Warum die Demokratie in Deutschland wirklich in die Krise gerät
Wenn in einer Demokratie Diskussionen über das Verbot einer Partei geführt werden, die laut aktuellen Umfragen bundesweit ein Fünftel der Wähler hinter sich weiß (und in manchen Bundesländern an die 35 Prozent), oder Petitionen auf den Weg gebracht werden mit dem Ziel, prominenten Politikern dieser Partei bestimmte Grundrechte zu entziehen, dann befindet sich das politische System sichtbar in einer Krise.
Sicher, die deutsche Verfassung sieht die Möglichkeit des Parteienverbotes vor – auch wenn dies in liberalen Demokratien eher ungewöhnlich ist. Wenn man diese Waffen einsetzen will, weil man keine anderen mehr hat, heißt das aber, dass man jede Hoffnung aufgegeben hat, die Wähler dieser Partei zurückzugewinnen, ja, dass man erwartet, dass immer mehr Menschen diese wählen werden. Das ist eine absolute Bankrotterklärung.
Natürlich ist es nicht so, dass die AfD, um die es hier geht, harmlos ist. Es gib in ihren Reihen nicht wenige, die rassistisch oder xenophob sind, und überdies eine vielleicht geringere Zahl, deren Verhältnis zur Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus in einer historischen Perspektive zumindest ambivalent ist. Aber stehen wir deshalb kurz vor einer Machtergreifung und der Errichtung einer Diktatur? Das ist Unsinn, wie überhaupt die Vergleiche mit Weimar unhistorisch sind.
Entfremdung und Unregierbarkeit
Was dem Nationalsozialismus seine besondere Aggressivität verlieh, war ja nicht zuletzt die Verherrlichung des Krieges als vermeintlicher Manifestation nationaler Stärke. Man träumte nicht nur von der Revanche gegen Frankreich, sondern auch von der gewaltsamen Errichtung eines ethnisch radikal gesäuberten deutschen Großreiches in Osteuropa. Und nicht wenige Deutsche ließen sich für diese Träume mobilisieren, als man sie ab 1939 auch umzusetzen versuchte.
In der AfD setzt man eher auf die „Pax Russica“ von Putins Gnaden und hat keine großen Einwände dagegen, Deutschland zu einem russischen Klientelstaat à la DDR werden zu lassen. So befremdlich das auch sein mag: Eine Begeisterung für Expansionskriege könnte wohl nicht mal Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang der AfD nachweisen, obwohl er ja in diesen Dingen flexibel in der Bewertung von empirischen Befunden ist.
Die eigentliche Gefahr, die auf unser Land zukommt, ist auch nicht die einer faschistischen Diktatur, wie ihr nun auf den Straßen gewehrt werden soll. Die eigentlichen Gefahren sind die Unregierbarkeit und die immer größere Entfremdung vieler Bürger vom Staat. Wenn im nächsten Bundestag 20 Prozent der Abgeordneten der AfD angehören und weitere 15 Prozent dem Bündnis Sarah Wagenknecht oder ähnlichen von den etablierten Parteien abgelehnten Zusammenschlüssen, dann wird man auf jene Koalitionsmodelle zurückgeworfen, wie man sie jetzt schon in den neuen Bundesländern findet: ein Bündnis fast aller etablierten Parteien.
Das stellt vor allem für die CDU ein Problem dar, denn sie verliert damit vollends ihre Glaubwürdigkeit als einer Partei, die auch konservative Wähler vertritt, was Parteichef Friedrich Merz zumindest angekündigt hat und teils verzweifelt versucht. Namentlich eine Koalition mit den Grünen, etwas weniger vielleicht mit der SPD, untergräbt diese Versuche komplett.
Der Eindruck, mit Wahlen könne man nichts mehr verändern
Wenn aber Grüne, SPD und CDU alle drei in etwa mit geringen Nuancen für die gleiche Politik eintreten, und letztlich auch die FDP – soweit es sie dann noch geben wird – dies tut, dann werden viele Wähler den Eindruck gewinnen, man könne durch Wahlen ohnehin nichts verändern, jedenfalls nicht, wenn man eine der „normalen“ Parteien wählt.
