Entlarvende Äußerungen
Carmen Wegge ist eine der Initiatoren des fraktionsübergreifenden Antrags zur Legalisierung von Abtreibung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen, und die Sozialdemokratin war es auch, die die von Zwischenrufen durchsetzte Bundestagsdebatte dazu am heutigen Donnerstagnachmittag eröffnete. Doch wie sie das tat, damit hatten wohl auch die konservativsten Beobachter nicht gerechnet: Sie bestätigte in ihrer energisch vorgetragenen Rede alle Vorurteile, die Gegner einer Neuregelung des Abtreibungsstrafrechts vorab geäußert hatten.
In fast schon triumphierendem Ton setzte sie mit den Worten an: „Heute ist ein guter Tag für Frauen, heute ist ein guter Tag für Ärztinnen und Ärzte, heute ist ein guter Tag für die Frauen und Männer, die seit Jahrzehnten darum kämpfen, dass wir genau diese Debatte endlich im Plenum des Deutschen Bundestages führen. Jetzt ist es so weit.“
Ja, was eigentlich? Die Abgeordneten debattierten in erster Lesung über einen „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ sowie einen Antrag mit dem Ziel, die „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren zu verbessern“. 100.000 Frauen haben im vergangenen Jahr in Deutschland eine Abtreibung über die sogenannte Beratungsregelung durchführen lassen. Doch die Optionen für ungewollt Schwangere sind offenbar so mager, dass sich Politiker der Minderheitsregierung aus SPD und Grünen zusammen mit Abgeordneten der Linkspartei aufgemacht haben, das Abtreibungsstrafrecht zu reformieren.
Haben die roten, grünen und dunkelroten Politiker Erfolg damit, werden Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche künftig legal sein; werden die Krankenkassen – und damit alle Steuer- und Beitragszahler – sie finanzieren; und sie werden ohne Bedenkzeit möglich. Außerdem wird hart bestraft, wer Schwangere zu einer Entscheidung für das Leben „nötigt“.
Was die energische Initiatorin Wegge verschwieg
Carmen Wegge also, die Mutter eines Kindes und Juristin ist, die in fliederfarbenem Anzug vor dem Plenum stand und von einer „Sternstunde des Parlaments“ sprach, sollte es denn den Antrag demnächst beschließen. Um die Abgeordnetenkollegen zu überzeugen, verwies sie auf die „ELSA“-Studie, auf den Bericht der „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ sowie auf Umfragen, die angeblich eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung für das lebensfeindliche Anliegen herausgefunden haben wollen.
Wegge erwähnte jedoch nicht, dass die genannte Kommission von der Bundesregierung selbst eingesetzt worden war, und zwar so, dass das Ergebnis vorhersehbar war. Sie erwähnte auch nicht, dass beim „ELSA“-Projekt Daphne Hahn mitarbeitete. Die war nicht nur von Mai 2010 bis Mai 2017 Bundesvorsitzende von Pro Familia, einer Beratungsorganisation, die Abtreibungsbescheinigungen ausstellt und zum Abtreibungskonzern International Planned Parenthood Federation gehört, sondern war ebenso Mitglied in der Ampelkommission, die zu dem Ergebnis kam, dass Abtreibungen in den ersten Schwangerschaftswochen legalisiert werden sollten.
Ebenso wenig sagte Wegge, wer die Umfrage in Auftrag gab, auf die sich im Laufe der Bundestagsdebatte an diesem Nachmittag fast alle SPD- und Grünen-Redner beriefen: nämlich das Bundesfamilienministerium selbst. Und die Umfrage wies methodische Mängel auf, wie Corrigenda exklusiv berichtete.
„Es geht um Leben und Tod – und davon habe ich bei Ihnen nichts gehört“
So war es für Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), die Auftaktrednerin der Unionsfraktion, ein Leichtes, die emotionalen Worte Wegges mit Sachlichkeit zu kontern. „Es geht um Leben und Tod – und davon habe ich bei Ihnen nichts gehört“, sagte die Vorsitzende des Rechtsausschusses. Den Gesetzesantrag bezeichnete sie als „Resteverwertung“. Das war deutlich. Der Ampel-Koalition, die vor einem Monat zerbrach, war es in drei Jahren Regierungszeit nicht gelungen, sich auf eine Reform zu einigen.
