Grenzenlose Selbsterleuchtung
Als sich in unserem alten Haus, in dem wir jetzt wieder manchmal sind, im geschwungenen Treppenhaus in lichter Höhe eine Glühbirne verabschiedete, sagte ich zu meiner Frau Judith, ich würde die Leiter ausziehen, sie auf einer Treppenstufe ausbalancieren, Sprosse für Sprosse hochspringen wie ein Eichkätzchen, die Glühbirne fachmännisch austauschen und das Treppenhaus erstrahle in elektrischem Glanz. „Kein Problem“, schob ich nach.
Judith schaute mich mit ihren grünen Augen an, die sie zu Schießscharten verengen kann. Sie neigte den Kopf um circa 20 Grad und zeigte ein Lächeln, das, wäre sie ein Fuchs, der Zoologe als „Zähne blecken“ bezeichnen und bei dem jedes Eichhörnchen auf den Baum flüchten würde. Sie murmelte: „Dunning-Kruger-Effekt.“ „Was?“, fragte ich und stieg noch unverrichteter Dinge von der Leiter. „Ach nichts“, sagte sie.
Es war eine Erleuchtung
Ich schlug nach: Im Jahr 1999 haben die US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger eine Studie veröffentlicht, in der sie nachweisen, dass totale Unwissenheit zu grenzenloser Selbstüberschätzung führt. Das Ding schlug in der Fachwelt ein wie eine Bombe. Und als dann Donald Trump ans Ruder kam, war eigentlich alles klar. Eigentlich. Denn die Betroffenen, die Sätze mit Worten beginnen wie „Wenn ich in diesem Land etwas zu sagen hätte“, nahmen den wissenschaftlichen Durchbruch nicht wahr.
Dabei erklärt er so vieles: Deutsche Panzer für die Ukraine bringen die Wende im Krieg. Lastenräder stoppen den Klimawandel. Oder, wie es diese Woche unsere Außenministerin gesagt hat: „Jede Heizung in jedem Keller in unserem Land ist ein Teil unserer zukünftigen Sicherheitsstruktur.“ Dunning und Kruger wundert das nicht. Und ich sah die Welt jetzt mit ihren Augen. Es war eine Erleuchtung.
„Schatz, die Stiege ist immer noch dunkel“, hörte ich Judith rufen. Ich betrachtete die wacklige Leiter, fokussierte die lichte Deckenhöhe, umschloss mit festem Griff die Glühbirne in meiner Hand und wartete. Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei. Dann spürte ich ihn, den Gedanken. Er kam aus dem kalten Steinfußboden, kroch über die Hacken der Füße nach oben, das Rückenmark entlang, direkt ins Kleinhirn: „Selbstüberschätzung wird unterbewertet“, lautete er. Der Dunning-Kruger-Effekt. Er war wieder da – und es war ein bisschen besser so.
Im Treppenhaus jedenfalls funzelt wieder das Licht, und Judith nennt mich nur noch: „mein großer Eichkater“.
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