Kippt die AfD bei Familienpolitik und Lebensschutz um?

Unter christlichen AfD-Anhängern herrscht große Aufregung. Und jene Konservative, die die AfD skeptisch beäugen, sehen sich bestätigt: Seht ihr, die vertreten unsere Anliegen nicht. Anlass sind Passagen aus einem Zeit-Artikel mit der Überschrift „Die AfD erwägt Abstand zum Markenkern“. In dem Beitrag hinter Bezahlschranke heißt es:
„‘Wir sollten nicht die Partei sein, die die Frau hinter dem Herd haben will’, sagt eines der Vorstandsmitglieder. Auch der Glaubensgrundsatz der AfD, die Familie bestehe aus Vater, Mutter, Kindern, soll aufgegeben werden – womit man die Partei für gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Alleinerziehende attraktiv machen will.“
Und:
„Auch bei der Selbstbestimmung will die Partei nachsteuern: So soll etwa Schwangerschaftsabbruch im Wahlprogramm nicht mehr verteufelt werden. Die Forderungen parteiinterner sogenannter Lebensschützer, die Beratung zu verstärken und den Müttern Bilder der Föten vorzuhalten, setzte sich in der internen Programmdiskussion nicht durch.“
Konkret geht es um die Ausarbeitung des Programms für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025, das Mitte Januar auf einem Parteitag beschlossen werden soll. Zuständig dafür ist die Bundesprogrammkommission, die sich aus den Leitern der Fachausschüsse, den Leitern der Programmkommissionen der Bundesländer sowie Vertretern der Bundestagsfraktion, des Bundesvorstands und der AfD-Delegation im EU-Parlament zusammensetzt.
Co-Parteichef Chrupalla will familienpolitische Äußerungen abschwächen
Bei den jüngsten Zusammenkünften in diesem Monat gab es laut übereinstimmenden Teilnehmerschilderungen gegenüber Corrigenda lange und intensive Diskussionen über die beiden Themenkomplexe. Initiiert worden sind die Debatten von Co-Parteichef-Tino Chrupalla. Er gab demnach zu bedenken, dass eine Betonung des traditionellen Familienbildes die mögliche Kanzlerkandidatin Alice Weidel beschädigen könne. Weidel ist lesbisch und lebt mit einer Frau mit srilankischen Wurzeln in einer eingetragenen Partnerschaft und zieht mit ihr zwei Söhne groß.
Mit Blick auf die Lebensschutzforderungen der AfD führte Chrupalla demnach die Wählerschaft in den östlichen Bundesländern ins Feld. In der DDR wurde Abtreibung als gewöhnliche Gesundheitsdienstleistung gehandhabt und aufgrund der mangelnden Religiosität sind die Menschen dort tendenziell eher für das „Recht auf Abtreibung“.
> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.
Nach übereinstimmenden Aussagen hat die Programmkommission zwar nicht die Passage über den Lebensschutz als Ganzes herausgestrichen, allerdings, wie die Zeit schrieb, wurden Forderungen nach verpflichtenden Maßnahmen in der Beratung von ungewollt Schwangeren abgelehnt. Konkret ging es um Bilder der Kinder, die abgetrieben werden sollen. Sie sollten verpflichtend Müttern gezeigt werden, die abtreiben wollen. Auf Ultraschallaufnahmen ist heute auch der Herzschlag ab der sechsten Schwangerschaftswoche sichtbar. Konservative Regierungen wie etwa in Ungarn oder einigen US-Bundesstaaten haben diese lebensrettenden Maßnahmen bereits eingeführt oder planen sie.

Ein Mitglied der Programmkommission sagte Corrigenda, solche Maßnahmen passten nicht zu einer freiheitlichen Partei, wie die AfD es sei. Jedoch fordere die AfD weiterhin mehr Hilfe für ungewollt Schwangere und betone den Wert ungeborenen Lebens. „Es ist ein Wettstreit zwischen Pragmatisten und Idealisten.“ Bei den nun erfolgten Änderungen handle es sich aber eher um „Kosmetik“.
