Ausweg Mauerspecht oder Minderheitsregierender
So viel Härte hätten viele Mario Voigt gar nicht zugetraut: Am Dienstag vor einer Woche erklärten CDU, SPD und das Bündnis Sahra Wagenknecht, sie würden Koalitionsverhandlungen aufnehmen. Und das, obwohl Voigt zuvor nicht zu Kreuze gekrochen war, sondern Sahra Wagenknechts Forderung nach einer ihr genehmen Präambel zu Krieg und Frieden im Koalitionsvertrag abschmettern konnte. Stattdessen bekundeten die Partner ihre unterschiedliche Sicht etwa „hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine“.
Damit konnte Voigt zunächst die gefährliche Klippe umschiffen, die eine Zustimmung seiner Landes-CDU zu den BSW-Forderungen bedeutet hätte. Die bedeuten im Kern nicht weniger als die Absage an eine Unterstützung der Ukraine gegen die russischen Aggressoren und eine mögliche Stationierung von US-Raketen auf deutschem Boden. Ach ja, eine Distanzierung von Friedrich Merz und seiner festen Haltung in der Ukrainefrage hätte von der Landes-CDU auch noch kommen sollen.
Doch BSW-Namensgeberin und -Chefin Sahra Wagenknecht führt ihre Partei mit so eiskalter wie zielstrebiger Härte. Nach einer Woche internen Machtkampfes steht fest: Die Thüringer BSW-Statthalterin Katja Wolf hat sich zu weit vorgewagt. Die „Friedenspräambel“, wie sie der Vereinbarung in Brandenburg mit der SPD voransteht, soll nun auch in Thüringen unbedingt in eine Vereinbarung. CDU und SPD in Thüringen sind düpiert, für Mario Voigt – und mittelbar auch Friedrich Merz – ist die Lage damit nicht einfacher geworden.
Keine Langeweile mit Markus Söder
Bei Merz fragt sich der Beobachter ohnehin, ob der Kanzlerkandidat der Union eher einem Seiltänzer oder einem Jongleur gleicht, der ein halbes Dutzend Teller in der Luft halten muss. Denn die Zahl der sich zum Teil gegenseitig ausschließenden Haltungen und Positionen ist in den letzten Monaten nicht kleiner geworden. Da ist in Bayern der ewige Unruhestifter Markus Söder, zu dessen derzeit unverrückbaren Positionen die kategorische Ablehnung einer Zusammenarbeit mit den Grünen gehört.
Da sind die CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther und Hendrik Wüst, die in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ziemlich geräuschlos mit den Grünen regieren. Gerade der mächtige Landesfürst Wüst, dessen NRW-CDU in Umfragen mit 40 Prozent glänzend dasteht, könnte sich bei Merz’ konservativer Renaissance der CDU noch als Bremser erweisen.
Daneben hält Merz an der immer brüchiger werdenden Brandmauer gegen die AfD fest, doch zuletzt wählte auch die CDU im neuen sächsischen Landtag einen Vizepräsidenten von der AfD mit. Die Glaubwürdigkeit dieser Brandmauer-Strategie leidet nicht zuletzt auch am Umgang mit dem BSW. Einerseits weist die Wagenknecht-Truppe große inhaltliche Schnittmengen mit der AfD auf, andererseits stellt sie im Grunde nur die altkommunistische Brachialversion der untergehenden Linkspartei dar.
Die Mehrheit wählt rechts
Wahltaktisch kann dieses Lavieren zwischen den verschiedenen Strömungen und Positionen zum Nullsummenspiel werden. So stabil die CDU mit ihren schwarzgrünen Koalitionen im Westen auch sein mag, wird sie so kaum AfD-Wähler überzeugen können, ihr Kreuzchen bei der Union zu machen. Umgekehrt gilt dies auch für die sich abzeichnenden Koalitionen unter Einschluss des BSW.
Die Wahlergebnisse in den drei ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen haben eines gemeinsam: Rund drei Viertel der Wähler haben nicht für linke Parteien gestimmt. Es mag verständlich sein, einen Mann wie Björn Höcke von den Schalthebeln der Macht fernhalten zu wollen. Aber die Neuauflage einer Nationalen Front wäre der beste Dünger, den sich die AfD nur wünschen kann.
