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Gesprächsband mit Gerhard Kardinal Müller

Im Krisenmodus sind wir immer

Kirche ist politisch. Das sehen wir an der gegenderten und bis zur Unkenntlichkeit beliebig agierenden evangelischen Kirche, das sehen wir ebenso an den mehr oder weniger hilflos dem Zeitgeist ausgelieferten katholischen Diözesen hierzulande. Dabei gäbe es Hilfe – zentrale Fragen der katholischen Theologie heutiger Tage sind abrufbar –, man muss nur wissen, wen man fragt. Die Kernbestandteile der genialen und griffigen Botschaft, die Papst Benedikt XVI. in Glaubensdingen verkündete – die finden sich jetzt in einem so schönen wie handlichen Buch.

Gerhard Kardinal Müller, ehemaliger Bischof von Regensburg und späterer Leiter der päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre, legt in „Der Souverän der Kirche ist Gott“ die katholische Botschaft aus, vertritt sie couragiert und führt sie im Sinne des jüngst verstorbenen deutschen Papstes fort. In drei Teile gliedert sich der Gesprächskreis, der in diesem Buch aufgetan wird – Kirche, Philosophie, Politik. Ein schmales Inhaltsverzeichnis zeigt bereits die enorme Breite der behandelten Themen.

Am Beginn des ersten und größten Teils, der von der Kirche handelt, steht die Beschäftigung mit Papst Benedikt XVI.; den damaligen Professor Ratzinger lernte Müller als Student bereits kennen und schätzen. Müller hält ihn für einen Kirchenlehrer der Zukunft. Das ist ein bedeutendes Wort, bedenkt man, dass Benedikt damit auf eine Stufe zum Beispiel mit Thomas von Aquin gestellt würde.

Theologie beruht nur auf der Auslegung der Offenbarung

Bezogen auf Deutschland erinnert Müller an Benedikts Rede im Deutschen Bundestag vom 22. September 2011. Damit ist klar: Es geht in diesem Buch um den großen Rahmen. Zunächst aber legen der Kardinal und sein Gesprächspartner den Finger in die Wunden der Zeit. Betont sachlich beantwortet Müller die Fragen rund um die Missbrauchsvorwürfe, mit denen die katholische Kirche sich konfrontiert sieht.

Kongenial befragt wurde Müller dabei von Lothar C. Rilinger, der zugleich Rechtsanwalt und katholischer Publizist ist. Nichts wird relativiert oder negiert, zugleich aber bleibt die Kirche im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf. Müller erklärt, warum die Kirche als Ganzes, als Institution wegen dieser Verbrechen keinesfalls zur Disposition stehen kann.

Immens dicht ist dieses Buch, jeder Text lohnt, jede Seite ein Gewinn. Wer, und sei es durch Zufall, bei Seite 126 landet, findet eine Überschrift, die Spannung verspricht: „Ein bloßes Kulturchristentum hat keine Zukunft“ – stark! Spannend ist dieses Interview, und es trifft unsere heutige Realität, gerade auch die deutsche Befindlichkeit, ganz exakt: „Die Theologie beruht nur auf der Auslegung der Offenbarung, aber sie zieht dafür auch das Erfahrungswissen der Geistes- und der Sozial- und der Naturwissenschaften sowie der praktischen Regeln der gesunden Alltagslogik heran, um eine geistige und moralische Orientierung der Glaubenden in ihrer jeweiligen Welt und Epoche zu ermöglichen.“ Die vielbeschworene „Lebenswirklichkeit“ indessen ist nicht, wie auf dem Synodalen Weg behauptet und von Bischöfen unterschrieben, eine dritte Quelle der Offenbarung des Willens Gottes neben Schrift und Tradition; das sagt Kardinal Müller unmissverständlich und belegt es. 

