Österreichs Volkspartei wankt
Die Botschaft der österreichischen Wähler war deutlich: Eine Serie von Wahlniederlagen in den vergangenen Monaten setzte offenbar einen Nachdenkprozess bei Österreichs Konservativen in Gang. Die Landtagswahlen in deren Kernländern Tirol und Niederösterreich, wo die Österreichische Volkspartei (ÖVP) jeweils zehn Prozentpunkte und die absolute Mehrheit verlor, rüttelten die Funktionäre auf – bis hin zur Parteispitze.
Bis dahin war man der Ansicht gewesen, dass die Volkspartei nach dem eruptiven Abgang ihres ehemaligen Superstars Sebastian Kurz Anfang Dezember 2021 wieder auf Kurs sei. Man hatte doch die Corona-Krise gut gemanagt und das Füllhorn ausgegossen, um die Schäden für die Wirtschaft abzufedern. „Koste es, was es wolle“, hatte der Kanzler stets betont.
Und nun stellt die ÖVP überrascht fest, dass sie nicht nur keinen Dank von den Wählern erhält, sondern von diesen vielmehr abgestraft wird. Die nächste Niederlage steht im Bundesland Salzburg bei der Landtagswahl im Mai an, wo der Landeshauptmann-Sessel für die ÖVP heftig wackelt. Dort könnte die rechtspopulistische FPÖ, die auch in den anderen Bundesländerwahlen stark zulegte, auf Platz eins landen.
Fehler Nummer 1: Die Corona-Politik
Das Problem liegt also nicht nur an der Bundesspitze. Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer hat es schwer als Nachfolger des politischen Ausnahmetalents Kurz. Er gewann zwar an Profil, doch erscheint er überfordert und glanzlos. Es waren aber vor allem zwei Gründe, die in der Partei unterschätzt oder falsch eingeschätzt wurden. Und zwar deshalb, weil man in den vergangenen drei Jahren offenbar den Kontakt zu den Bürgern verloren hatte und stattdessen nur auf „die Medien“ und „die Wissenschaft“ gehört hatte. Man lebte also in einer Blase.
Die eine Ursache des Vertrauensverlusts der Wähler, und das macht nicht nur den Konservativen zu schaffen, ist die Corona-Politik und die damit einhergehenden Maßnahmen. Österreich fuhr einen besonders restriktiven Kurs. Kanzler Kurz war der erste in Europa, der die Grenzen dichtmachte und landesweite Lockdowns verhängte. Es wurden Massentests und Zugangsbeschränkungen über drei Jahre fortgeführt, Panikstimmung verbreitet und Angstmache betrieben. Das Kurz-Diktum von den „100.000 Toten“ ist bis heute im Gedächtnis.
Österreich war das erste Land Europas, das die Impfpflicht für alle beschloss – und blieb es auch. Diese Maßnahme bildete den Gipfelpunkt der Fehlschüsse, denn sie wurde zu einem Zeitpunkt getroffen, als die Pandemie nachweislich bereits am Auslaufen war. Es war daher eine rein politische Entscheidung, man wollte die „Ungehorsamen“, also Ungeimpften, bestrafen. Dies hatte man bereits beim „Lockdown für Ungeimpfte“ exerziert, für den es ebenfalls keine Evidenz gab.
Die Mehrzahl der anderen Parteien machte bei diesen Maßnahmen willig mit. Der grüne Koalitionspartner, die Liberalen und die Sozialdemokraten forderten sogar noch härtere Maßnahmen. Die einzige Partei, die dagegenhielt, war die FPÖ. Dies führte dazu, dass sich die anderen Parteien nicht mehr mit den Inhalten der Maßnahmenkritiker auseinandersetzten, sondern alle Kritiker pauschal in die rechte Schmuddelecke verbannten.
Die Rache der Protestwähler
Dieses Muster kennt man auch in Deutschland. Doch die FPÖ ist nicht die AfD, trotz der deftigen Wortwahl von Parteichef Herbert Kickl, mit dem rhetorisch immer wieder die Pferde durchgehen. Sie hat durch mehrfache Regierungsbeteiligungen gezeigt, dass sie auch die Mitte ansprechen kann und die Ausgrenzungsversuche missglückten. Durch die Einteilung der Menschen seitens der Regierung und großer Teile der Opposition in „brave“ und „ungehorsame“ Bürger kam es zu einer tiefen Spaltung.
