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Politik, Verteidigung, Kultur, Zusammenleben

It’s the demography, stupid

Ob wir es wollen oder nicht, wir alle sind Protagonisten und Zeugen einer noch nie dagewesenen Entwicklung: Europas Bevölkerung schrumpft rapide, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Dieser demografische Wandel sei kein gewöhnlicher Strukturwandel, betont der Soziologe Harald Michel, sondern ein „Megatrend“, der uns noch mindestens ein Jahrhundert lang beschäftigen wird. Der Berliner Humboldt-Uni-Dozent betont gegenüber Corrigenda: „Er erfasst sämtliche Lebensbereiche und wird die betroffenen Gesellschaften in noch nicht erlebten Maßen verändern.“

Und er mahnt: „Es gibt deshalb keine fertigen und erprobten Rezepte, wie die europäischen Gesellschaften angemessen auf diese Entwicklung reagieren sollten. Die mit dem demografischen Wandel verbundenen Veränderungen stellen die europäische Bevölkerung vor vollkommen neuartige und sehr komplexe Herausforderungen.“

Inhaltsverzeichnis

Klingt übertrieben? Ja, doch das Gesagte ist wahr, vielleicht sogar untertrieben, wenn man sich auf die verblüffende Welt der Demografie einlässt. Im Unterschied zu Corona-Modellierungen schätzen Demografen nicht nur, sie sagen voraus. Warum die Vorhersagen so genau sind, liegt daran, dass man anhand der zusammengefassten Geburtenziffern von heute ziemlich exakt berechnen kann, wie viele Kinder die heute geborenen Kinder später zeugen beziehungsweise zur Welt bringen werden.

So kraftvoll sind Bevölkerungsentwicklungen

Und diese Bevölkerungsentwicklung verläuft nicht linear, sondern exponentiell. Das wiederum liegt an den sich verändernden Kohorten der Frauen. Ein Beispiel, mit welcher Wucht demografische Niedergänge sich ausprägen können, zeigt folgende Grafik:

Demografischer Wandel: So schnell schrumpft eine Bevölkerung bei einer Geburtenziffer von 1,4

Das Bild zeigt eine Population von 1.000 Männern und 1.000 Frauen bei einer Geburtenziffer von 1,4 Kindern pro Frau. Schon in der zweiten Generation sind es nur noch 700 Frauen, dann 490, dann 343 – und nach rund 200 Jahren ist diese Population dezimiert auf weniger als 100 Frauen. Natürlich verändern sich die Geburtenziffern im Laufe der Zeit, bleiben nicht exakt konstant wie im Beispiel, doch mit welcher Vehemenz sie auf eine Bevölkerung durchschlagen, wird an diesem Beispiel deutlich.

Freilich gilt dies auch umgekehrt, bei einer hohen Kinderzahl. Die nachstehende Grafik zeigt eine Population von 100 Männern und 100 Frauen bei einer Geburtenziffer von 3 Kindern pro Frau. Nach vier Generationen, also nach rund 120 Jahren, hat sich die Bevölkerung verfünffacht, nach 200 Jahren mehr als verzehnfacht. Doch von einer solchen Kinderzahl sind wir weit entfernt: Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden erst diese Woche vermeldet hat, sank die Zahl der Kinder je deutscher Frau 2023 auf einen Wert von 1,26.

So stark wächst eine Bevölkerung mit einer Geburtenziffer von 3

Alterung und die vier Dimensionen des demografischen Wandels

Laut dem Soziologen Harald Michel kann der demografische Wandel in vier Bereiche aufgeteilt werden: der quantitativen Veränderung der Bevölkerungszahl, der Veränderung der Altersstruktur bzw. der Verschiebung der Proportionen, der Veränderung der soziokulturellen Struktur und der Veränderung der räumlichen Verteilung der Bevölkerung.

