Weihnachtsverschwörung
Weihnachten ist das Fest der Familie, so heißt es. Es ist auch das Fest des Friedens und der Kinder. Darüber hinaus ist Weihnachten das Fest der Behaglichkeit und des guten Essens, des Zuhauseseins und der Verwandtschaftsbesuche, und: Weihnachten ist nicht zuletzt das Fest der Liebe. Man einigt sich auf diese eher inhaltsleeren Charakteristika im multikulturellen Zusammensein, um das christlichste aller Feste zwischen Chanukka- und Zuckerfest zu positionieren.
Nun wage ich eine noch andere Variante, denn Weihnachten ist auch das Fest der Verschwörungstheoretiker. Eine steile These, fürwahr. Aber nachdem wir spätestens seit der Coronakrise mit diesem Begriff aufs Neue vertraut gemacht wurden, hat er sich in den täglichen Sprachgebrauch eingebürgert und löst seitdem in Diskussionen entweder Jubel oder Schnappatmung aus. Dazwischen gibt es nicht sehr viel.
Verschwörungstheoretiker verfolgen eine Sicht der Dinge, die sich nicht allein an dem orientiert, was die sogenannten Fakten sagen. Sie entdecken hinter den Dingen einen allgemein nicht zugänglichen Plan, eben eine Verschwörung, die Ursache für vieles ist, was wir uns nicht erklären können. Komplotte der Medien und des Staates gegen die Bevölkerung, geheime Machtstrukturen, wirtschaftliche und politische Interessen, die hinter dem liegen, was man offiziell aus Wirtschaft und Politik erfährt.
„Schwurbler“ oder Skeptiker, der mit seinen Bedenken Recht hatte?
Verschwörungstheoretiker sind Skeptiker, die sich mit den Außendarstellungen der Informationsgesellschaft nicht zufriedengeben. Die Geschichte des Begriffs „Verschwörungstheorie“ ist lang. Hoffähig wurde sie in den 1960er Jahren in den USA innerhalb der Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Antikommunisten. Heute hat sich dieser Prozess – zumindest in der westlichen Welt – so weit vollzogen, dass Verschwörungstheorien vollständig als illegitimes Wissen gelten, also von Medien, Politik, Experten und Bevölkerung nicht als Wissensform anerkannt und meist als fiktiv angesehen werden.
Dabei wird verschiedenes unterstellt: Erstens, dass die Theorien auf unbewiesenen, falschen oder gar erfundenen Vermutungen und Überzeugungen beruhen. Zweitens, dass Verschwörungstheoretiker vermutlich nicht ganz richtig im Kopf sind. Und drittens, dass Verschwörungsgläubige sozial abzulehnen sind, weshalb man ihnen den „Schwurbler“ anheften darf.
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Ins Schlingern kommt die Diffamierung der Theorie immer dann, wenn am Ende hier und da eine Wahrheit ans Licht kommt, die die „gecheckten“ Fakten widerlegt und den Verschwörungsgläubigen im Nachhinein als einen Skeptiker erweist, der mit seinen Bedenken Recht hatte. Und zwar, weil er es sich nicht hatte nehmen lassen, nicht nur eine Sichtweise zu entwickeln, und vor allem, weil er das, was er glaubte wahrzunehmen, sich nicht von den anderen als „Verschwörungsgläubigkeit“ hatte schlechtreden lassen.
Eine naive Anhänglichkeit an die Wahrheit hinter den Dingen
Ungeachtet der Frage, ob der Begriff der Verschwörungsgläubigkeit gut gewählt ist, ob er den Nagel auf den Kopf trifft oder eher eine Auseinandersetzung von vornherein abwürgen will, wage ich es dennoch, ihn einmal just in den Weihnachtstagen auszugraben, weil wir in ihm doch ganz offensichtlich mit etwas konfrontiert werden, was man als eine – im positiven Sinne – naive Anhänglichkeit an eine Wahrheit bezeichnen könnte, die hinter den Dingen liegt.
