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Propst Gerald Goesche im Gespräch

„Westliche Werte – das sind zum Teil Todsünden“

Das Institut St. Philipp Neri ist nicht nur für Berliner Katholiken längst kein Geheimtipp mehr. Mitten in Gesundbrunnen, einem von Zuwanderern geprägten Ortsteil, liegt es unscheinbar eingereiht in einem Wohnblock. Die Kirche, St. Afra, ist – geschuldet der einstigen preußischen Bauverordnung – von außen nicht sichtbar.

Hier halten drei Priester täglich die Messe im traditionellen Ritus: Die lateinische Sprache und Weihrauchgeruch dominieren, die Priester stehen mit dem Rücken zu den Besuchern in Richtung Allerheiligstes, einen Volksaltar gibt es nicht.

2003 legte Propst Gerald Goesche den Grundstein. Der bekennende England-Fan, geboren 1960, empfängt den Besucher in einem der neogotisch anmutenden Räume, die einst Teil eines Heims für gefährdete Mädchen und Frauen waren, er reicht persönlich Kaffee und Plätzchen.

Propst Goesche, gibt es einen Grund, in diesen Zeiten nicht zu verzweifeln?

Oberflächlich gesehen nicht. Das Gute, oder vielleicht das Schwierige, ist, dass das, was wir im Augenblick erleben, bisher noch nicht stark materiell ist. Wir lesen jeden Morgen in der Prim das Martyriologium, also die Geschichten der Märtyrer, und da wird einem schon vor dem Kaffee schlecht, weil da oft ziemlich ausführlich die einzelnen Folterungen beschrieben sind. Ob wir das überstehen würden – ich weiß es nicht.

Sie vergleichen die Martyrien etwa während der diokletianischen Christenverfolgung mit dem Leben in Deutschland heute?

Das waren damals auf ihre Art und Weise Zeiten zum Verzweifeln. Ich glaube, dass das eine große Hilfe ist, die ganze Kirchengeschichte zu sehen. Dann relativiert sich auch der heutige Wahnsinn ein bisschen.

Gibt es Aussicht auf Besserung?

Irgendwann gibt es vielleicht mal einen Mentalitätswandel oder ein einigermaßen vernunftgeleitetes Rollbackregime, das mit den heutigen Zuständen besser zurechtkommt, weil die Regierenden dann wieder religiös sind. Die heutigen sind zumeist gottlose Gestalten. Außerdem ist da natürlich die weltweite Kirche. Das Christentum ist die am stärksten verfolgte Religion mit den meisten Märtyrern. Tertullian hat schon gesagt, dass das Blut der Märtyrer von jeher reiche Ernte gebracht hat. Also vielleicht werden wir mehr aus Afrika und anderen Ländern geschützt und gestützt, als wir uns das vorstellen können.

Aber was machen Sie denn jetzt, wenn Sie Trübsal plagt?

Wenn Journalisten kommen, bin ich immer gut gelaunt.

Sie sind sicherlich nicht immer so gut gelaunt wie heute oder wie man Sie etwa in der Predigt erlebt. Was machen Sie dann?

Natürlich auf Jesus Christus schauen, das ist das, was wir haben. Dann wäre da St. Afra, ich weiß, dass ich bis an mein Lebensende Grund zum Danken habe, dass es das überhaupt gibt. Ich meine, es kann auch irgendwann mal zerstört werden. Als die große Kartause durch ein Feuer zerstört wurde, haben die Mönche das Te Deum gesungen. Ob ich das hinkriegen würde, weiß ich nicht, aber sie haben das eben als die Aufgabe gesehen, die sie vom lieben Gott bekommen haben. Ich bete eher ängstlich, dass uns das alles hier gut bewahrt wird, als die kleine katholische Oase in Berlin. Eigentlich habe ich es hier nur gut. Wenn ich an die Eltern mit ihren Kindern denke, die mit schrecklichstem Blödsinn im Unterricht konfrontiert werden, staune ich manchmal, wie sie das wegstecken.

„Ich sehe mich auch ein bisschen als katholische Avantgarde“

Das Institut St. Philipp Neri gibt es seit bald 20 Jahren. Jahrelang plagten Sie Geldsorgen. Heute gehören die Räume hier, ein ehemaliges Heim für gefährdete Mädchen und Frauen sowie die Kirche, dem Institut.

Ja, und das geschah innerhalb von nur 20 Jahren.

Es lief also alles nach Plan?

Nein, nein, nein. Also ich plane auch in dem Sinne nicht. Ich habe gewisse Vorstellungen. Und dann versuche ich abzuleiten, was der liebe Gott jetzt will. Und manchmal geht es alles so, wie ich es mir vorstelle. Manchmal geht es ganz anders. Ich habe zum Beispiel um einen Priester gebeten. Und was kam? Eine blinde Schwester. Aber die ist Gold wert, wenn man weiß, dass der Rosenkranz jeden Tag unter ihrer Leitung gebetet wird. Das ist ein ganz großes Geschenk. Sie ist unser geistliches Kernkraftwerk.