Seit 1972 sterben in Deutschland mehr Menschen als geboren werden. Während das Durchschnittsalter 1990 noch bei 38,3 Jahren lag, stieg dieser Wert bis 2022 auf ein Median-Alter von 45 Jahren an. Deutschland hat damit nach Japan die älteste Bevölkerung aller großen Industrieländer. Das Median-Alter gibt den Mittelpunkt an, bei dem die Hälfte jünger, die Hälfte älter ist. Die Bevölkerung Deutschlands ist fast doppelt so alt wie der Weltdurchschnitt.

Doch das Durchschnittsalter ist die eine Sache, die andere sind die Proportionen. Eine wichtige demografische Kennziffer ist der Altenquotient. Er gibt an, wie viele Personen ab 65 Jahren auf 100 Personen der Gruppe zwischen 20 und 64 Jahren treffen. In Deutschland lag der Altenquotient 2023 bei 37, das heißt auf 100 20- bis 64-Jährige kamen 37 über 65-Jährige. Bis 2070 wird sich dieser Wert laut dem Statistischen Bundesamt dramatisch verschieben: auf 100 20- bis 64-Jährige kommen dann 55 über 65-Jährige.

Als Konrad Adenauer 1963 das Kanzleramt verließ, waren zwölf Prozent der Menschen in Deutschland über 65 Jahre alt. Als Helmut Kohl 1998 abgewählt wurde, waren es 16 Prozent. Als Angela Merkel 2021 als Regierungschefin aufhörte, waren es 22 Prozent. Die Entwicklung zeigt die Dynamik der Alterung: Zunächst nimmt der Anteil der Alten nur langsam zu, schließlich immer schneller. Auf dem Land ist das schon jetzt bemerkbar: Grauhaarige prägen das Dorfbild, und Frauen mit Kinderwagen sind eine Seltenheit.

Noch schlimmer als Deutschland wird es übrigens osteuropäische Länder treffen. In Litauen und Polen liegt 2070 dann der Altenquotient bei 73 beziehungsweise 64.

Die „Unterjüngung“ (Ursula Lehr) der Bevölkerung, also der Mangel an Kindern, führt neben der Geschlechter- und Beziehungskrise dazu, dass sich das Zusammenleben verändert. Wie das Statistische Bundesamt vor kurzem mitteilte, lebte 2023 jeder Fünfte in Deutschland allein. Der Anteil lag über dem EU-Durchschnitt von 16 Prozent.

Die ethnische Zusammensetzung verändert sich

Besonders drastisch, speziell in Deutschland, fallen die soziokulturellen Veränderungen auf. Ihre Folgen lassen sich nur erahnen. Die Zahlen sprechen jedoch eine deutliche Sprache. Auf den Punkt gebracht hat das Thilo Sarrazin. Laut seinen Berechnungen wird 2070 nur noch jeder fünfte in Deutschland geborene Mensch einen ethnisch deutschen Hintergrund haben. 

Auf Corrigenda-Nachfrage legte der Volkswirt seine Parameter offen, die ihn zu diesem Ergebnis führten:

„Laut Mikrozensus 2023 betrug der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei den unter 15-jährigen 2022 bereits 41,5 Prozent. Da die Geburtenhäufigkeit bei Frauen mit Migrationshintergrund deutlich höher ist, schätze ich, dass gegenwärtig etwa 50 Prozent der Geburten in Deutschland auf Frauen mit Migrationshintergrund entfallen.“

Zu bedenken gilt: Laut amtlicher Definition hat einen Migrationshintergrund, wer selbst im Ausland geboren ist, oder der ein Elternteil hat, das nicht in Deutschland zur Welt gekommen ist. Wenn allerdings schon die Großeltern in Deutschland zur Welt kommen, haben deren Enkel für die amtliche Statistik keinen Migrationshintergrund mehr. 

Der frühere SPD-Politiker und ehemalige Berliner Finanzsenator resümiert:

„Das Sinken des Anteils der ethnischen Deutschen unter den Geburten setzt sich von Jahr zu Jahr dynamisch fort, weil

  • die Deutschen jedes Jahr rund ein Drittel weniger Kinder haben, als zur Bestanderhaltung notwendig wäre,
  • die Geburtenrate der Frauen mit Migrationshintergrund deutlich höher ist,
  • die anhaltend hohe Einwanderung von jährlich 400.000 bis 500.000 in erster Linie auf junge und jüngere Menschen entfällt, die in Deutschland alsbald Familien gründen bzw. ihre Kinder im Rahmen des Familiennachzugs nachholen.

