Harte Tatsachen
Ob ein Ei – zumal ein Frühstücksei – hart oder weich gekocht wird, ist keine Frage des Gefühls. Dazu braucht man eine funktionierende Eieruhr. Der berühmte Ehesketch von Loriot, der selbst in der Enkelgeneration des Cartoonistenfans noch bekannt ist und seinen immer noch erkennbaren Niederschlag in geflügelten Worten und auf Frühstückbrettchen aus dem Deko-Laden gefunden hat, bringt es auf den Punkt.
Der Ehemann echauffiert sich am Frühstückstisch darüber, dass sein Ei hart sei. Er will es viereinhalb Minuten lang gekocht haben. Aber jetzt ist es hart beziehungsweise es ist mal zu hart und mal zu weich. Die Nachfrage bei seiner Frau Berta, warum das so sei, beantwortet sie pampig mit: „Ich weiß es nicht – ich bin kein Huhn!“
Im weiteren Verlauf des Frühstücksgesprächs stellt sich dann heraus, dass Berta das Ei nicht mit Eieruhr kocht, sondern „nach Gefühl“, wie sie sagt: „Eine Hausfrau hat das im Gefühl ...“ Er: „Im Gefühl? Was hast du im Gefühl?“ Sie: „Ich habe es im Gefühl, wann das Ei weich ist ...“ Er: „Aber es ist hart ... vielleicht stimmt da mit deinem Gefühl was nicht ...“
Ab hier eskaliert das Gespräch. Berta empfindet es als einen Angriff auf ihr Gefühl, ja auf das Gefühl der Frau generell. Auf solch eine Impertinenz kann sie nur ein verächtliches „Gott, was sind Männer primitiv!“ hinwerfen, was ihrem Gatten ein in sich hineingebrummeltes, aber dennoch sehr absichtsvoll klingendes „Ich bringe sie um ... morgen bringe ich sie um!“ entlockt.
Was für das Eierkochen gilt, das gilt nicht minder für die christliche Religion. Jetzt zu Ostern gibt das Christentum dem entnervten Ehemann Recht, wenn es klarstellt: Auch sein Kern, der Glaube, ist ebenfalls keine Frage des Gefühls.
Die wichtige Lehre der zwei Jünger in der Glaubensschule
Es wird von zwei Jüngern Jesu berichtet, deren Erlebnis nach der Auferstehung sie durch eine Glaubensschule schickt, die fortan für die Nachwelt eine wichtige Lehre hinterlässt, was das Verhältnis von Glaube und Vernunft, Religion und Gefühl, Kopf und Herz betrifft.
Die beiden sind auf dem Weg von Jerusalem ins unweit gelegene Dorf Emmaus. Unterwegs, so wird es im Lukasevangelium (Lk 24, 13-35) beschrieben, ergehen sie sich in Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit. Ihr Gefühl ist vollkommen durcheinander: Trauer, Aufbegehren, Enttäuschung über das Zerplatzen ihrer Hoffnungen und vielleicht sogar Wut auf den Messias, von dem sie sich auf eine gewisse Weise betrogen fühlen.
Er wollte doch der Sohn Gottes sein, der Retter von allem, was den Menschen bedrückt, von der zerstörerischen Macht seiner Fehler und nicht zuletzt auch von der Vernichtung seines Lebens durch den leiblichen Tod. Und nun liegt er selbst im Grab, nachdem er gekreuzigt und damit den Verbrechertod gestorben war.
Ein Fremder gesellt sich auf dem Weg zu ihnen. Man plaudert, wie man es auf Wanderschaft tut. Auf seine Nachfrage, worüber sie sich gerade unterhalten, antwortet der eine von ihnen mit Namen Kléopas, sie unterhielten sich über Jesus von Nazareth, den sie als Propheten erlebt hatten, „mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk“, den die Hohepriester und Führer aber hatten zum Tod verurteilen und ans Kreuz schlagen lassen. „Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde.“
Die Enttäuschung zweier Schüler, die sich betrogen fühlen
Sie scheinen wohl einem Fake aufgesessen zu sein. Und nicht nur das, man erzählt sich, so berichten sie, dass Frauen beim Grab des Messias waren und es offen und ohne Leichnam vorgefunden hätten. Sie hätten dort eine Erscheinung von Engeln gehabt und deren Versprechen vernommen, Jesus lebe.
