Gibt es zu viele Menschen?
Lediglich eine Milliarde Menschen bevölkerten den Planeten inmitten der Industriellen Revolution vor 200 Jahren. Im Jahr 1974 waren es vier Milliarden, 1999 sechs Milliarden. Heute stehen wir bei rund acht Milliarden Menschen.
Diese Entwicklung macht einigen große Angst. Sie fordern daher Maßnahmen zur Bevölkerungsreduktion. Sie behaupten: Je mehr Menschen es gibt, desto schlechter ist das für die Menschheit und die Umwelt. Der These wird in der öffentlichen Debatte kaum noch widersprochen. Doch stimmt sie auch?
Schon 1798 warnte der Ökonom und Pfarrer Thomas Robert Malthus angesichts des sich abzeichnenden Bevölkerungswachstums, dass der Menschheit Armut, Hunger und Verderben drohe, weil die Versorgung mit Nahrungsmitteln mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten könne. Es kam bekanntlich anders. Der Kollaps ist ausgeblieben. Die weltweite Armut konnte in der Zwischenzeit trotz Bevölkerungswachstum stark reduziert werden.
Die Zahlen der Weltbank zeigen das eindrücklich: Über eine Milliarde Menschen sind der Armut seit 1990 entkommen – und dies vor allem in den Entwicklungsländern. Im Jahr 1990 verdienten noch 37,1 Prozent der Weltbevölkerung weniger als 1,90 Dollar pro Tag. Dieser Anteil ist unterdessen auf unter zehn Prozent gefallen (Inflation mit berücksichtigt). Im Durchschnitt sind also seit 1990 fast 130.000 Menschen pro Tag der extremen Armut entflohen. Dies, obwohl die Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum um zwei Milliarden wuchs.
Entwicklung durch kulturelle Evolution geprägt, nicht nur durch genetische
Je mehr Menschen es gibt, desto besser geht es jedem Einzelnen. Wie kann das sein? Wie ist das möglich? Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Es ist eine Binsenweisheit, dass materielle Ressourcen knapp sind und unser Planet nicht endlos viel für die Produktion von Gütern hergibt. Die „ultimative Ressource“ ist jedoch der Mensch selbst, wie es der Ökonom Julian Simon ausdrückte. Die Chancen stehen umso besser, dass jemandem eine nützliche Innovation einfällt, desto mehr Köpfe es gibt – Innovationen, von denen nicht nur der Innovator, sondern auch alle anderen Menschen profitieren, die diese Innovation imitieren oder erwerben können.
Im Gegensatz zu anderen Lebewesen ist der Mensch in der Lage, sich nützliche Vorgehensweisen, Technologien und Werkzeuge von anderen abzugucken und nachzuahmen. Die Entwicklung des menschlichen Lebewesens ist also durch eine kulturelle Evolution geprägt, und nicht nur durch eine genetische Evolution. Erstere geht wesentlich rascher vonstatten als letztere, weil letztere Generationen benötigt, damit sich neue nützliche Fähigkeiten ausbreiten können.
Dies gilt im Internetzeitalter erst recht. Mehr als die Hälfte aller Menschen verfügt heute über eine Internetverbindung, weshalb es einfacher denn je ist, Informationen und Wissen über große Distanzen hinweg innert Sekundenbruchteilen auszutauschen.
These: Fortschritt entsteht, wenn man Ideen miteinander kombiniert
Forscher vermuten, dass der plötzliche Fortschritt in Kunst, Kultur und der ausgeklügelten Werkzeugherstellung im westlichen Eurasien vor rund 45.000 Jahren sowie in Afrika und im Nahen Osten, als dort erstmals modernere Verhaltensweisen auftraten, auf die größere Bevölkerungsdichte zurückgeführt werden kann. Mehr Menschen lebten so nahe beieinander, um „Know-how“ und Fertigkeiten untereinander auszutauschen.
Studien haben zudem gezeigt, dass Menschen in einer größeren Stadt mehr Wert generieren als in einer kleineren. In den USA ist eine Stadt, die bevölkerungstechnisch zehnmal so groß ist wie eine andere, 17 Mal so innovativ. Ist sie gar 50 Mal so groß, ist die Stadt 130 Mal so innovativ.
Der Wissenschaftsautor Matt Ridley zeigte auf, dass Fortschritt entsteht, wenn Ideen miteinander kombiniert würden. Die Welt wurde durch neuartige Kombinationen revolutioniert: Rad und Achse, Nadel und Faden, Handy und Internet. Je mehr Menschen es erlaubt ist, neue Kombinationen auszuprobieren und zu experimentieren, desto wahrscheinlicher heben sich unsere Lebensstandards an.
Unzutreffende Behauptungen der Ökosozialisten
Je mehr Menschen es gibt, desto intensiver kann auch die Spezialisierung und Arbeitsteilung ausfallen. Wenn jeder sich auf das spezialisieren kann, worin er besonders gut ist, kann die Produktivität gesteigert werden. Alle können so auch mehr Zeit und Energie einsetzen, um in ihrem Bereich noch besser zu werden, so dass es zu immer weiterem Wohlstandswachstum für breite Schichten kommt.
