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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Teuer? Nicht für uns

Es gibt eine gewisse Konstante im Leben: Wo Deutsche auf Schweizer Preise treffen, ist die Empörung nicht weit. Mal ist es ein Kaffee für fünf Franken, mal ein Schnitzel, das den Gegenwert einer halben Monatsmiete in Duisburg-Süd zu haben scheint. 

Jüngstes Beispiel: Ein deutscher Tourist entrüstet sich öffentlich darüber, dass er am Hauptbahnhof Zürich für einen Espresso das Bezahlen als schmerzhafte Erfahrung verbuchen musste. Über 5 Franken! Um dann gleich nachzuschieben: In Deutschland hätte er das günstiger bekommen.

Das stimmt sicher. Und jetzt? Soll sich die Schweiz zerknirscht schämen, das Land auf Discountpreise umstellen und jedem Touristen aus Frankfurt oder Düsseldorf einen Rabatt gewähren? Das Preisgefüge für Koffeinprodukte vielleicht so anpassen, dass es mit dem Rest nichts mehr zu tun hat? Aber was, wenn einer ein Bier will? Dann müssen wir auch dort runter auf deutsches Niveau, keine Frage.

Das Prinzip nicht verstanden

Es ist ein alter Hut. Seit Jahrzehnten fahren Deutsche in die Schweiz, setzen sich in ein Restaurant oder kaufen im Supermarkt ein – und fallen dann aus allen Wolken. Plattformen wie TikTok sind voll mit Beschwerden und Litaneien über außer Rand und Band geratene Schweizer Preise, aus denen schieres Unverständnis spricht.

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Dabei ist das Prinzip so einfach, dass selbst ein Bachelor-Absolvent in Gender Studies es verstehen sollte: Die Schweiz ist nicht Deutschland. Sie ist ein Hochlohnland mit höherem Lebensstandard, höheren Einkommen und – Überraschung! – höheren Preisen. Diesen Standard zu halten, kostet auch einiges. Das Gesundheitssystem funktioniert, der öffentliche Raum ist meist sauber und sicher. Das Geld fließt in all das, was danach Besucher oder ausländische Fachkräfte anzieht.

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Kürzlich war ich bei einem Neurologen deutscher Herkunft in der Schweiz. Der nahm sich ausführlich Zeit, mich unter die Lupe zu nehmen. Am Schluss eröffnete er mir, dass er in seiner alten Heimat auf viele der – eigentlich vorgeschriebenen – Untersuchungen hätte verzichten müssen, weil ihm das System nur zehn Minuten pro Patienten einräume. In der Schweiz sei es eine Stunde. Nun wird dieser Arzt zwar nicht mit Kaffee entlöhnt, aber der Punkt dürfte klar sein: Die Preise in der Schweiz sind höher, aber es wird auch mehr geboten.

Die Kaufkraft ist entscheidend

Wer sagt, die Schweiz sei teuer, muss sich fragen: für wen? Ein Land, das seinen Einwohnern höhere Löhne, ein funktionierendes Gesundheitssystem und eine saubere, sichere Umgebung bietet, hat eben seinen Preis. Dass dies immer wieder für ausländische Besucher ein Schockmoment ist, verwundert. Nach all den Jahren der ewigen Jammerei könnte man doch meinen, es hätte sich herumgesprochen.

Die Lohnunterschiede zwischen den beiden Ländern sind bekannt. Der Brutto-Durchschnittslohn in Deutschland liegt Lichtjahre unter dem Netto-Einkommen in der Schweiz. Für das einfache Gemüt mag das ein Detail sein, für die Preiskritiker wäre es eine Erklärung. Nur leider interessiert sie das nicht.

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Das Preisniveau eines Landes orientiert sich an der Kaufkraft seiner Einwohner. Es ist kein Geheimnis, dass sich in der Schweiz der Durchschnittsbürger für eine Stunde Arbeit mehr leisten kann als in Deutschland. Wer in Zürich als Kellner arbeitet, verdient oft doppelt so viel wie sein Kollege in München. Klar kostet der Kaffee dann mehr. Was man ja durchaus auch als ausgleichende Gerechtigkeit verstehen kann.

Dennoch ist die Schweiz beliebt

Die Preisempörung hat zudem etwas Ironisches. Dieselben Leute, die über teuren Kaffee in Zürich jammern, erklären sich dann zuhause in Deutschland solidarisch mit mies bezahlten Servicekräften und beklagen sich über eine verlotterte Bahn, die nicht kommt, und über marode Innenstädte. Sie wollen Preise wie in Deutschland, aber das Leben wie in der Schweiz. Und das funktioniert eben nicht.

Aber das wird gerne ausgeblendet. Stattdessen läuft das alte Lied: „In Deutschland zahlt man nur drei Euro für den Cappuccino!“ Fein. Dann bleibt doch einfach dort und genießt euren günstigen Kaffee. Aber halt, Moment – viele Deutsche tun genau das Gegenteil. Sie arbeiten lieber in der Schweiz. Warum wohl? Das hat doch wohl nichts mit dem höheren Gehalt zu tun, nehme ich an? Mal hier angekommen, scheint die Rechnung seltsamerweise dennoch aufzugehen. Der Kaffee für fünf Franken ruiniert die Fremdarbeiter aus Deutschland plötzlich nicht mehr. Warum wohl? Weil sie ein Schweizer Gehalt beziehen, ganz einfach.

So viel zu den Zuwanderern. Aber was ist mit den Touristen? Mal ehrlich: Wer sich einen Zürich-Trip leistet, ohne vorher kurz zu googlen, was ein Kaffee kostet, sollte sich eher über seine eigene Naivität aufregen.

Ich gebe eine Garantie ab

Und noch etwas: Qualität hat ihren Preis. Wer sich in Deutschland einen Cappuccino für 2.50 Euro gönnt, bekommt oft ein wässriges Etwas aus der Billigmaschine. In der Schweiz wird der Barista wenigstens anständig bezahlt und weiß, was er tut. Ausnahmen sind natürlich vorbehalten. Ich habe auch schon in der Schweiz einen Kaffee zum Fremdschämen serviert erhalten. Dann ist Entrüstung angesagt, aber unabhängig vom Preis und überall auf der Welt. 

Ich liebäugle schon lange mit Urlaub im hohen Norden, habe aber gehört, dort sei der Alkohol unverschämt teuer. Sollte ich mich dennoch jemals überwinden, gebe ich hiermit die Garantie: Man wird mich nicht klagen hören. Weil ich wusste, was auf mich wartet – und weil es die Sache der Leute vor Ort ist, wie sie die Preise machen.

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