Alles nichts für Kléopas und seinen Freund. Fantasy brauchen sie jetzt nicht. Sie brauchen Fakten, und die gibt es nur in einer Hinsicht: im Tod des Messias am Kreuz. Das ist es, was zählt: was man mit den eigenen Augen gesehen hat. Nichts anderes könnte sie vielleicht aus ihrer Trauer erwecken: harte Tatsachen. Der Messias in „3D“ vor ihnen. Beweise, Fakten und eine vernünftige Erklärung für all das, was sie nicht verstehen und offenbar auch jetzt nicht mehr verstehen wollen.
Anders wird es keine Lösung geben. Sie können im Augenblick nicht anders als dem fremden Wandergenossen diese Gefühlslage einzuschenken, nachdem sie ihn halb ruppig, halb vorwurfsvoll als schlecht informiert bloßstellen, ist doch schließlich all das Tagesgespräch in der Hauptstadt: „Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“
In diese klassische Enttäuschung zweier Schüler, die sich von ihrem verehrten Lehrer betrogen fühlen, mischt sich der Fremde mit seinen Argumenten ein. Es ist kein Es-wird-schon-werden-Trost, sondern eine recht vernünftige und gefühlslose Erklärung dessen, was geschehen ist.
Ein menschlicher, aber unzureichender Tunnelblick
Dabei appelliert er an ihre Kenntnis der Heiligen Schrift und an das, was dort über den Christus gesagt und verheißen ist. Sie sollen ihren menschlich verständlichen, aber unzureichenden und verführerischen Tunnelblick weiten und sich auf das verlegen, was sie als Botschaft doch schon längst empfangen haben, wenn sie zugehört hätten. Sie sollen sich – bitte schön – von ihrer selbstmitleidigen Stimmungslage lösen: „Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.“
Der Fremde plädiert an die Vernunft. Aber nicht an eine Vernunft, die größer und aufnahmefähiger ist als das, was wir gemeinhin durch den Einfluss der Aufklärung als Vernunft verstehen. Keine autonome Größe, die es sich zur Ehre anrechnet, die Welt nur materialistisch zu betrachten und sich erhaben fühlt, weil sie alle anderen Zugänge zur Wirklichkeit guillotiniert hat.
Der Appell des Fremden geht in eine andere Richtung: die Zweifler sollen ihren emotionalen Frust durch den Einsatz ihres Kopfes und ihres Herzens überwinden. Er versucht ihnen das nahezulegen, was Glauben eigentlich bedeutet. Denn dazu waren sie offenbar noch nicht gekommen. Sie hatten Jesus erlebt, Wunder gesehen, seine Überzeugungsarbeit gut gefunden und am Ende in der Tat seine Hinrichtung erlebt.
Das Ergebnis dessen, wenn man nicht glaubt und nur sehen will
Aber die Verstörung – um es mit einem gegenwärtig gerne eingesetzten Begriff zu sagen, wenn es um ein inneres Aufbegehren gegen das geht, was man nicht versteht – ist eben nicht das Ergebnis eines zerstörten Glaubens, es ist das, was man verspürt, wenn man nicht glaubt und stattdessen nur sehen will.
Wenn man noch nicht zu dem gelangt ist, was die christliche Religion bedeutet: ein Zustimmen der Vernunft zu dem, was der Glaube an Wahrheit offenbart. Denn Glaube – so die Quintessenz des kleinen theologischen Wanderseminars nach Emmaus – steht nicht nur nicht gegen die Vernunft, sondern umfängt sie und hilft ihr in der Tat gegen ihre „selbstverschuldete Unmündigkeit“.
Während Kant in seinem berühmten Essay „Was ist Aufklärung?“ dem Verstand empfiehlt, Mut zu haben, sich seiner selbst ohne Leitung eines andern zu bedienen, stellt der fremde Reisegefährte für Kléopas und seinen Freund die Sache vom Kopf auf die Füße – besser auf das Herz. Denn das Herz sieht mehr als die Vernunft. Und ohne das Herz bleibt der Verstand blind.