Formulierung „bestehend aus Vater, Mutter und Kindern“ wurde gestrichen
Ein anderes Mitglied betonte: „Unsere Position ist die gleiche wie immer. Nur ist die Frage, ob man sie für die Wahl nach vorne Stellen muss.“ Das Kapitel über Familienpolitik ist ausführlich, umfasst rund 20.000 Zeichen. Die Position zur traditionellen Familie sei aber nicht gänzlich aufgegeben worden, betont ein mit der Sache vertrautes Mitglied, die Begriffe „traditionelle Familie“ kämen weiterhin vor, allerdings stimme es, dass die Formulierung „bestehend aus Vater, Mutter und Kindern“ gestrichen worden sein, weil man damit glaube, Alleinerziehende besser anzusprechen.
Allerdings, darauf legen mehrere Kommissionsmitglieder wert, handele es sich nur um das Wahlprogramm, nicht um das Grundsatzprogramm der Partei. Dort fordert die AfD nach wie vor eine „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“.
Die Berichterstattung über die geänderten Programmpunkte hat für Unruhe in der Programmkommission gesorgt, in der Chrupalla als Vertreter des Bundesvorstands sitzt. Er hat sich auf Nachfrage von Corrigenda bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht geäußert. Gegen die Angaben, wonach Chrupalla nur strategisch-pragmatisch denke, spricht, dass er sich bereits in der Vergangenheit als Parteichef entgegen dem Parteiprogramm geäußert hat. So sagte er gegenüber der ARD, er sei für die „Ehe für alle“ und die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. Außerdem tat er Abtreibung als „Privatsache“ der Eltern ab.
Jugendliche und junge Erwachsene wollen mehrheitlich Kinder und stabile Familien
In den kommenden Tagen will die Kommission das Wahlprogramm an alle AfD-Mitglieder schicken. Dann können diese Änderungsanträge einreichen, die auf dem Parteitag im Januar diskutiert und abgestimmt werden. Wie Corrigenda von mehreren Mitgliedern erfuhr, wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Änderungsantrag in puncto „Vater, Mutter und Kinder“ geben.
Als Beobachter fragt man sich, warum die AfD in der Familienpolitik nicht konsequenter ist, gerade weil die Unionsparteien hier eine Lücke gelassen haben. Die AfD, die gerne auf erfolgreiche Rechtsparteien im Ausland blickt, könnte sich hier tatsächlich einmal ein Beispiel nehmen, egal ob bei der Fidesz oder den Fratelli d’Italia. Was die AfD ins Wahlprogramm aufnimmt, wird aber erst nach dem Parteitag klar sein.
Die vor wenigen Wochen erschienene neue „Shell-Jugendstudie“ bestätigt jene in der Partei, die für die Betonung des traditionellen Familienbilds stehen. So bleibt der Kinderwunsch trotz der kinderfeindlichen Propaganda mit 68 Prozent bei den Zwölf- bis 25-Jährigen seit 20 Jahren stabil. Ebenso legt ein überragender Teil der jungen Menschen wert auf eine vertrauensvolle Partnerschaft und ein gutes Familienleben. Die Hälfte befürwortet sogar das „Mann als Allein- oder Hauptversorger“-Modell, während die Frau in erster Linie für die Kleinkinder sorgt.
Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?
Kommentare
Das restriktive Abtreibungsgesetz hat in Polen zur Abwahl der PiS-Partei geführt, gerade Frauen haben denn doch linksliberal gewählt. Eine inflationäre Handhabung von Abtreibung als gleichberechtigter Art von Geburtenregelung ist pervers und selbstverständlich abzulehnen, aber die Entscheidungsfreiheit in auch rein psychischen Notlagen muss gewährleistet bleiben. Ich sage das anonym, nach erfülltem Leben nach Abbruch, und das war nur aufrecht zu halten durch eine auch 30 Jahre später noch richtige Entscheidung, zumal ein unerwünschtes Dasein auch keinem Kind zu wünschen ist.
Die AfD beugt sich einem religiösen Fundamentalismus, der so in der Gesellschaft keine Resonanz mehr findet, verringert dadurch ihre Wahlchancen wie in Polen, und schmälert ihren notwendig mäßigenden Einfluss auf anderen Gebieten.