Denn wir hören in den Weihnachtsevangelien von Menschen, die einer Botschaft mehr glauben als dem, was sie selbst sehen können. Man sagt ihnen: „Gott ist geboren!“, und sie glauben es, obwohl es sicher genügend Menschen gab, die ihnen einen Vogel gezeigt haben. Sie gehen nach Bethlehem und sehen ein neugeborenes Baby, das der Retter der Welt sein soll.
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Sie sehen nichts von Macht und Herrlichkeit, sondern nur Armseligkeit und Hilflosigkeit und behaupten dennoch steif und fest, dass hinter dem, was man dort im Stall sieht, der große Plan liegt, dass dort der große Gott am Werk ist und es sich eben nicht um das schlichte Schicksal einer Familie handelt, die kein Obdach gefunden hat.
Natürlich vermuten sie hinter dem, was sie sehen, keine böse Verschwörung. Hier hinkt der Vergleich zugegebenermaßen, denn das, was man zu erkennen glaubt, ist nicht böse und destruktiv, sondern richtet sich – ganz im Gegenteil – gegen das Böse und Gemeine und Todbringende. Die Verschwörung, die vermutet wird, paktiert gerade nicht mit unheilvollen Mächten, sondern mobilisiert alle Menschen guten Willens gegen die Bosheiten dieser Welt.
Es ist ein guter Plan, einer, der die Menschheit weiterbringt, statt sie zu vernichten. Es ist ein Rettungsweg statt einer Methode zur Versklavung und dahinter ein Planer, der nicht im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Menschen plant. Die Entschlüsselung dieser der allgemeinen Öffentlichkeit noch verborgenen Wahrheit erreicht die Menschen, von denen hier gesprochen wird, weil sie im guten Sinne naiv sind und das glauben, was ihnen geoffenbart wird und zudem schlüssig erscheint.
Sie sind frei von allen intellektuellen Filtern, die sich so gerne zwischen Wahrnehmung und Wahrheit schieben und der Einrede der Vernunft glauben, die die Wahrheit ausredet, noch bevor es zu einer Erkenntnis kommen kann. Dabei sind die Menschen, von denen wir in den vergangenen Tagen in den Kirchen und bei Konzerten hörten, keineswegs nur schlichte Gemüter.
Hellwache Geister: Ob analphabetische Hirten oder gelehrte Könige
Es sind allesamt hellwache Geister, wenngleich sie auch aus ganz unterschiedlichen Regionen, Kulturen und Bildungsschichten stammen. Der Spannungsbogen derer, die zum Stall nach Bethlehem ziehen, reicht von den Schafe hütenden Analphabeten bis zu den Weisen aus dem Morgenland. Die einen hören und sehen den Engel und trauen, dem, was sie hören und sehen. Sie erliegen nicht dem üblichen „Kannnichtsein“, mit dem Agnostiker gerne ihre Wahrnehmungsfähigkeiten gegen das Offensichtliche imprägnieren.
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Und die gelehrten Könige aus dem Orient haben sich in ihren Forschungen ebenfalls noch nicht von einer aufgeklärten Wissenschaft den Blick auf das Ganze trüben lassen. Sie sind noch nicht der Spezialisierung erlegen, die ihnen mit wissenschaftlichem Tunnelblick den Stern entweder niemals zu Gesicht gebracht hätte oder ihn flugs einem wissenschaftlichen System einverleibt hätte, das sie mit Sicherheit daran gehindert hätte, die Entscheidung zum Aufbruch aus den alten Gleisen zu wagen und dem Stern zu folgen.
