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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Die Schweiz im Harris-Fieber

Ich trinke gerade meinen Kaffee aus einer Tasse mit dem ikonischen Bild, das Donald Trump nach dem Attentat auf ihn zeigt. Er reckt die Faust in die Höhe und fordert – kurz nachdem er fast sein Leben verloren hatte – das Land auf: „Fight! Fight! Fight!“ Dasselbe Sujet findet sich auch auf einem meiner T-Shirts. Aus meiner Vorliebe für Trump, die sich rein auf politische Inhalte und nicht auf Benimmformen bezieht, habe ich nie einen Hehl gemacht. 

Das besagte T-Shirt trage ich allerdings nur zu Hause. Ich will niemanden auf der Straße verstören, was garantiert der Fall wäre. Mit dem Konterfei von Kamala Harris, wie sie sich gerade wieder einmal vor Lachen ausschüttet, ohne dass jemand weiß worüber, würde ich draußen hingegen kaum Wellen werfen. Denn hätten die Schweizer das Sagen, wäre der Sieg der Demokratin eine klare Sache. Hier gilt: Alles, nur nicht Trump.

Die USA sind weit weg, und doch haben die Schweizer das sichere Gefühl, genau zu wissen, wie sie wählen müssten. Das ist kein Wunder. Seit dem Wahlkampf 2015, der Donald Trump ins Weiß Haus trug, werden sie von den Medien in eine einzige Richtung dauerbeschallt. Die Botschaft: Trump ist des Teufels, und selbst wenn Micky Maus gegen ihn antreten würde, müsste die Entscheidung klar sein. Disney for president!

Von der Nullnummer zur Lichtgestalt

Das Beispiel ist nicht einmal überzogen, denn Trumps Kontrahentin Kamala Harris hatte bei den Schweizer Medien als Vizepräsidentin rund drei Jahre lang einen regelrechten Micky-Maus-Status. Auslandskorrespondenten und -Redakteure der großen Zeitungen erklärten sie unisono für untauglich, unfähig und ertragslos. Erst mit ihrer Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin wurde sie mit einem Mal zur Lichtgestalt erklärt – weil Donald Trump auf der anderen Seite steht.

Wir erleben einen herausragenden Fall von medialer Gehirnwäsche. Jeder missglückte Halbsatz in einer Rede von Trump wird ausgeweidet, während Harris bis heute keine einzige Frage zu politischen Inhalten konkret beantwortet hat und sich im Zweifelsfall zuverlässig in einen irre anmutenden Lachanfall rettet – aber stets Welpenschutz bei den Zeitungen genießt. 

 

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Jüngstes Opfer dieser Schlagseite ist Bundesrat Albert Rösti von der konservativen SVP. In einem harmlosen Gespräch mit Jugendlichen wurde er gefragt, wen er als Amerikaner wählen würde, und er gab zu Protokoll, dass er „eher zu Trump“ tendiere. Darauf brach der heilige Zorn über ihn herein, und er musste sich erklären. Ein Mitglied der Landesregierung äußere sich nicht über Wahlen im Ausland, maßregelten ihn die Journalisten und andere Kritiker. Das ist im großen Maß geheuchelt. Rösti kam nicht unter Beschuss, weil er geantwortet hatte, sondern weil er die falsche Antwort gab. Hätte er von Kamala Harris geschwärmt, wäre er ungeschoren davongekommen.
 

Rassismus vom Antirassisten

Geht es gegen Trump, gehen sämtliche Hemmungen verloren, und Journalisten verletzen sogar ihre eigenen Regeln. Im Tages-Anzeiger darf ein Antirassismus-Forscher erklären, warum Trump unter den Schwarzen in den USA so große Zustimmung erhält. Die Antwort: „Dass Latinos, schwarze und asiatisch-stämmige Männer sich vermehrt Trump zuwenden, führe ich vor allem auf den sexistischen Appeal Trumps zurück.“ 

Es gibt keine ungläubige Nachfrage des Journalisten, die Aussage wird einfach hingenommen. Obschon man selten Unglaublicheres in einer Schweizer Zeitung gelesen hat. Man stelle sich für einen Moment vor, jemand von der anderen Seite der politischen Skala würde sagen, Latinos, Schwarze und Asiaten fühlten sich bei ihren Entscheidungen zu Sexisten hingezogen. Die sozialen Medien würden förmlich bersten. Was für ein pauschaler Vorwurf gegen Minderheiten! Aber wenn es ein Antirassismus-Forscher für eine linke Zeitung gegen den unliebsamen Kandidaten macht: kann man machen.

Trumps Amtszeit wird totgeschwiegen

Vor lauter blindem Engagement gehen die elementaren Regeln des Journalismus verloren. Seit Monaten schreiben sich die Redaktionen der Schweizer Medien die Finger wund zu den US-Wahlen. Was sie dabei tunlichst vermeiden: Auf die erste Amtszeit von Donald Trump zurückzublicken. Denn von dort ist nichts überliefert, was sie ausschlachten können. Trump mag eine aggressive Sprache pflegen, aber er hat keinen einzigen Krieg angezettelt und keine internationalen Zerwürfnisse provoziert. Im gleichen Maß schweigen sie die Amtszeit von Kamala Harris als Vizepräsidentin tot, über die sie vor wenigen Monaten noch vernichtend geurteilt hatten.

Der Unterschied zwischen mir und meinen geschätzten Berufskollegen ist: Ich mache meine Vorliebe transparent. Die Mainstream-Medien hingegen tarnen ihre blinden Trump-Verrisse als Kommentare oder Leitartikel, sie befragen eine einseitige Auswahl an „Experten“ und wählen Fakten selektiv aus. Sie stürzen sich auf alles, was zum Nachteil von Trump oder zur Glorifizierung von Harris genutzt werden kann. Mit Journalismus hat das längst nichts mehr zu tun. Es ist Aktivismus über den großen Teich hinweg.

Und deshalb ist auch keinem Schweizer ein Vorwurf zu machen, wenn es für ihn nur Kamala Harris als nächste Präsidentin der USA gibt. Was soll man auch anderes denken, wenn man seit Jahren einseitig, lückenhaft oder schlicht falsch informiert wird?

 

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