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KOLUMNE „MILD BIS RAUCHIG“

Gruß aus der Wüste

Ein lustiger Elefant, ein exklusives Bekleidungsgeschäft, ein Fünf-Sterne-Hotel und eine Kirche mit einem heidnischen Namen. Das sind die Nachbarn eines unscheinbaren Hauses in der römischen Altstadt, dessen Fassade nicht ahnen lässt, dass dort die Weichen der großen Weltpolitik mitbestimmt werden. Unweit des Pantheons, in dessen Schatten die Touristen ihr Eis genießen, schmiegt sich an die Seite der Kirche Santa Maria sopra Minerva, die man einst auf dem antiken heidnischen Minervatempel Roms erbaute, der unprätentiöse Palazzo Severoli. Hier ist die Pontificia Accademia Ecclesiastica untergebracht, die Päpstliche Diplomatenakademie.

Vor ihm ein marmorner Elefant, geschaffen von Gian Lorenzo Bernini, dem berühmten Barockbildhauer. Er trägt eine steinerne Säule, einen antiken ägyptischen Obelisken auf dem Rücken. Dabei wirft er belustigt seinen Rüssel nach hinten, als sei das Tragen dieser außergewöhnlichen Last eine seiner leichtesten Übungen. Der erhabene Obelisk auf dem Rücken eines Tieres, das seit seiner Entdeckung in Europa als das beeindruckendste Lebewesen galt. Wegen seiner Stärke und Größe. Und so bekundet eine vielsagende Inschrift am Sockel von Berninis Elefant: „Wie der Elefant zeigt, bedarf es eines kräftigen Verstandes, um die wahrhaftige Weisheit zu tragen.“

Die Inschrift passt damit wie angegossen zu dem, was täglich im Palazzo Severoli geschieht, nämlich zur Arbeit der Päpstlichen Diplomaten und ihrer Bildungsstätte. Denn es ist eine große Verantwortung, sich als Gesandter des Papstes und damit der Kirche und ihrer Botschaft in den Kreisen der Mächtigen der Welt zu bewegen, die oft alles andere im Sinn haben, als es Jesus Christus verlangt, der die Ohnmacht der Mächtigen und die Niedrigkeit der Herrschenden gepredigt hat.

Die Wahrheit in die Welt der Ranküne tragen

Die Männer, die in dem barocken Palazzo an der Piazza della Minerva im Angesicht des Bernini-Elefanten zu Diplomaten der Kirche ausgebildet werden, müssen wissen, dass ihr Geschäft eines der schwersten ist: die Wahrheit in die Welt der politischen Ranküne und nationalen Machtspiele zu tragen, in der sie, die Wahrheit, erst einmal nichts gilt. Sondern wo es um die beste Taktik, das Kalkül zum Verschaffen von Vorteilen und um das Pokern um Pfründe geht und wo die gezielt eingesetzte Unwahrheit eher ein Instrument des Handelns ist als die Wahrheit.

Wie alle großen kirchlichen Einrichtungen steht auch die Päpstliche Diplomatenakademie unter dem Patronat eines Heiligen. Wer könnte das in diesem Fall sein? Der heilige Paulus vielleicht? Der weltgewandte Apostel, der sich in der antiken Welt auf Plätze und Märkte stellte und sich mutig, klug und ohne jede Berührungsangst mit der Botschaft Jesu Christi unter das Volk mischte? Oder womöglich der Erzengel Gabriel, der prominenteste aller Botschafter der Welt, der Maria beibringen musste, die Mutter Gottes zu werden?

Nein, es ist: der heilige Antonius, der Mönchsvater. Unter seinem Schutz steht die Schmiede der päpstlichen Diplomaten. Ausgerechnet der erste Mönch der Kirchengeschichte, der sich aus dem täglichen Geschäft zurückzog und sich in die Wüste Ägyptens begab, um in der Einsamkeit Gott zu suchen, gilt als der Patron derer, die das reine Gegenteil tun: die aus der Geborgenheit eines stillen Gebetslebens ausziehen müssen, um sich in das Weltgeschäft der Staatslenker einzumischen.

Der große Einsiedler als Vorbild für die Hinaus-in-die-Welt-Männer

Der Sinn erschließt sich, wenn man genau auf das Leben des heiligen Einsiedlers Antonius schaut. Denn dann lichtet sich das Klischee vom beschaulichen Eremiten ein wenig, und es tritt das zutage, was Antonius wirklich war. Er verlässt zwar die Welt in einem sehr spontanen Schritt der Nachfolge Jesu nach dem Hören des Evangeliums vom reichen Mann, der alle frommen Vorschriften zu halten verstand außer seinen Besitz wegzugeben, um dem Messias in Armut zu folgen (vgl. Mt 19, 16-26).

Aber Antonius verlässt die Welt nicht als introvertierter Eigenbrötler, dem ohnehin alles egal ist und der sich vor der Welt versteckt. Sondern Antonius geht weg, weil er erkannt hatte, dass es im Leben nicht darauf ankommt, den Applaus der Menschen zu ernten oder sich auf die Sonnenseite zu drängeln oder das Gefallen der Mächtigen zu suchen; schon einmal gar nicht kommt es darauf an, mit Besitz und Erfolg zu kokettieren, sondern allein die Suche nach Gott und das Leben nach Seinem Gefallen führt zum Ziel des Lebens.

 

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In Gottes Gegenwart zu leben und nicht dem Zeitgeist, populären Meinungen oder den verschiedenen Karriereversuchungen zu unterliegen, das macht offen für das, was von Gott kommt. Die Päpstlichen Diplomaten, die unter dem Patronat des hl. Antonius ausgebildet werden, sollen sich als Männer, die sich unter die Mächtigen mischen, den großen Einsiedler zum Vorbild nehmen, weil der es geschafft hat, den beiden Hauptgefahren im Leben der Nachfolge Christi zu entgehen: der Taubheit für Gottes Wort und der Versuchung, statt von Gott von der Welt und ihren scheinbaren Werten zu leben, die doch über alle Maßen kurzlebig und vergänglich sind.

