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Kolumne „Der Philosoph“

Religiöse Notwehr

„Kunst und Satire dürfen alles“– auf diese Maxime berufen sich nicht zuletzt Konservative gerne. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass in unseren Tagen vor allem im Namen der Diversität gecancelt wird, und zwar möglichst alles, was den engen linken Meinungskorridor sprengt. Dennoch ist Grenzen- und Zügellosigkeit grundsätzlich eine schlechte Idee, weil sie stets in die Beliebigkeit und damit zur Aufhebung der Unterscheidung zwischen gut und schlecht, wahr und falsch, schön und hässlich, heilig und profan führt.

Die Gefahr, die in jeglicher Entgrenzung liegt, wird auch vom jüngsten Skandal um eine Marienstatue im Linzer Mariendom unter Beweis gestellt. Die Skulptur namens „crowning“ von Esther Strauß zeigte eine gebärende Maria in naturalistischer Drastik. Seine Pietätlosigkeit wurde dem Machwerk jedoch schnell zum Verhängnis: Ein offenbar aufgebrachter Gläubiger griff zur Säge und entfernte den Kopf der Statue.

Die unversehrte Jungfrau

Man fragt sich, was sich Bistum und Domkapitel nur dabei gedacht haben mögen, als sie entschieden, eine solche Skulptur in einem Gotteshaus auszustellen. Auf der Homepage der Diözese Linz heißt es, das Werk greife „die Leerstelle der Geburt Christi aus feministischer Perspektive auf“. Eine Leerstelle findet sich in Wahrheit aber vor allem im Urteilsvermögen der Verantwortlichen, und zwar dort, wo eigentlich Schamhaftigkeit, Takt und religiöse Ehrfurcht ihren Platz hätten haben sollen.

 

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Denn für Katholiken ist Maria nicht nur die unbefleckte, das heißt: unter wundersamer Aussetzung der Erbsünde empfangene Jungfrau, sondern auch die „virgo inviolata“, die unversehrte Jungfrau – und zwar sowohl vor als auch nach ihrer Niederkunft. Über all dem liegt freilich der Schleier eines göttlichen Geheimnisses, das man umso weniger versteht, je mehr man seiner durch einen entblößenden Zugriff habhaft zu werden versucht. 

Doch um zu wissen, dass ein derart obszönes Werk wie die gebärende Maria von Linz nicht an einen heiligen Ort gehört, ist kein Theologiediplom notwendig; gesunder Menschenverstand und normales menschliches Empfinden reichen aus.

Schamlose Zurschaustellung weiblicher Intimität

Künstlerin Strauß äußerte sich nach der Tat: 

„Die meisten Marienbildnisse wurden von Männern angefertigt und haben dementsprechend oft patriarchalen Interessen gedient. Die Theologin Martina Resch hat es gut auf den Punkt gebracht: In ‘crowning’ bekommt Maria ihren Körper zurück. Wer auch immer den Kopf der Skulptur entfernt hat, ist sehr brutal vorgegangen. Diese Gewalt ist für mich ein Ausdruck davon, dass es immer noch Menschen gibt, die das Recht von Frauen an ihrem eigenen Körper in Frage stellen.“

Nun fragt man sich angesichts der schamlosen Zurschaustellung von weiblicher Intimität, aber nicht etwa der eigenen, sondern der einer anderen Frau, zudem noch der Gottesmutter, ob das nicht der eigentliche brutale Akt ist? Doch vermutlich muss man Performance-Künstlerin sein, um hierbei ein „Recht von Frauen an ihrem eigenen Körper“ zu sehen.

Das Heilige gegen die Anmaßungen einer entgrenzten Kunst verteidigen

Der mutmaßliche Täter hat inzwischen in einem anonymen Statement verlautbaren lassen, er habe es als seine religiöse Pflicht empfunden, die „Schmähung Gottes und seiner allerheiligsten Mutter“ zu verhindern. Auch wenn man als Katholik kaum anders kann, als Sympathie für den entschlossenen Glaubensbruder (oder die Glaubensschwester) zu empfinden – handelt es sich strenggenommen nicht trotzdem um Vandalismus, der auch dann zu verurteilen ist, wenn er aus lauteren religiösen Gründen verübt wird?

Juristisch gesehen dürfte wohl in der Tat Sachbeschädigung vorliegen. Die interessantere, höherstufige Frage aber lautet, ob es nicht ein überpositives, moralisches Recht gibt, das Heilige gegen die Anmaßungen einer entgrenzten Kunst zu verteidigen. Philosophisch gesehen sind das Wahre, das Schöne, das Gute und das Heilige in ihrer Tiefendimension ohnehin identisch. 

Dem Sakralen entgegenstellen kann sich daher auch nur eine „Kunst“, die sich nicht mehr am Maßstab des Schönen messen lassen will. Und selbst der säkulare Staat der Bundesrepublik Deutschland sieht in der „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ gemäß § 166 StGB einen Straftatbestand. 

Dieser Paragraf ist allerdings nutzlos, wenn sich die Kirchenvertreter, wie in Linz geschehen, die blasphemischen Darstellungen selbst ins Haus holen. Insofern der Klerus es in diesem Fall versäumt hat, seiner ureigensten Aufgabe – nämlich der Pflege und dem Schutz des Sakralen – nachzukommen, scheint der Täter sich also zumindest in moralischer Hinsicht auf religiöse Notwehr berufen zu können.

 

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