Wohlstand in Gefahr: Was Deutschland aus dem Schicksal Japans lernen kann
Japan und Deutschland sind in vielerlei Hinsicht ähnliche Länder. Beide waren Verlierer im Zweiten Weltkrieg. Beide Länder gelangten trotzdem schnell wieder zu beträchtlichem Wohlstand. Heute rangieren sie auf Platz 3 und 4 der größten Volkswirtschaften der Welt. Beiden Ländern ist ferner gemein, dass sie von Natur aus rohstoffarm sind und ihre Bevölkerung verhältnismäßig alt ist.
In manchen Punkten sind die Entwicklungen in Japan etwas weiter fortgeschritten, weshalb sich ein genauer Blick auf den Inselstaat für Deutschland lohnt.
Lassen wir das vergangene Jahr Revue passieren, stellen wir fest, dass Japan und Deutschland beziehungsweise Europa unter ähnlichen Problemen zu leiden hatten: stark gestiegene Rohstoffpreise, eine zeitweise massive Abwertung der eigenen Währung gegenüber dem US-Dollar und eine negativere Handelsbilanz.
In Europa war die Versorgung mit Rohstoffen die größte Sorge – in Japan der Crash der japanischen Währung Yen. Analysiert man die Hintergründe dieses Einbruchs, kann man die These wagen: Japan ist der Euro-Zone nur einen Schritt voraus.
Den Crash nie bewältigt
Der japanische Staat ist mit bis zu 260 Prozent der eigenen Wirtschaftsleistung verschuldet. Einen Großteil der Staatsschuld hält die Zentralbank. In Wahrheit steckt Japan in der schwersten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg -– und fast keiner nimmt es wahr. Doch der Reihe nach.
Ende der 80er Jahre floss mit der voranschreitenden globalen Integration Japans sehr viel Geld in das Land. Immobilienbewertungen schossen in schier unfassbare Höhen. Ein Gebäude in Tokio war zehnmal so viel wert wie das Rockefeller Center in New York. Der Palast des Kaisers soll mehr wert gewesen sein als ganz Kalifornien. Die USA hatten Angst, Japan werde zur größten Wirtschaftsnation der Welt. Doch diese durch viel Fremdkapital getriebene Blase ist schlussendlich geplatzt. Der verlorene Wohlstand entsprach dem Dreifachen der jährlichen Wirtschaftsleistung Japans – eine enorme Summe!
Allerdings wollte man die Folgen des Crashs nicht spüren und den Schmerz hinauszögern – und hat ihn eigentlich nie richtig bewältigt. Dazu hat Japan seit drei Jahrzehnten mit immer niedrigeren Zinsen und immer höheren Staatsschulden versucht, die Wirtschaft anzukurbeln. Erfolglos.
Bis heute liegt der Leitzins bei minus 0,1 Prozent. Zinsen sind eigentlich dazu bestimmt, den Preis für Risiko und Laufzeiten zu bestimmen. Wenn man dieses Marktsignal zerstört, kommt man zu absurden Ergebnissen. Und Japan ist ein Paradebeispiel dafür.
Der japanische Staat konnte sich auf bis zu 260 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung verschulden, ohne ein Finanzierungsproblem zu bekommen. Zum Vergleich: Deutschland liegt bei rund 70 Prozent der jährlichen Wertschöpfung, die USA bei circa 130 Prozent, Italien bei 160 Prozent und Griechenland bei 180 bis 190 Prozent. Das war lange kein Problem für Japan, da auch andere Zentralbanken die Zinsen recht niedrig gehalten hatten.
Die US-Notenbank FED hat mittlerweile die Zinsen auf 4,75 Prozent erhöht, die Bank of Canada auf 4,50 Prozent, die Bank of England auf vier Prozent und selbst die EZB auf drei Prozent.
