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Interview mit Werner J. Patzelt

„Dann wird Scholz zum Frühstücksdirektor der Bundesrepublik“

Was für eine turbulente Woche: Gegen den geballten Widerstand des linken Establishments setzt sich Ex-US-Präsident Donald Trump als haushoher Sieger durch – und bei uns in Deutschland platzt die „Ampel“-Koalition. Konservative im Allgemeinen und Lebensschützer im Besonderen wittern Morgenluft. Die linke Hegemonie bröckelt. Viele werden aufatmen und sagen: So macht Politik wieder Spaß!

Dass in dieser Koalition aus Sozialdemokraten, grünen Ideologen und Wirtschaftsliberalen nicht zusammenwächst, was nicht zusammengehört, pfiffen die Spatzen ohnehin von den Dächern. Dass es ein so hässliches Ende werden würde mit einem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der am Mittwochabend vor laufenden Fernsehkameras schmutzige Wäsche wäscht und seinen eben geschassten Finanzminister komplett durch die Lauge zieht, das hätte denn doch nicht sein müssen. Von seinem Chef mit „Lieber Christian“ angesprochen zu werden – davon kann sich FDP-Chef Christian Lindner jetzt auch nichts mehr kaufen.

Noch-Kanzler Scholz spielt für seine SPD (und sich selbst) auf Zeit: Zunächst setzte er für Mitte Januar im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage an, am heutigen Freitag relativierte er diese Aussage und beabsichtigt nun, sich mit den „demokratischen“ Fraktionen im Bundestag über einen Termin zu verständigen. Die Opposition, allen voran die Unionsparteien, drückt auf die Tube und sucht den Showdown. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz will, dass am Mittwoch kommender Woche der Kanzler bei seiner Regierungserklärung vor dem Parlament die Vertrauensfrage stellt. Neuwahlen möchte der Christdemokrat am 19. Januar, dem Tag vor Trumps Amtseinführung, stattfinden lassen 

Deutschland hat nun wieder eine rot-grüne Bundesregierung wie zwischen 1998 und 2005 – mit dem Unterschied, dass das Kabinett sich heute auf keine Mehrheit im Bundestag stützen kann und irgendwie mit der überaus heterogenen Opposition eine Verständigung von Fall zu Fall suchen muss. Ob die den Minderheitlern auf der Regierungsbank den Gefallen tun wird?

 

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Es stehen noch Gesetzesprojekte in der Pipeline, deren Zukunft nun in den Sternen steht: Allen voran die links-grünen-liberalen Lieblingsprojekte wie Tilgung des Schutzes von ungeborenem menschlichem Leben durch Streichung des Strafrechtsparagrafen 218, Einschränkung von Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit vor Abtreibungskliniken, geframt als „Verbot von Gehsteigberatung“, den Umbau des Familienrechts bis zur Unkenntlichmachung des kulturell Überlieferten mit dann rechtlich zwei Müttern oder zwei Vätern.

Aber auch das FDP-Projekt einer Aktienrente harrt der Wiedervorlage an noch unbekanntem Tag genauso wie die dringend gebotene Wiederaktivierung der ausgesetzten Wehrpflicht.

Deutschland steht also vor Neuwahlen. Über den möglicherweise nicht ganz geraden Weg dorthin hat uns der Politikwissenschaftler und Parteienexperte Werner J. Patzelt Antwort gegeben.

 

Herr Prof. Patzelt, haben Sie eine solche Situation schon mal erlebt?

Ja, nämlich, als im Herbst 1982 die sozialliberale Koalition Helmut Schmidts zerbrach und der Kanzler durch den Bundestag abgewählt wurde zugunsten einer Koalition aus Union und FDP unter Helmut Kohl. Ähnlich war es im Spätherbst 1966, als der CDU-Kanzler Ludwig Erhard das Vertrauen nicht nur seines Koalitionspartners FDP, sondern auch seiner eigenen Partei verloren hatte und deshalb seine Bereitschaft zum Rücktritt erklärte. Darauf folgte die erste „Große Koalition“ unter dem CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger.

Scholz hat Lindner in seiner Ansprache regelrecht abgekanzelt. War das einmalig in dieser Art?

Ja. Sogar Angela Merkel ist da anständiger aufgetreten, als sie 2012 ihren Umweltminister Norbert Röttgen ganz gegen dessen Willen vom Hof jagte.

Die Rede von Kanzler Scholz wurde von vielen als staatstragend wahrgenommen, er sprach von Verantwortung usw. Wäre es nicht wirklich staatstragend, sofort zurückzutreten?

