Direkt zum Inhalt
Der „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen

Europa hat noch viel zu bieten

Das Dementi ist fast so abgeschmackt wie die Sache selbst: Er habe Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“ bei der Eröffnung der Olympischen Spiele nicht nachstellen wollen, sondern vielmehr ein bachantisches Fest, so der Regisseur Thomas Jolly.  – Honi soit, qui mal y pense!, wer Anspielungen oder gar eine blasphemische Karikatur sehe, sei selbst schuld! Dumm bloß, dass die „Darsteller“ der Pariser Parodie in den sozialen Medien eifrig die Bezüge zu Leonardos berühmten Bild betonten – auch wenn ein Teil der Posts dann wieder gelöscht wurde …

Man mag es als Symptom lesen, wie es um das Abendland bestellt ist, wenn Kunst in destruktiver Selbstreferenz das Heilige imitiert, indem sie das sakrale Vorbild mit Proponenten des Transgenderkults okkupiert. Schrill, ordinär, infantil. Und das in einem Moment, wo Europa der Welt seine Schätze zeigen könnte. Stattdessen Verzerrt-Verqueres, wo es um Identität und Zukunft gehen sollte … Es tut weh.

Lieben, Leben, Sterben und Ewigkeit auf einer monumentalen Stadtbühne

Man könnte verzweifeln, gäbe es nicht – zeitgleich! – ein Gegenbild. Auch dort ist übrigens eine „Tafelszene“, wie sie von der blasphemischen Pariser Parodie in beabsichtigter assoziativer Ambivalenz präsentiert wurde, zentral wichtig. Mit jenem Gegenbild ist Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ gemeint: das „Spiel vom Tod des reichen Mannes“, der Höhepunkt der Salzburger Festspiele!

Ein reicher Mann, ganz und gar diesseitig eingestellt, unbarmherzig, kalt und bestrebt, sich immer „fröhliche Tag“ zu machen: Philipp Hochmair als Jedermann bei den Salzburger Festspielen 2024

Zugegeben, die wechselnden Inszenierungen variieren hinsichtlich Qualität und Originalität. Zu bemühte Aktualisierung geht meistens schief – so wurde der Klimaklamauk der letztjährigen Inszenierung wenig geschätzt; das Fehlen der Tafelszene, die einer Art Öko-Picknick gewichen war, wurde höchst kritisch vermerkt. Das Entscheidende und der Bezugspunkt zwischen Paris und Salzburg ist aber nicht nur besagte „Tafelszene“, sondern jener der einander entgegenstehenden Botschaften: jene von Paris entsetzlich, jene von Salzburg ermutigend.

„Jedermann“ ist ein starkes Zeichen abendländischer Geistigkeit. Das beginnt bei der „Bühnenkonstruktion“: Die Fassade des Salzburger Doms bildet gemeinsam mit der dahinterliegenden Festung Hohensalzburg und dem Mönchsberg eine einzigartige Theaterkulisse, ideal kombiniert aus natürlichen und architektonisch-kulturellen Gegebenheiten. Die monumentale Stadtbühne, auf der Lieben, Leben, Sterben und Ewigkeit abgehandelt werden, hat ungebrochene Anziehungskraft.

Ein Mysterienspiel als Herzstück der Festspiele

Bereits 1911 in Berlin uraufgeführt, fand das kongeniale Duo Hugo von Hofmannsthal (1774-1929) und Max Reinhardt (1873-1943) in der gebirgigen Grenzstadt mitten im deutschen Sprachraum schließlich den idealen Aufführungsort für den „Jedermann“. Tatsächlich, ab 1920 fehlte „Das Sterben des reichen Mannes“ nur ganz selten – bezeichnenderweise aber während der NS-Zeit – auf dem Spielplan.

