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Kolumne „Küchenlatein“

Mapo Tofu

Gutes Essen zubereiten muss nicht immer zeitraubend sein. Und wie oft kommt es nicht vor, dass man nach einem frustrierenden Arbeitstag dringend eine gute Portion dessen zu sich nehmen muss, was man gemeinhin „Comfort Food“ nennt? Mein „Comfort Food“ ist, ich gestehe es, Mapo Tofu, ein ebenso vielseitiges wie einfaches Gericht aus Sichuan, das nie fehlgehen kann und auf dankbare Weise unseren Bedarf nach „umami“ bedient; also jener „Herzhaftigkeit“, die zusätzlich zu süß, sauer, salzig und bitter zu unseren grundlegenden geschmacklichen Kategorien gehört.

„Was?“, wird der Leser sich fragen: Da liest man gerade einmal das zweite Rezept von „Küchenlatein“, und schon verlässt Engels den Reichtum der europäischen Küche, um uns nach Ostasien zu entführen? In der Tat: So sehr ich auch nicht nur kulinarisch in alles verliebt bin, das unserer abendländischen Tradition entstammt, so neugierig bin ich doch auf die Erzeugnisse der anderen Zivilisationen. Wir Europäer haben zwar, denke ich, die Pflicht, den von unseren Vorfahren bereiteten Weg weiterzugehen, wollen wir uns ohne Irr- und Umweg jenem Ziel annähern, das unserer Zivilisation seit Jahrhunderten Sinn gegeben hat. Trotzdem bedeutet dies keineswegs, nicht gelegentlich den Horizont nach anderen Spuren abzusuchen und das Eigene in einen größeren Kontext zu stellen. Dies gilt auch für die Küche – vor allem, wenn es einfach gut schmeckt.

Mapo Tofu – der Name bedeutet wörtlich „Tofu nach Art einer pockennarbigen Alten“, der die Erfindung des Gerichts traditionell zugeschrieben wurde – besteht im Wesentlichen aus Tofu und Hackfleisch in einer herzhaften, mit viel Chili, Sichuan-Pfeffer und schwarzen Bohnen angereicherten Soße und ist eines jener typischen Rezepte, bei denen am Ende des Mahls der Boden der Pfanne (oder des Woks) ebenso blankgewischt ist wie derjenige der Teller. Ich selbst erweitere das Rezept immer gerne um Auberginen, die den Geschmack wunderbar unterstreichen und abrunden.

Wie so oft besteht der erste Arbeitsgang darin, jene Grundlage anzurichten, die dem Rest des Gerichts seinen fundamentalen Geschmack liefern wird. Wir zerhacken daher Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer, braten sie scharf an (am besten mit Sesamöl) und fügen auch die Hälfte der Frühlingszwiebeln, der Chilis und des Sichuan-Pfeffers bei. Hier scheiden sich in Europa notwendigerweise die Geister: Wer es gerne etwas scharf mag, tue sich keinen Zwang an und füge pro Person beherzt eine Chili und einen Suppenlöffel Sichuan-Pfeffer bei; ansonsten sollte man diese Zutaten entsprechend verringern. Wenn Öl und Gewürzmischung zufriedenstellend brutzeln, lege man das Hackfleisch (üblicherweise vom Rind) in die Pfanne beziehungsweise den Wok, brate scharf an und würze mit etwas Sojasauce als Salzersatz.

Die Zutaten für Mapo Tofu: Der Name bedeutet wörtlich „Tofu nach Art einer pockennarbigen Alten“, und das Gericht besteht in der Hauptsache aus Tofu und Hackfleisch. Die Auberginen sind meine eigene Rezept-Ergänzung

Schon der jetzt aufsteigende Geruch transportiert uns weit weg nach Osten, in jenes rundum von Bergen eingeschlossene, unglaublich fruchtbare und vielfältige Sichuan, das sich trotz früher Kolonisation durch die Qin immer eine starke Eigenidentität bewahrt hat und weltweit für seine scharfen Speisen berühmt ist. Ohnehin zählte Essen immer schon zu jenen Feldern, in denen der Kulturaustausch selbst verfeindeten Zivilisationen besonders leichtfiel: So sehr man sich mit guten Gründen weigern mochte, etwa Sprache, Kleidung oder gar Religion eines anderen zu übernehmen, so leicht war es doch immer, von der Qualität eines guten Rezepts überzeugt zu werden und dessen Grundbestandteile kreativ in die eigene Küche zu übernehmen, falls die lokale Fauna und Flora (und natürlich eventuelle Reinheitsgesetze) es erlaubten.

