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Landtagswahl in Sachsen

Sag mir, wo die Kinder sind

Im Freistaat Sachsen ist am kommenden Sonntag Landtagswahl. Jeder Wähler hat zwei Stimmen: die Erststimme für den Direktkandidaten im Wahlkreis, die Zweitstimme für die Wahl einer Partei. Die Ergebnisse zwischen Leipzig und Zittau, zwischen Görlitz und Klingenthal werden auch überregional mit Spannung erwartet, denn Platzhirsch CDU könnte vom Mitbewerber AfD vom Thron gestoßen werden – und die im Bund regierenden Ampel-Parteien SPD und Grüne genauso in der Versenkung verschwinden wie die FDP, die schon seit zehn Jahren nicht mehr im sächsischen Landtag vertreten ist.

Die Sachsen, die als (lokal-)patriotisch, eigenwillig und allergisch gegen Bevormundung gelten und 1989 ganz wesentlich die Friedliche Revolution in der DDR veranstalteten, sind jedoch für manche Überraschung gut. Dass die dann vielleicht siegreichen Deutsch-Alternativen von Landeschef Jörg Urban trotzdem von der Regierung ferngehalten werden, gehört zu den Machtspielchen im deutschen Verhältniswahlrecht, ist aber ein anderes Thema.

Wenn AfD und BSW nach SED klingen

Das landschaftlich reizvolle 4,09-Millionen-Einwohner-Land, mit dem atemberaubenden Kletterparadies Elbsandsteingebirge gesegnet, ist derzeit vollgestellt mit Wahlplakaten der Parteien. Die drei unter ihnen, die sicher in den Landtag einziehen, präsentieren sich kandidatenzentriert: Im früheren Macher-Biedenkopf-Sachsen krempelt CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer fürs Foto die Hemdsärmel hoch, dazu in Großbuchstaben der Slogan: „Energisch. Weil es um Sachsen geht.“, zur Abwechslung auch: „Vorangehen.“ oder „Gemeinsam.“

Die AfD buhlt mit „GEZ – schaffen wir ab!“, „Kein Steuergeld in die Ukraine!“, „Wir sichern Frieden!“, „Rente, die zum Leben reicht!“, „Damit Sachsen Heimat bleibt!“, alles mit kraftmeierischem Ausrufezeichen. Der AfD-Kreisverband Sächsische Schweiz – Osterzgebirge lädt zum Autokorso „Wir stehen für Weltfrieden“.

Den älteren Sachsen klingeln dabei genauso die SED-Losungen im Ohr wie bei den Wahlslogans der Linkspartei-Abspaltung BSW. Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ spielt wie Rechtsaußen im Wahlkampf die Friedenskarte. Das BSW wirbt großflächig mit dem Konterfei von Bundesparteichefin Wagenknecht, die in Sachsen genauso wenig zur Wahl steht wie im Nachbarland Thüringen. Die programmatisch links-paternalistische Partei geht unter Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann mit Slogans wie „Weil Rechnen wichtiger ist als Gendern!“ und „Weil gute Renten Sicherheit bedeuten!“ auf Stimmenfang bei Konservativen und Wählern im Alter 60 plus.

Was der Sozialstaat verschleiert

Und die noch mitregierende SPD? Deren Spitzenkandidatin, Staatsministerin Petra Köpping, die zu Ostzeiten in der SED war, wirbt mit „Stabile Regierung nur mit uns“. Ein stolzer Spruch für eine Partei, die mit Mühe und Not geradeso über die Fünfprozenthürde ins Parlament plumpsen könnte.

Die sächsische Union wird von den Demoskopen auf 29 bis 34 Prozent taxiert, und sie liegt damit mal vor, mal hinter der AfD, die in den Umfragen auf 30 bis 32 Prozent kommt. Dem BSW werden, je nach Institut und Auftraggeber, zwischen elf und 15 Prozent zugemessen; ein kometenhafter Aufstieg so oder so, schließlich wurde der BSW-Landesverband erst im Februar gegründet.

Umfragen zur Landtagswahl in Sachsen 2024: CDU und AfD liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Rente ist sicher wichtig und Altersarmut schlimm, dass jedoch Kinderreichtum die beste Lebensversicherung ist, wird im Sozialstaat leicht vergessen. So spielt auch das Zukunftsthema schlechthin, die Kinder, im Sachsen-Wahlkampf keine prominente Rolle. Erstaunlich, wo Kinder in Sachsen genauso Mangelware sind wie im übrigen Deutschland.

Gestorben wird immer, geboren eher selten

Die zusammengefasste Geburtenziffer betrug in Sachsen 2023 nur 1,26 Kinder je Frau. Bei Frauen mit deutscher Staatsangehörigkeit lag der Wert mit 1,22 sogar noch unter dem Durchschnitt, der durch Geburten von Frauen mit ausländischen Papieren leicht verbessert wird; deren Geburtenziffer lag 2023 bei einem Wert von 1,53 Kinder.