Vor der Fassade des Salzburger Doms: Die Tischgesellschaft mit Brigitte Hobmeier als Buhlschaft (l.) und Cornelius Obonya als Jedermann (r.) in der Inszenierung von 2014

Das Sensationelle ist, dass seit vielen Jahrzehnten ein geistliches Drama, ein „Mysterienspiel“, das Herzstück der Salzburger Festspiele bildet! Und erstaunlicherweise bleibt es, allen Inszenierungskapriolen zum Trotz, relativ nahe am Ursprungstext und in seiner Substanz unverkennbar christlich.

In der diesjährigen, fast klassischen Inszenierung von Robert Carsen kommt dies ganz unmittelbar zum Ausdruck: In der Bekehrung des Sünders bezeugt sich die erlösende Liebe Gottes. Ist es vermessen, zu sagen, dass das christliche Urbild einer jeden „Tafelszene“, die Einsetzung der Eucharistie, hier im Dramengeschehen durchschimmert?

 

> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.

 

Der kanadische Regisseur setzt die von Hofmannsthal vorgesehene mahnende Adresse an die Zuseher an das Ende des Dramas und verleiht ihr damit Eindringlichkeit: „Der Stoff ist kostbar von dem Spiel / Dahinter aber liegt noch viel / Das müsst ihr zu Gemüt euch führen / Und aus dem Inhalt die Lehr ausspüren.“

Jedermann genießt das Leben, die Mutter erinnert an Gottes Gericht

Und worin besteht nun die lehrreiche Geschichte? – Jedermann genießt das Leben mit seiner Buhlschaft und den Freunden, ist reich, unbarmherzig und kalt. Die fromme Mutter erinnert ihn an das Gericht Gottes: „Wie aber, wenn beim Posaunenschall / Du von deinen Reichtümern all / Ihm sollst eine klare Rechnung geben / Um ewigen Tod oder ewiges Leben?“ Und sie setzt nach: „Mein Sohn, es ist ein arg Ding zu sterben / Doch ärger noch auf ewig verderben.“

Beim abendlichen Festmahl – von Robert Carsen mit Big Band und Tanz fulminant gestaltet – steht Jedermann schon im Schatten des Todes, er halluziniert („Warum sitzen sie alle im Totenhemd?“), ist deprimiert, hört inmitten der flotten Tanzmusik die schauerlichen Jedermann-Rufe … – schließlich tritt der Tod auf.

„Ei Jedermann! Hast deinen Schöpfer ganz vergessen?“ Jedermann und der Tod bei den Salzburger Festspielen 2014

Jedermann erkämpft einen kurzen Aufschub und sucht verzweifelt Begleiter für den Weg vor Gottes Gericht. Doch die Buhlschaft „rafft ihre Kleider hoch“ und verschwindet, die Verwandtschaft flieht, der gute Gesell geht ebenso wie Mammon.

Kümmerlich und vernachlässigt, treten schließlich Jedermanns gute „Werke“ auf. Doch allein kann „Gute Werke“ in ihrer Schwäche nichts retten und verweist deshalb den Sünder an ihre Schwester Glaube. Diese führt Jedermann in einem faszinierenden Glaubensgespräch zum Vertrauen und zum Bekenntnis auf Jesus Christus. Holt ihn die alte Angst vor Gottes Strafe ein, so widerspricht Glaube:

„Nein, gab hin den eignen Sohn
In Erdenqual vom Strahlenthron
Dass als ein Mensch er werd geboren
Und keiner ginge mehr verloren
Nit einer, nit der letzte, nein
Er finde denn das ewige Leben.“

Verzweifeln wir nicht!

Im Herzstück des berühmtesten Theaterfestivals der Welt, mitten in Europa, wird die christliche Botschaft proklamiert! Machen wir uns das – ungeachtet jeglichen Gegenwindes – bewusst. Das alte Europa hat viel zu bieten und kann den verstörenden Bildern nach wie vor das Gute, Wahre und Schöne entgegensetzen.

Die Pariser Provokation ist dekadent und ohne Zukunft, während Hofmannsthals „Jedermann“ für Hoffnung, Kraft und Klarheit steht. Verzweifeln wir nicht, sondern öffnen wir die Augen. Der Herr lässt sein Volk nicht im Stich.

