Göttliche Macht ohne Gott
2019 erhielt der Genfer Didier Queloz den Nobelpreis für Physik. Verliehen wurde er ihm und einem Kollegen für die Entdeckung des ersten extrasolaren Planeten, der um einen sonnenähnlichen Stern kreist. Das war 1995, und ein Vierteljahrhundert später fiel es der Jury in Schweden offenbar auf.
Die breite Masse ist nicht besonders elektrisiert von solchen Forschungsgegenständen. Der Preis machte Queloz aber in der Fachwelt auf einen Schlag bekannt. Nun kann er seine Gedanken vor einem größeren Publikum ausbreiten. Damit verbunden wurden auch die Gedanken selbst grösser. Es reicht ihm nun nicht mehr, durch ein Teleskop zu blicken. Er mag nicht mehr nur entdecken, was bereits hier ist.
Didier Queloz will jetzt mehr, wie er in einem Interview sagt: Er möchte Leben kreieren. Dessen Entstehung sei „letztlich nichts als ein chemischer Prozess“ und basiere auf physikalischen Gesetzen, und es sei „nur eine Frage der Zeit“, bis das im Labor klappt. Die Atomwaffen hätten uns die Macht der Zerstörung verliehen, nun würden wir bald auch „die göttliche Macht der Schöpfung erlangen, indem wir künstliches Leben von Grund auf erschaffen“. Das angebliche Wunder des Lebens doch nur eine reine Banalität?
Leben schaffen statt den Tod besiegen
Der Astronom hat damit eine neue Mission gefunden, und er will sie nicht dem Zufall überlassen. Queloz spricht enthusiastisch von einem Projekt zwischen der ETH Zürich und der University of Cambridge, in dem die Entstehung von Leben im Labor simuliert werden soll. Verschiedene Disziplinen wirken dabei zusammen: Chemiker, Biochemiker, Geowissenschaftler, Biologen und andere mehr.
Eine Phalanx von Gelehrten will also herausfinden, wie man Leben im Reagenzglas erschafft. Krebs ist nach wie vor unbesiegt, und wie Multiple Sklerose entsteht, weiß niemand wirklich. Aber man muss ja Prioritäten setzen. Wenn Krankheit und Tod schon nicht besiegt werden können, sorgen wir wenigstens für neues Leben. Streng genommen ist das natürlich heute bereits möglich, das Verfahren dazu ist so alt wie die Menschheit und wird in der Regel nicht gerade als unangenehm empfunden. Aber der ganze Prozess scheint erst von Wert, wenn er im Labor stattfindet.
Die Faszination für das möglicherweise Machbare und das Streben danach sind die Basis der Wissenschaft. Fortschritt ist undenkbar ohne Menschen ohne Visionen. Parallel dazu leistet sich unsere Gesellschaft intelligente Köpfe, die darüber nachdenken, ob ein von der Wissenschaft angestrebtes Ziel richtig und vertretbar ist. Das nennt man Ethik. Queloz mag sich damit gar nicht erst befassen. Er sinniert über die technischen Möglichkeiten und klammert jeden Zweifel aus.
Das ist sein gutes Recht, immerhin ist das eine andere Disziplin. Man geht nicht in die Wissenschaft mit dem Ziel, die eigene Forschung durch die Grenzen der Ethik zu erschweren. Aber Queloz scheint angesichts seiner euphorischen Ausführungen nicht einmal auf die Idee zu kommen, dass andere seinen Traum hinterfragen könnten. Leider wird er in dem Gespräch nicht danach gefragt, weshalb man überhaupt künstliches Leben erschaffen will. Vermutlich hätte der Wissenschaftler, so intelligent er auch ist, die Frage gar nicht verstanden. Sie ist weit weg für ihn. Gemacht wird, was machbar ist.
Intelligenz und Arroganz
Sollte Didier Queloz eines Tages wirklich zum „Schöpfer“ werden, kann er sich beim Nobelpreiskomitee bedanken. Denn geträumt davon hat er schon lange. Aber bevor er den Preis erhielt, habe ihm niemand zuhören wollen, klagt er. Nun hat er die Aufmerksamkeit, das Netzwerk, die Sponsoren. Mehr als 40 Professoren haben sich zusammengeschart, um künstliches Leben zu erschaffen – und so Gott ein großes Stück näher rücken.
Aber welchem Gott denn eigentlich? Immer wieder bezieht sich der Wissenschaftler im Gespräch auf ihn, nur um den Begriff gleichzeitig zu relativieren. Der Urknall sei zwar immer noch „ein großes Rätsel“, und wie das Leben, das er aus dem Nichts schaffen will, einst entstand, weiß Queloz nicht. Aber er ist sich dennoch ganz sicher: „Ich sehe keine Notwendigkeit für ein anfängliches Anschubsen durch einen Schöpfergott.“
Das Fundament von Wissenschaft ist eine Kombination aus Intelligenz und Neugier. Im Idealfall kommt eine Portion Arroganz dazu. Mit wohligem Gruseln haben wir auf der Leinwand die Geschichte von Doktor Frankenstein und seiner Kreatur verfolgt. Auch hier ging es nicht um die Frage des Wozu, sondern nur um das Wie. Aber die wenigsten von uns dürften vor dem Fernseher die Sehnsucht verspürt haben, dass Frankensteins Experiment Schule macht und systematisch in einer Art Menschenfabrik betrieben wird. Im Gegenteil: Wir hatten Mitleid mit dem erschaffenen Wesen.
Dieses müsste man auch für Professor Queloz haben. Denn die Schattenseite des Nobelpreises sei: Er erhalte „fast jeden Tag ähnlichen Unsinn per E-Mail zugeschickt“. Verwirrte Geister unterbreiten ihm ihre eigenen Theorien zur Überprüfung. Einer habe beispielsweise behauptet, er könne die Existenz Gottes beweisen, sagt er lachend.
Eine Fiktion als Vorbild
Aber warum empfindet er das überhaupt als lustig? Immerhin will Queloz ja „die göttliche Macht der Schöpfung“ erlangen. Wäre es nicht praktisch, wenn das, zu dem der Wissenschaftler selbst werden will, bewiesen wäre? Wer strebt schon den Status einer reinen Fiktion an? Weshalb spricht man von fortlaufend von einer göttlichen Macht und spricht dieser zugleich die Existenz ab?
Die große Frage, die unbeantwortet bleibt: Von welchem Leben spricht er eigentlich? Technisch gesehen sind es sieben Merkmale, die Leben definieren. Was auch immer die ehrgeizige Professorentruppe erschafft, muss sich unter anderem bewegen, wachsen und fortpflanzen können. Geht es bei diesen Ambitionen um künstlich erzeugte Menschen, im Labor gezüchtete Ratten oder einen simplen Einzeller wie das Pantoffeltierchen?
Was auch immer es sein wird: 40 Jahre dauere es vielleicht noch, bis es gelingt, sagt Didier Queloz mit spürbarem Bedauern. Denn dann wird er 97 sein und die Früchte seiner Saat vielleicht gar nicht mehr selbst genießen können.
Das heißt, dass er die Nachwelt dereinst vielleicht mit Fragen zurücklässt, mit denen er sich in seinem Forschungsdrang nicht weiter befasst. Was tun wir mit dem Ergebnis, was tut das Ergebnis für uns? Und vor allem: Wie lautet das nächste Ziel, wenn wir endlich Gott sind?
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