Scholz simuliert nur den Staatsmann, er war an dieser Stelle aber keiner. Ein solcher hätte umgehend die Vertrauensfrage gestellt, um – nach absehbarer Auflösung des Bundestages – der Wählerschaft die Chance zu geben, einer neuen Bundesregierung eine dann hoffentlich stabilere parlamentarische Mehrheit zu verschaffen.

Der Kanzler wollte die Vertrauensfrage zunächst erst Mitte Januar stellen. Ist das rechtlich und verantwortungsethisch legitim?

Rechtlich kann der Kanzler die Vertrauensfrage stellen, wann immer er will. Sie nicht gleich nach dem Zerfall der eigenen Parlamentsmehrheit zu stellen, verzögert das unvermeidliche Ende der Kanzlerschaft von Olaf Scholz aber nur. Die hinter diesem Hinauszögern stehenden Interessen persönlicher und parteitaktischer Art geraten dabei der Verantwortung des Kanzlers für die Regierbarkeit des ganzen Landes in die Quere.

„Scholz versucht, das weitere Vordringen des Gegners durch einen geordneten Rückzug zu bremsen“

Warum stellt er sie nicht sofort? Was verspricht er sich davon?

Die SPD befindet sich im Ansehenstief und ist auf einen baldigen Wahlkampf nicht eingestellt. Militärisch gesprochen, hat Scholz deshalb die Gefechtsart der Verzögerung gewählt: Angreifen geht nicht mehr, die Stellung halten auch nicht mehr, also wird versucht, das weitere Vordringen des Gegners durch einen geordneten Rückzug so zu bremsen, dass sich in der Zwischenzeit eine neue Verteidigungslinie aufbauen lässt.

 

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Wenn es dann zur Schlacht kommt und Scholz verliert, aber gleichzeitig gibt es keinen Sieger, also der Bundestag wählt keinen neuen Kanzler – was passiert dann?

Wenn der Bundestag dem Kanzler nicht, wie von diesem erbeten, das Vertrauen ausspricht, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Tut der Präsident das nicht, dann fängt die Leidenszeit eines Minderheitskanzlers an. Aus der kann sich der Kanzler grundsätzlich durch Rücktritt befreien. Nur muss er auf Ersuchen des Präsidenten sein Amt dennoch bis zur gelungenen Wahl eines Nachfolgers ausüben.

Und in der der Zwischenzeit?

Theoretisch könnte die Union ein konstruktives Misstrauensvotum auf die Tagesordnung des Bundestages setzen, nämlich durch den Antrag, den Abgeordneten Friedrich Merz zum Kanzler zu wählen. Vermutlich würde Merz auch zum Kanzler gewählt, nämlich mit den Stimmen der AfD – und das sogar ohne alle Vorabsprachen. Dann aber hätte Merz alle heiligen CDU-Eide gebrochen, es nie zur Mehrheitsgewinnung dank AfD-Unterstützung kommen zu lassen. 

Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt

Das schadete ihm freilich im Wahlkampf für die weiterhin im Herbst anstehende Bundestagswahl spätestens dann, wenn es Fragen nach einem künftigen Koalitionspartner zu beantworten gilt. Nun könnte auch ein politischer Naivling erkennen, wie strategisch dumm es seitens der Union war, sich – theoretisch: für alle Zeiten – an Parteien links von ihr zu fesseln, wann immer sie eine Mehrheit braucht.

Sie haben es angedeutet: Es gibt eine theoretische schwarz-blau-gelbe Mehrheit im Bundestag. Wird die Brandmauer zur AfD nächstes Jahr fallen?

Der Fortgang der Instandhaltungsarbeiten an solchen Brandmauern hängt von drei Faktoren ab. Erstens: Wann begreift – gerade angesichts ihres Thüringer Schicksals – die AfD, dass sie nur als Koalitionspartner der Union je Gestaltungsmacht erringen wird, und verhält sich dann entsprechend?

Zweitens: Wann begreift die Union angesichts ihrer nicht berauschenden Wahlergebnisse und ihres unguten sächsischen Schicksals, dass sie sich immer weiter schwächen wird, wenn sie der nachweislich nicht-linken Bevölkerungsmehrheit stets Mitte-links-Regierungen beschert, obwohl auch eine Mitte-rechts-Regierung möglich wäre?

Und drittens: Welche der beiden Parteien hat Politiker mit dem Mut, ein Zusammenwirken von Union und AfD unter solchen Umständen anzubahnen, in denen bei mangelndem Geschick oder Glück der politisch-mediale Heldentod droht?

