Bürger kommt von Burg
Als Bürger definieren sich diejenigen, die das Eigene, von der Familie bis zur eigenen Kultur der Freiheit, durch kontrollfähige moralische und physische Grenzen schützen wollen. Deutschland wird heute von prekären Akademikern, oft ohne jegliche Berufserfahrung, dafür mit viel Zeit für eine politische Karriere regiert. Gefordert wären aber verantwortungsbewusste, beruflich bewährte und zwischenmenschlich qualifizierte Bürger, die Zukunftsspekulationen mit den Interessen der Gegenwart und Weltoffenheit um Realitätsbezüge abzugleichen verstehen.
Bürger bemühen sich, Rechte und Pflichten, Freiheit und Verantwortung in ein Verhältnis der Gegenseitigkeit zu stellen. Im Spannungsfeld von Nahraum- und Ferninteressen, von nationalen und globalen Bezügen will ein „glokaler“ Bürger zugleich Patriot und Europäer sein, je nach Problemstellung. Statt dem Entweder-oder geht es ihm um das Sowohl-als-auch von ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen.
In der postmodernen Dekonstruktion alles Eigenen wenden sich selbsternannte Vordenker des Westens gegen die bürgerlichen Gegenseitigkeiten und setzen an die Stelle von deren Selbstbehauptung die lustvolle Inszenierung von Selbstauflösungen. Die seltsame Vorliebe noch für die kleinsten sexuellen Minderheiten stellt mit Ehe und Familie das Grundgerüst einer bürgerlichen Gesellschaft und die Auflösung schützender Grenzen sowie einer funktionsfähigen Bundeswehr stellen die Schutzfunktion des Staates in Frage.
Der Internationalismus unserer Gesinnungseliten ist nicht mehr dem eigenen Land, sondern der „einen Welt“ verpflichtet. Ihre nationale Identität liegt im gemeinsamen Bekenntnis zur Globalität, in der sie an Luftschlössern ohne Mauern bauen.
Der moralische Globalismus endet in einer doppelten Selbstaufgabe
Mit der Überwindung kleinlicher Eigeninteressen wird Raum geschaffen für die Sorge um die „eine Menschheit“. Nicht Gott, sondern „wir“ sind nun für die Schöpfung verantwortlich. Der damit einhergehende Moralismus durchdringt bis in die Sprache und Wohnung hinein das Privatleben.
Der moralische Globalismus endet in einer doppelten Selbstaufgabe. Zunächst führt die Verdrängung des Eigeninteresses zu der aus der Geschichte bekannten „Tragödie der Allmende“. Der Gemeindebesitz an Weideland verlockte umgehend zu ihrer schnellstmöglichen Ausbeutung. Wer zu spät kam, war der Dumme.
Übertragen auf die Klimapolitik bedeutet dies: Selbst wenn die Deutschen, die 0,8 Prozent der Weltbevölkerung stellen und für knapp zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, zu atmen aufhören, wird dies nicht zur Senkung des globalen Ausstoßes beitragen, sondern nur ihrer Wettbewerbsfähigkeit schaden.
Die zweite Form der Selbstaufgabe findet sich paradoxerweise in der Selbstüberhebung einer „wertegeleiteten“ Außen- und Interventionspolitik. Diese vergrößert nicht die Zahl der Demokratien, sondern fordert vielmehr andere Kulturen und Mächte zur Widerständigkeit heraus und treibt deren Fundamentalismus und Nationalismus hervor, über die der Westen immer mehr Gegnern gegenübersteht.
Stufen zum Wiederaufbau des Bürgerlichen
Bürger kommt von Burg. Die sprachliche Herleitung verweist auf die Aufgabe eines jeden Bürgers, öffentliche Güter und damit sich selbst und seine Familie zu schützen. Der Schutz der eigenen Interessen galt aber im Rahmen einer ideologisierten Weltoffenheit als fragwürdig, als „rechts“.
Radikale jakobinische Minderheiten hat es in der Geschichte oft gegeben. Beunruhigend ist heute vor allem die Selbstverleugnung eines Bürgertums, die sich mit ihnen gemein machen. Den Moralisten und Globalisten (nach Quinn Slobodian) ist eine regelrechte Transformation des Bürgerlichen gelungen. Auch mit ihrem Appell an das Verantwortungsethos des Bürgers haben die Kultur- und Naturrevolutionäre den Köder gefunden, um Bürger aus ihrer Nahverantwortung für Familie, Gesellschaft und Staat zur globalen Verantwortung umzuleiten. Sie haben damit ein neues, gewissermaßen „grünes“ Bürgertum begründet, welches allerdings aufgrund der erkennbaren Folgen ihrer Politik heute seine Grenzen erreicht haben dürfte.
Der Wiederaufbau des Bürgertums kann an unsere Geistesgeschichte anknüpfen. Der griechischen Mythologie galten Grenzüberschreitungen als Ausdruck von Hybris. Im Naturrecht ist es selbstverständlich, dass grenzenlose Freiheit keinen Bestand hat. Christliche Einsichten in die Endlichkeit und ein Ethos der Demut stehen den ersatzreligiösen Verwegenheiten der Regenbogenutopien entgegen.