In einer Predigt sagten Sie einmal, Ihr Ausbilder im Priesterseminar habe einst gewarnt, dass der Talar wie eine Mauer zwischen dem Priester und anderen Menschen sei.

Das stimmt definitiv nicht.

Aber wie darf man sich das dann in einer Stadt wie Berlin vorstellen?

Es gibt erst mal viel Neugier. Ich begegne kaum Leuten, die all das wiedergeben, was man über die Kirche in den Nachrichten hört. Die meisten Begegnungen sind freundlich, nur die mit einem Betrunkenen und einer offensichtlich Verwirrten waren weniger lustig. Dann gibt es natürlich die Katholiken, die „Grüß Gott“ sagen oder „Ach, was bin ich froh, dass man noch Priester sieht“. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Es gibt auch schrille Sachen. Unser Bruder ging während der Fastenzeit an einen Obststand auf dem Markt und wollte eine Banane. Der Verkäufer fragte: „Wie, nur eine Banane?“ Und der Typ neben ihm sagt: „Ja, die haben jetzt Fastenzeit, nächsten Monat sind wir dran.“ Das sind die interreligiösen Begegnungen. Man trifft aber auch Leute, die etwas zum Glauben fragen. Erkennbar Priester zu sein ist das ideale Kontaktknüpfungsunternehmen.

Von den 3,8 Millionen Einwohnern Berlins sind lediglich acht Prozent katholisch, der größte Teil ist konfessionslos. Wirken Sie als katholischer Priester da nicht wie ein Fremdkörper oder wie ein Außerirdischer?

Ja, genau, das ist auch gut, denn das macht es interessant! Mit grünen Haaren würde ich hier ja gar nicht so auffallen.

Sehen Sie sich eher als letzter Dinosaurier, als lebendiges Museum, oder wie einer der Berliner Paradiesvögel?

Von allem ein bisschen. Aber eins ist ganz wichtig: Ich sehe mich bestimmt auch ein bisschen als katholische Avantgarde. Die ist nämlich ganz anders, als sich das Zentralkomitee der Katholiken das vorstellt.

„Wir haben auch ein Beichtproblem: Wir haben zu wenig Beichtstühle!“

Jedes Jahr treten Hunderttausende aus der Kirche aus. Gleichzeitig nimmt aber die Besucherzahl hier in St. Afra zu. Wie passt das zusammen?

Zunächst einmal muss man festhalten: Ganz viele, die austreten, sind Karteileichen. Die haben eben bisher die Kirchensteuer bezahlt und zahlen jetzt keine mehr. Ich glaube aber schon, dass eine geordnete, regelmäßige Liturgie, und das ist die alte Liturgie ja nun par excellence, dass die einfach die Leute anzieht. Und zwar ist es bei uns ganz markant, dass Familien mit vielen Kindern kommen, die wollen, dass die Kinder Regelmäßigkeit haben. Und ich bin sicher, dass die Kinder irgendwann die Sonntage hören. Das ist uns ja vorenthalten worden. Keiner von uns ist in einer gregorianischen Tradition groß geworden. Bei mir fängt es ganz langsam an, dass ich die Sonntage höre.

Heißt das: Würden mehr Kirchen zur Tradition zurückkehren, würden wieder mehr Menschen zur Messe gehen?

So einfach ist das sicher nicht, es gehört eine Überzeugung dazu. Wo kriege ich die her? Das ist die Frage.

Kann man über die Form zur Überzeugung kommen oder zu ihr zurückfinden?

Das ist es, was wir hier versuchen. Martin Mosebach hat das wunderbare Buch „Häresie der Formlosigkeit“ geschrieben. Und ich sehe das genauso. Das Wort ist ja nicht Buch geworden, sondern Fleisch. Es ist in gewisser Weise eine Form, wenn der Herr, der unsichtbare Geist, sichtbares Fleisch wird. Und die Liturgie wirkt ein bisschen wie eine Ikone. Man ist darin gefangen und stellt sich Fragen, wie man sie vielleicht sonst nie gestellt hätte. Das Entscheidende ist – und das merkt man auch daran, dass diese charismatischen Bewegungen auch zunehmen –, dass es im Kern um Jesus Christus geht, ihn zu sehen, ihn zu lieben, ihn besser kennenzulernen, dass er mich begnadet. Es gibt Menschen, die deswegen nach Jahren wieder zur Beichte gehen. Wir haben hier in St. Afra ja auch ein Beichtproblem: Wir haben zu wenig Beichtstühle!

In St. Afra feiern die Priester die Messe mit dem Rücken zu den Gläubigen – hin zum Tabernakel mit dem Allerheiligsten

Ganz im Gegensatz zu manch anderer Gemeinde, wo es höchstens einmal pro Woche eine kurze Beichtgelegenheit gibt.