Diese Erfahrung der Emmausjünger steht am Anfang der Geschichte des christlichen Glaubens. Es geht dem Fremden um die entscheidende Haltung, die man dem Christus gegenüber einzunehmen hat. Es soll nicht beim emotionalen Überschwang bleiben – weder für den Groupie noch für den verzweifelten Zweifler. Die Beziehung zu ihm darf nicht aus Rührseligkeit bestehen und auch nicht aus einem bloßen Feeling, denn all das kippt in Katerstimmung, wenn die Gefühlstemperatur nicht zu halten ist, oder in Depression, wenn man Gott mit einer Stimmung verwechselt hat. Die Emmausjünger waren auf dem besten Weg dahin.
Begeisterung kann trügerisch sein
Die Schule des Fremden auf dem Fluchtweg der beiden Enttäuschten lehrt sie etwas anderes: Es muss sich Vertrauen bilden und ein Glaube, der sich auch auf den Verstand des Menschen stützt, der ja außer mit Gefühl und Spontaneität auch mit seiner Vernunft Gott näherkommen kann. Der neu erworbene Wanderfreund klagt ein, dass die beiden Jünger sich doch bitte auch an das erinnern sollen, was der Messias gesagt hat. Und dass sie in sich das Vertrauen entwickeln sollen, dass er den Tod überwinden kann.
Sie hatten offenbar vor lauter Begeisterung nicht recht zugehört, was seine Sendung und sein Weg sein würden. Und Begeisterung ist trügerisch, wenn sie den Zugang des Verstandes zu Gott verhindert.
Der Fremde hilft deswegen nicht mit dem Streicheln ihrer Gefühlswelt, sondern appelliert an ihre Einsichten und ihren „vernünftigen“ Glauben. Und das funktioniert. Denn als er sich später als der Christus in der abendlichen Eucharistie zu erkennen gibt, die er mit ihnen unerwartet feiert, öffnet sich der Blick.
Als er das tut, was er ihnen nicht zufällig am Abend vor seinem Tod aufgetragen hatte, erkennen die beiden Jünger, wie sehr ihnen ihr Gefühl im Wege stand, als es darum ging, zu glauben. So sehr, dass sie ihn auf dem Weg gesehen, aber nicht erkannt hatten. Sie hatten sich auf trügerische Emotionen verlassen, die alles zugekleistert und nach ihrem Zerplatzen eine hämische Vernunft zurückgelassen hatten, die sich besserwisserisch und aufklärerisch mit dem Argument aller Zeiten gegen Christus wendete: alles nur Fake!
Am Ende, als sie zu den übrigen Jüngern zurückgekehrt sind, können Kléopas und sein Mitstreiter von einem anderen Gefühl berichten. Es sei ein Brennen gewesen, sagen sie, als sie unterwegs mit dem Fremden, Unerkannten gesprochen hatten. Aber offenbar eben keine Stimmungsstimulation, sondern eine brennende Zuversicht, die ihnen ein Glaube schenken konnte, der den Verstand nicht ausschaltet, sondern ihn mitnimmt, damit auch er sich der Wahrheit nähern kann, die größer ist als er und seine Begriffe: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften erschloss?“
Das Gefühl ist schön, aber nicht alles
Was also für ein Frühstücksei gilt, das gilt auch für den Glauben wie für jede funktionierende Beziehung: Das Gefühl ist schön, aber nicht alles, denn die Beziehung und der Glaube sollen ja auch dann halten, wenn das Gefühl einmal versagt oder womöglich verschwindet. Dann braucht es die nüchterne Eieruhr der Vernunft und des Vertrauens auf das, was Gott von sich wissen lässt.
Die beiden Emmausjünger haben das erfahren, und ihre Erfahrung gehört zu Ostern wie die Erfahrung der anderen am offenen Grab: Der Sieg Gottes über die Zeit und den Tod ist eine harte Tatsache, die einem weder die Spekulation der Vernunft in ihrer Blindheit für das Ganze geben kann, noch das herbeistimulierte Gefühl, sondern allein der Glaube, der Herz und Kopf mit dem Zutrauen durchdringt, dass es Wahrheit ist, was geschehen ist und was man nicht gesehen haben muss, um es zu verstehen.
So brechen die beiden Jünger noch in derselben Nacht auf und laufen zurück nach Jerusalem. Sie sind jetzt stark genug, den Weg sogar durch die tiefste Dunkelheit zu gehen.
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