Insofern halte ich es für wahrscheinlich, dass im Jahr 2070 der Anteil der ethnischen Deutschen an den Geburten eher unter als über 20 Prozent liegt.“

Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland nach Kreisen

Die räumliche Verteilung

Hinsichtlich der räumlichen Verteilung der Bevölkerung hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) vor kurzem eine neue Studie präsentiert. Demnach wird die Bevölkerung aufgrund der hohen Zuwanderung bis 2045 um 800.000 Personen anwachsen. Jedoch wird die Entwicklung von einer starken Landflucht geprägt sein.

„Während wirtschaftsstarke Großstädte und ihr Umland sowie zahlreiche ländliche Regionen insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg weiterwachsen, verringert sich die Bevölkerungszahl in strukturschwachen Gegenden abseits der Metropolen weiter“, schreiben die Experten vom BBSR. „Die Landkreise Erzgebirgskreis (Sachsen), Greiz (Thüringen) und Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) büßen bis 2045 laut Prognose mehr als ein Fünftel ihrer Bevölkerung ein.“

Die Forscher werteten auch die künftige Altersstruktur in den verschiedenen Regionen aus. „In Regionen mit stark rückläufigen Bevölkerungszahlen wird das Durchschnittsalter aber überdurchschnittlich stark ansteigen.“ 2045 werden demnach die Menschen in den Landkreisen Vorpommern-Rügen (Mecklenburg-Vorpommern), Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt), Altenburger Land (Thüringen), Greiz (Thüringen) und Spree-Neiße (Brandenburg) im Durchschnitt älter als 50 Jahre sein.

Die Folgen

Welche Folgen aber haben all diese Entwicklungen auf die Gesellschaft? Während Volkswirte und Demografen – damals gab es noch entsprechende Professuren, heute keine einzige mehr – schon in den 1990ern vor diesem demografischen Wandel gewarnt hatten (und ignoriert wurden), setzt seit wenigen Jahren immerhin in puncto Ökonomie ein Umdenken ein. Wer bezahlt die Rente? Wo sind die Fachkräfte? Wer finanziert den Sozialstaat? Diese Fragen werden nun immerhin diskutiert.

Wir wollen uns deshalb auf das konzentrieren, was woanders noch nicht oder nur randständig betrachtet wird: Wie verändert sich der Einzelne, wie verändert sich das Zusammenleben in einer stark schrumpfenden Gesellschaft?

Politik

Ein Rentner hat in der Regel andere Erwartungen an die Politik als ein 16-Jähriger. In einer Demokratie bestimmt das Volk über seine Repräsentanten, und weil jede Stimme gleich viel wert ist, hat die Zusammensetzung des Demos (partei-)politische Auswirkungen. Bei der EU-Parlamentswahl in diesem Sommer konnte man dies gut beobachten. Von den 60,9 Millionen deutschen Wahlberechtigten waren 8,8 Millionen zwischen 16 und 29 Jahre alt, was einem Anteil von 14,5 Prozent entspricht. Die Gruppe der über 65-Jährigen machte mit 18,1 Millionen anteilsmäßig jedoch mehr als doppelt so viel aus (29,7 Prozent). Ältere wählten weit überdurchschnittlich Union und SPD. Die AfD oder kleinere linke Parteien erhielten von ihnen unterdurchschnittlich viele Stimmen.

Auch die ethnische Zusammensetzung sorgt für politische Umbrüche. Die Erdoğan-nahe Partei „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA), die ein „positiveres Bild des Islam“ fördern möchte, schnitt in mehreren Duisburger Stimmbezirken als stärkste Kraft ab. Auch in Gelsenkirchen erzielte sie Achtungserfolge. Zwar war die Wahlbeteiligung in diesen Bezirken gering, doch aufgrund der oben gezeigten dynamischen Bevölkerungsentwicklungen kann aus Ausnahmen schnell ein Regelzustand werden.