Patzelt: SPD und Grüne kennzeichnet das „dilettantische Prinzip Hoffnung“

Die rot-grüne Minderheitsregierung inklusive des FDP-abtrünnigen Ministers Volker Wissing will sich nun bei einigen Gesetzesvorhaben Mehrheiten in der Opposition suchen. Halten Sie das für realistisch?

Theoretisch kann eine Minderheitsregierung durchaus bei Oppositionsfraktionen die zur Mehrheitsbildung erforderlichen Simmen einwerben. Doch warum sollte Merz dem Noch-Kanzler Scholz diesen Gefallen tun? Dafür gibt es keinen politisch plausiblen Grund. Dass SPD und Grüne eine solche Möglichkeit überhaupt wie eine reale Chance behandeln, zeugt von jenem dilettantischen „Prinzip Hoffnung“, das die Ampelregierung von Beginn an kennzeichnete.

Wenn das so eintrifft, wenn also die Regierung für keines der Vorhaben eine Mehrheit findet, haben wir dann bis Ende März einen machtlosen Regierungschef, eine Lame Duck?

Wenn Scholz trotz von ihm – gerade bei Sozialgesetzen – eingepreister Journalistenunterstützung keine Druckmittel findet, um die Union zur Unterstützung der von ihm gewünschten Gesetzesvorhaben zu zwingen, wird er zum Frühstücksdirektor der Bundesrepublik Deutschland. Allenfalls den Gang der Dinge stören kann er dann noch; doch sie mitzugestalten, fehlte ihm die Macht.

Was passiert mit dem Gesetz gegen Gehsteigberatung vor Abtreibungseinrichtungen? Da fehlt nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten. Könnte Steinmeier davon Abstand nehmen, weil es ja ein Gesetz einer Regierung ist, die es nicht mehr gibt?

Es gibt kein Recht des Bundespräsidenten, ein Gesetz aus politischen Gründen nicht zu unterschreiben. Eine Verweigerung der ausfertigenden Unterschrift ist nur dann legitim, wenn ein Gesetz evident verfassungswidrig ist oder nicht auf verfassungsmäßig vorgeschriebene Weise zustande gekommen ist. Da beides hier nicht der Fall ist, wird Steinmeier unterschreiben wollen – und ohnehin unterschreiben müssen.

Wie sieht es mit den Fördermitteln aus, Stichwort Demokratiefördergesetz? Der Haushalt für 2025 ist noch nicht beschlossen.

Neu in den Haushaltsplan eingestellte Mittel, die noch nicht durch Haushaltsgesetz für das kommende Jahr bestätigt worden sind, dürfen nicht ausgegeben werden. Falls gesetzlich vorgeschriebene Dauerausgaben – etwa für das Bürgergeld – höher als im laufenden Haushalt vorgesehen anfallen, dann müssen zuerst sie getätigt werden; also wird man an noch nicht gesetzlich vorgesehenen Fördermitteln sparen. 

Zur Person Werner J. Patzelt

Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Von 1992 bis zu seiner Emeritierung 2019 war er Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der Technischen Universität Dresden. 2021/22 war er Senior Fellow am Hauptsitz des Mathias-Corvinus-Collegium (MCC) in Budapest. Derzeit ist er Forschungsdirektor des MCC in Brüssel. Der Katholik ist CDU-Mitglied und schrieb beim Wahlprogramm der Sachsen-CDU für die Landtagswahl 2019 mit. Patzelt wurde bundesweit bekannt mit Studien über die Pegida-Demonstrationen in Sachsen und durch Essays und Interviews in den verschiedensten Medien. Patzelt ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Geboren wurde er 1953 in Passau.

Im Übrigen tritt, wenn kein neues Haushaltsgesetz verabschiedet wurde, mit Jahresbeginn die „vorläufige Haushaltsführung“ (Art. 111 GG) in Kraft. Das heißt: Pro Monat darf die Regierung ein Zwölftel der im laufenden Haushalt veranschlagten Mittel ausgeben. Doch natürlich haben auch dann die gesetzlich festgelegten Dauerausgaben den Vorrang vor Fördermaßnahmen aller Art.

Was ist mit Gesetzesvorhaben wie beispielsweise der Abschaffung von Paragraf 218 Strafgesetzbuch, der Familienrechtsreform oder der Aktienrente? Letztere fallen in die ehemaligen FDP-Ressorts. Können wir davon ausgehen, dass diese nicht mehr beschlossen werden?

Hier hängt vieles von den Interessen und vom guten Willen der FDP ab. Den hat der Kanzler durch seine Art der Koalitionsbeendigung gewiss nicht gefördert. Doch die FDP wird sich überlegen, welches liberalisierende Gesetz sie auch mit der Union hinbekommen würde und wird dann entsprechend entscheiden.

 


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