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Das sehen auch viele Unionspolitiker so, gerade im Westen. Der Kieler CDU-Ministerpräsident Daniel Günther hat sich in einem Spiegel-Interview jetzt klar gegen Koalitionen der CDU mit dem BSW ausgesprochen: „Mir sträuben sich die Nackenhaare, wenn ich mir vorstelle, dass die CDU am Ende einen Koalitionsvertrag mit einer Partei schließen könnte, die mit ihrer Haltung zu Europa, zur NATO und der Westbindung Deutschlands in einem krassen Widerspruch zu den fundamentalen Positionen der Union steht.“
Was, wenn nur Schwarzrot bleibt?
Diese Einschätzung wird in der CDU beileibe nicht nur im früheren Merkel-Lager geteilt. Tatsächlich halten Kritiker den Weg, mögliche Kooperationen von vornherein auszuschließen oder sich frühzeitig auf Koalitionen festzulegen, für Wählergift. Die Zahlen scheinen ihnen Recht zu geben. Die CDU kommt nicht recht aus dem Quark, seit einem Jahr liegt sie in Umfragen im Bund zwischen 24 (INSA, Nov. 2023) bis allerhöchstens 35,5 Prozent (Allensbach, Sept. 2024) und pendelt zumeist um die 30 Prozent. Da sich ihr natürlicher Koalitionspartner FDP gerade selbst entleibt, könnte Friedrich Merz in Berlin bald vor der gleichen Situation der Unregierbarkeit stehen wie in den Ländern.
Dabei will er sich alle Optionen offenhalten, auch wenn sie ihm persönlich nicht gefallen. Eine so klare Absage an die Grünen wie vom Ober-Bayern Markus Söder kommt ihm nicht über die Lippen. Immerhin: ein Zusammengehen mit dem BSW auf Bundesebene schließt der deutsche Schattenkanzler aus.
Was aber, wenn mit Brandmauer und BSW-Absage nur Schwarzgrün oder das bei allen Beteiligten herzlich unbeliebte Schwarzrot bleibt? Dann könnte die Enttäuschung vieler Wähler, dass auch mit einer unionsgeführten Regierung alles mehr oder weniger beim Alten bliebe, eine Merz-Kanzlerschaft zu einer kurzen Episode machen.
Option Minderheitsregierung
Daher schlagen manche wie Daniel Günther vor, über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung nachzudenken. Dieses Konzept gehört in vielen europäischen Ländern seit langem zur politischen Kultur, etwa in Skandinavien, Irland oder Tschechien. In Deutschland hat es dagegen keine Tradition, ihm haftet das Odium der Schwäche an.
Einzig in Thüringen stand der Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow fünf Jahre lang einer rotrotgrünen Koalition ohne eigene Mehrheit vor. Auch wenn es mehr Gezerre um Gesetzesvorhaben gab, konnten doch deren 146 beschlossen werden, was im Durchschnitt der vorherigen Legislaturperioden lag.
Nun blicken nicht nur Unionsleute gespannt nach Dresden. Wie weit werden die Parteifreunde um den amtierenden Ministerpräsidenten Michael Kretschmer dem BSW entgegenkommen? Vor dem Hintergrund der von manchen als allzu russlandfreundlich empfundenen Äußerungen Kretschmers könnten Formulierungen in gemeinsame Papiere rutschen, wie sie jetzt von Dietmar Woidkes SPD in Brandenburg zu hören waren.
Die CDU muss aufpassen, wenn sie der großen Zerstörerin Sahra Wagenknecht die Hand reicht. Dass sie die CDU spalten und zertrümmern will, ist offensichtlich. Wenn die CDU auch nur auf Landesebene ihren ureigenen Markenkern Europa, Westbindung und NATO aufgibt, könnte sich der sich abzeichnende Erfolg von Mario Voigt als Pyrrhussieg erweisen. Schönen Gruß von der FDP, die gerade ähnliches durchexerziert.
Kommentare
Kleine Korrektur: Die CDU ist nicht rechts!