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Antizionismus bei Klimaschützern

Fridays for Palestine

Die am 20. Oktober veröffentlichten Bilder der bekanntesten Klimaaktivistin der Welt läuteten für „Fridays for Future“ (FFF) eine Zeitenwende ein. Das Foto, welches FFF-Initiatorin Greta Thunberg und Mit-Aktivistinnen zeigt, auf dem sie Schilder mit den Parolen „Free Palestine“ und „Stand with Gaza“ in die Kamera halten, trieb einen Keil in die Klimabewegung.

Die kleine Plüsch-Krake am Rand des Bildes wurde mittlerweile von der Aufnahme entfernt, ist sie doch historisch gesehen ein antisemitisches Symbol. Das Motiv wurde oft benutzt, um eine angebliche „jüdische Weltverschwörung“ darzustellen, die die Welt fest im Griff halte.

Doch das war nur der Anfang: Auf seinem Instagram-Account positioniert sich FFF-International unter anderem in einer Stellungnahme klar propalästinensisch und antizionistisch. In typisch postkolonialer Rhetorik bezeichnen FFF-MAPA, eine Untergruppierung von FFF, Israel als „Kolonisator“ der Palästinenser und als „Apartheidstaat“. „Der offene Versuch der israelischen Siedlerkolonie, einen Völkermord am palästinensischen Volk zu begehen, ist schlimmer denn je“, heißt es in dem Statement. Das US-Militär, welches Israel unterstützt, wird „imperialistisch“ genannt.

Seit 2021 mehrere Fälle israelfeindlicher Beiträge

Eine der FFF-MAPA-Forderungen lautet: „Alle israelischen Politiker, ihr Militär und die Anführer, welche zu Israel stehen, die Israel unterstützen, sollten wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden.“ MAPA ist die Abkürzung für „most affected people and areas“ und steht synonym für „globaler Süden“. MAPA seien laut der Erklärung der FFF-Untergruppierung Gebiete, die kolonisiert und daher marginalisiert wurden.

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In einem anderen Post vom vergangenen Donnerstag sprach FFF von einer „Gehirnwäsche“ durch westliche Medien, die nicht die ganze Geschichte des Staates Israel erzählen würden. Der Beitrag wurde mittlerweile gelöscht. Mit keinem Wort werden die 239 von der Hamas verschleppten Geiseln oder die 1.400 israelischen Todesopfer erwähnt.

Als Folge davon distanzierten sich mehrere FFF-Unterorganisationen von den Aussagen der internationalen Organisation. Darunter FFF-Deutschland und -Österreich. „Der internationale Account spricht nicht für uns“, ließ FFF-Deutschland über die sozialen Medien verkünden, und die Posts seien auch nicht mit ihnen abgestimmt.

Schon vergangenen August zeigte eine Recherche der Jüdischen Allgemeinen auf, dass israelfeindliche Beiträge von FFF-International nichts Neues sind. Ein Beispiel von Mai 2021: In Twitter- und Instagram-Posts wurden palästinensische Terroristen als „Märtyrer“ verklärt und die gegen Israel gerichtete Boykott-Kampagne BDS (boycott, divestment and sanction) beworben. Israel wird „Siedlerkolonialismus“ und „Imperialismus“ vorgeworfen. Der Bundestag stuft BDS als antisemitisch ein.

Die Wochenzeitung hatte interne Chat-Protokolle der Gruppe ausgewertet, die zeigen, dass dort einige Stimmen gezielt Hass gegen den jüdischen Staat schüren. Es sind wenige, dafür aber sehr vehemente Mitglieder, auf deren Initiative und Druck antizionistische Beiträge auf den FFF-International-Kanälen gepostet werden.

Unterscheiden zwischen Antisemitismus und Antizionismus

Wie ordnen Politikwissenschaftler die antizionistische, propalästinensische Haltung von Fridays for Future-International ein? „Ganz klar ist für mich, dass FFF eine heterogene Bewegung ist, ohne zentralen Kopf oder Führung, die nicht für alle ihre Mitglieder spricht – schon gar nicht in Anliegen außerhalb von Klimafragen. FFF-Deutschland ist dementsprechend auch keine ‘Tochter’ von FFF-International, sondern ein gleichberechtigter Chapter, wie es sie auch in vielen anderen Ländern gibt“, sagte Jannis Grimm gegenüber Corrigenda.

Grimm ist Protestforscher an der FU Berlin und arbeitet am Berliner Zentrum für interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung. Der Antisemitismusvorwurf sei seiner Meinung nach nicht haltbar, ebenso wenig die Nahelegung einer israelkritischen Haltung durch FFF-Deutschland. „Dass es in Massenbewegungen immer unterschiedliche Haltungen zu weltpolitischen Konflikten gibt, ist klar, ebenso, dass diese Haltungen – je nach eigener normativer Verortung – unterschiedlich aufgefasst werden und Bewegungen in Erklärungsnöte bringen können“, ergänzte er.

