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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Die nebulöse Grenze der Satire

Befragt man hierher Zugewanderte oder Touristen über typische Merkmale der Schweiz, fällt „Humor“ als Stichwort selten. Man mag die Verlässlichkeit, die sauberen Städte und die gelebten Traditionen. Passiert nicht noch etwas Überraschendes, wird einem Deutschen auch in einigen Jahrzehnten nur der Name Emil Steinberger einfallen, wenn das Gespräch auf Humor aus der Schweiz kommt. Der Mann ist 90, seine großen Zeiten sind drei Jahrzehnte her. Aber es kam eben nicht viel nach.

Besonders schwer haben es hierzulande die etwas härteren Spielformen des Humors: Sarkasmus und Satire. Sie verletzen die Empfindungen der Schweizer. Denn hier kommt man schon mit einem Diplomatenpass zur Welt. Man bleibt freundlich und harmlos, wann immer es geht.

Das sind keine idealen Voraussetzungen für Satire, die von der Überspitzung lebt, auch wenn sie im Idealfall nicht verletzt, aber eben doch anritzt. Dass mit dem Nebelspalter das älteste Satiremagazin der Welt hier sein Zuhause hat, ist deshalb ziemlich erstaunlich. Die Zeitschrift schafft den Drahtseilakt allerdings meist ohne Absturz, in dem sie an die Schweiz angepasste Satire macht. Alles ist ein bisschen sanfter.

Der BMI als Gegenstand der Satire

Ein Text in eben jenem Nebelspalter ging nun aber zu weit. Jedenfalls, wenn man dem Presserat glaubt, einem privaten Verein, der sich als Wächter über die Medien in der Schweiz versteht. Wer sich von einer Zeitung schlecht behandelt fühlt, aber davon ausgeht, dass es für einen richtigen Prozess nicht reicht, kann sich an den Presserat wenden. Im schlimmsten Fall wird dieser einen Journalisten oder ein Medium „rügen“. Das geschieht ohne weitere Konsequenzen.

Gerügt wurde eine Satire über Tamara Funiciello, Sozialdemokratin und Mitglied des Nationalrats. Der Autor hatte in seinem Text Anspielungen auf ihre Körperfülle gemacht, was dem Presserat zu weit ging. Es ist auch nicht besonders elegant und wäre kaum nötig gewesen. Funiciello, die selbst gern den Zweihänder statt des Floretts schwingt, bietet genügend andere Angriffsflächen.

Die darauffolgende Debatte darüber, was Satire darf, ist so alt wie sie selbst. Es wird nie eine abschließende Antwort geben, weil die Grenzen bei jedem woanders liegen. Was sich aber feststellen lässt: Es spielt inzwischen offensichtlich eine Rolle, wer Absender und Empfänger einer satirischen Zuspitzung sind.

Erlaubt ist, was den „Richtigen“ trifft

Andreas Glarner, Nationalrat der rechtskonservativen SVP, ist geschieden, und auf Twitter muss er sich seither regelmäßig anhören, es sei ja kein Wunder, dass ihm „die Frau davongelaufen“ sei. Solche Sprüche, die tief in das Privatleben einer Person greifen, werden mit viel Applaus bedacht. Es herrscht Konsens in den Kreisen seiner politischen Gegner, dass sich Glarner das gefallen lassen muss, schließlich teilt er ja auch gern aus. Immerhin ist er einer dieser „alten weißen Männer“, die als Wurzel allen Übels definiert wurden.

SVP-Nationalrat Andreas Glarner: Muss sich regelmäßig Kritik anhören, die tief ins Private geht

Das Übergewicht von Tamara Funiciello ist eine ganz andere Sache. Schließlich kämpft sie für die Gleichberechtigung der Frau. Eine edle Sache darf man auch mit harten Bandagen austragen. Kommt etwas im selben Stil zurück, ist das nur ein Beleg dafür, dass die andere Seite keine Argumente hat und deshalb „«Bodyshaming“ betreiben muss.

Satire ist eine spannende Disziplin. Sie funktioniert, wenn sie gut gemacht ist, in jede Richtung. Setzt man ihr ideologische Grenzen und definiert, wer „Opfer“ von Satire werden darf und wer nicht, wird sie wirkungslos. Jeder sollte zu ihr greifen dürfen, jeder sollte ihr Inhalt sein können. Unterstellt man sie den Regeln der politischen Korrektheit, wird sie stumpf. Zumal diese Regeln immer härter und einseitiger definiert werden. Satire, die nur noch in eine Richtung schießen darf, ist keine mehr. Sie wird degradiert zum Mittel des Wahlkampfs.