 

› Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?

51
4

5
Kommentare

Comment

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
Kommentar
3
Elisabeth Thonet
Vor 1 Monat 2 Wochen

Danke für diesen ausgezeichneten Artikel in einer differenzierten Betrachtungsweise. Vor allem danke für den ermutigenden Ausblick, den Fokus auf das, was Hoffnung macht. Das brauchen wir dringend.

3
Katharina Wilczek
Vor 1 Monat 2 Wochen

! Ein wunderbarer Artikel!!! So true!!! Wir sollten mehr solcher Artikel lesen dürfen! Tut gut, baut auf, macht Hoffnung und ist wahr!!! Danke! Wir müssen wirklich abkommen von dieser negativ-Information und ich glaube wirklich, die Christen müssen lernen wieder neu Worte der Hoffnung auszusprechen und dem negativen Trend entgegensetzen!!!
Danke !!!

2
Monika K.
Vor 1 Monat 2 Wochen

Unglaublich gut und gibt Hoffnung! Danke für diese Zeilen! Es braucht viele mutige Stimmen wie die von Gudrun Trausmuth!

3
Elisabeth Thonet
Vor 1 Monat 2 Wochen

Danke für diesen ausgezeichneten Artikel in einer differenzierten Betrachtungsweise. Vor allem danke für den ermutigenden Ausblick, den Fokus auf das, was Hoffnung macht. Das brauchen wir dringend.

2
Paul
Vor 1 Monat 2 Wochen

"Die Pariser Provokation ist dekadent und ohne Zukunft, während Hofmannsthals „Jedermann“ für Hoffnung, Kraft und Klarheit steht. Verzweifeln wir nicht, sondern öffnen wir die Augen. Der Herr lässt sein Volk nicht im Stich."

Merci beaucoup, geehrte Frau Dr. Trausmuth, für diesen Kommentar.

3
Katharina Wilczek
Vor 1 Monat 2 Wochen

! Ein wunderbarer Artikel!!! So true!!! Wir sollten mehr solcher Artikel lesen dürfen! Tut gut, baut auf, macht Hoffnung und ist wahr!!! Danke! Wir müssen wirklich abkommen von dieser negativ-Information und ich glaube wirklich, die Christen müssen lernen wieder neu Worte der Hoffnung auszusprechen und dem negativen Trend entgegensetzen!!!
Danke !!!

2
Andreas Graf
Vor 1 Monat 2 Wochen

Um Europa seine Schätze zeigen zu können, hat Europa genügend Zeit gehabt. Warum hat sie diese nicht gezeigt? Die Chance ist vertan. Das Christentum hat kläglich versagt. Die zur Schau getragene Symbolik der Freimaurer in Paris ist eindeutig. Marie Antoinette, die für den Katholizismus steht, trägt den Kopf unter dem Arm. Das Christentum ist erledigt und ist zum Abschuss freigegeben. War das nicht eindeutig genug? Es ist sehr wahrscheinlich, dass jetzt die lange vorher prophezeite Christenverfolgung beginnt. Paris hat das Jagdhorn geblasen. Das Sportevent wurde regelrecht dazu missbraucht, um versteckte Botschaften zu transportieren. Diejenigen, die es am meisten angeht, verstehen am wenigsten, wiewohl, sie vegetieren geistlos dahin. Allein Erzbischof Carlo Maria Viganò hat bisher von katholischer Seite den Teufel beim Namen genannt. Seine Exkommunikation halte ich übrigens für ungültig, die von einem Usurpator einer falschen geistlosen Kirche ausgesprochen wurde. Erzbischof Carlo Maria Viganò kann sich geehrt fühlen. Er gehört als einer der Wenigen der Tradition an, wo die hl. Eucharistie noch als ein Opfer nach der Weise des Melchisedek dargebracht wird. Die olympische Szene des Abendmahls hätte, überspitzt formuliert, glatt einer Novus Ordo Feier entlehnt sein können, die immer mehr pervertiert wird. Ein "Jedermann" kann's nicht mehr retten.