Auch der Politikwissenschaftler Sebastian Jungkunz von der Universität Bonn legt eine Unterscheidung von Antisemitismus und Antizionismus nahe. „Der Mediendiskurs sollte etwas vorsichtiger mit der Verwendung von Begriffen agieren. So gibt es einerseits den Antisemitismus, der durch eine feindliche Haltung gegenüber Juden als Personen gekennzeichnet ist, und andererseits den Antizionismus, welcher sich negativ oder feindlich gegenüber dem Staat Israel äußert und diesem beispielsweise das Existenzrecht abspricht“, sagte Jungkunz gegenüber Corrigenda. Der Politikwissenschaftler hat eine Dissertation über politischen Extremismus in Deutschland verfasst.

FFF-Deutschland-Sprecherin spricht von „Genozid“ an Palästinensern

Nicht alles, was aktuell unter dem Begriff „Antisemitismus“ deklariert werde, entspreche auch wirklich diesem. „Im Falle von Teilen der FFF-Bewegung entspricht dies eher einem Antizionismus, also einer Ablehnung des Staates und der Politik Israels“, so Jungkunz.

FFF versteht sich als globale Graswurzelbewegung. Für Deutschland existiert keine bundesweite Koordinierung, aber, laut FFF-Deutschland-Homepage, über 360 Ortsgruppen. Es gibt keine formale Mitgliedschaft. Deshalb gibt es auch keinen von der Basis legitimierten Vorstand oder offizielle Sprecher. Trotzdem gibt es einzelne FFF-Aktivisten, die sich als mediale Sprachrohre hervortun.

Eine davon ist Elisa Bas. Die Muslimin ist eine der Vorsitzenden des Vereins „Donate for Future e.V.“, welcher nach eigenen Angaben Non-profit-Bewegungen wie Fridays for Future mit finanziellen Mitteln fördert. Bas’ Kritik an einem Bild-Kommentar von Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sorgte für mediale Aufregung. „In Deutschland herrscht eine Pogrom-Stimmung gegen Palästinenser:innen, und Schuster heizt sie an“, kommentierte sie.

In einem Erklär-Video auf ihrer Instagramseite verteidigt sich Bas gegen die Empörung. Dabei wird ersichtlich, dass sie demselben antizionistischen und postkolonialistischen Narrativ anhängt wie FFF-International. Bas spricht von „Genozid“ an den Palästinensern durch den Staat Israel.

Antizionismus tief in linken Weltanschauungen verwurzelt

Auch teilte sie in ihrer Story ein Video der „Initiative Sozialismus von Unten“ (SvU). Diese „strebt den Aufbau einer Organisation an, die in Klima-, Antifa- und antiimperialistischer Bewegung aktiv ist“. Das von Bas geteilte Video ist ein Ausschnitt aus einer Rede von einer propalästinensischen Demonstration, die vergangene Woche in Berlin stattfand. Der Redner sagt unter anderem, dass das „palästinensische Anliegen das Anliegen eines jeden Revolutionärs“ sei.

Antizionismus, Antisemitismus und Parteinahme für die Palästinenser von links sind nicht neu. Bereits die DDR-Regierung unterstützte Jassir Arafats Fatah-Bewegung, unter anderen mit Waffenlieferungen. Die DDR war es auch, die als erster europäischer Staat die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) anerkannte, wie der Historiker und DDR-Experte Hubertus Knabe in einem Artikel darlegte.

Herzliche Umarmung zwischen DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker (l.) und Jassir Arafat, Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), am 9. März 1982

Auch mit der linken „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) arbeitete der Ostblockstaat zusammen. Deren Anführer Wadi Haddad war ein KGB-Agent, mit dessen Unterstützung den RAF-Terroristen die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs „Landshut“ im Oktober 1977 gelang.

SED verglich Israel mit Hitler

Laut Knabe scheute die SED-Führung nicht einmal davor zurück, Israel mit Hitler-Deutschland auf eine Stufe zu stellen. Das geht aus Medienberichten hervor: Der staatliche Radiosender „Stimme der DDR“ sprach von der „Nazi-Luftwaffe Israels“, das SED-Parteiorgan Neues Deutschland titelte: „Israel betreibt die Endlösung der Palästina-Frage“. Politbüro-Mitglied Albert Norden, selbst Sohn eines Rabbiners, erklärte, dass „der Mord an Arabern durch Israel ebenso verdammenswert“ sei wie der Mord an den Juden durch Hitler.

In der Bundesrepublik gehörte eine antizionistische Einstellung in der linken Szene zum guten Ton, nachdem Israel als Sieger aus dem Sechstagekrieg 1967 hervorging. Das schreibt der Politikwissenschaftler Daniel Kilpert in seinem Artikel „Antisemitismus von links“ auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung.