Diese Tatsache, dass so viele bei uns zur Beichte gehen, ist für mich auch der größte Beweis, dass es nicht nur um Glanz und Gloria geht – das schon auch an der richtigen Stelle – aber die Leute verstehen: Es geht um Jesus Christus. Und diese Schönheit hat eben auch mit der eigenen Reinheit, der eigenen Liebe zu Jesus Christus zu tun. Wahrscheinlich müsste es in der Kirche eine Art Mentalitätswechsel geben, um sich selbst zu relativieren, demütiger zu werden, zu erkennen, dass die deutsche Theologie der vergangenen 100 Jahre im Wesentlichen eine negative Entwicklung genommen hat. Für viele ist Karl Rahner …

… ein einflussreicher, moderner Theologe, der am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnahm …

… heute noch ein Kirchenlehrer. Ich habe ihn schon im Studium nicht kapiert. Mein Beichtvater hatte mir Gott sei Dank mit auf den Weg gegeben, man müsse besonders vorsichtig sein, wenn jemand sich nicht einfach ausdrücken könne. Also war ich bei Rahner immer vorsichtig. Ich habe mir auch immer gedacht, wenn es wirklich so simpel wäre, dass alle irgendwie Christen sind, weil sie es gut meinen, dann hätte etwa der heilige Franz Xaver nicht taufen müssen wie ein Weltmeister.

„Niemand würde doch im Ernst etwas mit Kant zu tun haben wollen“

Wie steht ein Katholik, der es mit seinem Glauben ernst nimmt, zur Politik? Kann, soll, muss er zur Wahl gehen? Gibt es eine Partei, der er seine Stimme geben kann?

Ich habe keine Antwort darauf, ich weiß es nicht. Also bei mir hört ja, salopp gesagt, die Geschichte 1803 auf. Alles, was danach kommt, lief vielfach schief: erst Bismarck, dann Wilhelm II., dann Hitler und vieles, was danach kam – es ist eine Katastrophe.

Gibt es zwischen diesen Personen und Entwicklungen eine Linie?

Natürlich.

Wie weit geht diese zurück?

Sagen wir mal: Luther ist die erste Katastrophe. Das ist natürlich das ganz große Leiden.

Aber eigentlich war Luthers Bestreben ja ein konservatives, er wollte eine Wende zurück. Was daraus folgte, war dann aber etwas anderes.

Ich bin kein Luther-Experte. Aber diese Zerrissenheit, Deutschland in zwei Konfessionen und Cuius regio, eius religio, das ist unbeschreiblich schlecht. Im Bismarck-Deutschland ist das unter dem protestantischen, aufklärerischen Knüttel zusammengezwungen worden. Bei der Proklamierung des Kaiserreichs in Versailles gab es bloß zwei katholische Fürsten, den von Bayern und den von Sachsen, und letzterer hatte ein unkatholisches Land unter sich. Deutschland ist schon sehr zu bemitleiden.

Also begann Deutschlands Weg in die Katastrophe nicht im Ersten Weltkrieg und dem, was danach kam, wie viele sagen?

Nein, die beiden wichtigen Einschnitte sind die Reformation und dann 1803, der Reichsdeputationshauptschluss, der das Ende des alten Reiches 1806 einleitete. Alle weiteren Entwicklungen resultieren daraus. Das Bismarck-Deutschland, das eine Katastrophe nicht nur war, sondern ist, das funktionierte auch nicht in Europa und war und ist immer ein Brandbeschleuniger, ob beim Ersten oder Zweiten Weltkrieg oder bei dem, was jetzt noch kommt. Gnade uns Gott. Wenn die evangelische Kirche quasi wieder zu den Waffen ruft, dann wissen wir, wie weit es um uns steht.

Als Ausländer darf ich das vielleicht sagen: Die Deutschen können sehr stringent sein, wenn sie loslegen, dann richtig.

Ja! Das ist das Protestantische. Die Deutschen gelten als das Volk der Dichter und Denker. Aber zumindest in den vergangenen Jahrzehnten finde ich, dass es das Land der Schwätzer und Schwurbler ist. Ich glaube, das ging schon bei den bekannten Philosophen los. Die haben sich ein Zeug zusammengedacht, meine Güte. Niemand würde doch im Ernst etwas mit Kant zu tun haben wollen, jemandem, der nach der Uhr lebt, wie ein weltlicher Mönch ohne Freude und Liebe, also eigentlich ganz furchtbar. Und da gibt es aber bis heute noch immer Anbetung, Dank und Ehre für Philosophen wie ihn.

Zurück zur Gegenwart. Sie werden in Predigten auch mal politisch. Sollte sich die Kirche in die Politik einmischen?