Ich persönlich bin schon seit vielen Jahren nicht nur der chinesischen Küche, sondern eigentlich sogar der chinesischen Kultur verfallen; und wenn mir auch im Laufe dieser Annäherung immer deutlicher bewusst wurde, dass der Graben zwischen zwei Zivilisationen nur dadurch überbrückt werden kann, dass man dem Kennenlernen des jeweils „Anderen“ ein ganzes Leben widmet, will man nicht hoffnungsloser Dilettant bleiben, so ist doch selbst schon dieser Dilettantismus eine überaus befriedigende und dankbare Angelegenheit, die das eigene Weltbild ungemein bereichert – gerade, wenn man die Früchte seiner Anstrengung dann auch noch verzehren und mit anderen teilen kann.

Das klassische China ist mir mehr als andere Zivilisationen ans Herz gewachsen

Doch zurück zur Küche: Wenn unsere Fleischmischung außen schon etwas knusprig geworden ist, wird es Zeit für die Auberginen, die man im Voraus gewürfelt oder in eine ähnlich ansprechende Form gebracht hat. Diese untermischt man nun dem Fleisch, brät sie unter großzügiger Beigabe weiteren Öls an und fügt den Rest der Chilis und des Sichuan-Pfeffers hinzu; außerdem sollte man jetzt auch die schwarzen Bohnen beigeben, die man vorher entsprechend eingeweicht hat. (Authentisch wären freilich fermentierte schwarze Bohnen, die als Paste in vielen asiatischen Supermärkten zu finden ist; wer das Essen aber wie ich gerne mit einem Minimum an Fertignahrung und nur mit frischen Zutaten anrichtet, wird sich durchaus mit einfachen schwarzen Bohnen zufriedengeben.)

Schließlich gießt man nun die Zubereitung mit ein wenig Wasser oder Brühe auf, wobei es natürlich gilt, das Ganze nicht zu ertränken: Es sollte lediglich ausreichend Flüssigkeit zugefügt werden, damit die Auberginen bei mittlerer Hitze allmählich weich werden und sich aufzulösen beginnen. Während dieses Arbeitsschritts sollte dann auch der Geschmack kontrolliert werden und die Zubereitung mit Sojasauce und Sesam nachgewürzt werden; auch verleiht es dem Rezept einen besonderen Reiz, ein wenig Honig beizufügen, um die Bitterkeit der Auberginen auszubalancieren. Und damit ist die wesentliche Arbeit eigentlich schon geleistet, und man kann dem Essen in Ruhe beim Fertigwerden zusehen, den Tisch decken – und die Essstäbchen heraussuchen (oder für die ganz Hungrigen gleich die Porzellanlöffel).

Historisches Dorf Xinye mit erhaltener Architektur aus der Ming- und Qing-Ära: Die Sehnsucht des alten Chinas nach Harmonie, Gemütlichkeit und Ruhe, sein feines Gespür für die Ästhetik von Gärten und Landschaften haben es mir so angetan

Viele Jahre ist es nun schon her, dass ich mich in meiner Freizeit intensiv mit dem klassischen China beschäftige (kein Wunder, denn manche Leser wissen vielleicht, dass ich seit langer Zeit an einer vergleichenden Geschichte der großen Hochkulturen schreibe), und paradoxerweise ist es gerade jene Zivilisation, die mir instinktiv mehr als die meisten anderen ans Herz gewachsen ist, auch wenn jenes echte, alte China schon seit langem untergegangen ist und wenig mit dem gemein hat, das wir heute kennenlernen.