Sehr geehrte Elisabeth,
zu Ihrer Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch maße ich mir kein Urteil an. Ihre Darstellung der politischen Situation in Polen ist allerdings nicht richtig: Die PiS-Regierung hat 2015 - übrigens geführt von einer Frau, Ministerpräsidentin Beata Szydlo - versucht, die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen auszudehnen und zwar auf alle Fälle außer bei Lebensgefahr für die Mutter, also auch bei Vergewaltigung. Aufgrund erheblicher öffentlicher Proteste ist die PiS damit zwar (glücklicherweise) gescheitert, sie hat aber bei der nächsten Sejm-Wahl 2019 ihr bislang BESTES Wahlergebnis eingefahren. Bei der letzten Sejm-Wahl 2023 hat die PiS-Partei zwar ihre Mehrheit verloren, der Versuch der neuen Mitte-links-Regierung unter Donald Tusk, das Abtreibungsrecht zu "liberalisieren", ist trotzdem gescheitert, weil die regierende Bauernpartei mit der PiS dagegen stimmte.
Nach dem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts sind Schwangerschaftsabbrüche (nur) bei medizinischer und kriminologischer Indikation nicht rechtswidrig. Das entspricht auch meinem "katholischen Moralempfinden". Gleichwohl sehe und erkenne ich an, dass der durch das Bundesverfassungsgericht gewiesene Kompromiss einer Fristenlösung mit Beratungspflicht und einem normativen Werturteil gegen Abtreibung 30 Jahre lang zu einem Rechtsfrieden geführt hat, der jetzt mutwillig von Rot-Grün-Rot aufgekündigt wird. Ich hätte mir dagegen gewünscht, dass Staat und Gesellschaft bei Hilfen für schwangere Frauen in schwierigen Situationen noch mehr Kreativität entwickelt hätte, u.a. vielleicht auch durch die gesellschaftliche Aufwertung von Adoptionen.
Wenn Sie fürchten, dass die AfD "Einfluss auf anderen Gebieten" verliert, kann ich das als Christdemokrat nicht bedauern, jedenfalls nicht, wenn es um die -freundlich ausgedrückt - erschreckend unkritische Haltung gegenüber Putin geht.
Wahrscheinlich halten die ihre wankelmütige Überlegungen für die von Übelwollenden oft angeratene "Anschlussfähigkeit". In gewisser Weise wäre es auch der Anschluss an den nihilistischen und relativistischen Zeitgeist, nur eben keine Alternative mehr oder gar eine Umkehr.
Im Ergebnis bedeutet das aber , dass alles irgendwie weiter unter einen Hut gebracht werden soll und in dieser wohligen Selbsttäuschung das Dahinsiechen weiter zur Glückseligkeit umgedeutet wird. Wäre davon wirklich eine existentielle Heilung zu erwarten?
Vielleicht ist das aber auch nur wieder eine taktische Meldung, um die AfD politisch kleinzuhalten. Man denke nur an "Streit um Asterix". Da hat das ja auch prima funktioniert.
Deshalb ist es auch höchst fragwürdig und nur sehr bedingt zielführend, wenn CitizenGo ihre Anti-Abtreibungslegalisierungs-Petition (https://citizengo.org/de/lf/14361-leben-retten--verhindern-sie-die-lega…-) ausschließlich an Friedrich Merz und seine CDU/CSU-Fraktion adressiert und sie auffordert, gegen den verfassungswidrigen rot-grünen-roten Gesetzentwurf ausgerechnet mit der AfD (und FDP) "zusammenzuarbeiten". Kein anderer als Friedrich Merz hat sich doch so mit Verve gegen den schäbig wahltaktischen Abtreibungslegalisierungsantrag von Rot-Grün-Rot gewandt!!! (Die FDP hat leider schon der Legalisierung von Werbung für rechtswidrige Abtreibungen und dem Demonstrationsverbot vor Abtreibungskliniken zugestimmt.)
Sollte das so tatsächlich sein, das die AfD das traditionelle Familienbild und die bisher eindeutige Stellung zum Lebensschutz kippt, dann werde ich auch überlegen, ob die AfD für mich noch wählbar ist. Das nämlich sind bisher die Grundkriterien gewesen, warum wir seit 2013 AfD-Wähler sind.
Leider kann ich dann garnicht mehr wählen, da keine andere Partei für mich wählbar ist, es gibt kleine Splitterpartein, aber die braucht man nicht zu wählen, da die sowieso keine Chance haben.