Laut dem von ihm zitierten Soziologen Thomas Haury ist das „antiimperialistische Weltbild“ der radikalen Linken der Grund für ihren Antisemitismus. Laut diesem Narrativ ist die moderne Gesellschaft von einem Machtblock aus Staat und Kapital gesteuert, der international agiert und die beherrschte Bevölkerung unterdrückt. Die „guten“, unterdrückten Völker forderten nun ihre Selbstbestimmung gegen die „imperialistische Ausbeutung“. Dieses Muster auf Israel angewandt, bedeute, dass der jüdische Staat und seine Unterstützer, allen voran die USA, die „bösen“ Imperialisten seien, die die Palästinenser als die „Ausgebeuteten“ unterdrückten.

Die Rolle Israels im intersektionalen Denken

In marxistischen Publikationen finden sich immer wieder antizionistische und auf Israel bezogene antiimperialistische Versatzstücke. Die Marxistischen Blätter sehen zum Beispiel eine „einflussreiche zionistische Israel-Lobby in den USA“ am Werk, schreibt Kilpert in seinem Artikel.

Hier dürfte auch der Grund dafür liegen, dass linke Gruppierungen wie SvU, „Migrantifa“ oder „Alliance of Internationalist Feminists“ zu propalästinensischen Demonstrationen aufrufen. Zu linken Denkströmungen zählt auch das Konzept der Intersektionalität.

Es erklärt möglicherweise, warum sich ausgerechnet LGBTQI-Personen, die im von der Hamas kontrollierten Gazastreifen diskriminiert und verfolgt werden, an solchen Aufmärschen beteiligen. Intersektionalität geht davon aus, dass sich Diskriminierung gegenüber Personen oder identitätspolitischen Gruppen oft überschneidet.

Ein beliebter Slogan der intersektionellen Praxis lautet: „Niemand von uns kann frei sein, solange nicht alle frei sind“. „Frei“ bedeutet in diesem Sinne auch Freiheit von allen westlichen, „imperialistischen“ Systemen, egal ob sie „Patriarchat“ oder „Staat Israel“ heißen.

LGBTQI-Anhänger beteiligen sich an einer propalästinensischen Demonstration in London. Wenn sie im Gazastreifen leben würden, wären sie dort durch die islamistische Hamas diskriminiert und verfolgt

FFF, Antizionismus und linke Weltanschauungen

Daniel Kilpert, der Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Berlin und Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus war, nimmt bei FFF antizionistische und antiimperialistische Haltungen wahr. Gegenüber Corrigenda äußerte er: „Es ging Greta Thunberg und Co. nie wirklich um den Klimaschutz. Ein erheblicher Teil von Fridays for Future war schon immer Part einer zutiefst antiwestlichen, antikapitalistischen und reaktionären Bewegung, bei der Antisemitismus stets dazugehörte.“

Auch der Politologe Sebastian Jungkunz benennt Zusammenhänge zwischen Antizionismus, linksradikalen Narrativen und Teilen von Fridays for Future: „Antizionismus stellt bei linksradikalen Bewegungen keinen Sonderfall dar, sondern zeigte sich beispielsweise seit Ende der 1960er Jahre. Israel wird dabei als Folge des westlichen Imperialismus und Kolonialismus abgelehnt.“ Gleichzeitig fände man neben dieser einseitigen Kritik oft eine unkritische Haltung gegenüber Gruppen wie der PLO oder der Arbeiterpartei Kurdistans.

Gegenüber Corrigenda ergänzte er: „Die FFF-Bewegung scheint sich in diesem Thema jedoch nicht einig zu sein, wie zum Beispiel der teilweise Widerspruch zwischen der internationalen FFF-Gruppierung und dem deutschen Ableger zeigt. Gleichzeitig gibt es jedoch auch innerhalb der deutschen Vertretung Stimmen, die mit antisemitischen Aussagen auffallen.“

FFF-Deutschland zieht sich von FFF-International zurück

Jungkunz gibt zu bedenken, dass das Thema des Radikalismus komplex sei und der Begriff oftmals missbraucht werde. Unter „radikal“ verstehe man lediglich eine stark von der Mehrheitsmeinung abweichende Befürwortung bestimmter politischer Themen. Viele Bewegungen seien in ihrer Anfangszeit radikal gewesen, bis die Themen dann in die gesellschaftliche Mitte getragen wurden.

Fridays for Future Deutschland will sich mittlerweile von der internationalen Gruppe distanziert haben. Aus internationalen Prozessen und Abstimmungen zu gemeinsamen Kampagnen zöge man sich zurück, sagte FFF-Sprecherin Luisa Neubauer in einem Interview mit der Zeit. Eine Namensänderung, wie der Vorsitzende des Zentralrats der Juden sie erwartet, stehe laut Neubauer bisher außer Frage.

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Kommentare

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Stiller Leser
Vor 1 Jahr

Ein sehr differenzierter Artikel. So sollte das sein! Unsere großen Medien kriegen das augenscheinlich nicht hin.

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Stiller Leser
Vor 1 Jahr

Ein sehr differenzierter Artikel. So sollte das sein! Unsere großen Medien kriegen das augenscheinlich nicht hin.