Kapital flüchtet aus dem Yen – in den US-Dollar
Neben den teurer importierten Rohstoffen ist dieser Unterschied vor allem dafür verantwortlich, dass der Euro und vor allem der Yen vergangenes Jahr besonders stark gegenüber den anderen Währungen gestiegen ist. Die anderen großen Zentralbanken folgen der FED langsam.
Und was passiert also in Japan? Dort versuchte man bis Dezember die Verzinsung von japanischen Staatsanleihen auf 0,25 Prozent zu begrenzen. Der Zinsunterschied zu den Staatsanleihen anderer Länder wurde immer massiver. Im Dezember erlaubte die Zentralbank ein Ansteigen des Zinsniveaus für japanische Staatsanleihen auf bis zu 0,5 Prozent.
Zum Vergleich: Zehnjährige deutsche Staatsanleihen geben derzeit eine Rendite von rund 2,5 Prozent und US-amerikanische Staatsanleihen mit derselben Laufzeit sogar um die vier Prozent. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Geld aus dem japanischen Yen flüchtet und vor allem in den US-Dollar fließt. Diese Dollar werden genutzt, um US-Anleihen zu kaufen.
Es werden also Anlagen, die in Yen notieren, verkauft und Anlagen in Dollar gekauft. Im Ergebnis kollabiert(e) der Yen. Im vergangenen Jahr sank der Yen gegenüber dem US-Dollar um bis zu 40 Prozent.
Um das einzuordnen: Bewegungen in Höhe von drei bis fünf Prozent sind bei Währungen schon ziemlich groß. Bewegungen in mittlerer zweistelliger Höhe sind absolut massiv – und wir sprechen hier nicht über Zimbabwe. Japan ist die drittgrößte und hochindustrialisierte Volkswirtschaft.
Die Abwertung wäre sogar noch größer, wenn die japanische Zentralbank nicht seit Monaten ihre Währungsreserven aufzehren würde, um die heimische Währung zu stützen. Dazu verkauft sie Anlagen in US-Dollar und kauft Anlagen im heimischen Yen.
Japans Staatsschulden belaufen sich auf 260 Prozent der jährlichen Wertschöpfung
Doch wieso tut die japanische Zentralbank all dies? Warum erhöht sie nicht einfach die Zinsen, anstatt zuzusehen, wie die eigene Währung um 40 Prozent an Wert verliert und die Währungsreserven verschwinden?
Jetzt kommen wir zurück zum Schuldenstand. Wenn die Schulden eines Landes bei 260 Prozent der jährlichen Wertschöpfung liegen, dann führt bereits ein kleiner Anstieg des Zinsniveaus zu gewaltigen Problemen. Die Zinszahlungen werden unbezahlbar. Die japanische Regierung muss dann sehr unschöne Maßnahmen treffen. Beispielsweise:
- Reduzierung des sozialen Sicherungssystems
- Reduzierung der Staatsausgaben
- starke Steuererhöhungen
oder:
- alles gleichzeitig.
In einer Demokratie wird dies allerdings zu einem Problem. Steuererhöhungen und Kürzungen von Staatsleistungen sind sehr unbeliebt.
Das heißt, wenn die japanische Zentralbank ein normales Zinsniveau zulassen würden, würde der Staatshaushalt explodieren. Um das zu verhindern, werden die Zinsen niedrig gehalten.
Eine schwache Währung ist grundsätzlich ein Problem
Im Ergebnis verliert dann die Währung. Eine schwächere Währung ist grundsätzlich immer ein Problem. Für Länder wie Japan ist es allerdings ein ganz besonderes Problem. Japan ist ein kleiner Inselstaat mit einer enorm innovativen, detailorientierten Bevölkerung, allerdings ohne Rohstoffe. Kleine Inseln ohne viele Rohstoffe müssen also viele Rohstoffe importieren. Wenn der Wechselkurs schwächer wird, dann wird der Import immer teurer.
Das heißt, egal welchen Weg Japan bestreitet, der Lebensstandard der Japaner wird eingeschränkt werden.