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Bei der Kommunalwahl in England setzten sich mehrere moslemische Kandidaten durch, obwohl diese keiner der großen Parteien angehören. Nach der wenige Wochen später stattfindenden Parlamentswahl ging ein Video des siegreichen Labour-Kandidaten Adnan Hussain viral, der sich in einem Saal voller Moslems euphorisch zeigte: „Wir werden unsere Stimme für Gaza erheben!Wir werden weiterkämpfen, bis zum Tod, Inshallah!“

Selbstverständlich werden sich neue ethnische Gruppen auch ihren Platz und ihre Privilegien nehmen, die sie demokratisch erstritten haben; fallweise auch mit Gewalt. Straßennamen, Geschäfte, religiöse Stätten, ja ganze Straßenbilder werden sich noch weit stärker verändern, als wir es heute schon erleben.

Religion

Einen für die Bevölkerungsentwicklung nicht zu unterschätzenden Einfluss hat die Religion. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung veröffentlichte Ende 2023 eine Studie, die diese Aussage noch einmal untermauerte. Kinderwünsche werden schon in Kindheit und Jugend geprägt. Religiöse Menschen haben bereits im Jugendalter höhere Fertilitätsabsichten. Die befragten religiös geprägten 15-Jährigen wollten im Schnitt 2,1 Kinder bekommen. Bei den Gleichaltrigen ohne religiöse Bezüge war der Wert mit 1,7 deutlich geringer und zudem unterhalb des Bestandserhaltungsniveaus.

Nun kommen zwei Trends zusammen, die die ethnische Verschiebung in Deutschland verstärken: Während die autochthone Bevölkerung immer weniger religiös wird, kommen neue Bevölkerungsgruppen, vornehmlich aus islamischen Ländern, hinzu, die deutlich religiöser sind. Wie viele Moslems es in Deutschland derzeit gibt, ist jedoch unklar, weil das Statistische Bundesamt bei der Erarbeitung des Mikrozensus die islamische Religion nicht erfasst.

Der aktuelle Zensus für das Jahr 2022 belegte jedoch den drastischen Rückgang der christlichen Bevölkerung. Machten Katholiken 2011 noch in 23 Großstädten die Mehrheit aus, war das 2022 nur noch in vier Großstädten der Fall: Bottrop, Münster, Paderborn und Trier. Auch in religiöser Hinsicht findet in Deutschland und Europa eine stille Verschiebung statt.

Gesellschaftliches Zusammenleben

Im Mai präsentierten Forscher des Uni-Klinikums Bonn eine aufsehenerregende Studie. Kann man Einsamkeit mit einem Nasenspray bekämpfen, fragten die Journalisten. „Depression, Herzerkrankungen oder Demenz – wer dauerhaft einsam ist, hat ein höheres Risiko, krank zu werden“, sagte das Forscherteam, das in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Israel 78 sich einsam fühlenden Menschen das Hormon Oxytocin per Nasenspray verabreichte – und Erfolge erzielte.

Oxytocin, darauf machte der Journalist Stefan Schulz in seinem 2022 erschienenen Buch „Die Altenrepublik“ aufmerksam, sei ein unterschätzter Gegenspieler der Stresshormone. „Wir kennen es kaum, sind aber süchtig nach: Oxytocin. Die Konzentration dieses Hormons steigt immer dann in unserem Blut, wenn wir uns wohl und sicher, akzeptiert und verstanden fühlen. Unverhoffter, aber angenehmer Hautkontakt macht Oxytocin manchmal zu einem regelrechten Rauschmittel.“ Oxytocin sei aber weit mehr als ein „Kuschelhormon“, es fungiere als Neurotransmitter, verringere Ängste, sorge für mehr Vertrauen.