Auf die Art, wie das das große Vorbild Johannes Paul II. getan hat: fromm sein, auf Jesus gucken und auf die Mutter Gottes. Und wenn das politische Folgen hat, hat die Politik Pech gehabt. Und so versuchen wir das im Grunde ja auch zu machen. Was wir an Politischem sagen, ist ja nicht per se politisch, sondern kommt immer aus etwas anderem heraus.

„Habe in meinem Leben ziemlich alle Parteien mal gewählt“

2020 sind Sie gegen die Corona-Politik vorgegangen und bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen, weil Gottesdienste nicht mehr erlaubt waren. Ist die Religionsfreiheit in Deutschland in Gefahr?

Ja, auf jeden Fall. Es ist jede Art von Freiheit in Gefahr, weil es eine Zeitgeist-Anbetung gibt, die alles andere erstickt.

Wie äußert sich das?

Sie können dazu auch westliche Werte sagen, das sind zum Teil Todsünden, oder zumindest die Förderung von Todsünden. Es haben sich Leute den Staat mit ihren Ideen zur Beute gemacht, die etwas völlig anderes wollen. Diese ganze grüne Mischpoke. Es kann sein, dass Einzelne gute Motive haben, das will ich gar nicht abstreiten. Aber an sich ist das eine Katastrophe. Und dass das auch so wenige merken – und da wären wir wieder bei den Wahlen. Wer nicht wählt, ist nicht da. Es können auch 60 Prozent nicht wählen, trotzdem gibt es eine Koalition mit 50 Prozent Mehrheit, obwohl es in Wirklichkeit vielleicht weniger als 30 Prozent sind, die dieser Regierung ihre Stimme gegeben haben. Wo soll das hinführen? Das ist ganz schwierig. Ich habe bisher immer gewählt, und ich habe, glaube ich, in meinem Leben ziemlich alle Parteien mal gewählt. Aus irgendeinem Grund, aber nicht aus Überzeugung, eher aus Verzweiflung.

Die Fronleichnamsprozession zieht durch Berlin-Gesundbrunnen: Die Besucherzahl in St. Afra steigt

Also sollte man lieber das geringere Übel wählen als gar nicht.

Ich weiß es nicht. Inzwischen ist ja die Partei der Nichtwähler sehr groß. Bloß, das ist ja keine Partei. Von den wahren Christen, die irgendwas wiederherstellen oder erneuern wollen, sind wahrscheinlich ganz viele schlicht orientierungslos, gehen nicht zur Wahl, auch wenn sie merken, dass es so nicht geht. Es ist schlimm. Ich tu mich schwer, da etwas zu raten, und ich muss das ja auch nicht. Ich bin kein Bischof. Vielleicht müssen Bischöfe mehr sagen. Ich schwanke zwischen dem geringeren Übel und Nichtwählen.

„Ich kenne Dickens besser als Goethe“

Sie sticheln regelmäßig gegen das Wesen der Deutschen. Was stört Sie daran?

Ich sage es mal andersrum: Eigentlich ist mein Lieblingsland England, also Chesterton, Agatha Christie und so weiter, da bin ich richtig glücklich. Und dann fehlt mir in Deutschland natürlich der Humor. Boris Johnson finde ich zum Beispiel toll. Allein schon seine Crazyness ist erfrischend. Ganz im Gegensatz zu Politikern wie Angela Merkel und Olaf Scholz. Also wenn schon, dann bitte groß und mit großem Vergnügen. Und ich verstehe auch Chesterton, der war den Deutschen immer sehr, sehr misstrauisch gegenüber und hatte immer diesen Abstand. Und ich fürchte, ich habe den auch ein bisschen.

Haben Sie in England gelebt?

Nein, ich war da ganz viel in den Ferien dort. Da kamen insgesamt schon zwei Jahre zusammen. Ich kenne Dickens besser als Goethe. Den lese ich gerne. Bei den Deutschen ist es oft pathetisch, da ist immer ein bisschen Goebbels mit drin. Ganz komisch. Ich bin wahrscheinlich ein bisschen speziell. Ich finde Deutsch nicht besonders schön. Spanisch ist hässlicher, aber dann kommt ziemlich bald Deutsch. Englisch oder Polnisch oder Ungarisch oder Italienisch – das fließt. Beim Deutschen ist irgendwie dieses Abgehackte, immer ein bisschen Maschinengewehrfeuer drin.

Was in Deutschland auch auffällt: Die 1995 veröffentlichte Enzyklika „Evangelium vitae“ von Papst Johannes Paul II. wurde und wird hier eher stiefmütterlich behandelt. Der Papst forderte darin, dass die Kirche für die Kultur des Lebens eintritt. Doch gerade in diesen Tagen entsteht der Eindruck, dass die Kirche in Deutschland das nicht ernst nimmt.