In den vergangenen Wochen und Monaten ist die Inflation deutlich angezogen. Im Januar kletterte die Inflation auf 4,3 Prozent. Dies war der höchste Wert seit 1981. Zwar sank sie im Februar wieder um einen Prozentpunkt, doch die Problematik ist eine längerfristige.
Auch weil sie wegen der größeren Zinsunterschiede zwischen Japan und anderen Ländern und des entsprechenden Kapitalabflusses und der Abwertung der Währung – aufgrund der höheren Verschuldung des japanischen Staates – länger bestehen dürfte (wenn man sich nicht für ein höheres Zinsniveau in Japan mit den oben genannten Folgen entscheidet). Auch sei darauf hingewiesen, dass die Inflationsraten durch subventionierte Preise faktisch manipuliert werden.
Die Daten über die japanische Bevölkerung der vergangenen 30 Jahre sind allerdings noch bedrückender. Die Fertilitätsrate ist noch niedriger als die der Deutschen. Japaner wohnen oft sehr lange bei den Eltern, manchmal bis in ihre Vierziger hinein, weil sie sich keine Immobilie leisten können – das billige Geld lässt grüßen. Ein deutlich größerer Teil als üblich hat nicht geheiratet. Und die Wirtschaft wuchs in dieser Zeit kaum. Man spricht von der „verlorenen Generation“.
Die Schulden ließen Japans Wirtschaft nicht anspringen
Die zusätzlichen Schulden haben am Beispiel Japans nicht dazu geführt, dass die Wirtschaft angesprungen ist, sondern nur der Schuldenstand erhöht wurde.
Sicherlich unterscheidet sich Japan von Deutschland noch aufgrund einer niedrigeren Einwanderungsrate – auch wenn diese zuletzt angestiegen ist.
Dennoch ist das Beispiel Japan von Bedeutung. Und zwar weil in den vergangenen Jahren die Entwicklung in der Euro-Zone eine ähnliche gewesen ist.
Die Staatsverschuldung konnte – dank niedriger oder sogar negativer Zinsen – immer weiter ansteigen. Die EZB hat immer mehr Staatsanleihen aufgekauft. Im Verhältnis zu Japan sind beide Werte (Staatsverschuldung zum Bruttoinlandsprodukt und Anteil der Staatsanleihen im Besitz der Zentralbank) noch nicht ganz so extrem wie in Japan, jedoch schon stark erhöht.
Von Japan lernen heißt: Der Weg sollte grundsätzlich genau in die gegenteilige Richtung gehen. Es bedarf einer Zentralbank, die Geldpolitik ohne Blick auf die jeweiligen Staatsfinanzen betreibt und damit die nationalen Regierungen zu einem restriktiven Umgang mit Geld anleitet. Es bedarf einer Rücknahme des Staates, um nicht in dieselbe Falle wie Japan zu tappen. Politiker dürfen nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, jedes Problem mit neuen Staatsausgaben und Staatsschulden lösen zu wollen.
Konsequentes, für Regierungen untypisches Gegensteuern ist nötig
Aber Regierungen agieren typischerweise nicht so. Sie versuchen, künstlich Wirtschaftswachstum zu erzielen oder Schmerzen in der Wirtschaft zu reduzieren und erhöhen damit immer weiter den Schuldenstand. Sie versuchen, den Motor immer wieder anzuwerfen. Aber umso höher die Schulden sind, desto weniger klappt es. Jeder eingesetzte Yen erzielt weniger Wirkung.
In einem Punkt sind die Japaner den Deutschen in positiver Hinsicht voraus. Die Abhängigkeit von Rohstoffimporten und die hohen Rohstoffpreise haben die japanische Regierung von ihrem Plan abgebracht, komplett aus der Kernenergie auszusteigen. Jetzt wird sogar der Bau neuer Kernkraftwerke ins Auge gefasst.
Die negative demographische Entwicklung sowohl in Japan als auch in Deutschland und Europa erfordert es, dass konsequent gegengesteuert wird, wenn der Wohlstand dieser Völker erhalten bleiben soll.
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