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Nationalratswahl in Österreich

Davon hängt jetzt das Wohl Österreichs ab

Österreich hat gewählt, und die Bezeichnung „Schicksalswahl“ trifft ins Schwarze: Zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik hat die rechte FPÖ eine Nationalratswahl gewonnen. Damit ist das, was sich im kleinen Österreich, der Insel der Seligen, abspielt, ein Spiegel für ganz Europa. Noch etwas offenbart die Brisanz der Wahl: Die Zeiten, in denen GroKo-Parteien zusammen auf über 80 Prozent der Stimmen kommen, sind endgültig Geschichte. Über diese Tatsache können gutsituierte Boomer in ihrem Eigentumshäuschen noch so viele Tränchen vergießen. 

Doch die harten Fakten sprechen für sich: Die Blauen konnten fast 30 Prozent (genau: 29,2 Prozent) der Wähler für sich gewinnen. Die Partei des im Vergleich zu ÖVP-Parteichef Karl Nehammer in Deutschland deutlich bekannteren ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian „Wunderwuzzi“ Kurz kam auf 26,4 Prozent, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 21 Prozent. Die liberalen Neos konnten gegenüber der Wahl 2019 um etwa einen Prozentpunkt zulegen (neun Prozent), die großen Wahlverlierer mit einem Minus von 5,9 Prozentpunkten zu 2019 sind die Grünen (acht Prozent), sie verloren mehr als 40 Prozent ihrer Wähler.

Große Verlierer: SPÖ und ÖVP

Die allergrößten Verlierer sind jedoch die ehemaligen GroKo-Parteien ÖVP und SPÖ. Die Roten verloren zwar nicht viel, rutschten aber auf ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis ab. Und die Gewinner der Nationalratswahl von 2019, die Christdemokraten, verloren über elf Prozentpunkte. Alle anderen Parteien kommen auf unter vier Prozent und schaffen somit nicht den Einzug ins Parlament.

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Wie Wählerstromanalysen zeigen, verdankt die FPÖ ihren historischen Wahlsieg zu einem guten Teil ehemaligen ÖVP-Wählern. 25 Prozent der ÖVP-Stimmen von der Nationalratswahl 2019 wanderten zu den Blauen. Die Freiheitlichen hingegen konnten 76 Prozent ihrer Wählerschaft halten. 

Wie wählte Österreichs Jugend? Hier verstärkte sich der Trend der EU-Wahl sogar. Bei den Unter-30-Jährigen waren die Freiheitlichen mit 28 Prozent die Nummer eins. An zweiter Stelle kam mit großem Abstand die ÖVP mit 18 Prozent, gefolgt von der SPÖ (17 Prozent). Die Grünen fielen mit nur acht Prozent bei den Jungen sogar hinter die NEOS (12 Prozent) zurück. Bei der Wahl 2019 erreichte die Klimaschutz-Partei noch 27 Prozent. Die „Fridays for Future“- und „Letzte Generation“-Jugend ist also Geschichte. Auch die Erzählung, Männer würden rechts, Frauen links wählen, verfängt nicht mehr. Die Blauen wurden von beiden Geschlechtern gleich stark gewählt.

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Wird FPÖ mit Regierungsbildung beauftragt?

Mit diesem Wahlergebnis scheint der Traum vieler konservativ-bürgerlicher und christlicheWähler geplatzt zu sein: einer schwarz-blauen Regierung unter Führung des Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP). Die anstehenden Koalitionsverhandlungen versprechen eine zähe Schlacht zu werden. Doch stellt sich zuallererst die Frage: Wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl die Regierungsbildung anvertrauen? 

Diese Aufgabe übernimmt traditionellerweise die stimmstärkste Partei. Es ist jedoch allgemein bekannt, dass der ehemalige Grünen-Politiker Van der Bellen kein FPÖ-Fan ist. Auch, wenn nicht zwingenderweise der Erstplatzierte die Regierungsbildung übernehmen muss, wäre es ratsam, wenn der Bundespräsident sich dem Wählerwillen in diesem ersten Schritt beugt. Die Österreicher haben mit dieser Wahl eindeutig ausgedrückt, dass sie eine konservative Politik rechts der Mitte wünschen. 

 

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Österreich ist zwar nicht Deutschland, wo durch Brandmauern und neuerdings Rufen aus CDU, SPD und Grünen nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD vorgegangen wird, obwohl oder vielleicht sogar deshalb, weil die FPÖ-Schwesterpartei jüngst in der Wählergunst stark zugelegt hat.

Auf den Souverän muss eingegangen werden

Doch zeichnen sich auch in der Alpenrepublik zwei Szenarien ab, die an den deutschen Umgang mit der AfD erinnern: Erstens könnte der Fall eintreten, dass Van der Bellen die Rechtspopulisten nicht mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Zweitens könnten die Wahlverlierer nun alles unternehmen, damit eine Koalition ohne den Wahlgewinner zustande kommt. Eine GroKo aus ÖVP und SPÖ würde sich haarscharf ausgehen. 