 

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Allerdings nehmen Vereinsamung und Vereinzelung zu. Immer mehr Jugendliche fühlen sich einsam. Zugespitzt könnte man sagen: Wenn es weniger Menschen gibt, die noch dazu vereinzelt leben, werden sie psychisch und physisch kränker und unglücklicher. Schulz zitiert die Psychologin Jean M. Twenge: Junge Erwachsene seien heute deshalb in weniger Verkehrsunfälle, Schlägereien u. ä. verwickelt, weil sie generell in weniger verwickelt seien. „Sie fühlen sich in ihren Schlafzimmern am wohlsten.“

Eng verbunden ist dieser Zustand mit der Nutzung von Smartphones. Seitdem es Smartphones gibt, sind Jugendliche unglücklicher. Wer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringt, ist weniger zufrieden und hat weniger echten sozialen Kontakt.

Eine unglückliche Jugendliche in ihrem Schlafzimmer: Alleinsein macht krank

Nicht nur junge Menschen sind von der Vereinsamung betroffen. In den typischen Touristenstädten lassen sich inzwischen Menschen buchen, die mit einem auf Fotos posieren oder durch die Stadt wandern. In den Alpen werden Skilehrer gebucht, nicht etwa um Skifahren zu lernen, sondern damit ein einsamer Tourist Zweisamkeit genießen kann.

Unter anderem, weil Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes inzwischen älter als 30 Jahre alt sind, gibt es auch im ländlichen Raum weniger Großfamilien als noch vor 80 oder 100 Jahren. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die demografische Zusammensetzung, sondern auch auf das einzelne Kind.

Ein Einzelkind, dessen Eltern bei seiner Geburt schon über 30 Jahre alt sind und einen gewissen materiellen Wohlstand erreicht haben, wird anders versorgt als etwa junge Vier- oder Fünf-Kind-Familien. Das Einzelkind bekommt in der Regel teurere Kleidung, Smartphones, Computer, und ihm werden mehr seiner Wünsche erfüllt. Wie geht ein Kind, das so aufwächst, später einmal mit einschneidenden Umbrüchen um, etwa wenn es zum ersten Mal allein für sich sorgen muss?

Außerdem zeigen Studien, dass Geschwisterkinder sozial verträglicher sind, sich zum Beispiel im Kindergarten eher mit anderen Kindern verstehen als Einzelkinder. Zudem gibt es Indizien, dass sich Geschwisterkinder später einmal weniger häufig scheiden lassen. Auch sind sie später psychisch gesünder.

Eine neue Studie aus diesem Jahr stellt fest, dass bei Menschen mit einem kleinen „Verwandtschaftsreservoir“ die Wahrscheinlichkeit, unter körperlichen Einschränkungen und Gesundheitsproblemen zu leiden, überdurchschnittlich hoch ist. Im Gegensatz dazu leiden Menschen in einem Familiengefüge mit drei Generationen seltener an Depressionen und körperlichen Einschränkungen. Die Resilienz der verbleibenden jungen Leute nimmt ab.

Kultur

Ohne Jugend keine Jugendbewegung. Seit mindestens 1990 gibt es in Europa keine Jugendbewegungen mehr. Die sogenannte Klimajugend ist bei genauerem Hinsehen keine, denn die Impulse kamen nicht aus der Jugend, sondern von Erwachsenen. Man denke nur an den Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von Ex-US-Vizepräsident Al Gore und dem Regisseur Davis Guggenheim sowie an den Einfluss von Greta Thunbergs Eltern auf das Engagement ihrer psychisch beeinträchtigten Tochter.

Soziologen erklärten sich den Mangel an Jugendbewegungen schon vor Jahrzehnten als Folge der Annäherung zwischen den Generationen. Die Erwachsenen wurden nicht mehr als autoritär wahrgenommen, gegen die man sich auflehnen müsse. Der Soziologe Andreas Reckwitz sprach 2017 von einer „Juvenilisierung“, das heißt: 

„Jugendlichkeit als kulturelles Muster wird für alle Altersstufen attraktiv und dominant. Dabei enthält der singularistische Lebensstil der neuen Mittelklasse nachgerade eine innere Affinität zur Jugendlichkeit. Ein kulturelles Muster von (moderater) Jugendlichkeit prägt ihren aktivistischen Lebensstil, der einen Anspruch auf Selbstverwirklichung und ‘Offenheit’ erhebt, in Freizeit und Beruf nach neuen Erfahrungen strebt, der urban ist und sich durch erheblichen körperlichen Bewegungsdrang auszeichnet.“