Ja, das ist eben wahrscheinlich auch typisch deutsch. Der Betrieb ist das Wichtigste, der Betrieb muss laufen. Ob der in den Abgrund läuft, ist völlig egal, aber es muss laufen. Der dicke Güterzug, der in den Irrsinn rast. Aber er läuft und die Schienen liegen da. Das ist toll. Und wer da stört, das ist ganz schlecht, der wird fertiggemacht. Ich habe als Kaplan, das war um das Jahr 1987, in meinem Gemeindezentrum einen Schrank aufgemacht, und dann fielen mir lauter Heftchen mit einer rosa Rückseite vor die Füße. Also habe ich sie aufgehoben und gesehen, das war Reklame einer Pharmafirma für die Pille. Dann habe ich den Küster gefragt, was das denn hier solle, wie das hierherkomme. „Ja, das brauchen wir für den Brautunterricht“, antwortete er.

Dafür engagiert sich die Kirche heute, wenn schon nicht für den Lebensschutz, dann eben für den Klimaschutz. Tut die Kirche genug fürs Klima? Sparen Sie CO2?

Wir haben kein Auto. Niemand hier hat ein Auto.

Sprechen wir über Ihre Herkunft. Sie kommen aus dem Rheinland?

Ja, aber ich bin kein Rheinländer, sondern eine preußische Flüchtlingsmischung. Meine Mutter kommt aus Ostpreußen, aus dem Ermland, das waren die dickköpfigsten Katholiken des Reiches. Ein Streifen von Ostpreußen, der einzige Teil dort, der katholisch blieb und sehr katholisch, mit einer der schönsten Kathedralen, die ich kenne: Frauenburg.

Vom Wesen her sind Sie Rheinländer, zumindest nimmt man Sie so wahr. Und das passt ja zum Namensgeber des Instituts, Philipp Neri, einem fröhlichen Heiligen.

Fröhlich mit Biss.

Dann haben Sie noch die Orientierung zum Römischen. Und trotzdem sind Sie jetzt in Berlin?

Ja, vielleicht gerade deswegen. Der liebe Gott tut ja nichts wie Fügen, wie ein rheinischer Pfarrer einmal sagte. Doch Berlin ohne meine Zeit in Rom könnte ich nicht ertragen. Ich würde irgendwann wahnsinnig werden. Aber so kenne ich meine Italiener hier und unsere sizilianische Köchin im Institut zeigt mir jeden Tag, wie anstrengend Italien auch sein kann.

„Ein falscher Geist plus zu viel Geld ist natürlich doppelt schlecht“

Das Institut St. Philipp Neri lebt vor allem von Spenden und ist direkt Rom unterstellt, erhält deshalb keine deutschen Kirchensteuergelder. Bereuen Sie das manchmal?

Nein, überhaupt nicht.

Ich habe gelesen, allein die Restaurierung der Orgel habe 150.000 Euro gekostet.

300.000 Euro. Wir haben 150.000 Euro von der Lotto-Stiftung erhalten und zahlten aus eigener Tasche nur die Hälfte.

Einige Katholiken sagen, die Kirchensteuer sei vielleicht prinzipiell gut, aber aktuell fördere sie das weniger Gute. Sollte das System der Kirchensteuer aufrechterhalten bleiben?

Wenn die Kirchensteuer das Heil sein soll, dann ist es zu materialistisch. Aber zu sagen, man muss es unbedingt abschaffen, das ist mir auch zu materialistisch. Man könnte mit dem Geld auch sehr viel Gutes tun. Es wird wahrscheinlich auch einiges Gutes damit getan, obwohl ich Zweifel daran habe. Inzwischen gibt es so viele irre Kanäle. Wenn Sie sich die Website des Erzbistums angucken, da war vor kurzem etwas über Sexualerziehung drauf, das war so absurd, das konnte man gar nicht angucken. Und so gibt es halt ganz viele Sachen. Und zwar nicht nur einzelne Beiträge auf Webseiten, sondern eben ganze Einrichtungen. Aber ob sich das ändern würde ohne Kirchensteuer? Die Bistümer haben so viel Geld und so viel Immobilien. Die können einfach weitermachen. Also wenn heute die Kirchensteuer wegfiele, ich weiß nicht, in wie vielen 100 Jahren das überhaupt bemerkbar wäre. Nur die Verwaltung müsste wahrscheinlich etwas reduziert werden.

Also würde die Abschaffung der Kirchensteuer erstens gar nichts ändern, und zweitens müssten sich die Verwaltungsapparate irgendwann doch wieder Sorgen machen um das Geld?

Ja, das ist nämlich auch ein Punkt: Wo die Kirche nur von Spenden abhängig ist, und das kann ich ja nun gut sagen, gibt es das Problem, dass man natürlich immer in der Versuchung ist, dass der Dauerspender dann den etwas besseren Platz bekommt, dass man doch irgendwas macht, was demjenigen, der 100.000 Euro vererbt, besonders gefällt. Man kann sich da selbst betrügen. Wenn man nur an Spenden hängt, dann ist das auch nicht das Wahre. Da kann man auch materialistisch werden und andersherum. Jedes System hat seine Schwächen. Das Unheil in der deutschen Kirche kommt aus einem falschen Geist und ein falscher Geist plus zu viel Geld ist natürlich doppelt schlecht, mindestens.