„Bei circa 100.000 Abbrüchen pro Jahr gibt es keine Verfahren gegen Schwangere oder Ärzte, das verschweigen Sie hier“, betonte Winkelmeier-Becker. Die Union stünde deshalb geschlossen hinter der aktuell geltenden Regelung. Denn diese beinhalte bereits ein Selbstbestimmungsrecht der Frau. Sie beachte aber auch das Lebensrecht des Kindes. Die Legalisierung von Abtreibung wäre ein „Paradigmenwechsel“ und unvereinbar mit der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde und dem Lebensrecht des Kindes, das das Bundesverfassungsrecht wiederholt betont habe.
„Lebensschutz ist nicht unmodern“
Ihre Fraktionskollegin Dorothee Bär (CSU) zeigte sich erschüttert. Die „martialische Tonart“ Wegges sei „in keiner Weise der Lage angemessen“. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU sprach von einem „spalterischen Kulturkampf“. Zu Recht merkte sie an: „Weder SPD noch Grüne haben mit einem einzigen Wort das Kind erwähnt.“
Es sei unverständlich, merkte Bär an, wenn in der Debatte um Abtreibungen von einer „modernen Gesellschaft“ gesprochen werde, die sich „weiterentwickelt“ habe, seitdem die aktuell geltende Regelung Mitte der 1990er Jahre beschlossen worden war. „Lebensschutz ist nicht unmodern!“ Bär erinnerte auch daran, dass die Ampelkommission eben nicht, wie fast alle roten und grünen Redner behaupteten, nach unabhängigen und wissenschaftlichen Kriterien zusammengesetzt worden sei.
Auch die AfD-Politikerin Beatrix von Storch erteilte dem rot-grünen Ansinnen eine klare Absage. „Der Lebensschutz des Ungeborenen hat uneingeschränkten Verfassungsrang“, betonte die AfD-Politikerin. Seit 30 Jahren gebe es einen Kompromiss, demzufolge Abtreibung zwar rechtswidrig, aber unter bestimmten Bedingungen straffrei sei. Das verlange beiden Seiten viel ab. „Ich persönlich finde das furchtbar“, aber die AfD stehe hinter dem Kompromiss.
Der Gesetzesentwurf stünde im „krassen Gegensatz“ zu den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. „Sie wissen das“, rief sie den Abgeordneten auf der linken Seite des Plenums entgegen, „aber sie machen das trotzdem. Sie bringen ein verfassungswidriges Gesetz ein.“ Die linken Parteien wollten den „ultimativen Kulturkampf ausrufen“, kritisierte von Storch.
Doch auch die Christdemokraten bekamen ihr Fett weg. Das C in CDU stünde nicht für „Camembert oder Cornflakes“, sondern für christlich. Dass CDU-Chef Friedrich Merz über Paragraf 218 StGB und damit über die Legalisierung von Abtreibung neu diskutieren wolle, sei damit nicht vereinbar.
„Wir werden eine Willkommenskultur für Kinder etablieren“
Auch ihre Parteikollegin Christina Baum wurde deutlich, wenn sie etwa sagte: „Eine Schwangerschaft ist kein Nachteil, sondern ein einzigartiges Privileg von Frauen.“ Es gebe „kein größeres Glück, als das kleine Lebewesen, das im Bauch heranwächst, zu spüren und nach der Geburt im Arm zu halten“. Für die AfD seien „Kinder ein Geschenk“, und deshalb „werden wir eine Willkommenskultur für Kinder etablieren“.