Die Sterndeuter werden nicht zufällig als Weise und nicht als Wissenschaftler bezeichnet, denn sie sind in der Lage, ihren Blick aufzurichten und auch die Daten der Offenbarung mit einzubeziehen, die aus anderen Regionen des Geistes stammen als aus den mathematischen. Als König Herodes sie fragt, was sie dazu führt, einem Stern zu folgen und wo der neugeborene König zu finden sei, antwortet man nicht mit wissenschaftlichen Hypothesen, sondern mit den Daten der Offenbarung:
„... denn so steht es geschrieben bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel“ (Mt 2,5f).
Den Blick bewahren auf das, was dahinterliegt
Diese unterschiedlichsten Menschen sind es, die Weihnachten ausmachen. Denn die Botschaft von der Menschwerdung Gottes wird denen zuteil, die sich den Blick auf das bewahrt haben, was dahinterliegt. So werden sie alle zu Verkündern des Weihnachtswunders, die Hirten und die Könige, die Schlichten und die Gebildeten. Weil sie alle die Weisheit des Herzens besitzen, zu erkennen, was dort geschehen ist.
Sie sind wahrheitsfähig, weil sie nicht vor den sogenannten Fakten in die Knie gehen, sondern das zu sehen in der Lage sind, was dahinter liegt und – zu glauben. Ja, der Glaube ist der Schlüssel zu Weihnachten. Der Glaube, dass es einen guten Plan gibt und dass Gott selbst ihn als Mensch in diese Welt getragen hat.
Ich bin sehr sicher, dass man sehr schnell versucht hat, den Hirten nach ihrer Heimkehr diese Sichtweise zu nehmen und sie ihnen als irrational, als naiv, vielleicht sogar als gefährlich auszureden.
Denn der Faktencheck, wie man heute sagen würde, hält schließlich nicht stand. Er produziert die Tatsache, dass zwischen Ochs und Esel und ihren Exkrementen kein Gott, sondern ein sterblicher Mensch liegt. Ebenso werden sich viele nach der Rückkehr der Weisen in ihr Heimatland entsetzt von den Schwurblern distanziert haben, die es wagten, nicht nach den Spielregeln einer autonomen Wissenschaft zu spielen.
„Es gibt zu viele Verschwörungsleugner“
Ich bin froh, dass es in Bethlehem und Umgebung damals genügend Menschen mit der Bereitschaft gab, zu glauben, was sie ihr Herz erkennen ließ. Dass Gott nicht nach unseren Plänen handelt, sondern nach Seinen. Und dass Er sich allen zeigt, die es nicht verlernt haben zu glauben, dass Gott sich gegen alles Böse verschworen hat und deswegen selbst gekommen ist, es zu besiegen – zusammen mit allen, die guten Willens sind, auch wenn es nicht immer die meisten sind.
So wie der prominente Trompeter, Jazzmusiker und Komponist Markus Stockhausen es einmal gesagt hat: „Wir haben zu viele Verschwörungsleugner, die sich weigern, Hintergründe zu erforschen.“ Auch wenn er es in einem anderen Zusammenhang gesagt hat und deswegen selbst in die Kategorie der „Schwurbler“ einsortiert wurde, im Hinblick auf die Weihnachtsverschwörung des Lieben Gottes gegen die Bosheiten dieser Welt hat er Recht.
Denn die Wahrheit von Weihnachten braucht Menschen, die durchschauen, was dort im Stall geschehen ist.
Kommentare
Ich denke, ich sollte zwei Dinge nicht so stehen lassen:
Dennoch ist die Abwertung des christlichen Weihnachtsfestes, nicht zur zum Konsumgötzendienst, sondern aus falscher Rückdichtnahme auf hier lebende Muslime, absolut inakzeptabel.
Insbesondere, da die (römisch-katholische Kirche irrt, wenn sie sagt, Allah sei der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und so der Vater Jesu! Der Koran ist da eindeutig: Allah hat keinen Sohn.
@Georg Herberg Danke sehr für die konstruktive Kritik. Wir haben die Passage mit den Sterndeutern als Nicht-Wissenschaftler geändert.
Ein frohes neues Jahr!
LS