Das transhumanistische Menschenbild: eine schwere Sünde

Über dieses Buch eine Rezension zu schreiben, ist schwierig, denn das Herausheben einzelner Teile ist quasi unmöglich. Von der Wichtigkeit des bewussten Umganges mit dem Islam angezogen blätterte der Rezensent auf die Seite 141, wo eine Überschrift dieses Thema ankündigt, doch unversehens kommt eine gute, lange und wichtige Passage über das Naturrecht, also die unveräußerlichen Werte, die jedem Menschen zustehen, unabhängig von der Staatsform, in der er lebt. Ja, sehr richtig! Das ist die Grundlage, auf der hier diskutiert werden sollte!

Und wie brillant dann die fundamentaltheologischen Unterschiede zwischen Christentum und Islam herausgearbeitet werden – das sollten Sie lesen.

Wie Müller das Christentum aus dem Naturrecht heraus entwickelt, wobei ihn der Jurist Rilinger natürlich auch genau das Richtige fragt, das müssen Sie parat haben! Schon gar in Zeiten von Gender-Gaga und der Verwässerung theologischer Anliegen bis zur totalen Beliebigkeit.

Aus dem Abschnitt zur Kirche lautet ein Kapitel „Im Krisenmodus sind wir immer“ – wie wahr! –, im philosophischen Teil handelt eines von der Reproduktionsmedizin, der politische Teil wiederum bespricht Themen wie „Seelsorge und Seuchenregime“ oder, ganz aktuell, aktive Sterbehilfe („Gibt es ein gutes Töten?“) und geht sogar der Frage nach, ob es sich bei der „Neuen Weltordnung“ um eine Vision oder eine Verschwörungstheorie handelt.

Dieses Werk ist wichtig, dieses Werk ist relevant. Rilinger fragt gekonnt, Müller wird deutlich, der Leser erlebt einen würdigen Präfekten der päpstlichen Kongregation für Glaubenslehre – beeindruckend! Einer Relativierung Gottes in jedweder Form erteilt Müller eine klare Absage, das transhumanistische Menschenbild geißelt er als schwere Sünde. Das sind mutige Botschaften, aber sie werden klar belegt, und die Begründungen sind stichhaltig.

Den Zeitgeist ausgekontert mit Vernunft und Wahrheitsliebe

Dieses Buch hält, was sein Titel verspricht: Der Souverän der Kirche ist nicht das Volk, sondern Gott. Und, so fügt der Rezensent hinzu, die Vorlesung Benedikts XVI., gehalten am 12. September 2006 in Regensburg anlässlich seines epochalen Pontifikalbesuches, ist im Hinblick auf die Äußerungen zum Islam bereits heute als prophetisch zu werten. Dies Buch bestätigt es eindrucksvoll.

Der Souverän der Kirche also ist nicht das Volk, sondern Gott. Der von einer einseitig ökosozial auf politisch links getrimmten Kirche vereinnahmte, der solchermaßen vergemeinschaftete Gott ist dann kein Souverän mehr – sondern die Addition menschlich-allzumenschlicher Meinungen, Attitüden und Irrungen. Und präsentiert sich die Kirche hierzulande nicht exakt derart vergendert und vergemeinschaftet, in Glaubensfragen der allzumenschlichen Beliebigkeit anheimgefallen?

Nun, Kardinal Müller kontert im Gespräch mit Lothar Rilinger diesen Zeitgeist mit Substanz aus. Er richtet die Schönheit des Glaubens auf und tritt der Entchristlichung unserer westlichen Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanz mutig entgegen – mit der durch die Bibel offenbarten Botschaft, die von Vernunft und Wahrheitsliebe getragen ist. Unbedingt sollte auch die katholische, häufig verzagte, aber noch mehr die evangelische Geistlichkeit dieses Buch zur Hand nehmen. Für alle Leser gilt, dass bei diesem bemerkenswerten Buch jede Seite ein Gewinn ist.

 

Gerhard Ludwig Müller, Lothar C. Rilinger: „Der Souverän der Kirche ist Gott. Gespräche über Kirche, Philosophie und Politik“, Lepanto-Verlag, Rückersdorf über Nürnberg 2023, Klappenbroschur, 326 Seiten, 18,- Euro.

 

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