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Der Fall Pastor John

Wie ein Pastor zum Kämpfer gegen Frühsexualisierung an Schulen wurde

In seinem marineblauen Anzug wartet ein großgewachsener Afroamerikaner geduldig, bis ihm die Sicherheitskräfte die Handschellen anlegen. Er wird einmal mehr aus einer amerikanischen Schulratssitzung geworfen, diesmal im Verwaltungsbezirk Wake (North Carolina). Nicht wegen Vandalismus oder ungebührlichen Verhaltens. Sondern weil er aus Schulbüchern vorliest, die sexuelle Darstellungen enthalten. Bücher, die der Schulrat für die Bibliothek zugelassen hat. Er liest nicht nur laut vor, er beschuldigt auch die örtliche Schulbehörde, die Kinder nicht ausreichend davor zu schützen.

Die Rede ist vom 40-jährigen John K. Amanchukwu Sr., Vater von drei Kindern, Jugendpastor, Autor, Aktivist und Absolvent des Masterstudiengangs für christliche Gemeindearbeit an der Liberty University, einer anerkannten Ausbildungsstätte der amerikanischen Evangelikalen in Lynchburg, Virginia.

Der Einfachheit halber wird Amanchukwu von vielen nur Pastor John genannt. Inzwischen ist er in den USA auch als Book-Banning Pastor bekannt, also als Buchverbots-Pfarrer.

In den USA entscheiden die lokalen Schulbehörden über viele Fragen öffentlich in sogenannten Schulratssitzungen. Bürger von innerhalb und außerhalb des Bezirks sind eingeladen, den Behörden bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen oder nach Anmeldung das Wort zu ergreifen. Gewisse Regeln variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat, aber grundsätzlich ist die Mitsprache erwünscht zumindest auf dem Papier.

Bei Pastor John ist die Ausnahme oft die Regel. Er wird regelmäßig unterbrochen und hinausbegleitet. Meistens stört sich die Obrigkeit am Inhalt der Bücher, aus denen er vorliest. Sie seien zu vulgär. Der Schlagabtausch ist programmiert. Pastor John kontert nur: „Wenn Ihnen der Inhalt zu vulgär ist, warum ist das Buch dann für die Kinder in diesem Bezirk geeignet?“

Nur Sexualkunde oder zu viele explizite Inhalte?

Aber was ist so schlimm an diesen Schulbüchern, dass sie Pastor John so anwidern? Auf dem Rednerpult in einem der vielen Schulbezirke, die Pastor John besucht, zitiert er aus „Push“ der Autorin Sapphire (bürgerlich: Ramona Lofton): „Schau, du blutest nicht einmal, Jungfrauen bluten, du bist keine Jungfrau, du bist sieben.“

Dieser 25 Jahre alte Roman, der immer noch auf dem Markt ist – und in amerikanischen Schulbibliotheken steht –, inspirierte den preisgekrönten Film „Precious“. Die Hauptfigur Precious ist eine sechzehnjährige Analphabetin, die von ihrem Vater vergewaltigt wurde und zwei Kinder von ihm hat. Buch und Film fallen eindeutig unter Unterhaltung für Erwachsene. 

Nach der Darbietung empört sich Pastor John demonstrativ und beschuldigt die Männer des Schulrats, entweder „Spinner“ oder „Perverse“ zu sein, wenn sie bis zum Abend die Bücher nicht aus der Schulbibliothek verbannten.

Es ist auch diese Sprache, die die Gemüter erhitzt. Meist stehen die Sicherheitsleute auf und greifen nach Pastor John. Dieser lässt sich nach lautstarker verbaler Gegenwehr abführen.

Je mehr man von Pastor Johns Videos sieht und die Zitate aus den Büchern hört, desto schockierter ist man. Einige Zitate können hier nicht wiedergegeben werden. Es stellt sich die Frage, ob die Gleichgültigkeit, mit der die Schulbehörden schwerwiegende grafische Inhalte in die Schule gelassen haben, überhaupt mit einem höflichen Umgang in den Schulratssitzungen belohnt werden sollte.

