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FDP-Podium in Zürich

Dem Islamismus begegnen auf Schweizerisch

Im Lavatersaal gegenüber der Peterskirche in der Zürcher Altstadt treffen sich an diesem eiskalten Donnerstagabend Mitte Januar FDP-Mitglieder und Sympathisanten, um gemeinsam über den Islamismus in der Schweiz zu diskutieren.

Eingeladen sind Afsaneh Khanedani, eine Oppositionelle gegenüber dem iranischen Regime, Iran-Analystin und Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie, der Regierungsrat und Vorsteher der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Mario Fehr (entspricht in Deutschland einem Landesminister), Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen und des Israelitischen Gemeindebundes und Ahmed Ajil, ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter im Strafvollzug und Kriminalanalytiker beim Bundesamt für Polizei.

Corrigenda erfuhr über diesen halböffentlichen Event vor allem wegen der Teilnahme Ajils. Er spricht sich gegen ein Verbot der Hamas aus, was bereits im Vorfeld der Diskussion bei einigen Teilnehmern zu Skepsis gegenüber dem Referenten führte und Fragen zu seiner Einstellung und seinem Tätigkeitsfeld aufwarf.

Das Wichtigste zuerst

Pünktlich ergreift die Moderatorin das Mikrofon und fragt in die Runde, ob es gebraucht wird. Alle nicken, nur Regierungsrat Mario Fehr verzichtet dank seiner kräftigen Stimme darauf. Moderiert wird die Diskussion von Béatrice Di Pizzo, Historikerin, Politologin und Erziehungswissenschaftlerin. Sie ist Mitglied der FDP-International und Delegierte der Alliance of Liberals and Democrats for Europe (ALDE) der FDP Schweiz. 

Di Pizzo beginnt mit den Worten: 

„Seit der Gründung Israels 1948 und dem islamischen Umsturz im Iran 1979 expandiert der radikale politische Islam mit der Hisbollah im Libanon, den Hamas in Palästina und den Huthi in Jemen, sowie weiteren Proxys in Syrien und im Irak. Diese Bewegungen befinden sich im Krieg gegen den Kapitalismus, gegen die Globalisierung und der damit verbundenen westlichen Rechtsordnung. Ziele dieser Bewegung ist eine islamisierte Welt und die Destabilisierung des Westens.“

Die so angegriffenen Staaten müssten zu ungewohnt repressiven Mitteln greifen, um ihre Bevölkerung zu schützen und stünden gleichzeitig unter dem Druck der Ereignisse gegen einen neu erstarkenden Rechtspopulismus in den eigenen Reihen.

So weit, so gut, das Thema ist eingegrenzt, nun beginnen die Diskussionsteilnehmer mit ihren etwa zehnminütigen Eingangsstatements.

Pulverfass Iran

Khanedani beschreibt die Entwicklungen im Iran seit 1979 ausführlich. Khanedani ist auch Mitglied der Partei Iran Novin, einer Partei von Iranern im Exil, die sich entschieden gegen die Einflussnahme religiöser Ansichten auf die Rechtsgleichheit der iranischen Bürger ausspricht. Die Partei Iran Novin war Mitveranstalter der Podiumsdiskussion.

Khanedani hebt hervor, wie sich die „Generation Z“ gegen das islamistische Regime auflehnt und sich von dessen ideologischen Zwängen loslöst.

„Man muss sagen, dass eine Generation Z herangewachsen ist, die diesem Staatsapparat im Iran, diesem islamistischen Staatsapparat, sehr furchtlos gegenübersteht. Furchtloser als die früheren Generationen, die sich entweder aufgrund des Unterdrückungsapparates ins Privatleben zurückgezogen haben oder ins Ausland gegangen sind.“

Die Massenproteste seit 2022 sind der bisherige Höhepunkt des Aufbegehrens gegen die jahrzehntelange Repression. Frauen spielten stets eine zentrale Rolle im Widerstand, trotz massiver Einschränkungen ihrer Rechte und Hinrichtungen seit der Machtübernahme des Klerus. Ein Hoffnungsschimmer sei der zunehmende Mut der Gesellschaft sich zu wehren, sagt Khanedani, auch angesichts von Korruption und Misswirtschaft.

Antisemitismus in der Schweiz

Kreutner vom Schweizerischen und Israelitischen Gemeindebund beleuchtet die wachsende Bedrohung durch Antisemitismus, sowohl in der Schweiz als auch global. 

„Wir wissen, dass in diesem Land Menschen auch körperlich angegriffen werden, weil sie Juden sind, etwas, was wir in der Vergangenheit nicht gekannt haben. Wir hatten hier in der Schweiz vor jetzt fast einem Jahr einen der schlimmsten Vorfälle in Europa, für die Schweiz etwas völlig Unbekanntes, dass ein Mensch getötet werden sollte, nur weil er Jude war, er hat mit Glück überlebt, auch das sind Dinge, die natürlich die jüdische Gemeinschaft beschäftigen und die man ernst nehmen muss.