Auch eine „Dirndl“-Koalition bestehend aus ÖVP, SPÖ und Neos ist im Gespräch. Eine Zusammenarbeit würde sich in beiden Fällen als äußerst schwierig gestalten. Das eigentliche Argument gegen eine solche Vereinbarung lautet aber: Die Stimme des Souveräns, des Volkes, welches sich mit einer Mehrheit von über 55 Prozent eine (rechts-)konservative Regierung wünscht, würde nicht berücksichtigt. Dem Volkswillen würde Genugtuung getan, wenn sich ÖVP und FPÖ doch noch einig werden.

Weltanschaulich und programmatisch stehen sich die beiden Parteien äußerst nahe. Der größte Unterschied liegt in den Vorstellungen ihrer Außenpolitik. Die FPÖ ist klar pro-russisch orientiert, während die ÖVP inhaltlich im Wesentlichen die NATO-Linie teilt, auch wenn Österreich kein Teil des Verteidigungsbündnisses ist.

Eine Demutsanstrengung für die ÖVP

Eine blau-schwarze Koalition liegt zum derzeitigen Standpunkt in weiter Ferne. ÖVP-Chef Karl Nehammer hat zwar vor der Wahl als einziger Spitzenkandidat keine Koalition mit den Blauen ausgeschlossen, wohl aber eine mit Herbert Kickl als Vizekanzler. Eine echte Berücksichtigung des Souveräns würde eine enorme Demutsanstrengung von Seiten der ÖVP erfordern: Sie müsste Kickl als Kanzler akzeptieren. Dann würde mit großer Wahrscheinlichkeit ein anderer als Nehammer Vizekanzler werden. Wer das sein könnte, steht in den Sternen.

Oder Kickl verzichtet auf das Kanzleramt und die Blauen nominieren ein anderes Parteimitglied, was aber ausgeschlossen erscheint, da Kickl unbedingt Nummer eins werden möchte. In den kommenden Wochen wird sich entscheiden, ob es den beiden Parteien möglich sein wird, sich dem Wählerwillen zu fügen zum Wohl des Landes oder ob die ÖVP Koalitionen mit linken Partnern eingehen wird, um den eigenen Machterhalt zu sichern. Das könnte sie aber auf längere Zeit bitter bereuen. Spätestens bei der nächsten Nationalratswahl 2029 könnte sie nahe der Bedeutungslosigkeit hinabrutschen, wenn noch mehr konservative Wähler aus Enttäuschung zu den Blauen abwandern.

Der europäische Wind bläst rechts

Unabhängig davon, welche Regierung zustande kommen wird: Ungarn, Italien, Schweden, Niederlande, Slowakei, ostdeutsche Bundesländer und jetzt auch Österreich beweisen, dass der europaweite Siegeszug der rechtspopulistischen Parteien fortschreitet. Quer über den Alten Kontinent nehmen Menschen eine Islamisierung wahr, die, verursacht durch unkontrollierte Migrationspolitik, sich auszubreiten droht und die in viele alltägliche Bereiche der Leute hineinwirkt.

Gerade junge Leute erleben in der Schule die Auswirkungen der Parallelgesellschaften am eigenen Leib und spüren, dass Multikulti gescheitert ist und die traditionellen Parteien keine Lösungen geben können. Wirtschaftliche Stagnation und Teuerungen tun ihr Übriges dazu. Hinzu kommt eine Zukunftsangst bis -skepsis, die die „alten“ Parteien nicht mit einer patriotischen und lebensbejahenden Gegenerzählung zu kontern wissen. Den Europäern steht nicht das Francis-Fukuyama-Diktum vom „Ende der Geschichte“ bevor, sondern ein neuer konservativ-rechter Anfang.

 

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Kommentare

Comment

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Kommentar
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Josef Spindl
Vor 3 Wochen 1 Tag

Ja mei, wer kennt schon den einzig wahren Wählerwillen? Sind 55 % für FPÖ und ÖVP wirklich ein rechtskonservativer Aufbruch – garniert mit prorussischer Alpenlyrik? Es gab ja schon die Zeit unter Kanzler Schüssel mit der FPÖ des wundersamen Jörg Haider. War’s vergnüglich? Also gemach, die Regierungsbildung wird nicht einfach, das Regieren noch weniger. Österreichische Gelassenheit scheint angezeigt zu sein.

3
Laetitia M.
Vor 3 Wochen 1 Tag

Das Problem ist, dass die ÖVP - genauso wie in Deutschland die CDU - keine profilierte konservative Politik mehr macht. Der ängstliche Tanz um die "Mitte" - die von der ÖVP ständig bemüht wurde - hat nicht die Kontur, die es aktuell bräuchte. Immerhin stimmt die ÖVP auf Europaebene aktuell (ebenso wie FPÖ) gegen Abtreibung als Grundrecht. In der Migrationspolitik wäre eine Schärfung durch die FPÖ gut, andererseits nervt die Corona-Bezogenheit der FPÖ genauso wie die pro-russische Haltung der Blauen. Aber ja, der Wählerwille muss natürlich berücksichtigt werden, insofern wäre VdB gut beraten, Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben - alles andere wäre fatal.