Doch viel eher könnte eine andere Erklärung für die (polit-)kulturell schlaffere Jugend zutreffen: Es fehlen die Mitglieder. Vor 150 Jahren bildeten die jungen Leute die überragende Mehrheit der Gesellschaft. Seither ist diese Gesellschaft vergreist. Der Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn hatte eine enge Korrelation zwischen den dritten und vierten Söhnen einer Gesellschaft und politischen, religiösen bis hin zu kriegerischen Wandlungen festgestellt. Zwar muss dies nicht so sein, wie die Beispiele China oder Brasilien zeigen, aber als Voraussetzung für solche Umschwünge kann eine hinreichend große Anzahl an vor allem männlichen Jugendlichen als gesichert gelten.

Innovation und Verteidigung

Das Alter spielt auch bei der Innovationskraft eine Rolle. Forschungen zeigen, dass Männer wie Frauen während eines bestimmten Zeitfensters rund um das 35. bis 40. Lebensjahr innovativ sind. Die meisten Entwicklungen in Unternehmen kommen von Mitarbeitern in diesem Alter. Bei jüngeren und älteren nimmt die Innovationskraft ab, weshalb entsprechende Statistiken oft wie ein umgekehrtes „U“ aussehen. Wenn aber nicht mehr ausreichend jüngere Mitarbeiter folgen, wird die Innovationskraft gebremst. Ältere Menschen lernen in der Regel auch weniger oft neue Technologien kennen, was Entwicklungen bremst, wenn diese Altersgruppe einen Großteil der Gesellschaft ausmacht.

Der demografische Wandel hat Auswirkungen auf die Landesverteidigung. Er zwang bereits mehrere westeuropäische Länder zur Abkehr von Wehrpflichtarmeen hin zu professionellen Streitkräften, die aber nicht mehr in der Lage wären, einen Aggressor zurückzudrängen, sondern für Aufträge an der europäischen Peripherie und für die Arbeit in der NATO konzipiert sind.

Während sich die Volksrepublik China über die demografischen Folgen für das Bestehen von Nation und Zivilisation bewusst ist, reift diese Erkenntnis im Westen erst noch. Immerhin haben die Vereinigten Staaten von Amerika das Problem erkannt. Autor Schulz fasste dies zusammen: „Familienpolitik zählt in Amerika nun zur Landesverteidigung.“ Er bezog sich u. a. auf das durch einen Parteikollegen verhinderte Vorhaben von Präsident Joe Biden (Demokratische Partei), „American Families Plan“, der Investitionen und Steuergutschriften für Familien und Kinder binnen zehn Jahren vorgesehen hätte.

Fazit

Demografische Entwicklungen haben Folgen für ausnahmslos alle Lebenssituationen. Nahezu sämtliche Probleme, mit denen unsere Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten konfrontiert sein wird, haben ihre Ursache in der alternden – und im Falle Deutschlands schrumpfenden – Bevölkerung. Während andere Länder Demografie als gesamtstaatliche Herausforderung betrachten, ist Bevölkerungsforschung in Deutschland ein Randthema, vermutlich auch deshalb, weil es aufgrund der NS-Vergangenheit verpönt ist, über Völker und ihre Bestände zu forschen, selbst wenn es wissenschaftlich-neutral geschieht. 

Über einen Aspekt liest man auch bei den nun verstärkt aufkommenden ökonomischen Implikationen des demografischen Wandels nie: über Abtreibung und ihre Folgen. Seit der faktischen Freigabe der Abtreibung 1976 sind in Deutschland allein laut offiziellen Zahlen 6,2 Millionen ungeborene Kinder abgetrieben worden. Rechnet man den Nachwuchs dieser nicht geborenen Kinder mit einer Geburtenziffer von 1,4 hinzu, dann fehlen heute mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland.