Solche Menschen wählen dann entweder reinen Protest – und je radikaler, desto besser –, weil man damit die anderen zumindest bis zur Weißglut ärgern kann, oder greifen zu den Protestformen, die für eine außerparlamentarische Opposition typisch sind, wie Anfang des Jahres die Bauern.
Wenn die Menschen zu spüren glauben, dass die Regierung massiv Politik gegen ihre Interessen und die des ganzen Landes macht und auf keine Klagen und Einwände hören will, und dass sie das über Wahlen auch nicht ändern können, dann wird eben das Land lahmgelegt, wie das in Frankreich in solchen Fällen immer schon geschah, oft mit Erfolg. Schön ist das nicht, aber irgendwie verständlich schon. So reagieren Leute eben, wenn sie in die Politik und den ganzen Staat kein Vertrauen (mehr) haben.
Wie kann man den Verfallsprozess stoppen?
Wie aber kann man diesen Prozess des Verfalls der parlamentarischen Demokratie und ihrer Glaubwürdigkeit stoppen? Zum einen müsste man die schleichende Entdemokratisierung, auf die Politikwissenschaftler wie Philip Manow aufmerksam gemacht haben, bremsen oder sogar revidieren.
In den vergangenen Jahren sind immer mehr Kompetenzen nach Brüssel verschoben worden, wo unendlich viele Vorschriften und Gesetze erlassen werden, die faktisch jeden im Alltag treffen. Und wo im Zusammenhang mit der Schuldenvergemeinschaftung in der Eurozone und der EU auch darüber entschieden wird, welche finanziellen Spielräume zukünftige Bundesregierungen noch haben, was vor kurzem auch noch einmal der Bundesrechnungshof kritisch angemerkt hat.
Damit wird letztlich das Budgetrecht des Bundestages, das Palladium einer echten Demokratie, ausgehebelt oder zumindest unterminiert. Sicher, es gibt ein europäisches Parlament, da dieses aber nicht nach einem genuin demokratischen Wahlrecht gewählt wird, und weil es dort auch keine echte Opposition im Sinne eines „government in waiting“ gibt und zudem die Entscheidungsprozesse intransparent sind und durch dubiose Tauschgeschäfte zwischen den nationalen Regierungen bestimmt werden, gibt es in der Europapolitik für den Wähler sehr wenige Einflussmöglichkeiten im Sinne einer persönlich erfahrbaren Demokratie.
Das wird man nicht ändern können, weil die EU nun einmal postdemokratisch angelegt ist und Deutschland auch kein Interesse daran haben kann, die Stellung des Parlamentes zu stärken. Dort werden sich namentlich in Finanzfragen immer große anti-deutsche Mehrheiten zusammenfinden werden, solange Deutschland der bei weitem größte Nettozahler ist. Auch das kann man nicht ändern.
Urteile statt politische Entscheidungen?
Eine weitere Gefahr für die Demokratie ist die Ersetzung politischer Entscheidungen durch höchstrichterliche Urteile. Ist es wirklich die Aufgabe Karlsruhes, darüber zu entscheiden, welche Klimapolitik Deutschland betreibt? Nein, das ist es natürlich nicht, zumal die Zukunft des Weltklimas kaum von Deutschland abhängt. Die Richter fühlen sich aber offenbar zunehmend darin wohl, auch selbst Politik zu machen.
Das gilt in der Tendenz auch für die Sozialpolitik, bei der die extrem großzügigen Zahlungen für abgelehnte (sic!) Asylbewerber u. a. auch auf Urteile des Verfassungsgerichtes zurückgehen, bei denen sich die Richter auf das Prinzip der Menschenwürde beriefen.
Daraus kann man freilich vieles und sozialpolitisch vermutlich bei gutem Willen so gut wie alles ableiten, zum Beispiel eines Tages auch ein Anrecht auf ein gänzlich voraussetzungsloses lebenslanges Grundeinkommen für alle, die sich auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik aufhalten.
Der zunehmenden Neigung Karlsruhes, die Politik durch kreative, faktisch neues Recht setzende Urteile zu bevormunden, könnte man zur Not durch eine Grundgesetzänderung – wenn es denn dafür die notwendigen Mehrheiten gäbe – entgegentreten und wird das auf die Dauer vielleicht tun müssen.
