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Kolumne „Ein bisschen besser“

Gesprühtes Gefühl

Zwischen zwei gegensätzlichen Polen liegt manchmal nur ein ganz kurzer Weg. Das ist der Grund, warum Sahra Wagenknecht auch bei den Rechten im Lande beliebt ist und die Kölner Kartoffeln mit Äpfeln vermanschen.

An einem grauen Betonblock, der in dem leicht schäbigen Park um die Ecke Teil einer Skaterbahn ist, steht mit schwarzer Sprühfarbe „Verpiss dich“, und ich sage zu meiner Frau Judith, es müsste nur ein Buchstabe geändert werden, und die Welt wäre ein bisschen besser.

Denn „vermiss dich“ heißt jener Gedanke, der vermutlich jedem der acht Milliarden Menschen auf der Erde schon mal durch den Kopf geschossen ist, verbunden mit so einem Plopp in der Herzgegend, als herrschte dort ein Unterdruck, weil etwas entwichen ist, was eigentlich hineingehört. Wie nah, denke ich, Teil und Gegenteil oft beieinander sind.

Ein trotziger Ruf nach Freiheit

Zum Beispiel finden laut jüngsten Umfragen 60 Prozent der AfD-Anhänger Sahra Wagenknecht ganz toll. Ganz rechts berührt ganz links. SPD-Frau Franziska Giffey kann sich vorstellen, in Berlin für einen CDU-Mann mit Halbglatze zu arbeiten, dessen Hund Casper heißt. Ein bisschen hipp berührt gar nicht hipp. Und „Himmel und Ääd“ sagen sie in Köln am Rhein und anderswo, wenn sie Kartoffeln mit Äpfeln vermanschen. Es sind zwei verkehrt herum gepolte Magneten, die dennoch mit einem Plopp zusammenfinden.

Wieviel Zeit liegt wohl zwischen vermissen und verpissen? Eine enttäuschende Nacht oder ein enttäuschtes Leben? Vielleicht ist dieses hingesprühte „Verpiss dich“ auf grauem Beton auch der trotzige Ruf nach Freiheit.

Es ist das Bekenntnis, sich selbst durchzuschlagen, so wie es die Skater machen mit ihrem verdrehten Käppi auf dem Kopf und den schlabbernden Hosen, mit ihrem Board, das an den Füßen klebt, und den Stöpseln im Ohr, aus denen der Rap dröhnt.

Und dann macht es plopp

Sido rappt: „Weil du nicht so wie die anderen bist, weil da gar nix zu verhandeln ist, weil man angekommen ist, wenn man aufeinandertrifft. Ohne dich kann ich nicht, du bist mein Land in Sicht.“ Es könnte sein, sage ich zu Judith genau in dem Augenblick, als ein Hund, von dem ich nicht weiß, ob er Casper heißt, sein Bein an dem Betonblock hebt –, es könnte also sein, sage ich, dass die Verpiss-dich-Sprüher selbst die größten Vermiss-dich-Anhänger sind.

Judiths Mund landet unvermittelt auf meinem, die beiden passen wie Teil auf Gegenteil, denke ich, und als wir uns nach ein paar Sekunden voneinander lösen, macht es plopp.

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