Leichter dürfte der Appell an den gesunden Menschenverstand der Bürger sein, die sich im Alltag und in ihren Nahräumen zu behaupten haben. Ihnen galt es immer als selbstverständlich, dass Grenzen kontrolliert und deren Übertretung sanktioniert werden – sowohl im Verhalten untereinander als auch hinsichtlich der physischen Grenzen gegenüber anderen.
Das Prinzip Gegenseitigkeit
In der Sozial- und Einwanderungspolitik oder auch in der Außen- und Entwicklungspolitik müsste das Prinzip Gegenseitigkeit wieder Geltung erlangen. Viele Bürger empfinden es zunehmend als Hohn, wenn das Prinzip „Fördern und Fordern“ der alten Sozialpolitik von einem „Bürgergeld“ ersetzt wird, welches die Aufnahme von Arbeit zu einer freiwilligen Entscheidung macht.
Die letzte Stufe zu neuem Realismus wird oft erst über Schrecken und Leidensdruck genommen. Hierbei dürfte der 7. Oktober doch zur düsteren, aber notwendigen Erkenntnis beigetragen haben, dass das Böse im Menschen stets auf der Lauer liegt und jede Unachtsamkeit auszunützen bereit ist. Die Freudenkundgebungen von Hamas-Anhängern auf Europas Straßen dürfte Illusionen über die Integrierbarkeit von Islamisten zerstört haben, die wir – unterschiedslos mit vielen friedlichen Zuwanderern – ins Land gelassen haben.
Neu erlernt werden muss auch der Unterschied zwischen verwegener Dekonstruktion, gebotener Erneuerung und totalitärer Anmaßung. Wie in der Weimarer Republik war es gerade deren Toleranz gegenüber dem Totalitarismus der Nazis, die ihre „Auflösung“ (Karl Dietrich Bracher) selbst vorangetrieben hat. Heute bedrohen uns vor allem die Gefahren des islamistischen Totalitarismus, der die materiellen Errungenschaften Europas beerben will.
Europa, aber in Grenzen
Toleranz ist für viele oft schon der einzige Wert einer allzu offenen Gesellschaft. Was aus Ländern wurde, die den Fehler begingen, auf ihren eigenen Territorien dem Islam zu viel Raum zu gewähren, sieht man heute am Libanon (ehemals christlich), an Pakistan (ehemals hinduistisch), an Afghanistan (ehemals buddhistisch), an Ägypten (ehemals koptisch-christlich) und auch am Iran (ehemals zwar moslemisch, aber aufgeklärt und pro-westlich). Auf die ursprüngliche Freiheit folgten zuerst Parallelgesellschaften und später die komplette Machtübernahme.
Angesichts der Herausforderung der gesamten europäischen Kultur sind nationale Proteste doch allzu provinziell. Sie sind eher aus dem Versagen der Europäischen Union, ihre Grenzen zu schützen als aus identitären Aufwallungen zu erklären. Lange schon vor dem Schutz nationaler Grenzen hätten wir den Schutz der großen westlich-europäischen Bündnisse, von EU und Nato, gebraucht.
Die Europäische Union sollte sich sowohl aus weltpolitischen Abenteuern als auch aus den kleinsten Alltagsbezügen des Bürgers heraushalten und sich stattdessen ihrer eigenen Selbstbehauptung widmen. Dafür bräuchte sie mehr Vielfalt nach innen und mehr Stärke nach außen. Für beides bräuchte es aber zunächst eine neue Wertschätzung der ihr spezifischen bürgerlichen Kultur von Gleichgewicht und Gegenseitigkeit bis hin zu einem wirksamen gemeinsamen Grenzschutz.
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Ein einzelner Beitrag kann das Thema sicherlich nicht vollumfänglich abhandeln, da gebe ich Herrn Werner Recht. Doch Professor Theisens Ausführungen geben Anlass, weiter über das Sujet nachzudenken. Zumal in der Politik und von so gut wie jeder Partei mit dem Bürgertumsbegriff hantiert wird. Ich habe hier wieder einiges gelernt und werde das Wissen "spreaden", wie die Jugend heute so schön (oder so hässlich) sagt. :-)
Die postmoderne Spielerei mit dem Begriff "Bürger" zeigt hier in der Überschrift eine Festungsmentalität an. Die Ableitung von "Burg" ist pointiert und einseitig. Differenzierungen sind nötig.
https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/portal/einfuehrung/aspekt…
Ein einzelner Beitrag kann das Thema sicherlich nicht vollumfänglich abhandeln, da gebe ich Herrn Werner Recht. Doch Professor Theisens Ausführungen geben Anlass, weiter über das Sujet nachzudenken. Zumal in der Politik und von so gut wie jeder Partei mit dem Bürgertumsbegriff hantiert wird. Ich habe hier wieder einiges gelernt und werde das Wissen "spreaden", wie die Jugend heute so schön (oder so hässlich) sagt. :-)
Die postmoderne Spielerei mit dem Begriff "Bürger" zeigt hier in der Überschrift eine Festungsmentalität an. Die Ableitung von "Burg" ist pointiert und einseitig. Differenzierungen sind nötig.
https://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/portal/einfuehrung/aspekt…