Ist das Institut von „Traditionis custodes“ betroffen, dem apostolischen Schreiben Papst Franziskus’, mit dem er die traditionelle Messe einschränkt?

Dem Buchstaben nach müssten wir jetzt eine größere Angst vor Rom haben. Aber ich habe in Wirklichkeit den Eindruck, dass sie dort genug mit sich selbst zu tun haben. Schlimmer ist es eher in Bistümern, die greifen schneller und härter durch, weil sie es auch leichter können. Wir hier würden einen Radau machen, dass denen Sehen und Hören vergeht, und das wäre vielleicht doch unangenehm. Und dann ist das Dumme: Uns gehört das ja alles. Wir haben keine Schulden mehr. Da kann keiner ran. Und ehe man sich dann eine blutige Nase holt, lässt man es vielleicht lieber sein. Mein Gefühl ist, Franziskus hat den Geist der siebziger Jahre wieder erweckt.

Den Geist der siebziger Jahre?

Zu der Zeit entbrannte der Streit zwischen alter und neuer Messe. Und eigentlich will das in der Kirche keiner. Also sehr viele Bischöfe sind selbst erschreckend desorientiert und wahrscheinlich von ihren Gedanken her eher irgendeiner liberalen Theologie verpflichtet. Aber dass nun ein Riesenstreit zwischen alter und neuer Messe in einem Bistum tobt, das ist das Letzte, was ein Bischof gebrauchen kann. Also da hat sich Franziskus, glaube ich, keine Freunde gemacht.

„Es gibt wunderbare evangelische Pfarrer. Es gibt vielleicht sogar ein paar wunderbare evangelische Pfarrerinnen“

Zur Person Gerald Goesche

Gerald Goesche ist 1960 in Brühl im Rhein-Erft-Kreis geboren und in Aachen aufgewachsen. Seine Mutter stammt aus Ostpreußen. Goesche studierte Theologie in Bonn, Paris und Rom und promovierte an der Päpstlichen Universität Gregoriana über den Jesuiten und Kunsthistoriker Stephan Beissel. Im Alter von 26 Jahren wurde er Priester. Er stand mehrere Jahre der Piusbruderschaft nahe, ohne ihr jedoch beizutreten. 2003 gründete er in Berlin mit zwei Priesteramtskandidaten und zwei Diakonen das „Institut Sankt Philipp Neri“, das sich der Pflege der traditionellen Römischen Liturgie widmet. Über die katholische Szene hinaus erlangte er Bekanntheit, als er 2020 bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot öffentlicher Gottesdienste klagte, das wegen der Corona-Pandemie erlassen worden war.

Kommen wir noch einmal zur Form zurück: Würden Sie sagen, es macht für einen Gläubigen einen Unterschied für sein Leben und für seine Frömmigkeit, in welche Messe er geht?

Ja, unbedingt. Das formt eben. Bestimmt gibt es ganz viele ernsthafte Gläubige, die trotzdem zur neuen Messe gehen. Es ist ja immer noch die Mehrzahl, die eben gute Christen sind, die auch regelmäßig beichten. Aber diese unmittelbare Bezogenheit auf Jesus Christus wird im neuen Ritus durch vieles behindert. Da denke ich noch nicht einmal an die Landessprache – Lefebvre hat einmal gesagt, lieber den alten Ritus auf Französisch als den neuen auf Latein –, sondern dass ein Altar gegen einen anderen Altar steht, das ist eigentlich ein Terminus technicus fürs Schisma. Das hat der Kirche unheimlich geschadet. Diese Reform war keine Reform, sondern Deformation!

Für die katholischen Kirchen in Deutschland ist die Ökumene von zentraler Bedeutung. Was halten Sie davon?

Es gibt wunderbare evangelische Pfarrer. Es gibt vielleicht sogar ein paar wunderbare evangelische Pfarrerinnen. Ich kenne einige Pfarrer, die vielleicht ein bisschen hochkirchlich beeinflusst sind. Das hat schon was. Es gibt diesen ganz interessanten Film „Das weiße Band“. Kennen Sie den?

Ja, er spielt in einem fiktiven Dorf in Vorpommern kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Genau, da kann man das Elend eigentlich sehen. Und ein evangelischer Pfarrer hat mir gesagt: Genau so war’s, ganz genau so. Man kann darin das protestantische deutsche Wesen beobachten, rigoros eine Sache verfolgend. Das hat so eine sublime, moralistische Kälte und Härte. Ich bin ja ein großer Anglikaner- und Orthodoxen-Liebhaber. Ein Evensong stellt mich vor theologische Probleme, weil ich mich frage, wie kann Häresie so schön sein? Oh, das ist wirklich so wunderbar. Wie gesagt, da liebe ich eben auch die Sprache. Viel schöner geht es nicht.

