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Kolumne „Ein bisschen besser“

Wie man zum perfekten Gastgeber wird

„Uijuijui“, sage ich zu meiner Frau Judith. „Wir haben jetzt wirklich viel Besuch gehabt.“ „Uijuijuijui“, nickt sie. Erst war unsere beste Freundin da, die ihre beste Freundin mitgebracht hatte, dann kam ein Freund aus Studientagen mit seiner Frau, die mir auch schon ans Herz gewachsen ist, dann kamen Kollegen, mit denen ich befreundet bin. 

Judith hat hier in Oberitalien neue Freunde gefunden, die auch gekommen sind, die Freunde aus unserem Dorf waren immer mal wieder da, und die Freundinnen aus der ersten Kindergartenzeit von der zweitjüngsten Tochter. Natürlich waren die meisten Freunde mit ihrer ganzen Bagage da. Und demnächst kommt noch Familie. 

Wir sind, glaube ich, ganz oke’e Gastgeber: Ich mache immer eine kleine Hausführung, weise hin auf die Stärken des alten Palazzo – weiträumige Seesicht aus der obersten Etage – und seine charmanten Schwächen: Der Putz bröckelt, es wohnen deutlich mehr Spinnen als Menschen zwischen den dicken Mauern. 

Herz und Haus haben ein bisschen Patina

Judith hat ein warmes Herz, ihr Kaffee duftet besser und hinterher sieht’s bei ihr aus wie vorher, während ich der Meinung bin, dass Patina von Party kommt und etwas erstrebenswertes ist. „Hat ein bisschen Patina“ hat neulich der Vater eines Freundes meines jüngsten Sohnes, der mein Hausarzt ist, über mein Herz gesagt, und ich dachte: So muss das. Beschwerden haben wir bisher jedenfalls keine erhalten.

Vergangene Woche allerdings sind Judith und ich beruflich zu einem berühmten Mann gefahren, der professionell Babynahrung herstellt und dafür, und weil er es selbst schön findet, im ehemaligen Ostpreußen, was heute Polen ist, und wo meine Uraltvorderen herkommen, wofür ich aber nichts kann, ein Gut nach alter Väter Sitte bewirtschaftet. 

Zu Besuch bei Herrn Hipp

Ich kann hier seinen Namen nennen: Es ist der Herr Hipp, und wer wie wir fünf Kinder durchgebracht hat, hegt eine zärtliche Beziehung zu diesem Namen. 

Herr Hipp hat alles ein bisschen besser gemacht: Der lange Tisch mit den Stühlen aus rohem Holz, wo wir uns anfangs niederließen, stand im angenehmen Schatten einer alten Eiche. Das herrschaftliche Haus erstrahlte in neuem Glanz. Das große Gästebett duftete blütenrein. Mit viel Zeit hat er uns die Details seines nachhaltigen Tuns erklärt, während eines seiner Angus Rinder uns vertraulich anglotzte, nicht ahnend, dass es möglicherweise bald zum Bolognese-Gläschen werden würde. 

Er hat unseren begeisterten Bemerkungen aufmerksam zugehört und nach dem Abendmahl in hellem Kerzenschein, war Judith sehr glücklich, noch das letzte Stündlein der angebrochenen Nacht in seinem Salon verbringen zu dürfen, wo sich einst die Herren zum Rauchen dicker Zigarren zurückzogen. Wir genossen die perfekte Gastfreundschaft.

„Uijuijui“, sagten wir beide, nachdem wir wieder zurück ankommende Freunde des Abends im heimischen Palazzo empfangen hatten, schlossen die Augen in unserer leicht zerknautschten Bettwäsche und träumten noch lange: Judith vom Salon. Und ich von preußischer Angus-Bolognese.

 

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