Der hl. Antonius gewann den schwersten Kampf, den es gibt

Gerade in unserer Gegenwart, wo die Christen wie nie zuvor angefragt sind zu sagen, wo ihre Quellen liegen, ist es der hl. Antonius, der Einsiedler, der zeigt, wo die Oasen in den Wüsten des Alltags zu finden sind. Nämlich nicht in den neuesten Kommunikationsmitteln und Sozialen Netzwerken, in denen man herumsurft und postet und wo sich alles in nichtssagenden Neuigkeiten verliert, deren Echtheit genauso fragwürdig ist wie ihre Haltbarkeit, sondern in der Zweisamkeit mit Gott und in der Frage nach Seinem Willen. Das alleine zählt.

Antonius, von dem wir fast 1.700 Jahre nach seinem Tod immer noch sprechen, zeigt, dass es nicht auf Erfolg und Leistung ankommt, sondern auf das, was man vor Gott ist und auf die lebendige Beziehung zu Ihm. Im Zeitalter der allseitigen Machbarkeit ist das eine wichtige Botschaft: dass es nicht zunächst auf das ankommt, was man tut, sondern auf das, was man ist.

Natürlich ist es nicht egal, was wir tun. Aber Vorrang hat das Herz und seine Verwurzelung in Christus. Das hat den heiligen Antonius in seiner Zeit und über seine Zeit hinaus berühmt gemacht. Er entschied sich gegen äußere Erfolge, gegen Geltung und Besitz, und wählte das, was ihm den Beinamen „Antonius der Große“ eingebracht hat – die ungeschminkte und unübersehbare Gottesfülle. Auf diese Weise wurde er in seiner Zeit ein begehrter Berater. Gerade die Beschäftigten und die Mächtigen kamen zu ihm, um sich von ihm sagen zu lassen, was sie tun und wie sie sein müssten, um das Ziel des Lebens zu erreichen. Er galt damit seinen Zeitgenossen als jemand, der den schwersten Kampf gewonnen hatte, den es gibt, den Kampf gegen sich selbst.

Wozu wir uns Sankt Antonius zum Vorbild und zum Fürsprecher nehmen können

Das Schweinchen, dass man auf den zahllosen bildlichen Darstellungen des hl. Antonius sieht, ist das Symbol des Unreinen, des Gottwidrigen, dessen, das an der Erde und ihrem Schmutz klebt, das Symbol für die Versuchung, gegen die der hl. Antonius wie jeder Mensch zu kämpfen hatte, und die er so erfolgreich besiegt hatte – die Versuchung, mit der Nase in den Dingen dieser Welt steckenzubleiben.

Jeder ist selbst keiner geringeren Herausforderung ausgesetzt. Man ist stets in der Gefahr, dem Schmutz des Neides, der Missgunst, des Besitzstrebens, der Vergottung der Lust und den Abgründen der Lüge zu erliegen. Wenn man will, dass all das nicht Macht über einen gewinnt, dann sollte man sich den heiligen Antonius zum Vorbild und zum Fürsprecher machen. Man kann nämlich von ihm lernen, dass es zunächst darauf ankommt, sich freizumachen von allem, was daran hindert, Gott entgegenzugehen.

Das ist nicht einfach. Denn jeder ist eingebunden in den Stress der Selbstbehauptung, der Kommunikation, des Gerangels um Erfolg und Besitz. Manchmal steckt man ja bis zum Hals in all dem. Und dennoch bleibt der Anspruch für den Christen, Gott alles zu schenken. Man muss deswegen keineswegs die Welt so verlassen, wie es Antonius tat. Aber man kann sie relativieren, indem man dasjenige, das einem in der Zeit begegnet, nicht als Diktatur versteht, die einen zum Gehorsam nötigt, sondern als Bewährung, die Last der Anforderungen mit Glauben und Vertrauen zu tragen.

Und wie gelingt so etwas?

Und wie gelingt so etwas? Es gelingt, indem man den Mut aufbringt, auszusteigen und Abstand zu nehmen von dem stets ungeprüft als so wichtig Aufgeredeten. Und in der Nähe Gottes Kraft zu tanken. So können alle, die ihren Glauben ernst nehmen, Botschafter des einen Notwendigen werden. Man muss dafür nicht ein Mitglied der Päpstlichen Diplomatenakademie sein, um diese Aufgabe in der Gegenwart zu erfüllen. Man muss nur das sein, wozu Christus Antonius und jeden Christen beruft: ein Aussteiger aus der Diktatur des Alltags und ein Einsteiger in die Welt Gottes.

Wie ein „Gruß aus der Küche“, der sich als Appetithäppchen wie eine kleine Preview auf das spätere Menü in vielen Restaurants eingebürgert hat, grüßt der hl. Antonius aus der ägyptischen Wüste und will auf den Geschmack bringen, in eine innere Distanz von der Welt zu gehen, um sich ihr in der darin gewonnenen Freiheit umso wirkungsvoller zuwenden zu können.

Das ist gar nicht so abwegig. Unter anderem steigen Christen mindestens am Sonntag deswegen für eine kurze Zeit aus und tanken in der Eucharistie jenseits des Räderwerks des Alltags Gottes Nähe und Kraft für die täglichen Lasten. Sie werden auf diese Weise tragbar gemacht. So tragbar wie der schwere Obelisk für den kleinen Elefanten an der römischen Piazza della Minerva.

 

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