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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Nicht alles ist käuflich

Immer mal wieder ist das Schweizer Modell mit Volksabstimmungen und Referenden und damit dem abschließenden Urteil der Stimmbevölkerung auch in Deutschland und Österreich ein Thema. Aktuell gerade wieder: In Österreich schielt die Wahlsiegerin FPÖ in diese Richtung, und die AfD in Deutschland führt den Punkt in ihrem Parteiprogramm.

Dass es in der Schweiz erstaunlich gut funktioniert, ist keine Selbstverständlichkeit. Direkte Demokratie will gelernt und geübt sein. Aber möchte man sie grundsätzlich, muss man damit eben einfach mal anfangen. Sicher ist: Ein System, in dem sich die politische Beteiligung in ein paar Kreuzchen alle vier oder fünf Jahre erschöpft, führt mit Garantie nicht zu einer höheren Identifikation mit dem Staat.

Was man aber oft als Gegenargument hört: Das funktioniert nicht, denn politische Geschäfte sind oft so kompliziert, dass sie der Bürger nicht erfassen kann und er dann empfänglich für populistische Botschaften ist, die mit viel Geld gestreut werden. Oder weniger elegant ausgedrückt: Die Leute da draußen sind alle doof und käuflich. Wobei man mir erst die Studie zeigen müsste, die belegt, dass Politiker grundsätzlich immer besser informiert, vor allem aber weniger käuflich sind.

Goliath verliert immer mal wieder

Der Einwand lässt sich leicht widerlegen anhand zahlloser Abstimmungsresultate, in denen David Goliath geschlagen hat. Teure und professionelle Kampagnen konnten oft am Ergebnis nichts ändern, und selbst millionenschwerer Aufwand verpuffte im Nichts.

Einen solchen Fall, wenn auch im kleineren Maßstab, gab es am Wochenende in meinem eigenen Lebensraum. Ein Unternehmen und bedeutender Arbeitgeber in der Region wollte auf seinem Gelände ein Windrad installieren. Kein symbolisches, sondern eines, das punkto Dimensionen neue Maßstäbe gesetzt hätte: 220 Meter hoch – und das mitten im Siedlungsgebiet. Die Firma wollte damit den Anteil an selbst erzeugter Energie hochtreiben.

Die Schweiz kennt bei Windrädern keinen gesetzlich verordneten Mindestabstand, sondern verlässt sich auf die Einzelfallprüfung. Die zu erwartenden Emissionen, die auf die Menschen einprasseln, werden geprüft, und sprechen diese gegen das Projekt, wird es nicht bewilligt. Es sei denn natürlich, ein großes Unternehmen steht dahinter, die lokalen Behörden sprechen sich dafür aus und das Ganze wird als Wunder der Nachhaltigkeit und großer Beitrag zur Energiewende abgefeiert. Dann geht plötzlich sehr viel, und die Effekte werden schöngeredet. 

Riesige Kampagne…

Einige rührige Bürger wollten das nicht zulassen und initiierten eine Initiative, die in der betroffenen Gemeinde einen Abstand von Windrädern von mindestens 500 Meter zum Siedlungsgebiet forderte. Eine Distanz, die bei diesem Projekt massiv unterschritten worden wäre. 

Danach fuhren die Befürworter des Windrads schweres Geschütz auf. Die Gegend wurde mit Nein-Parolen vollplakatiert, Onlinemedien jubelten über geschaltete Anzeigen, und natürlich spielten auch die meisten regionalen Medien brav mit und erklärten das Windrad-Monstrum für unverzichtbar und alle Gegner zu ewiggestrigen Technologiefeinden und Klimawandelleugnern. Wirtschafts- und andere Verbände sprachen sich für das Windrad aus, jeder einzelne davon mit einem gewaltigen Netzwerk und großen Mitteln.

 

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Zusätzlich wurden „Botschafter“ mobilisiert, aktuelle und frühere Politiker, die sich im Komitee und auf Namenslisten für das Windrad ins Zeug legten. Nur mit der kleinen Einschränkung, dass sie zu einem schönen Teil aus anderen Gegenden der Region stammten und vom Projekt gar nicht betroffen gewesen wären. Da fällt es reichlich leicht, sich für etwas starkzumachen.

… und unfaire Mittel

Die bescheidene Kampagne der Initianten, die nicht einmal den Bruchteil dieser finanziellen Mittel hatten, wurde zudem gezielt bekämpft. Wagten sie es, eines der wenigen Ja-Plakate auf öffentlichem Grund anzubringen, erfolgten umgehend denunziatorische Nachrichten an die Eigentümer. Wer hat so große Angst vor der gegnerischen Kampagne, wenn er angeblich die besseren Argumente auf seiner Seite weiß? Was hat das mit Demokratie zu tun?

Die Angst war, wie wir nun wissen, begründet. Die Initiative, bei der rund 2.000 Leute ihre Stimme abgaben, wurde mit einer Mehrheit von gerade Mal vier Ja-Stimmen angenommen. Damit ist der Mindestabstand von 500 Metern nun verpflichtend. Vier Leute gaben den Ausschlag dafür, dass das Projekt, welches das Gesicht eines Ortszentrums verändert hätte, beerdigt wird. Die Floskel, wonach jede Stimme zählt, entspricht eben doch der Wahrheit.

Das Resultat ist real und wirkt dennoch wie aus einem Märchenbuch. Der Zeitgeist brüllt nach erneuerbaren Energien, eine Phalanx der Reichen und Mächtigen wollte ihr zum Durchbruch verhelfen, die lokalen Behörden und Medien spielten mit – und 1.044 einfache Bürger setzten dem Ganzen ein Ende. 

Es gibt bei Volksabstimmungen zunächst kein „richtig“ und kein „falsch“. Etwas wird richtig im Moment der Entscheidung, weil es die Mehrheit einfach so will. Es ist aber beruhigend zu wissen – und das auch an die Adresse der Menschen in Deutschland und Österreich –, dass die knappe Mehrheit in diesem Fall mit Sicherheit nicht „gekauft“ war. Und auch nicht mit einer erdrückenden Kampagne einfach umgepolt werden konnte. Man kann nicht alles mit Geld lösen.

 

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