Der promovierte Historiker betont, dass Antisemitismus in allen Gesellschaftsschichten verankert sei: 

„Er kommt von rechts, das wissen wir aus der Geschichte, er kommt auch im linken Spektrum vor, vermutlich genauso sehr wie im rechten Spektrum, er kommt aus der Mitte der Gesellschaft, er kommt aus ganz verschiedenen Facetten, in ganz verschiedenen Ausprägungen, und ja, er kann auch in einheimischen Kreisen vorkommen oder eben auch in Kreisen von Zugezogenen, das muss man und darf man auch ansprechen.“

Prävention und Dialog seien gut und notwendig, jedoch müssten auch klare gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden, um antisemitische Handlungen konsequent zu ahnden. Der Antisemitismus sei nicht nur für die jüdische Gemeinschaft, sondern zum Schutz aller zu bekämpfen.

Terrorismus kontextualisieren – muss das sein?

Ajil, Experte für Kriminologie, hat ein Buch über die Motivationen und Narrative von Personen geschrieben, die sich radikalen Gruppen anschließen. Die Schrift ist in Fachkreisen bekannt: „Politico-Ideological Mobilization and Violence in the Arab World“ (dt. „Politisch-ideologische Mobilisierung und Gewalt in der arabischen Welt“). 

Der Terrorismus sei ein politisches Phänomen, dessen politische Dimension häufig vernachlässigt werde, um die Ursachen und die Wirkung des Terrorismus zu leugnen, so Ajil. Um Radikalisierung zu verstehen, müssten politische, soziale und individuelle Faktoren berücksichtigt werden.

Diese Worte stoßen bei einigen Teilnehmern auf Unverständnis. Später wird das Publikum Fragen dazu stellen, und die Spannung, die in Ajils Aussagen liegt, wird in den Fragen ein Ventil finden. Indirekt und mit schweizerischer Korrektheit getarnt lauten sie vor allem, ob Ajil hier geschickten Täterschutz betreibe. Der Wissenschaftler wird auf seiner Meinung beharren: Er wolle die Gewalttaten nicht relativieren, betont aber mehrfach, dass man den Kontext nie aus den Augen verlieren dürfe.

Er ergänzt: Terrorismus basiere oft auf Gruppendynamik und der Reduktion komplexer Probleme auf ein Schwarz-Weiß-Denken, das die Täter aktiviert. Seit dem 11. September 2001 liege der Fokus jedoch unverhältnismäßig auf Islamismus, was zu Stigmatisierung führen könne.

Es geht noch krasser ...

Es sind solche Aussagen von Ajil, die einen gewissen Schockeffekt haben: „An Terrorismus sterben weltweit weniger als 0,05 Prozent der Menschen. Das heißt aus Sicht der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit ist es nicht das Hauptproblem. Wir haben auch andere Probleme.“ 

Und weiter: „Was auch immer wir in den letzten 20 Jahren unternommen haben, es hat offenbar nicht viel gebracht und es werden statistisch gesehen wieder rund 40 Menschen in der Schweiz auch in diesem Jahr an Terrorismus sterben. Irgendwie müssen wir akzeptieren, dass ein Restrisiko bleibt und die Gesellschaft nun mal so funktioniert.“

Man stelle sich vor, jemand würde das in Bezug auf rechtsextremistisch motivierte Taten sagen. „So funktioniert die Gesellschaft.“ – Der Aufschrei wäre unvorstellbar. Isoliert betrachtet können diese Zitate als Gleichgültigkeit verstanden werden, was auch einige Zuhörer sichtlich irritiert. Böse Blicke und Seufzer gehen durch die Reihen.

 

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Ernüchterung aus Erfahrung

Ajil fährt unbeirrt fort: Wenn man die vorhandenen Mittel gegen den Terrorismus gezielt einsetzen wolle, brauche man kompetentere Leute an den richtigen Stellen und eine bessere Kommunikation zwischen den verschiedenen Institutionen. 

Es gebe „haarsträubende Situationen“, die Ajil erlebt habe, weil manche Akteure nicht miteinander reden wollten. Es fehle auch an einer guten Reintegration. Dafür gäbe es keine angebrachten Maßnahmen nach der Haft. Anekdotisch erzählt er, wie ein Mann am 31. Dezember um 16 Uhr zur Kontaktpflicht auf der Polizeiwache erschien und die Türen bereits um 14 Uhr geschlossen wurden. „Niemand hat sich dafür interessiert, was der Mann in den nächsten zwei Wochen gemacht hat. Das war ein hochgradig gefährlicher Islamist!“ Es gehe nicht darum, mehr Mittel zu fordern, sondern darum, die vorhandenen Mittel besser zu nutzen.

Sheriff von Zürich – Mario Fehr

Im Sommer 2024 verhinderte die Polizei einen islamistischen Anschlag auf die Zürich Pride, die größte schwul-lesbische Veranstaltung der Schweiz. Di Pizzo fragt Mario Fehr, was der Kanton Zürich in der Prävention besonders gut macht?