Die Gründe hierfür sind mir selbst bis heute letztlich rätselhaft; aber es liegt etwas in der tiefen Sehnsucht jenes alten Chinas nach Harmonie, Gemütlichkeit und Ruhe, in seinem feinen Gespür für die Ästhetik von Gärten und Landschaften, in seiner knorrigen Liebe für skurrile, bodenständige Anekdoten, in seiner zerrissenen Ambivalenz zwischen hochentwickelter Verwaltungstradition und Sehnsucht nach dem Eremitendasein im Bambushain und natürlich in seinem liebenswürdigen Glauben an die Beseeltheit noch der kleinsten Weltendinge, das ich als überaus tröstlich und warmherzig empfinde und dem ich mich bei meinen Experimenten mit der „Stimmung“ einzelner Hochkulturen gerne versuchsweise überlasse – wozu natürlich auch das Kochen gehört.

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Letzteres tritt jetzt in sein Endstadium: Sobald die Auberginen jegliche Härte verloren haben und auch die schwarzen Bohnen sich allmählich auflösen, ist es Zeit für den in kleine Würfel geschnittenen Tofu, den ich selbst immer kurz vor Ende hinzugebe, damit er sich zwar mit dem Geschmack der restlichen Zutaten verbindet, aber seine Form behält.

Tofu lässt sich mittlerweile auch in Europa in dutzenden Varianten und Geschmacksrichtungen kaufen; für vorliegendes Rezept bevorzuge man einen möglichst harten, geschmacklich neutralen und natürlich sehr glatten Seidentofu, der auch optisch am besten heraussticht.

Dem Tofu Zeit geben, sich mit dem Geschmack der Zubereitung vollzusaugen

Meine Familie mag Tofu leider nur sehr bedingt, weshalb ich dem Rezept eher wenig davon beifüge; wie der Name es allerdings sagt, handelt es sich hierbei aber – eigentlich – um die Hauptzutat.

Je nach persönlicher Vorliebe kann man daher mit dem Tofu sehr großzügig umgehen, sollte dann aber die entsprechende Zeit vorsehen, damit er sich mit dem Geschmack der restlichen Zubereitung vollsaugt, ohne zu zerfallen. Ist dies erreicht und hat das Gericht die gewünschte Konsistenz (ansonsten mit etwas Reismehl sehr vorsichtig eindicken), serviere man den Mapo Tofu mit etwas Klebereis und bestreue ihn zur Dekoration mit den kleingeschnittenen restlichen Frühlingszwiebeln und, je nach Geschmack, mit zusätzlichem Chili.

In der Pfanne: Sobald die schwarzen Bohnen sich allmählich auflösen, ist es Zeit für den gewürfelten Tofu, einen möglichst harten, ganz glatten Seidentofu, der lieblich aussieht

Natürlich wäre es zutiefst unchinesisch, es bei Mapo Tofu und Reis zu belassen, will man nicht nur seine eigene Stimmung aufhellen, sondern auch Gäste bewirten: Echt chinesisch wird das Essen erst dann, wenn der Tisch sich unter der Fülle verschiedenster Speisen biegt. Kalter Gurkensalat in Soja- und Knoblauchsoße; Streifen gedünsteten Hühnerfilets in einer Soße aus Chili-Öl, Ingwer und Sesam; gebratene Rindfleischstückchen mit gedünstetem Brokkoli, Mandeln und Hoisin-Sauce – den geschmacklichen Kombinationen sind hier keine Grenzen gesetzt.

Die Frage nach dem besten Getränk, um ein chinesisches Essen zu begleiten, ist für uns Abendländer allerdings immer etwas schwierig zu beantworten. Eigentlich trennt man bei einem klassischen chinesischen Mahl das Essen und das Trinken zeitlich voneinander, wie es übrigens auch in Europa bis vor gar nicht langer Zeit durchaus üblich war; bestenfalls trinkt man beim chinesischen Essen ein wenig dünnen Tee.