Die meisten seiner Auftritte werden direkt über die im Saal installierten Kameras aufgezeichnet, da mittlerweile fast alle Behörden über Aufzeichnungsmöglichkeiten verfügen, um die Öffentlichkeit zu informieren. Ausschnitte dieser Videos werden später ins Internet gestellt.

Pastor John wird Anfang Oktober im Verwaltungsbezirk Wake (North Carolina) in Handschellen abgeführt

Positive Resonanz

Es gibt aber auch Fälle, in denen sich einzelne Behördenmitglieder überführt fühlen und dann zu Verbündeten von Pastor John werden. „Ich bin kein Verrückter oder Perverser“, schreit Michael Booker, einer der Schulräte einer texanischen Kleinstadt, zurück. Was zunächst wie ein Streit aussieht, entpuppt sich als Kameradschaft. Der direkte Vorwurf hat Booker wachgerüttelt, und heute ist er dafür verantwortlich, dass etwa 20 Bücher mit explizitem sexuellem Inhalt aus den Schulbibliotheken seines Bezirks verbannt wurden.

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Wie alles begann

Pastor Johns Engagement begann vor zwei Jahren, als er eine Nachricht von einer Aktivistin der konservativen Frauenorganisation „Moms for Liberty“ erhielt. Sie kümmerte sich um einen Fall, in dem eine junge Frau aus Chatham County, Georgia, in der Schule von einem Lehrer wegen ihres Glaubens beschämt wurde. Ihr wurde gesagt: „An Jesus zu glauben ist wie an eine Ziegelmauer zu glauben.“ 

„Das hat mich als Jugendpastor schockiert, und ich habe sofort gehandelt. Ich fuhr 45 Minuten, um an der Sitzung des Bezirksschulrates teilzunehmen“, erzählt Pastor John in seinem neuen Dokumentarfilm „22 Words“.

Seither gehen Pastor Johns Reden viral, er kann sich kaum retten vor Medienanfragen und Einladungen, an weiteren Schulratssitzungen teilzunehmen. Prominente wie der atheistische Fernsehmoderator Bill Maher und der US-Sender Fox News berichteten über das Phänomen Pastor John.

 

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Religiöse Vorbilder und Vorstellungen

Sein Schwiegervater Bishop Patrick Wooden Sr. wurde ihm zum Vorbild. Dieser plädierte bereits in den Nullerjahren auf Schulratssitzungen für christliche Werte. Damals war sein Kampf erfolgreich, und viele Bücher mit sexueller Indoktrination wurden aus den Schulen verbannt.

Pastor John fährt in seinem Film fort: „Die Kirche darf sich nicht in einer Ecke verstecken.“ Die Gläubigen hätten das Feld der Bildung fragwürdigen Organisationen und Gewerkschaften überlassen.

„Als das tägliche Gebet von den öffentlichen Schulen verbannt wurde, hat keine einzige christliche Organisation einen Aufstand gemacht. Heute ist die Kirche größtenteils immer noch still“, beklagt Pastor John.

Geschichtlicher Hintergrund

In einem im Film gezeigten Gespräch mit den Historikern Bill Federer und David Barton erläutert Pastor John die Gerichtsfälle, die zur Abschaffung des Schulgebets geführt haben. Nach dem Bürgerkrieg begannen sich die Gesetze über Religion und Staat zu ändern. Einige Bundesstaaten bevorzugten in ihren Gesetzen bestimmte Konfessionen gegenüber anderen. 

Das ging so lange bis zum Fall „Engel vs. Vitale“ (1962), der vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten entschieden wurde. Ausgangspunkt war die Beschwerde einiger Eltern in New York, weil ihre Kinder ein Gebet in der Schule gesprochen hatten. Es war ein überkonfessionelles Gebet, in dem nur das Wort „Gott“ vorkommt. Und es war freiwillig. 

 

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Die ersten beiden Instanzen gaben den Eltern nicht Recht. Erst der Oberste Gerichtshof verbot das Gebet. 