Diese Aufschlüsselung teilte das Statistische Landesamt des Freistaates Sachsen auf Corrigenda-Anfrage mit. Veröffentlicht wird dieser Befund allerdings genauso wenig wie analog in Thüringen, obschon die Landesverfassung des Freistaates Sachsen die Begriffe Staatsvolk und deutsche Volkszugehörigkeit kennt.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Sachsen – im Jahr 2023 waren das 5.582 gemeldete Abbrüche – weist wie im Bundestrend nach oben. Die Abtreibungsrate, also die Quote je 1.000 Geborene, überragt mit 187,3 (2022) den Bundesdurchschnitt erheblich: Der lag für 2022 bei 139,2. Der Umgang mit dem ungeborenen Menschenleben in Sachsen erscheint noch krasser bei einem vergleichenden Blick auf die Quoten in Bayern und Rheinland-Pfalz: Die liegt bei 99 Abtreibungen bzw. 100,5 je 1.000 Geborene (Angaben für 2022). Wirkt in Sachsen die Abtreibungspraxis aus DDR-Zeiten fort?

Die Zahl der Sterbefälle überwog 2023 mit 58.101 jene der Geburten (26.194) um mehr als das Doppelte. Mit diesem demografischen Niedergang ist auf Dauer kein (Frei-)Staat zu machen.

Wer viel fragt, kriegt dennoch wenig Antwort

Was wollen also die drei Parteien CDU, AfD und BSW im Falle einer Regierungsbeteiligung tun, um in dieser existentiellen Zukunftsaufgabe für Sachsen das Blatt zu wenden? Um Familiengründungen leichter zu machen, möglichst auch mit mehr als zwei Kindern, um Schwangere im Konflikt für eine lebensbejahende Entscheidung mit Kind zu unterstützen? Denn: Über den „Weltfrieden“ wird nicht in Sachsen entschieden, über das Kinderbekommen und den Frieden im Mutterleib schon.

Corrigenda hat gefragt – und nur spärlich Antwort erhalten. Die CDU-Geschäftsstelle hat versprochen und nicht geliefert, und das BSW Sachsen hat nicht einmal eine Nummer, unter der man nachhaken kann, ob denn die E-Mail angekommen ist. „Telefon: ist noch in der Beantragung“ steht auf der Website – wie zu Ostzeiten … Einzig die AfD beantwortete die Fragen.

Familienpolitik

Die AfD Sachsen will Familien finanziell entlasten, „damit sich mehr Paare für mehrere Kinder entscheiden“. Sie plant ein Baby-Begrüßungsgeld von 5.000 Euro (die Thüringer versprechen 10.000 Euro pro Neugeborenem), das deutschen Staatsbürgern vorbehalten sein soll, die mindestens zehn Jahre in Sachsen leben und erwerbstätig sind oder studieren. Ferner stellt sie beitragsfreie Kindergärten, kostenloses Schulessen und ein höheres Landeserziehungsgeld in Aussicht. „Ziel ist es, die Ausgaben der Eltern zu senken und Familien mehr finanzielle Vorteile zu bieten“, teilt das Wahlkampfmanagement der Partei gegenüber Corrigenda mit.

Die sächsischen Christdemokraten nennen die Demografie in einem Atemzug mit „Digitalisierung und Dekarbonisierung“. Alle diese Faktoren würden unsere Gesellschaft rasant verändern. Die C-Partei will es jungen Menschen erleichtern, „selbst Familien zu gründen und Verantwortung für künftige Generationen zu übernehmen“. Was sie dafür tun will, müssen wir mangels Antwort im Regierungsprogramm nachsehen. Das meiste dazu steht im Unterkapitel „Familie – für eine stabile Basis“.

Die CDU will flexiblere Arbeitszeitgestaltung, das Landeserziehungsgeld weiterentwickeln, eine Bundesratsinitiative für die Wiedereinführung des Baukindergeldes, denn „wir wollen, dass Familien Wohneigentum schaffen können“; bei familienpolitischen Maßnahmen sollen Mehrkindfamilien verstärkt berücksichtigt werden. Wie, bleibt unklar. Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll die Kinderbetreuung nicht kostenlos, aber „bezahlbar“ sein, dazu flächendeckend. Das letzte Kita-Jahr soll hingegen als verpflichtendes Vorschuljahr gestaltet und kostenlos sein.

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Für jedes Kind soll „ab dem ersten Lebensjahr bis zum Ende der Grundschulzeit ein Betreuungsplatz“ bereitgehalten werden, sofern die Eltern es wünschen.

Außerdem will die Sachsen-CDU „Paare mit unerfülltem Kinderwunsch bei der Verwirklichung weiterhin finanziell unterstützen“. Für Studenten, die früh Familien gründen, sollen die Studentenwerke moderne Wohnsituationen schaffen; die CDU will die Träger dabei unterstützen.

„Wir setzen uns für die verbindliche Verankerung religiöser Bildung im Sächsischen Bildungsplan für Krippen, Kindergärten und Horte ein.“ Ein Punkt, der speziell christdemokratisch ist und den es bei keiner anderen der Parteien gibt. 