Sollte die katholische Kirche konfrontativer oder kuscheliger mit der evangelischen Kirche verfahren?

Na ja, so kann man das bestimmt nicht sagen. Man muss immer schauen gemäß dem Motto: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Es gibt gute evangelische Christen. Bei denen wurde in der Vergangenheit übrigens auch von katholischer Seite viel zu wenig die Möglichkeit gefördert, dass diese katholisch werden.

Wenn Sie es sich aussuchen könnten, in welcher Zeit würden Sie am liebsten leben: zur Zeit der Christenverfolgungen im alten Rom, zur Zeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Versailles oder 2022 in Berlin?

Dann am besten 2022 in Berlin, weil es da eine Betäubung beim Zahnarzt gibt. Spaß beiseite, aber das ist ja das Zweischneidige, man hat eben doch viele Vorteile davon, obwohl die Richtung oft gar nicht stimmt.

„Nationalismus hat noch nie etwas genützt“

Sie haben augenscheinlich ein Faible für Filme. Welcher ist Ihr Lieblingsfilm?

Ich habe schon mehrere.

Ihre liebsten drei?

Ich schaue sehr gerne die Agatha-Christie-Verfilmung mit David Suchet. Da ist ja keine solche Strenge. Das sehe ich ja sehr, sehr gerne. Dann ist da natürlich „Don Camillo“. Das sind die besten pastoralen Filme, die man haben kann. Mein absoluter Lieblingsfilm ist aber „Henry V.“ unter der Regie von Kenneth Branagh. Den habe ich fünfmal in einem Winter gesehen. Es gibt darin einen Monolog des Königs vor der Schlacht von Azincourt. Das ist die Christkönigpredigt. Besser kann man das gar nicht machen. Das beantwortet auch die Staats- und Moralfragen. Da wollen Sie einen Hohenzollern? Ich nicht.

Wie wäre es mit den Habsburgern?

Ja, die haben das ja auch insgesamt sehr gut gemacht! Das Franz-Josephs-Reich: wunderbar. Kein Wunder, dass der Joseph Roth sich zu Tode gesoffen hat in Sehnsucht nach dem Habsburger-Reich, das kann ich völlig verstehen. Das ist auch ein Modell für Integration. Ich bin nicht integriert, ich will auch ums Verrecken nicht integriert sein. Und ich werde wahrscheinlich mit dem orthodoxen Imam und dem Rabbi gut auskommen, aber auf einer ganz anderen Ebene und natürlich auch mit bestimmten Grenzen. Aber dieser Einheitsbrei, den sie hier in Deutschland heute machen, das ist ja furchtbar. Nein, so ein galizisches Dorf war eigentlich fast perfekt.

Am Ende ist das Habsburger-Reich aber auch innerlich zerbrochen. Die Kroaten und andere Völker begehrten auf.

Natürlich, der Nationalismus, der hat noch nie etwas genützt. Dieser blöde Nationalismus, den wir auch heute wieder erleben, das ist ein Aufguss aus den Untiefen des 19. Jahrhunderts. Hauptsache, die Grenzen dicht. Das sind auch gar keine neuen Ideen. Und katholisch ist das auch nicht. Das war die Antwort auf die Zeit der vielen kleinen Fürstentümer, mit ihren Mini-Ländchen, wo die Welt aber komischerweise ziemlich in Ordnung war, weil es überschaubar war. Sicher, man darf sich das nicht zu romantisch vorstellen, aber es ist halt viel besser als dieses ganze große Elend.

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Kommentare

Kommentar
7
Friedhelm Bestek
Vor 1 Jahr 11 Monate

Preußen-Bashing scheint wohl die neue Spielwiese konservativer Katholiken zu sein. Sie halten es für ein Spiel, aber eigentlich ist es, angesichts des grünlinken Mainstreams, verantwortungslos und geschichtsvergessen. Darum hier eine bescheidene Verteidigung:
"Machtgeschützte Innerlichkeit" (Thomas Mann) -
Im Gegensatz zum gegenwärtig herrschenden historischen Narrativ war die Epoche zwischen den Jahren 1871 - 1914 wohl eine der glücklichsten für Deutschland. Kultur, Künste, Wissenschaft, Architektur standen in höchster Blüte; es war die Zeit bahnbrechender technischer Entwicklungen, die von Deutschland ausgingen.
Vielleicht auch deshalb, weil jeder dieses Lied auswendig kannte (und verinnerlichte):
"Üb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab,
und weiche keinen Finger breit
von Gottes Wegen ab." (Hölty)
Und: Das Deutsche Reich, in Sonderheit das dominierende Preußen, war ein moderner Rechtsstaat mit effizienter Verwaltung, auch wenn es sicher noch feudal-obrikeitsstaatliche Relikte gab. Man habe dabei immer die anderen Länder Europas im Blick.
Und ja, es gab Zensur und Tabus; aber auch hier vergleiche man: Wohl kaum mehr als heute!
Und: fruchtbarer Föderalismus!

