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Kolumne „Ein bisschen besser“

Baby, wir machen ein Groschenroman-Wochenende

„Sein Gesicht war eine bleierne Maske des nahenden Verfalls mit den blutleeren Lippen, der spitzen Nase, den eingesunkenen Schläfen und den nach außen gekrümmten Ohrläppchen. Auf seinem Schädel klebten ein paar trockene weiße Haarsträhnen, als kämpf‌ten Wildblumen auf einem kahlen Felsen ums Überleben. Er blickte mich leblos an. Der alte Mann holte seine Stimme aus einem tiefen Brunnen: Brandy, wie trinken Sie Ihren Brandy, Sir?’ Wie er kommt’, sagte ich. Früher nahm ich meinen mit Champagner. Den Champagner so kalt wie der Eisberg der Titanic, mit einem Drittel Brandy drunter. Legen Sie ab, Sir. Es ist zu heiß hier drin für einen Mann mit Blut in den Adern.’“

Meine körperwarmen Finger blättern sich gierig Seite für Seite durch den Philip-Marlowe-Roman. Das Papier knistert trocken, als würde eine Hure ihre Fuchsstola ablegen. Es riecht nach dieser fauligen Mischung aus Belesenheit und Moder, die alten Büchern entströmt. Nebenan räkelt sich die brünette Gespielin, und ich bringe ihr jetzt den starken Gorilla-Impianto. Der doppelte Schuss Koffein würde den pulsierenden Kopfschmerz besiegen, der auch meinen Hirnlappen durchzuckt.

„Mir steht diese High-End-Literatur von HistorikerInnen und Politik-Luschen bis hier“

Meine Frau Judith und ich machen Groschenroman-Wochenende. Es begann am Valentinstag. „Baby“, habe ich zu Judith gesagt und mir dabei mit der flachen Hand an der Kehle entlanggestrichen, „mir steht diese High-End-Literatur bis hier. Diese Romane von starken Frauen, von denen ich noch nie gehört habe. Von schwachen Männern, die über ihre Mütter schreiben. Von abgehalfterten Politik-Luschen, die die Welt erklären. Von faltigen Coachs, die Dutzende von Seiten bekritzeln, weil ihnen sonst keiner zuhört. Von HistorikerInnen, die die Kulturleistungen indigener Völker preisen. Von Influencern und Bestsellerproduzenten, die nur ein Thema kennen, nämlich sich selbst.“

 

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„Fuck Baby“, habe ich dann noch mit einer Stimme wie eine Parmesanreibe hinzugefügt, „ich will einen Page-Turner. Einen, in dem ich versinke. Einen, in dem ich mich vergesse.“ Meine Frau Judith weiß, dass ich mich manchmal ein bisschen besser fühle, wenn ich mich vergesse.

Wir haben dann Philip Marlowe gelesen. Wir haben blutiges Fleisch mit verbrannten Fritten gelutscht. Ich habe meine Cowboystiefel über den Eames Chair genagelt und den trockenen Duft von Black Diamond in die fadenscheinigen Gardinen geblasen. Wir haben Bierflaschen mit dem Feuerzeug entjungfert und Bruce Springsteen röhren lassen, dass die Gläser klirren. „Du bist eine starke Frau“, habe ich zu Judith gesagt. Und sie hat vielleicht an indigene Völker gedacht, als sie mir den unrasierten Rücken kraulte.

 

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