Verantwortlich ist das EU-Recht, die Quittung bekommen aber die nationalen Regierungen
Schwieriger ist es auf der europäischen Ebene, wo der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch zu einer stark interventionistischen Rechtsprechung neigen, etwa in allen Fragen, die die Migrationspolitik betreffen. Solange sich dort keine Lösung abzeichnet, und zu einer wirklich wirkungsvollen Reform des Asylrechtes ist die EU ganz offenbar nicht einmal ansatzweise in der Lage, droht eine Situation, in der das EU-Recht weitgehend offene Grenzen erzwingt, die Rechnung für diese problematische Politik von den Bürgern aber den nationalen Regierungen präsentiert wird.
Man muss freilich sehen, dass die jetzige deutsche Regierung etwa beim Familiennachzug selbst diese offenen Grenzen anstrebt und nicht einmal bereit ist, an den Stellschrauben zu drehen, bei denen das durchaus noch möglich ist. Das gilt sowohl für die Grünen wie, weitgehend, für die SPD, aber auch für erhebliche Teile der FDP und eine substanzielle Minderheit in der CDU.
Dass das dann angesichts der sehr großzügigen Alimentation der Zugezogenen, der immer dramatischer werdenden Wohnungsnot und des sinkenden Wohlstandsniveaus in der heimischen Mittelschicht zu wütendem Protest führt, darüber muss man sich nicht wundern.
Und was macht die Regierung dagegen? Sie bringt immer weitere Bevölkerungskreise gezielt gegen sich auf. Die Wohnungen werden in einer Situation, in der ohnehin zu wenig gebaut wird, durch immer strengere Vorschriften noch mehr verteuert, den Bauern gibt man zu verstehen, dass ihre Lage der Regierung vollständig gleichgültig ist, weil sie ja ohnehin nicht links wählen, und dem Verbraucher will man jetzt vors Schienbein treten, indem man zum einen die CO2-Steuer erhöht, zum anderen Fleisch, Milch und Butter durch eine neue Steuer verteuert.
Es mag ja stimmen, dass die Massentierhaltung problematisch ist, und wenige Wähler dürften grundsätzlich gegen Tierschutz sein, aber wer in einer Situation, in der große Teile der Bevölkerung in Aufruhr oder zumindest extrem unzufrieden sind, auch noch die Lebenshaltungskosten anheben will, scheint von einem tiefen Todeswunsch beseelt zu sein.
Die Deutschen, die braven Untertanen?
Oder man geht immer noch davon aus, dass die Deutschen eigentlich doch ganz brave Untertanen sind und man sie zu fast allem zwingen kann, wenn man nur autoritär genug auftritt, etwa indem man immer mehr Meldestellen für „wrongthink“ einrichtet und Protestparteien schlechterdings verbieten möchte. Heimlich liebäugeln manche Politiker wohl sogar mit dem Ideal einer gelenkten, illiberalen Demokratie, in der sich Wahlergebnisse von oben steuern lassen, und die Medien durch staatliche Alimentierung und Kampagnen gegen vermeintliche „fake news“ auf Linie gebracht werden.
Wie wird das alles enden? Es ist schwer zu sagen. Eine CDU-geführte Regierung etwa als neue Große Koalition oder in ähnlicher Form würde nach den nächsten Wahlen vermutlich doch versuchen, weniger provozierend aufzutreten, und könnte damit Druck aus dem Kessel nehmen. Ein grundsätzlicher Politikwechsel ist aber schwer vorstellbar, weil dazu zu viele Weichen in den vergangenen zwei Jahrzehnten falsch gestellt wurden in Brüssel genauso wie in Berlin.
Und wenn man die massenhafte Armutsmigration nicht reduzieren kann, was sehr unwahrscheinlich ist, dann wird man auch an einem drastischen Umbau des Sozialstaates im Sinne harter Sparmaßnahmen nicht herumkommen. Darauf hat zurecht nicht nur der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen vor kurzem hingewiesen. Die jetzige Migration ist jedenfalls rein fiskalisch – volkswirtschaftlich mag die Rechnung noch mal etwas anders aussehen – aus vielen Gründen eher ein Zuschussgeschäft, schon wegen der geringen Qualifikation vieler Migranten und ihrer mangelnden kulturellen Anpassungsfähigkeit sowie ihrer geringeren Arbeitsmarktbeteiligung nicht zuletzt bei den Frauen.