3
Eine feste Bur…
Vor 1 Jahr 5 Monate

"Luther ist die erste Katastrophe. Das ist natürlich das ganz große Leiden."

Luther hat mehrererlei bewirkt

1) Volksbildung
2) Reformierung und Demokratisierung der Kirche
3) Direkten Zugang der Gläubigen zu Gott und zu Christus.

Das als "Katastrophe" zu beschreiben, ist erzkatholischer Unsinn.

Auch wenn die EKD sich hier und heute mit der "Verschwulung Gottes" siehe "Gott ist quer" aus dem Christentum verabschiedet hat.

Luther ist und bleibt ein christlich geprägtes und prägendes Vorbild.

Eine feste Burg ist unser Gott.

1
Josef Ferdinan…
Vor 10 Monate 2 Wochen

Ich teile die Analyse, was das bis heute preußisch-protestantisch dominierte Bismarck-Deutschland anbelangt. Aber das heißt nicht im Gegenzug, dass man einen verklärten Blick auf die Habsburger haben muss. Davon haben mich einige Jahre vor Ort schmerzhaft geheilt. Die große Frage des 19. Jhs. – Preußen oder Österreich? – ist nichts als eine Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen, zwischen Skylla und Charybdis.

0
Michael Renz
Vor 5 Monate 2 Wochen

Naja.
Schon alles ein bisschen billig und mittlerweile 100fach aus der gleichen Ecke gehört. Das simplistische Rahner-Bashing zum Beispiel wird durch Wiederholung auch nicht richtiger.

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Michael Renz
Vor 5 Monate 2 Wochen

Naja.
Schon alles ein bisschen billig und mittlerweile 100fach aus der gleichen Ecke gehört. Das simplistische Rahner-Bashing zum Beispiel wird durch Wiederholung auch nicht richtiger.

1
Josef Ferdinan…
Vor 10 Monate 2 Wochen

Ich teile die Analyse, was das bis heute preußisch-protestantisch dominierte Bismarck-Deutschland anbelangt. Aber das heißt nicht im Gegenzug, dass man einen verklärten Blick auf die Habsburger haben muss. Davon haben mich einige Jahre vor Ort schmerzhaft geheilt. Die große Frage des 19. Jhs. – Preußen oder Österreich? – ist nichts als eine Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen, zwischen Skylla und Charybdis.

3
Eine feste Bur…
Vor 1 Jahr 5 Monate

"Luther ist die erste Katastrophe. Das ist natürlich das ganz große Leiden."

Luther hat mehrererlei bewirkt

1) Volksbildung
2) Reformierung und Demokratisierung der Kirche
3) Direkten Zugang der Gläubigen zu Gott und zu Christus.

Das als "Katastrophe" zu beschreiben, ist erzkatholischer Unsinn.

Auch wenn die EKD sich hier und heute mit der "Verschwulung Gottes" siehe "Gott ist quer" aus dem Christentum verabschiedet hat.

Luther ist und bleibt ein christlich geprägtes und prägendes Vorbild.

Eine feste Burg ist unser Gott.

7
Friedhelm Bestek
Vor 1 Jahr 11 Monate

Preußen-Bashing scheint wohl die neue Spielwiese konservativer Katholiken zu sein. Sie halten es für ein Spiel, aber eigentlich ist es, angesichts des grünlinken Mainstreams, verantwortungslos und geschichtsvergessen. Darum hier eine bescheidene Verteidigung:
"Machtgeschützte Innerlichkeit" (Thomas Mann) -
Im Gegensatz zum gegenwärtig herrschenden historischen Narrativ war die Epoche zwischen den Jahren 1871 - 1914 wohl eine der glücklichsten für Deutschland. Kultur, Künste, Wissenschaft, Architektur standen in höchster Blüte; es war die Zeit bahnbrechender technischer Entwicklungen, die von Deutschland ausgingen.
Vielleicht auch deshalb, weil jeder dieses Lied auswendig kannte (und verinnerlichte):
"Üb immer Treu und Redlichkeit
bis an dein kühles Grab,
und weiche keinen Finger breit
von Gottes Wegen ab." (Hölty)
Und: Das Deutsche Reich, in Sonderheit das dominierende Preußen, war ein moderner Rechtsstaat mit effizienter Verwaltung, auch wenn es sicher noch feudal-obrikeitsstaatliche Relikte gab. Man habe dabei immer die anderen Länder Europas im Blick.
Und ja, es gab Zensur und Tabus; aber auch hier vergleiche man: Wohl kaum mehr als heute!
Und: fruchtbarer Föderalismus!