So manche Diskussion, so manches Problem – Stichwort Fachkräftemangel – wäre heute obsolet, wenn diese abgetriebenen Menschen lebten. Nun müssen der demografische Wandel und seine gesamtgesellschaftlichen Folgen aber diskutiert werden. Und es müssen Lösungen gefunden werden, die über Immigration hinausgehen. Schließlich wird die Menschheit bis Ende des Jahrhunderts insgesamt schrumpfen. Und gehandelt werden muss bald, denn demografische Wenden brauchen Jahrzehnte, bis sie wirksam werden.

 

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Kommentare

Comment

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Kommentar
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Thomas Maier
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die katastrophale Situation der Bahn ist auch eine Konsequenz des Staatsfeminismus, der Abtreibungen und der Masseneinwanderung aus kulturfremden Weltregionen, das ist nicht mehr die Deutsche Bahn, sondern die Afghanistan Bahn, weil die Deutschen ihre eigenen Kinder abgetrieben haben und jetzt die Menschen fehlen. Aber: Wer ist daran wirklich Schuld? Nach den 9 Millionen ermordeten Polen und Juden im 2. Weltkrieg sind es seit 1976 6 Millionen ermordete Babies. Es steht doch schon in der Bibel, dass die Gottlosen ausgetilgt werden vom Angesicht der Erde.

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Michael
Vor 1 Monat 2 Wochen

Ich kann mich noch erinnern, dass der bekannte Lebensrechtler Pater Otto Maier schon vor 40 Jahren die Folgen der Abtreibungs- und Verhütungsmentalität, die wir heute erleben, drastisch beschrieb. Nur damals konnte sich niemand vorstellen wie es sein dann praktisch würde. Es war graue Theorie von Bevölkerungswissenschaftlern. Und mir als Jugendlichem fehlte dafür ohnehin die Lebenserfahrung. Aber die damaligen politischen Entscheidungsträger (inkl. Bischöfe) konnten all dies genauso wissen wie er und sie haben nicht darüber informiert und erst recht nicht gegengesteuert.

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Chrizzlybear
Vor 1 Monat 2 Wochen

Ihr schreibt oben 1,24 aber die offizielle Zahl sind 1,35 Kinder pro Frau. Wie kommt ihr auf die Abweichung?

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Vor 1 Monat 2 Wochen

Hallo,
beides sind offizielle Zahlen. Erstere ist aber die, die sich auf deutsche Staatsbürger bezieht. Und die hab ich verwendet, weil sie mir relevanter erschien.

Beste Grüße
Lukas Steinwandter

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Susanne
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die erwähnte steigende Lebenserwartung scheint auch abzubrechen. Studien vor allem bei jüngeren Covid-19 geimpften Menschen eine Reduktion von über 30%.
Weitere Details hier, inklusive Link zur Originalstudie https://legitim.ch/italienische-studie-loest-massive-schockwelle-aus-di…

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Andreas Graf
Vor 1 Monat 2 Wochen

Noch ein Nachtrag: Die von Bill Gates finanzierte GAVI Impfallianz mit Sitz in Genf möchte in den nächsten Jahren mit einem 11,9-Milliarden-Dollar-Plan unglaubliche 500 Millionen Kinder impfen. Das gibt der Demographie den Rest. Die moderne mRNA-Impfung kann nach jetzigem Wissensstand als Giftspritze bezeichnet werden. Das perfide daran ist, dass der Tod erst viel später plötzlich und unerwartet eintritt und dann meist mit der Impfung nicht mehr in Verbindung gebracht wird. Mit der Abtreibung, die meist heimlich und inkognito erfolgt, werden Kinder heute offen und ohne Skrupel weggespritzt. Die Autismus-Fälle sind parallel dazu impfbedingt von 0 auf 1 unter 30 Kindern gestiegen und bis 2030 soll bereits jedes zweite Kind betroffen sein. Das ist eine ungeheure Hypothek, die nicht mehr stemmbar ist. Wir leben im schönen Schein des "Lichtbringers" Luzifer und merken es nicht einmal, wie wir alle betrogen werden. Unsere Bischöfe und Priester haben von all dem keine Ahnung.