 

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Das BSW-Wahlprogramm zur Landtagswahl führt folgendes auf, das Familiengründungen begünstigen könnte; einen eigenen Punkt „Familien“ gibt es im Programm nicht: Zukünftig kostenlose Unterbringung aller Kinder in Kindertagesstätten und Horten, Verringerung des Betreuungsschlüssels in Kindertagesstätten

Kita-Beiträge nicht erhöhen, langfristig Beitragsfreiheit erreichen

Kostenübernahme mindestens für das letzte Vorschuljahr sowie kostenfreies Mittagessen in Kindergärten, Kitas und Grundschulen, kostenfreier ÖPNV für Schulkinder und Azubis; Studentenwerke sollen bei der Schaffung von günstigem Wohnraum unterstützt werden, insbesondere für Studenten mit Kindern. Massive Investitionen in den Ballungszentren Leipzig, Dresden und Chemnitz sollen „wenigstens in Teilen“ günstigen Wohnraum schaffen, der auch Alleinerziehende aus ihrer prekären Lage hilft.

Lebensschutz

Die AfD Sachsen plant, das Unterstützungsnetzwerk für Schwangere in Not auszubauen, um betroffenen Frauen und Paaren eine tragfähige Lebensperspektive zu bieten. Das bekam Corrigenda zur Antwort auf die entsprechende Frage. „Zudem sollen die Informations- und Kommunikationswege für adoptionswillige Eltern erleichtert werden, um ungewollt schwangere Frauen zu ermutigen, ihr Kind auf die Welt zu bringen.“ Zudem will die AfD „Transparenz in der Schwangerschaftskonfliktberatung“ und die Träger unterstützen, „die für das Leben beraten“.

Den Lebensschutz, einst ein Thema, das die Christdemokraten nahezu allein für sich gepachtet hatten, behandelt die sächsische Union im Programm mit einem Satz: „Wir lehnen eine Aufweichung des § 218 Strafgesetzbuch ab.“ Lebensschutz oder Abtreibung kommen als Stichworte gar nicht vor, Schwangerschaft nicht in diesem Zusammenhang.

Zu dem Thema ist vom sächsischen BSW nichts zu erfahren. Im Landtagswahlprogramm gibt es nicht einmal den bei Linken beliebten Begriff „reproduktive Gesundheit“.

Ansehen von Familie, und: Sind Ehe und Familie cool?

Corrigenda hat die großen Drei auch gefragt, wie sie eine „Willkommenskultur für Kinder“ beleben und wie sie das gesellschaftliche Bild von Familien und Elternschaft verbessern wollten.

In ihrer Antwort wiederholt sich das Wahlkampfmanagement der AfD Sachsen zwar teilweise („Finanzielle Entlastungen, Baby-Begrüßungsgeld und beitragsfreie Kindergärten“), aber immerhin hat die Partei geantwortet: „Die AfD möchte eine Willkommenskultur für Kinder durch gezielte Fördermaßnahmen schaffen.“

Darüber hinaus will die Vielleicht-vielleicht-auch-nicht-stärkste-Kraft-in-Sachsen eine „gesellschaftliche Wertediskussion zur Stärkung der Elternrolle“ anstoßen, um ein positives Bild von Familie als Lebensentwurf zu fördern, die Elternrolle zu würdigen und die traditionelle Familie als Leitbild zu stärken.

Und da das Management der Blauen auf jeden Aspekt unserer Fragen eingeht, bekommen wir auch eine Stellungnahme zum Satz, dass es wieder „cool“ sein müsse, zu heiraten und eine große Familie zu gründen: „Die AfD unterstützt die Aussage, dass es wieder erstrebenswert sein sollte, eine Ehe einzugehen und eine große Familie zu gründen.“ Übrigens die einzige Erwähnung der Lebensform „Ehe“ weit und breit. Im Programm der sächsischen Christdemokraten sucht man den Begriff vergeblich.

Papier ist geduldig

Das BSW Sachsen, das für Corrigenda nicht erreichbar war, textet im Landtagswahlprogramm eine Stelle, die man mit etwas gutem Willen als Antwort auf unsere Frage hindrehen kann: „Ihre Stimme für das BSW in Sachsen ist eine Garantie dafür, dass künftig die Interessen von Familien, Arbeitnehmern, Unternehmern und Rentnern im Mittelpunkt der Politik Sachsens stehen.“ Für alle wird also gesorgt, und Papier bleibt geduldig.

Und die Union? Macht sich einen schlanken Fuß. Daher verweisen wir auf die Programmauszüge unter „Familienpolitik“ (s.o.). Dort steht, was die CDU alles tun will. Nur: Was hat sie für die von Corrigenda abgefragten Punkte eigentlich in der Vergangenheit getan? Warum ist da so viel offen? Die Christdemokraten regieren in Sachsen seit Oktober 1990 ununterbrochen, bis 2004 sogar mit absoluter Mehrheit.

 

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