektiertes Urteil über die Argumente der Aufmüpfigen zu bilden, sondern er verblieb im stabil Unbestimmten.

Demokratie brauche „mündige Bürger/innen“

Rieger-Ladich legte dar, dass, wer über die „sehr anspruchsvolle Sache“ der Mündigkeit nachdenke, wissen müsse, dass es dabei um die Frage gehe, „wie wir Einzelne dazu befähigen oder auf dem Weg begleiten können, um tatsächlich ein selbstbestimmtes Leben zu leben“. 

Diese wolkigen Worte – so weihevoll wie eine Rede zur Abiturentlassung – lassen sich verknüpfen mit einer Begriffsklärung, die die Bundeszentrale für politische Bildung über „mündige Bürger/innen“ anbietet: „Man spricht oftmals von ʻmündigen Bürgernʼ und meint damit, dass die Bürger und Bürgerinnen nicht nur für sich selbst Verantwortung übernehmen, sondern auch für ihren Staat und ihre Gesellschaft. In einer Demokratie wie in Deutschland ist das besonders wichtig. Die Demokratie braucht mündige Bürger und Bürgerinnen, die sich interessieren und engagieren, die bereit sind, politisch im Staat mitzuwirken.“

Wer für die AfD kandidiert, muss mit Sanktionen rechnen

Die Mitgliedschaft in politischen Parteien scheint zwar grundsätzlich erwünscht zu sein, als Ausdruck von Mündigkeit. Wer aber als mündiger Bürger und/oder gläubiger Christ heute für die als rechtspopulistisch geltende AfD kandidiert oder als Mandatsträger in einem Parlament sitzt, muss als Mitglied einer christlichen Kirche, so etwa in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Oberlausitz, nicht mit Diskussionen, sondern mit Sanktionen rechnen. Von Ämterverboten für Personen, die für linkspopulistische Parteien, wie etwa „Die Linke“ oder auch das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, kandidieren, ist nichts bekannt.

Das klassische Informationsprogramm für den vermeintlich mündigen Staatsbürger bieten jene Sendeanstalten, die jedermann, der dauerhaft einen Wohnsitz in Deutschland hat, mitfinanziert, nämlich der öffentlich-rechtliche Rund- und Fernsehfunk.

Der ÖRR – wirklich objektive Berichterstattung?

Hierzulande ist niemand verpflichtet, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, aber kein mündiger Bürger kann der Zwangsabgabe für das Fernsehen entrinnen. Die Sendeanstalten sollen einen anscheinend unverzichtbaren „Meinungsbildungsauftrag der Bevölkerung“ leisten, die die – man höre und staune – einzig wahre, immer richtige, nämlich „objektive Berichterstattung über politische und gesellschaftliche Themen“ gewährleisten: „Sie soll dazu beitragen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger eine eigene Meinung zu den unterschiedlichsten Themen bilden können. Die Sender stellen eine Grundversorgung an Informationen für die Bevölkerung bereit und bleiben dabei politisch und wirtschaftlich unabhängig.“

Niemand also darf sich berufen fühlen, sich von dem öffentlichen Meinungsmainstream – beispielsweise vom Glaubensbekenntnis an den „menschengemachten Klimawandel“ – emanzipieren zu wollen, als mündiger Bürger von heute? Wer sich vom Konzert der ewiggleichen Thesen freimachen möchte, der darf und kann anderer Meinung sein. Auch die bewusste Abkehr von der allgegenwärtigen Gendersprache gehört dazu – vielleicht fühlen sich mündige Frauen und Männer, fest im Leben stehend, im besten Sinne bodenständig und fernab von intellektueller Spökenkiekerei, einfach außen vor, wenn wieder einmal in Funk und Fernsehen mit dem Schluckaufsternchen gesprochen wird oder die „Zuschauer:innen“ adressiert werden.

Ein mündiger Mensch von heute soll dem Mainstream widersprechen

Echte emanzipatorische Aufbrüche und Ausbrüche sind möglich, sinnvoll und bereichernd. Positives Engagement, die Jugendfrische der neuen deutschen Mündigkeit, zeigt sich etwa auf den zahlreichen Märschen für das Leben, in München etwa oder im September in Berlin. Wer sich beherzt für den Lebensschutz engagiert, tritt unmissverständlich für die unantastbare Würde des Menschen ein und setzt ein Zeichen für das Leben gegen alle lebensfeindlichen Tendenzen in Deutschland und Europa.

Doch Terry Reintke etwa, amtierende Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament und erneut deren Spitzenkandidatin bei der Wahl am neunten Juni 2024, forderte vor Kurzem: „Das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch gehört als Grundrecht in die EU-Charta.“ 

Darf ein mündiger Mensch von heute dem widersprechen? Unbedingt! Forderungen wie diese rufen auf zu einer Emanzipation vom herrschenden Mainstream und für ein mutiges, ungeschmeidiges Eintreten für das christliche Menschenbild, demgemäß jeder Mensch, von der Empfängnis an bis zum Lebensende, gewünscht, gewollt und gebraucht ist.

EU-Wahlalter ab 16?

Mündige Frauen und Männer von heute sind nicht unbedingt von der „Ehe für alle“ oder zusammengewürfelten, beständig veränderbaren Verantwortungsgemeinschaften überzeugt, sondern von der Frische und Schönheit der Ehe. Sie wünschen sich stabile, verlässliche Partnerschaften, die ein geordnetes, liebevolles Obdach für die Familie, für Kinder und auch für Großeltern bieten, auf Dauer, nicht auf Zeit.

Ein letzter, gewissermaßen aktueller Gedanke zur „Mündigkeit“ – bei der Wahl zum EU-Parlament liegt das Alter der Wahlberechtigten bei 16 Jahren. Ob das begrüßenswert ist? Sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen überhaupt mündig zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch nicht in vollem Umfang straf- und geschäftsfähig sind?

Mündigkeit ohne mediale, kirchliche oder politische Lenkung

Der Journalist Lenz Jacobsen äußerte sich dazu ironisch und zielgenau, als er „schlechte Argumente“ benannte, etwa – „Die Jugendlichen wählen vernünftig“: „Vernünftig, das heißt aus Sicht der Älteren meist: nicht zu radikal.“ Dazu bemerkte Jacobsen: „Es wäre schließlich Bevormundung mit Mitteln des Wahlrechts, die 16-Jährigen nur dann mitspielen zu lassen, wenn sie so wählen, wie die Älteren das wollen. Es muss absolut egal sein, wem die Jungen ihre Stimme geben. Auch 100 Prozent für die AfD wären kein Gegenargument.“ 

Das stimmt absolut – und das würde auch gelten, wenn die Jugendlichen mit überwältigender Mehrheit für die SPD, die Unionsparteien oder vielleicht für die Tierschutzpartei votierten. Mündige Bürger erkennen vorbehaltlos an, wofür sich andere mündige Bürger, ob Jung oder Alt, am Wahltag entscheiden – und sprechen den Mitmenschen nicht die politische Reife und Urteilskraft ab.

 Die Demokratie in Deutschland und in Europa bedarf nämlich der gelebten, konkreten Mündigkeit, im Alltag, aber auch an der Wahlurne, wenn Menschen wieder einmal ihr ganz persönliches Reifezeugnis abgeben und wissen, wem sie als mündige Bürger ihr Vertrauen schenken dürfen – ohne Lenkung und Leitung durch einen medialen, kirchlichen oder politischen Vormund.

 

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