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KeinEidgenosse
Vor 1 Woche 4 Tage

Die Behauptung, dass 55% explizit für eine rechtskonservative Regierung gestimmt haben, ist natürlich parteipolitisch gefärbt und grober Unfug. Natürlich sind FPÖ und ÖVP inhaltlich in vielen Bereichen nahestehend. Aber das gilt auch für FPÖ und SPÖ oder auch ÖVP und Neos. Im freien Spiel der Kräfte kann und soll sich hier eine tragfähige Regierungsmehrheit bilden. Dass die ÖVP schlecht beraten ist, als Steigbügelhalter für die Freunde Putins* und ihren Zampano Herbert Kickl zu agieren, liegt für mich auf der Hand. Ich nehme an, dass Emanuela Sutter dies etwas anders sieht.

*https://kurier.at/politik/inland/fall-ott-fpoe-relativiert-freundschaft…

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Josef H.
Vor 3 Wochen

Laetita M. hat einen Denkfehler in ihrer Argumentation: „Immerhin stimmt die ÖVP auf Europaebene aktuell (ebenso wie FPÖ) gegen Abtreibung als Grundrecht.“ Abtreibung ist kein „Grundrecht“ der Frau, sondern es gibt nur das Grundrecht auf „Leben“. Und das gehört dem wachsenden Leben im „Bauch“ der Frau. (Schon das Wort „Bauch“ zeigt eine falsche Haltung, nicht nur biologisch. Es ist der schwangere „Leib“, der das Umfassende, mehr als Biologische, einer Schwangerschaft aus ethischer Sicht beschreibt. Aber das wissen die Lebensverächter nicht.)

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G. Seidel
Vor 3 Wochen

Einen 55%igen Wählerauftrag für einen Kanzler Kickl sehe ich NICHT: Bundespräsident vdB, der dank seiner Legitimation durch Volkswahl mit 56,7% entscheidet, wen er als Kanzler anlobt und wen nicht, hat sich früher schon klar dagegen ausgesprochen. Und Kanzler und ÖVP-Chef, den die FPÖ bräuchte, ebenso.

Vielleicht könnte das "hessische Modell" funktionieren, bei dem der Christdemokrat Boris Rhein die Sozialdemokraten in die Mitte zwang ... mutmaßlich mit dem Hinweis, dass es rechnerisch auch eine Option auf der rechten Seite gäbe.

Entscheidend beim Verhandeln sind eben die Alternativen (Outside Options), die man hat ... wie schon die Ökonomen Stahl und Rubinstein lehnten ...

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Andreas Graf
Vor 3 Wochen

"Auf den Souverän muss eingegangen werden." Wer ist der Souverän? Dafür müsste Österreich genauso wie Deutschland noch eine Demokratie sein. Die Frage stellt sich nicht mehr. Die FPÖ wird bei dem Poker knallhart ausgebootet werden. Das dürfte in den Hinterzimmern bereits eine abgemachte Sache sein. Natürlich gibt es viele Probleme, allen voran die Migration. Wenn das nicht so gewollt wäre, gäbe es diese nach den Gesetzen der Logik erst gar nicht. Es wird so weiter gehen. Wie jeder weiß, haben die Konservativen das Spiel gegen die Freimaurer bereits mit dem VAT. II verloren und sich gnadenlos über den Tisch ziehen lassen. Das Spiel geht nun seiner Vollendung entgegen, religiös wie politisch. Das sollten Strategen wissen.

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Josef Spindl
Vor 3 Wochen 1 Tag

Ja mei, wer kennt schon den einzig wahren Wählerwillen? Sind 55 % für FPÖ und ÖVP wirklich ein rechtskonservativer Aufbruch – garniert mit prorussischer Alpenlyrik? Es gab ja schon die Zeit unter Kanzler Schüssel mit der FPÖ des wundersamen Jörg Haider. War’s vergnüglich? Also gemach, die Regierungsbildung wird nicht einfach, das Regieren noch weniger. Österreichische Gelassenheit scheint angezeigt zu sein.

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Laetitia M.
Vor 3 Wochen 1 Tag

Das Problem ist, dass die ÖVP - genauso wie in Deutschland die CDU - keine profilierte konservative Politik mehr macht. Der ängstliche Tanz um die "Mitte" - die von der ÖVP ständig bemüht wurde - hat nicht die Kontur, die es aktuell bräuchte. Immerhin stimmt die ÖVP auf Europaebene aktuell (ebenso wie FPÖ) gegen Abtreibung als Grundrecht. In der Migrationspolitik wäre eine Schärfung durch die FPÖ gut, andererseits nervt die Corona-Bezogenheit der FPÖ genauso wie die pro-russische Haltung der Blauen. Aber ja, der Wählerwille muss natürlich berücksichtigt werden, insofern wäre VdB gut beraten, Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben - alles andere wäre fatal.