Die Satire als Spielwiese beschützen

Dass der Presserat überhaupt über einen als Satire ausgewiesenen Text befindet, ist absurd. Satire ist eine Spielwiese. Manchmal glückt ein Spielzug, manchmal nicht. Die Freiheit der Satire ist eine einmalige Chance, ernsten Themen mit einer Heiterkeit zu begegnen, die einen freieren Zugang zu ihnen ermöglicht. Eine Aufarbeitung im Newsportal nau.ch mitsamt Leserabstimmung zeigt, dass das Publikum das Ganze etwas entspannter sieht.

Dieses Publikum sollte auch die Jury über eine Satire sein, keine selbsternannte Wächtertruppe. Natürlich haben die Körpermaße von Tamara Funiciello nichts mit ihrer politischen Arbeit zu tun. Genauso wenig wie die Frisur oder der Zivilstand eines Politikers. Deshalb werden solche Aspekte auch nie in einer seriösen Leistungsbilanz von Parlamentariern zu finden sein. Aber die Satire verspricht ja auch keine solche. Sie spielt bewusst mit Nebenschauplätzen, mal geschickt, mal weniger.

Satire sollte nicht zum Spielball für Ideologen werden. Sie darf entweder alles oder nichts für und gegen alle. Was in der Schweiz heiß diskutiert wird, wäre in anderen Ländern nicht einmal eine Fußnote gewesen. Wir müssen an unserer Humorfähigkeit arbeiten. Das heißt nicht, dass wir alles lustig finden müssen, aber verstehen sollten, dass Humor nicht mit einem Regelwerk definiert werden kann. Ein solches gibt es bereits: Das Strafgesetzbuch. Was dieses nicht tangiert, ist erlaubt, ob man es mag oder nicht. Scheingerichte wie der Presserat verzerren diese Wirklichkeit.

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Kommentare

Kommentar
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H.u.P.Dornfeld
Vor 1 Jahr 2 Monate

Auch der österr. Presserat urteilte schon fehl: https://www.emma.de/artikel/rassistischer-gehts-nicht-332455
Seit Heine und Tucholsky steht Satire bei uns hoch im Kurs. Hohn und Häme gehören nicht dazu. Z.B. sind Böhmermanns deutsche Ergüsse für uns keine Satiren, es sind ungeschlachte Provokationen eines Narzissten. Thema beliebig, Hauptsache Aufsehen. Florett kann er nicht. Die Kürze der Würze allein der genialen Titel und Untertitel des 'Schweizer Blick' sind unnachahmlich, sowas kann einer, oder eben nicht.

Das deutsche Pendant zu Frau Funiciello wäre wohl die Grüne Ricarda Lange. Wir fänden es nicht verfehlt, einen gewissen Widerspruch zwischen grün-veganen Ernährungs-Empfehlungen und dem Erscheinungsbild ihrer Repräsentant*innen zu thematisieren - wäre aber wohl auch grenzwertig?

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Piet Grawe
Vor 1 Jahr 2 Monate

Ja, wäre grenzwertig, aber zutreffend.

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H.u.P.Dornfeld
Vor 1 Jahr 2 Monate

Auch der österr. Presserat urteilte schon fehl: https://www.emma.de/artikel/rassistischer-gehts-nicht-332455
Seit Heine und Tucholsky steht Satire bei uns hoch im Kurs. Hohn und Häme gehören nicht dazu. Z.B. sind Böhmermanns deutsche Ergüsse für uns keine Satiren, es sind ungeschlachte Provokationen eines Narzissten. Thema beliebig, Hauptsache Aufsehen. Florett kann er nicht. Die Kürze der Würze allein der genialen Titel und Untertitel des 'Schweizer Blick' sind unnachahmlich, sowas kann einer, oder eben nicht.

Das deutsche Pendant zu Frau Funiciello wäre wohl die Grüne Ricarda Lange. Wir fänden es nicht verfehlt, einen gewissen Widerspruch zwischen grün-veganen Ernährungs-Empfehlungen und dem Erscheinungsbild ihrer Repräsentant*innen zu thematisieren - wäre aber wohl auch grenzwertig?

3
Piet Grawe
Vor 1 Jahr 2 Monate

Ja, wäre grenzwertig, aber zutreffend.