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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Eine überholte Kategorie?

Man kann sich heute bekanntlich mit Bart und männlichem Geschlechtsteil als Frau verstehen und die Betreiber einer Sauna damit ins Schwitzen bringen. Denn wer dem Bärtigen den Einlass in den Damenbereich verwehrt, muss sich schon bald einen Anwalt nehmen.

Das klingt abstrus genug, aber ein Schweizer Rechtsgelehrter möchte noch eine Schippe drauflegen. Der Mann heißt Thomas Geiser, ist 71 Jahre alt und emeritierter Professor an der Universität St. Gallen. In seiner aktiven Zeit, aber auch heute noch ist er eine Art Stargast der Medien. Er platziert immer mal gerne kreative Ideen, und sein wallendes Haar elektrisiert die Fotografen. Er sieht einfach so gar nicht aus wie ein verstaubter Professor im Tweed-Anzug mit Volvo.

Geiser durfte nun der SonntagsZeitung zu einer Schlagzeile verhelfen. Wenn nichts passiert ist, müssen Zeitungen eben etwas passieren lassen. Hier geschieht das in Form eines Interviews, in dem der Professor fordert, die biologischen Geschlechter aus dem Schweizer Zivilstandsregister zu verbannen. Es gäbe dann nur noch Hans Meier und Ursula Müller, sie hätten ein Alter und eine Staatsbürgerschaft – aber wären weder Mann noch Frau. Diese Kategorien würden schlicht abgeschafft.

„Irrelevante“ Unterscheidung

Der Grund für diese Forderung klingt zunächst sympathisch. „Weil es heute einfach keinen Grund mehr dafür gibt“, so Geisers Argument. Die Unterscheidung in Geschlechter sei für den Staat „irrelevant“. Es gebe kaum mehr Gesetze, die eine solche Einteilung nötig machten, weil die Geschlechter inzwischen gleichberechtigt behandelt würden. Dinge abschaffen, die es nicht dringend braucht: Da jubelt das Herz des Liberalen.

Nur ist es nicht ganz so einfach. Solche Vorschläge kann man machen, wenn man professoralen Status hat und sich um die Auswirkungen der Idee, die man im mit Büchern vollgestopften Turmzimmerchen hatte, nicht kümmern muss. Die Leute, die damit beschäftigt sind, akademische Ideen in die Wirklichkeit zu übertragen, dürften es anders sehen.

Zur Armee muss nur noch, wer sich als Mann „fühlt“?

Was gibt die Polizei beispielsweise bei einer Fahndung heraus, wenn Merkmale wie ein Bart fehlen? „Glattrasierte Person in Hosen“? Viel Spaß bei der Suche. Der Mutterschutz, der Schutz vor geschlechtsspezifischer Diskriminierung, überhaupt alles, was einst zum Schutz von Frauen installiert wurde: soll das einfach weg?

Nicht so problematisch ist es, dass damit die unsäglichen Geschlechterquoten verschwänden, die man Unternehmen aufzwingen will. Dafür rauchen den Leuten die Köpfe, die in der Verwaltung die Geschlechtskategorisierung in Luft auflösen müssen. Für Geiser kein Thema: Man könne doch nicht aufgrund technischer Probleme auf die Lösung eines gesellschaftlichen Problems verzichten. Das kann man sagen, wenn man diese Probleme nicht selbst lösen muss.

 

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Und was ist mit den Bereichen in der Medizin, bei denen biologische Unterschiede maßgeblich sind? Da gilt bei Notfallbehandlungen künftig wohl: „Lass uns zuerst mal unten nachschauen.“ Die Militärpflicht, die in der Schweiz nur für Männer gilt, müsste ebenfalls neu definiert werden. Thomas Geiser schlägt vor, zur Armee stoßen müsse eben nur noch, wer sich als Mann fühle. Dann darf man schon bald das 300-köpfige Heer der Schweiz besichtigen.

Kein Geschlecht oder ein drittes?

Die Argumentation des Professors, das wegsoll, was es nicht unbedingt braucht, würde in Wahrheit sehr viel Aufwand auslösen und den Alltag höchst verwirrlich machen in einem Bereich, der bisher klaglos funktioniert. Zudem wirken seine Begründungen für die Forderung etwas hilflos. Zum Beispiel diese hier:

„Stellen Sie sich jemanden vor, in dessen Pass ein M steht, der sich aber als Frau kleidet, weil er sich als Frau fühlt. Wenn diese Person am Zoll ihre Papiere vorzeigt, wird sie ausgelacht und als ‘Transe’ beleidigt. Das ist eine Frechheit.“

Man soll mir bitte den Schweizer Zollbeamten zeigen, der am Schalter einen Menschen offen auslacht. Und wenn es ihn wirklich gibt, wird er es auch ohne „M“ im Pass tun, wenn ein bärtiger Hüne im rosa Tüllrock vor ihm steht.

Nichts ist so schlecht, als dass es nicht auch für etwas gut wäre. Der Vorschlag des emeritierten Professors platzt mitten in die politische Debatte über die Einführung eines dritten Geschlechts, wie es Nemo, der Sieger des letzten European Song Contest (ESC), fordert. Geiser hat sichtlich Sympathien für Nemo und seine Visionen, sagt aber auch, drei Geschlechter würden „ein Problem lösen, aber gleich wieder neue schaffen“. Denn, keine Frage, die Ausweitung von Mann und Frau auf ein fiktives X würde alle diskriminieren, die sich als Y oder Z verstehen.

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Das Duell „Professor gegen Sänger“ ist lanciert. Das sind gute Zeichen für das Überleben des gesunden Menschenverstands. Warum sollten die Zivilstandsregister nicht die Wirklichkeit dokumentieren?

 

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Kommentare

Kommentar
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Andreas Maase
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die dargestellten Thesen erinnern mich irgendwie an die französische Feministin Luce Irigaray, nach welcher sogar die Problematik der mathematischen Modellierung der Strömungsmechanik durch die Navier-Stokes-Gleichungen im "androzentrischen" Ansatz der bisherigen Physik begründet sei, vgl. (allen Ernstes) Irigaray, Luce: This Sex Which Is Not One, Ithaca (Cornell University) 1977, S. 106 ff.

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Andreas Maase
Vor 1 Monat 2 Wochen

Die dargestellten Thesen erinnern mich irgendwie an die französische Feministin Luce Irigaray, nach welcher sogar die Problematik der mathematischen Modellierung der Strömungsmechanik durch die Navier-Stokes-Gleichungen im "androzentrischen" Ansatz der bisherigen Physik begründet sei, vgl. (allen Ernstes) Irigaray, Luce: This Sex Which Is Not One, Ithaca (Cornell University) 1977, S. 106 ff.