Aber freilich ist es mittlerweile auch in China Sitte geworden, beim Mahl Wein oder Bier zu trinken; und wenn auch der chinesische Wein es noch nicht in die europäischen Supermärkte geschafft hat und auch in China selbst entweder zu schlecht oder zu teuer ist, liegt bei Bier natürlich der Gedanke an Tsingtao nahe, eine der besseren Hinterlassenschaften der kurzen deutschen Kolonialzeit.

Brummschädel durch berüchtigten Kao Liang Chiew-Schnaps

Wer es typischer mag, wird freilich einem chinesischen Schnaps den Vorzug geben und sich hierbei im Laden beim ersten Einkauf einer verwirrenden Vielfalt an Alkoholika gegenübersehen, deren Stärke manchmal auch den geübten Europäer in die Knie zwingen kann und auch sonst, je nach Qualität des Erzeugnisses, für einen Brummschädel am „Morgen danach“ sorgt (berüchtigt ist hier die Wirkung von Kao Liang Chiew, von dem ich aus reinem Masochismus trotzdem immer eine Reserve besitze).

Am vornehmsten wäre es, sich eine gute Flasche Maotai zuzulegen, einem aus Hirse und Sorghum gewonnenen Schnaps, der trotz 53 % immer noch gut trinkbar bleibt und in China einen geradezu legendarischen Status besitzt, da er traditionell nur in einem kleinen gleichnamigen Dorf in der Provinz Guizhou gebrannt werden darf – und entsprechend hohe Preise erzielen kann.

Guten Appetit!

 

Zutaten (für 6 Personen):

  • 4 mittelgroße Auberginen
  • 600 gr Rinderhackfleisch
  • 2 Zwiebeln
  • 5 Knoblauchzehen
  • Frischer Ingwer
  • 1 Bund Frühlingszwiebeln
  • Chilischoten (frisch und/oder getrocknet)
  • Sichuan-Pfeffer
  • 1 Block Seidentofu
  • 1 Handvoll schwarzer Bohnen (vorher einweichen lassen)
  • Sesamöl
  • Sesam
  • Sojasauce

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Kommentare

Kommentar
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Klaus
Vor 1 Jahr

Hallo, eine schöne Kolumne. Und Küchenlatein trifft es auch noch. Jemand, der selber noch kochen (kann), der ist definitiv ein Kulturbewahrer. Prima. Nun mal zum Mapo Tofu. Mit soviel Fleischeinlage gibt's den in keinem Restaurant. Dann heißt der auch gleich mal anders. Am Besten wirklich vor Ort. Und Mapo Tofu kann auch jeder Ausländer sagen, genau so, dass es in China eigentlich in jedem Restaurant verstanden wird. Am besten in Sichuan Style. Richtig gut scharf mit Mala.
Mala ist der besondere Sichuan-Pfeffer. Also was Sie hier angerichtet haben, das mag optisch entfernt an Mapo Tofu erinnern, geschmacklich zu viel Fleisch, und Mala getrocknet wird es nie bringen.
Das soll alles keine Kritik sein, jeder kocht, wie es ihm bekommt.
Guten Appetit!

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Klaus
Vor 1 Jahr

Hallo, eine schöne Kolumne. Und Küchenlatein trifft es auch noch. Jemand, der selber noch kochen (kann), der ist definitiv ein Kulturbewahrer. Prima. Nun mal zum Mapo Tofu. Mit soviel Fleischeinlage gibt's den in keinem Restaurant. Dann heißt der auch gleich mal anders. Am Besten wirklich vor Ort. Und Mapo Tofu kann auch jeder Ausländer sagen, genau so, dass es in China eigentlich in jedem Restaurant verstanden wird. Am besten in Sichuan Style. Richtig gut scharf mit Mala.
Mala ist der besondere Sichuan-Pfeffer. Also was Sie hier angerichtet haben, das mag optisch entfernt an Mapo Tofu erinnern, geschmacklich zu viel Fleisch, und Mala getrocknet wird es nie bringen.
Das soll alles keine Kritik sein, jeder kocht, wie es ihm bekommt.
Guten Appetit!