Natürlich ist ein unbehinderter Markt eine elementare Voraussetzung für diesen Anstieg der Lebensstandards. Nur so können die Menschen frei Produkte und Dienstleistungen nachfragen und anbieten. Wo freiwillig getauscht wird, da stellen sich alle beteiligten Tauschpartner besser, denn ansonsten würden sie nicht tauschen. Tauschen ist also kein Nullsummenspiel, sondern eine Win-Win-Beziehung, bei der alle Beteiligten gewinnen.
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Immer selbstverständlicher wird von ökosozialistischen Gruppierungen, Medien und mittlerweile selbst „bürgerlichen“ Politikern, die dieses Klischee unkritisch übernommen haben, behauptet, dieser menschliche Fortschritt gehe auf Kosten unseres Planeten, den wir immer rücksichtsloser ausbeuteten und die Umwelt zerstörten. Doch auch diese Geschichte gehört in das Reich der Legenden. Immer mehr Menschen können sich überhaupt erst um den Umweltschutz kümmern, wenn sie über einen gewissen Wohlstand verfügen.
Das leuchtet ein: Zunächst einmal geht es darum, sich und seine Liebsten mit Nahrung, Kleidern und Medizin zu versorgen, also ums nackte Überleben. Erst, wenn diese Grundbedürfnisse gestillt sind und man genügend Ressourcen über das Existenzminimum hinaus erwirtschaftet, kann man sich weiteren Faktoren wie etwa dem Umweltschutz zuwenden. Mehr Menschen und größerer Wohlstand bedeuten also nicht mehr Umweltverschmutzung – ganz im Gegenteil.
Artensterben: schwierig zu beweisen
Nun wird gelegentlich ins Feld geführt, das Bevölkerungswachstum ginge auf Kosten der Artenvielfalt. Es wird behauptet, die Biodiversität verringere sich mehr oder weniger im gleichen Tempo, wie die Weltbevölkerung wachse. 1975 prophezeiten Paul und Anne Ehrlich, etwa die Hälfte aller Arten auf dem Planeten würde bis heute aussterben. Da die Welt schätzungsweise 5 bis 15 Millionen Arten beheimatet, würde das bedeuten, dass seither mehrere Millionen Arten ausgestorben wären.
Die Internationale Union für die Erhaltung der Natur listet aber nur etwas mehr als 700 Arten auf, die seit dem Jahr 1500 ausgestorben sind. Bei diesen Fällen handelte es sich meist um solche Arten, die in isolierten Gebieten lebten, wie etwa auf ozeanischen Inseln. Die meisten Lebensformen sind also vermutlich flexibel und können sich an sich verändernde Umgebungen anpassen.
Es erweist sich als überraschend schwierig, Beweise für das behauptete Massenaussterben zu finden. Eine bemerkenswerte Studie, die in Science veröffentlicht wurde, untersuchte 100 Zeitreihen zur biologischen Vielfalt in marinen und terrestrischen Lebensräumen aus den vergangenen 150 Jahren. Die Annahme war, dass man damit eine klare Abnahme der Vielfalt im Laufe der Zeit feststellen könnte. Mit großer Verblüffung stellten die Forscher fest: Diese Annahme entspricht nicht der Realität. Die Zusammensetzung der Arten änderte sich zwar, aber sie fanden „keinen Beweis für einen beständigen oder gar einen durchschnittlichen negativen Trend“.
Bevölkerungswachstum könnte schon bald negativ werden
Es besteht also hinsichtlich „Überbevölkerung“ kein Grund zur Sorge. Eher im Gegenteil: Es zeichnet sich ab, dass das Bevölkerungswachstum schon bald negativ werden könnte. Eine längerfristige Schrumpfung wäre besorgniserregender und alarmierender als ein Wachstum, weil das auf abnehmende Lebensstandards hindeuten könnte.
Olivier Kessler: „64 irreführende Politikbegriffe. Wie Sie trotz Nebelpetarden den Durchblick behalten“, Edition Liberales Institut, Zürich 2023, 315 Seiten, 29,80 CHF. Bei dem obenstehenden Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch, den wir hier mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag wiedergeben.
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Mich würde die im Science publizierte Studie interessieren. Gibt es einen Link zumindest zum Abstract der Studie?
SEEEHR eindruckvoll. Vor allem die Zahlen. Müsste mal eine(r) in einem Parlament öffentlich vortragen. Rotgrün würde toben ;-) .
Mich würde die im Science publizierte Studie interessieren. Gibt es einen Link zumindest zum Abstract der Studie?
SEEEHR eindruckvoll. Vor allem die Zahlen. Müsste mal eine(r) in einem Parlament öffentlich vortragen. Rotgrün würde toben ;-) .