Regierungsrat Fehr zeigt sich optimistischer als Ajil, auch wenn es seiner Meinung nach keine einfachen Rezepte zur Verhinderung von Terrorismus gebe, insbesondere nicht in einer freiheitlichen Gesellschaft wie der Schweiz. 

Das Land biete viele Chancen wie berufliche Möglichkeiten, geringe Arbeitslosigkeit und kulturelle Vielfalt. Aber auch hier müsse gegen Extremismus vorgegangen werden.

Fehrs politischer Werdegang erlaubt es ihm, als Verbindungsmann zwischen der Politik der Linken und der Rechten angesehen zu werden.

Mario Fehr ist im Juni 2021 aus der Sozialdemokratischen Partei (SP) ausgetreten. Als Hauptgründe nannte er, dass die SP-Führung zunehmend ideologisch agiere und zu weit nach links gerückt sei. Dies habe zu unüberbrückbaren Differenzen beim Asylrecht, in der Sozialpolitik und Sicherheit geführt. Fehr kritisierte eine Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen innerhalb der SP. Bei den kantonalen Wahlen im Februar 2023 wurde er als Parteiloser wiedergewählt.

Die Reaktion des Co-Präsidenten Cédric Wermuth nach der Messerattacke in Mannheim, bei der der Polizist Rouven L. ermordet wurde, ist beispielhaft für die aktuelle Stimmung in der Schweizer SP-Spitze. Kurz nach der Tat ließ er auf X verlauten:

Wenn Islamismus zu Rechtsextremismus wird, dann gibt es keinen religiösen Hintergrund mehr, und die Bekämpfung würde dementsprechend ganz anders aussehen.

Die Simplifikation auf Verachtung von Demokratie und Menschenrechten würde dann auch linksextremistische Taten einschließen, die der linke SP-Parteichef und Nationalrat hier großzügig ausspart. 

Man stelle sich die Diskussionen über Sicherheitsfragen zwischen Wermuth und Fehr vor – oder besser nicht.

Die „Fehrische“ Methode – Islamismusbekämpfung im Kanton Zürich

Fehr erklärt, dass die aktuellen Maßnahmen die Prävention durch Frühwarnsysteme umfassen, wie Jugendbeauftragte, Brückenbauer in religiösen Institutionen und eine Sonderkommission zur Überwachung gefährlicher Personen.

Die Zusammenarbeit mit muslimischen und jüdischen Gemeinschaften sowie der Schutz religiöser Einrichtungen seien wichtige Elemente. „Die Abschiebung von Extremisten wie der Hassprediger von Winterthur wäre ohne Zusammenarbeit mit den muslimischen Glaubensgemeinschaften nicht möglich gewesen“, meint Fehr.

Die Schweiz hat mit dem Burka-Verbot eine Signalwirkung erzielt. „Der Einsatz wird aber nicht reichen, wir werden mehr Polizisten brauchen, weil die Gefahren auch über Online-Radikalisierung steigen“, sagt Fehr ernüchtert. 

Fehr kündigt auch an, künftig seien technische Hilfsmittel wie künstliche Intelligenz und gesetzliche Anpassungen notwendig, um Radikalisierung zu bekämpfen. 

Nach dem Ende, der Anfang

Khanedani ergreift erneut das Wort und weist auf die mangelnde Differenzierung innerhalb der muslimischen Gemeinschaften hin. Sie ist der Meinung, dass friedlich lebende Muslime keinesfalls ein Problem darstellen, sie wünscht sich aber für die Zukunft mehr Positionierung gegen Islamismus aus den muslimischen Reihen. 

Dies könne nicht von außen geschehen, sondern müsse aus den muslimischen Kreisen heraus geschehen. Dem stimmt Mario Fehr zu und ergänzt, dass Islamisten ihre eigene Religion entarten und man keinesfalls von einzelnen Tätern auf alle schließen könne. 

Ein anwesender Imam und Geschäftsführer der Vereinigung Islamischer Organisationen in Zürich (VIOZ), Muris Begovic, wird von Ajil in die Diskussion eingeladen und zeigt sich defensiv: 

„Nach dem Angriff auf Israel (7. Oktober 2023) bin ich zum Rabbiner einer orthodoxen Gemeinde gegangen und habe ihm Blumen überreicht und gesagt ‘Nicht in unserem Namen’, wir vertreten immerhin 40 Gemeinden im Kanton Zürich [...] deshalb jetzt zu hören, die Muslime würden zu wenig tun, ist leider äußerst vage.“

Nach einigem Hin und Her und Wortmeldungen aus dem Publikum geht man zum Aperitif mit iranischen Köstlichkeiten über, wo man sich so fröhlich unterhält, als hätte man zuvor kein schwieriges Thema diskutiert. 

Ob im Ernstfall, d.h. bei einem Terrorakt, alle betroffenen Gruppierungen und Akteure in gleicher Weise aufeinander hören würden, bleibt fraglich, denn die ideologischen Differenzen sind spürbar, werden aber geschickt schweizerisch kaschiert.

 

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