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Thomas Maier
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die katastrophale Situation der Bahn ist auch eine Konsequenz des Staatsfeminismus, der Abtreibungen und der Masseneinwanderung aus kulturfremden Weltregionen, das ist nicht mehr die Deutsche Bahn, sondern die Afghanistan Bahn, weil die Deutschen ihre eigenen Kinder abgetrieben haben und jetzt die Menschen fehlen. Aber: Wer ist daran wirklich Schuld? Nach den 9 Millionen ermordeten Polen und Juden im 2. Weltkrieg sind es seit 1976 6 Millionen ermordete Babies. Es steht doch schon in der Bibel, dass die Gottlosen ausgetilgt werden vom Angesicht der Erde.

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Isis Alina Klinken
Vor 1 Monat 2 Wochen

Sagen Sie mal, geht es noch??!!!

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Rául
Vor 1 Monat 2 Wochen

Ich dachte bisher immer, es stünde fünf vor zwölf. Dabei steht es schon zehn nach zwölf.

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Andreas Graf
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die Familienpolitik war jahrzehntelang ein Stiefkind der Politik. Die Folgen vergangener verfehlter Politik werden immer sichtbarer. Wir haben allerdings wegen des demographischen Wandels keine schrumpfende Bevölkerung, sondern bedingt durch den massenhaften Zuzug von Migranten einen Bevölkerungsaustausch. Wie wir sehen, können die Migranten, die überwiegend Analphabeten sind, die einheimische Bevölkerung nicht ersetzen. Messerfachkräfte sind nicht die Art von Fachkräften, die wir benötigen. Völlig klar, dass da Probleme entstehen. Japan hat unlängst für Deutschland eine Reisewarnung verhängt. Da die Entwicklung derart irrational ist, kann durchaus vermutet werden, dass da eine Absicht, ein Plan dahintersteckt, der in Tat umgesetzt wird/wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es mehrere Theorien der Alliierten, wie mit dem Nachkriegsdeutschland verfahren werden solle. Eine dieser Theorien lieferte der US-Amerikaner und Paläoanthropologe Earnest Albert Hooton. Er plädierte für die Ansiedlung nicht-deutscher Bevölkerung in Deutschland, um „den deutschen Nationalismus und die aggressive Ideologie zu zerstören“. Als Eugeniker und Rassentheoretiker wollte er dabei die für ihn biologisch begründeten und angeborenen räuberischen Neigungen der Deutschen durch Kreuzung mit Vertretern anderer Völker wegzüchten. Erleben wir nicht gerade die Umsetzung dieses Planes? Wem diente die Altbundeskanzlerin Angela Merkel wirklich, die 2015 die Grenzen öffnete? Ob der Berliner Humboldt-Uni-Dozent Harald Michel wohl von den Nachkriegsplänen weiß, insbesondere des Earnest Hooton?

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Michael
Vor 1 Monat 2 Wochen

Ich kann mich noch erinnern, dass der bekannte Lebensrechtler Pater Otto Maier schon vor 40 Jahren die Folgen der Abtreibungs- und Verhütungsmentalität, die wir heute erleben, drastisch beschrieb. Nur damals konnte sich niemand vorstellen wie es sein dann praktisch würde. Es war graue Theorie von Bevölkerungswissenschaftlern. Und mir als Jugendlichem fehlte dafür ohnehin die Lebenserfahrung. Aber die damaligen politischen Entscheidungsträger (inkl. Bischöfe) konnten all dies genauso wissen wie er und sie haben nicht darüber informiert und erst recht nicht gegengesteuert.

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Conny
Vor 1 Monat 2 Wochen

Wenn vornehmlich junge Männer kommen werden sie auf einen Mangel an Frauen stoßen. Familienbildung wie ? Tatsächliche Veränderungen in der Struktur?

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Vor 1 Monat 2 Wochen

Es wird sicher einen Überhang an Männern geben, aber ein relevanter Teil hat bereits Frauen und die können per Familiennachzug einwandern.