Jene, die zu Sündenböcken gemacht wurden, liefen allesamt zur FPÖ über, vielfach ohne jemals eine ideologische Nähe zu den Rechten verspürt zu haben, ja sogar trotz eines gewissen Widerwillens. Somit konnte die FPÖ die Proteststimmen der Getretenen, Beschimpften, Ausgegrenzten, Benachteiligten und Kritischen ohne Mühe einfach einsammeln. Alle anderen Parteien verloren seither bei jeder Wahl.
Diese tiefen Risse hatten auch die Konservativen unterschätzt, und als sie sie erkannten, dann falsch gedeutet. So startete ÖVP-Chef Nehammer zwar nach der Serie an Wahlniederlagen einen Anlauf zur „Versöhnung“, doch sendete er gleichzeitig ein widersprüchliches Signal: Man wolle jene zurückholen, die sich „abgewandt“ hätten. Das kam einer Umkehrung der Tatsachen gleich, denn die Betreffenden wurden ja von ihm selbst und seinen Regierungskollegen ausgegrenzt.
Fehler Nummer 2: Hinwendung zu den Grünen
Der zweite schwere Fehler der konservativen Parteiführung war die Hinwendung zu den Grünen. Die Kleinpartei mit etwas mehr als zehn Prozentpunkten bei der jüngsten Bundeswahl übernahm immer mehr die Themenführerschaft. Vor allem die grüne Verbotspolitik, die als konträr zu den Interessen der Wirtschaft wahrgenommen wurde, und die grüne Gesellschaftspolitik – Stichwort „Gendern“ – stießen zunehmend auf heftigen Widerstand, ja Empörung in den Reihen der Konservativen.
Die ideologischen Gräben waren schon zu Beginn der Zweckehe tief und sind mittlerweile unüberwindlich. Vor allem der Wirtschaftsflügel der ÖVP tobte, als etwa die Grünen trotz explodierender Inflation und Energiepreise im Herbst 2022 zusätzlich ihre CO2-Steuer einführten. Als nun noch das Aus für Verbrennungsmotoren gelobt wurde, platzten der Industrie und der ÖVP-dominierten Wirtschaftskammer endgültig der Kragen.
Dazu kam zuletzt noch, dass die Grünen ganz offen gegen ihren Koalitionspartner ins Feld zogen. So legte die grüne Fraktion im Parlament eine Art „Sündenregister“ der ÖVP als Abschlussbericht zum Korruptions-Untersuchungsausschuss vor. Dieser wurde im Dezember 2021 eingesetzt, um Korruptionsvorwürfe gegen ÖVP-Regierungsmitglieder zu klären. Die Grünen-Fraktion gerierte sich damit als Oppositionspartei, obwohl sie eigentlich Koalitionspartner der ÖVP ist. Die groß angekündigte Rede, die Kanzler Nehammer zuletzt an die Nation, aber eigentlich an seine Funktionäre hielt, trug deutlich die Handschrift der Wirtschaft und der Industrie.
FPÖ nimmt an Fahrt auf
Die Rede des Kanzlers war, neben einer Rückkehr zu den Grundsätzen der Partei, vor allem eine De-facto-Aufkündigung der Koalition mit den Grünen, selbst wenn diese formal noch besteht. Denn die Klagen der Funktionäre und der Basis wurden immer lauter, dass die Wähler ÖVP gewählt und dann Grüne bekommen hätten.
Der Vorwahlkampf auf Bundesebene ist nun also bereits eineinhalb Jahre vor dem Ende der Legislaturperiode eröffnet. Bei der Wahl im September 2019 kam die ÖVP auf 37 Prozent der Stimmen. Derzeit erreicht die gesamte Koalition in Umfragen nur noch 35 Prozent. Damit ist es unwahrscheinlich, dass man noch bis zum Ende durchhält, trotz oder gerade wegen der schwindenden Zustimmung bei den Wählern.
Es ist nach den inhaltlichen Differenzen der vergangenen Monate absehbar, dass, so wie im ÖVP-Kernland Niederösterreich, am Ende eine Koalition mit der FPÖ herauskommen könnte. Allerdings deuten die aktuellen Umfragen darauf hin, dass diese unter Führerschaft der Rechtspartei stehen würde, ähnlich wie in Italien. Man darf also gespannt sein, ob sich auch in Österreich der rechtskonservative Kurs in Europa fortsetzt.
So klar und gleichzeitig klug in der Analyse - vielen Dank! Ich freue mich auf Ihre Vortragsreihe zu Ihrem neuen Buch! Und über jeden Ihrer Auftritte in Servus-TV. Ich schaue nicht mehr ORF, aber vermute, dorthin werden Sie nicht eingeladen - sonst würde ich glatt eine Ausnahme machen.
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