Die obersten Richter kamen zu dem Schluss, dass es verfassungswidrig sei, wenn Staatsbeamte ein offizielles Schulgebet verfassen und dessen Rezitation in öffentlichen Schulen fördern. Dies stelle eine Verletzung des ersten Verfassungszusatzes dar. 

In einer öffentlichen Rede versuchte der damalige Präsident John F. Kennedy, ein Katholik, die Gemüter zu beruhigen, indem er das Volk ermutigte, einfach mehr zu Hause zu beten, da dies in der Schule nicht mehr möglich sei. Es sei wichtig, die Gewaltenteilung und damit die Entscheidung des Supreme Court zu akzeptieren. 

Das Gebetsverbot hat – wohl oder übel – die Religionsgesetze der einzelnen Staaten ausgehebelt.

Zwei Argumente ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film „22 Words“

Erstens, dass Gesetze, die eine Religion regeln, immer auch von einem bestimmten Glauben geprägt sind. Selbst ein Atheist hat einen Glauben. Wenn er ein Gesetz entwirft, das ein Schulgebet verbietet, dann wird sein Glaubensfundament über ein anderes gestellt. Und das gefährdet per se die Glaubensfreiheit. Freiheit ist nur dann gegeben, wenn das Beten freiwillig bleibt, nicht, wenn es abgeschafft wird. 

Zweitens sieht Pastor John das Verbot eines harmlosen interkonfessionellen Gebets als Türöffner für alle anderen Ideologien, die die gesamte amerikanische Gesellschaft stark säkularisiert haben. Der exponentielle Anstieg der Kriminalität und die Verschlechterung des Bildungswesens seit dem Gebetsverbot werden im Film auch statistisch dargestellt. Die Übersexualisierung der Kinder wird auf die Inhalte zurückgeführt, die sie sehen und lesen.

Pastor Johns Film heißt „22 Words“, weil das verbannte Gebet aus 22 Wörtern besteht:

„Almighty God, we acknowledge our dependence upon Thee, and we beg Thy blessings upon us, our parents, our teachers and our country.“

„Allmächtiger Gott, wir erkennen unsere Abhängigkeit von dir an und bitten dich um deinen Segen für uns, unsere Eltern, unsere Lehrer und unser Land.“

Der Film ist im Internet als Stream verfügbar, gegen eine Spende in selbstgewählter Höhe.

 

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Andreas Graf
Vor 2 Tage 2 Stunden

Pastor John pikiert die Mächtigen. Die verbotenen "22 Words", der verbannte Segen, hatten in Amerika verheerende Auswirkungen. Jahrelang trieb z. B. der US-amerikanische Investmentbanker Jeffrey Epstein auf seiner Privatinsel Little Saint James Island sein Unwesen, wo er Minderjährige den Mächtigen zum Vergnügen zuführte und dabei heimlich filmte. Der Skandal dauert an und beschäftigt weiter die Gerichte. Vor dem Hintergrund ist das Verhalten des Schulrates mehr als unverständlich, wo dieser zum Schutz der Minderjährigen beitragen könnte. Es widert an. Amerika steht moralisch am Abgrund. Es sollte jedem bange sein. Den Mächtigen sind die Atomwaffen in die Hände gelegt. Es sind die "22 Words", die fehlen.

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Andreas Graf
Vor 2 Tage 2 Stunden

Pastor John pikiert die Mächtigen. Die verbotenen "22 Words", der verbannte Segen, hatten in Amerika verheerende Auswirkungen. Jahrelang trieb z. B. der US-amerikanische Investmentbanker Jeffrey Epstein auf seiner Privatinsel Little Saint James Island sein Unwesen, wo er Minderjährige den Mächtigen zum Vergnügen zuführte und dabei heimlich filmte. Der Skandal dauert an und beschäftigt weiter die Gerichte. Vor dem Hintergrund ist das Verhalten des Schulrates mehr als unverständlich, wo dieser zum Schutz der Minderjährigen beitragen könnte. Es widert an. Amerika steht moralisch am Abgrund. Es sollte jedem bange sein. Den Mächtigen sind die Atomwaffen in die Hände gelegt. Es sind die "22 Words", die fehlen.