Auch niederländische Volkswirte von der Amsterdam School of Economics sind für ihr Land in einer Untersuchung über den „Borderless Welfare State“ (von Jan H. van den Beek und andere Autoren) jüngst zu ganz ähnlichen Ergebnissen gekommen. Nur, die somit unvermeidliche Reduktion der Sozialleistungen, die dann wohl auch Karlsruhe nicht wird verhindern können, weil es dazu dann keine Alternativen mehr gibt, wird die politische Lage kaum beruhigen, sondern die Spannungen und Verteilungskämpfe noch einmal verschärfen.
Deutschland würde zu einem zweiten Italien
Zwischenzeitlich wird Berlin versuchen, viele Probleme zuzukleistern, indem man immer mehr Geld ausgibt, um sich damit für den Moment Zustimmung oder zumindest Ruhe zu erkaufen. Nationale Schuldenbremsen sind in einem System, in dem jeder faktisch bedingungslos für den anderen haftet, ohnehin unsinnig.
Damit würde Deutschland freilich nur zu einem zweiten Italien werden, schwer regierbar, wirtschaftlich im dauerhaften Niedergang – der sich jetzt schon abzeichnet, und den die Regierung nicht zuletzt durch ihre Energiepolitik und immer mehr Reglementierung der Wirtschaft noch beschleunigt. Und mit einer Bevölkerung, die zu großen Teilen dem Staat zutiefst misstraut und sich entsprechend auch verhält.
Nur, es wird ein sehr viel graueres und langweiligeres Italien sein, ohne die ästhetische Anmut und die Eleganz des Südens, auch ohne dessen Fähigkeit, sich durch schlaue Improvisationen und das Umgehen allzu strenger Regeln sowie die Mobilisierung von Beziehungen und Klientelnetzwerken mit widrigen Umständen und einer absurden Bürokratie zu arrangieren.
Aber vielleicht wären wir Deutsche gut beraten, selbst italienischer zu werden und unsere eigenen Patronagenetzwerke aufzubauen, um nicht mehr so sehr auf den Staat angewiesen zu sein, auf den man als Deutscher in der Tat nicht mehr bauen sollte.
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Es gibt keine Gefahr einer faschistischen Diktatur, sondern einer kommunistischen Diktatur!
Der Autor hat sehr viele wichtige Punkte sehr gut angesprochen. Vielen Dank.
Auch geopolitische und finanzpolitische Hintergründe sind enorm wichtig, um ein realistisches Gesamtbild der aktuellen politischen Situation anstreben zu können.
Und dieses Streben nach mehr Objektivität brauchen wir, wenn wir versuchen wollen, die Hintergründe der Entwicklung der Menschheitsgeschichte in den letzten Jahren zu verstehen.
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Anmerkung der Redaktion: Bitte sehen Sie von dem übermäßigen Einfügen von Links ab und beziehen Sie sich in Leserkommentaren auf den Inhalt des Artikels. Vielen Dank!
Die Gefahr der AfD für den Staat wird in diesem Kontext heruntergespielt. Als Konservativer sollte man sich spätestens jetzt die Frage stellen, ob man dem zustimmt, Umfragewerte in der Bevölkerung hin oder her. Der Schaden wird langanhaltend sein.
Es gibt keine Gefahr einer faschistischen Diktatur, sondern einer kommunistischen Diktatur!
Der Autor hat sehr viele wichtige Punkte sehr gut angesprochen. Vielen Dank.
Auch geopolitische und finanzpolitische Hintergründe sind enorm wichtig, um ein realistisches Gesamtbild der aktuellen politischen Situation anstreben zu können.
Und dieses Streben nach mehr Objektivität brauchen wir, wenn wir versuchen wollen, die Hintergründe der Entwicklung der Menschheitsgeschichte in den letzten Jahren zu verstehen.
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Anmerkung der Redaktion: Bitte sehen Sie von dem übermäßigen Einfügen von Links ab und beziehen Sie sich in Leserkommentaren auf den Inhalt des Artikels. Vielen Dank!
Die Gefahr der AfD für den Staat wird in diesem Kontext heruntergespielt. Als Konservativer sollte man sich spätestens jetzt die Frage stellen, ob man dem zustimmt, Umfragewerte in der Bevölkerung hin oder her. Der Schaden wird langanhaltend sein.