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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Akademiker dank Kita?

Datenjournalismus ist hoch im Trend. Man sammelt Zahlen und Vergleichsmaterial, dreht alles durch die Mangel und weiß dann, was im Land schiefläuft.

Der Schweizer Tages-Anzeiger hat seine Zahlenverwerter ausschwärmen lassen und liefert einen alarmierenden Befund. Dieser sagt verkürzt: Dass in der Schweiz alle Menschen dieselben Chancen haben, stimmt gar nicht. Denn die Daten beweisen: Kinder von Akademikern haben die besseren Chancen, später selbst Akademiker zu werden.

Die Zahlen scheinen das zu belegen. Demnach erringen 38 Prozent der Kinder von Leuten, die studiert haben, dereinst selbst einen Universitätsabschluss. Beim Nachwuchs von Leuten mit einem anderen Berufsweg sind es nur 14 Prozent.

Wenn man die Berufslandschaft in der Schweiz kennt, fragt man sich instinktiv, wo da das Problem liegen soll. Wir haben beileibe nicht zu wenige, welche die akademische Laufbahn einschlagen. Dafür gibt es viele Berufszweige, die größte Mühe bekunden, Jugendliche für eine Berufslehre zu begeistern. Warum also sollten wir verzweifelt versuchen, auch noch die wenigen potenziellen Friseurinnen, Maurer und Hochbauzeichner in die Hochschulen zu prügeln?

Fremdbetreuung als Karriereförderung

Aber den Autoren der Datenstudie geht es nicht um die nackten Zahlen, sondern um das, was diese laut ihnen belegen. Nämlich: Die soziale Herkunft entscheidet darüber, wie weit es jemand bringt, und das dürfe nicht sein. Unsere Schulen seien nicht für „Kinder aus weniger bildungsaffinen Familien“ gemacht. Sie würden aufgrund der bescheideneren Voraussetzungen wie einem kleineren Wortschatz weniger gefördert und gar nicht erst in Richtung mögliches Studium geschoben. Außerdem würden die Sprösslinge von Handwerkern und Co. „weniger häufig eine Kita“ besuchen.

Was soll uns das sagen? Der Besuch einer Kindertagesstätte ist die beste Voraussetzung für ein Studium? Wie das denn? Was machen die Betreuerinnen da genau mit ihren Zöglingen? Nach dem Mittagessen eine Stunde Frühchinesisch pauken? 

Wie aus dem Nichts wird ein Zusammenhang hergestellt, wo keiner ist – und die Fremdbetreuung außerhalb des Elternhauses als ideales Sprungbrett für die akademische Karriere angepriesen. Der Datenjournalismus dient als PR-Instrument der schönen neuen Welt ohne Eigenverantwortung.

Will denn jeder studieren?

So spannend diese Zahlenvergleiche auch sein mögen: Sie stehen im Schatten zweier Thesen, die sie suggerieren, die aber nicht haltbar sind. 

Erstens wird kaum verschleiert die akademische Bildung als die bessere Alternative vermarktet. Eine Laufbahn wird gegen die andere ausgespielt. Dabei müsste man denken, dass diese Zeiten vorbei sind und längst klar ist, dass viele Wege nach Rom führen. Vor allem in einem durchlässigen System wie in der Schweiz, wo nach jedem Abschluss noch vieles möglich ist.

 

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Zweitens gehen die Autoren davon aus, dass ein großer Teil derer, die eine Berufslehre absolvieren, eigentlich viel lieber studiert und auch das Zeug dazu hätten. Sie werden lediglich von einem System daran gehindert, das gegen sie arbeitet. Es mag überraschend klingen, aber es gibt tatsächlich Jugendliche, die gern mit Holz, Beton oder Schraubenschlüssel arbeiten und sich niemanden wünschen, der sich für ihren Studienplatz in die Bresche wirft.

Ich hatte mal einen Schulfreund, der unbedingt Koch werden wollte, aber von seinem Juristenvater förmlich zu einem Studium genötigt wurde – der Familienehre zuliebe. Das müsste laut dieser anklagenden Studie also ein leuchtendes Vorbild sein. Die Kinder von Akademikern sollen bitte weiter Akademiker werden, aber diejenigen von Handwerkern auch gleich. Wer erledigt dann eigentlich noch den ganzen Rest? Der Herr Professor möchte doch gern tagsüber auf einem Stuhl sitzen und abends in einem funktionierenden Auto zu seinem Haus aus vier Wänden fahren.

Gleichmacherei auf dem Vormarsch

Entscheidend ist nur eines. Wir haben in der Schweiz die feudalistischen Strukturen schon lange hinter uns gelassen, und es kann jeder werden, was er will – wenn er die Voraussetzungen dafür mitbringt. Das tut schlicht nicht jeder für alles. Es sei denn natürlich, wir setzen die Anforderungsgrenzen im Bildungssystem so tief nach unten, dass wirklich jeder Weg für alle offen ist. Wie sich das auf die Qualität auswirken würde, kann sich jeder selbst denken.

Die groß angelegte Studie der Zeitung beweist nur eines: Das dauernde Streben nach Gleichmacherei, nach der Beseitigung aller Unterschiede, ist nicht aufzuhalten. Eine Gesellschaft, die genetische Gegebenheiten, den IQ und die soziale Herkunft als Faktoren abschaffen will, klingt wahrhaft paradiesisch. 

Nur sind aus der Geschichte leider ausschließlich Beispiele bekannt, in denen das nicht so richtig klappen wollte. Die Schweiz hingegen funktioniert erstaunlich gut. Für den Versuch, alles auf den Kopf zu stellen, muss es also einen anderen Grund geben: reine Ideologie.

 

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