Die zweite Initiatorin der Anträge, die Grünen-Politikerin Ulle Schauws, verwendete die an diesem Nachmittag immer wiederkehrende Formulierung, es ginge darum, „Frauen zu vertrauen“. Auch ihre Parteikollegin Kirsten Kappert-Gonther mahnte, Frauen bräuchten „kein Strafgesetzbuch, um vertrauensvoll zu entscheiden“. Solche Aussagen lassen jedoch an der Expertise der Redner zweifeln. Denn Schwangere in Not sehen sich häufig in einer existentiellen Krise, in der sie nicht frei entscheiden können, weil äußere Faktoren sie daran hindern.
Abtreibung als nachträgliche Verhütungsmethode?
Damit könnte dieser Bericht auch schon enden. Wären da nicht mehrere Äußerungen eher weniger bekannter Befürworter der Abtreibungslegalisierung, die eine weitere Seite, vielleicht sogar das ehrlichere Motiv der Antragsteller aufzeigen. Die von Leni Breymaier etwa. Die Sozialdemokratin sprach sich für die Legalisierung der Abtreibung aus mit dem Argument, dass keine Verhütungsmethode hundertprozentige Sicherheit garantiere. Damit bestätigte sie indirekt, dass Abtreibung nach dieser Denkart eine nachträgliche Verhütungsmethode ist.
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Aufhorchen ließ auch Josephine Ortleb von der SPD. „Die Kriminalisierung hat nicht dafür gesorgt, dass es weniger Schwangerschaftsabbrüche gibt.“ Bemerkenswert. Sagen Abtreibungsbefürworter doch sonst ständig, die angebliche Kriminalisierung sorge dafür, dass Frauen nicht abtreiben könnten.
Fragezeichen warf die Position der FDP-Abgeordneten auf. Die beiden FDP-Rednerinnen zeigten sich beide offen für die in Rede stehende Liberalisierung, jedoch nicht in dieser Legislaturperiode. Damit bestätigten sie Gerüchte, wonach die Liberalen-Fraktion in ihrer jüngsten Sitzung beschlossen hatte, keine Abstimmung, also keine zweite und dritte Lesung des Gesetzesvorhabens mitzutragen.
Wie es nun weiter geht
Dazu passt auch, dass die FDP-Mitglieder im Rechtsausschuss des Bundestags am gestrigen Mittwoch einem Antrag der Union zugestimmt hatten, einen Tagesordnungspunkt der SPD abzusetzen. Mit diesem kurzfristig anberaumten Punkt sollte noch vor der heutigen ersten Lesung beschlossen werden, dass der Ausschuss eine Anhörung zur Abtreibungslegalisierung durchführt. Doch wie Corrigenda exklusiv berichtet hatte, enthielten sich SPD und Grüne, nachdem die AfD für die Anhörung votierte. Somit setzten sich Union und FDP durch – und SPD und Grüne scheiterten.
Der Bundestag überwies die Anträge nun in eben diesen Rechtsausschuss. Dessen nächste Zusammenkunft findet während der nächsten Sitzungswoche am 18. Dezember statt. Dann hat Rot-Grün die letzte Chance für den Angriff auf die bestehende Rechtsordnung – und das Leben.
Kommentare
Danke an alle Lebensschützer für Ihren Einsatz! Das Kindlein, welches in einer Krippe geboren wurde, wird es Euch einst lohnen !
@Jim Recht hast
Es handelt sich nicht um eine nachträgliche "Verhütung", sondern um eine Vernichtung.
Wie kann es sein, dass Dorothee Bär -CSU - und Friedrich Merz - CDU - so unterschiedlich argumentieren? 🙃
Ich bin gegen Abtreibung! Wenn eine Frau fi..., muss sie damit rechnen, dass ein Kind erzeugt wird - oder man verhütet! Ich denke da in erster Linie an das (noch) ungeborene Kind. Das Baby wird nicht gefragt, ob es leben oder sterben möchte? Das sollten sich die Frauen (und Männer) auch fragen! Wenn eine Frau das Kind nicht haben möchte, dann lieber zur Adoption freigeben, denn es gibt durchaus Ehepaare, die sich Kinder wünschen, aber aus verschiedenen Gründen nicht bekommen.
@ Anonymous: Fürs "f..." braucht es zwei. Welche Verantwortung übernimmt der Mann...?!!!