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Christa Meves zum 100. Geburtstag

Anwältin der Kinder

Christa Meves war mehr als ein halbes Jahrhundert ein leuchtender Stern für das Gute und Wahre am deutschen Himmel. Nun wird sie am 4. März hundert Jahre alt. Ihr Telefon ist häufig besetzt, wenn ich sie anrufe. Immer noch ist ihre Stimme hell, ihr Interesse an der Welt ungemindert, ihr Gedächtnis dienstbereit, zum Beispiel für den großen Fundus an Gedichten, die sie in ihrer Jugend auswendig gelernt und auch jenen, die sie selbst gedichtet hat. Aber auch die Namen meiner Enkel kennt sie. Als die Anwältin der Kinder, die sie ihr Leben lang war, plädiert sie dafür, dass das dreijährige Hänschen lange Leine bekommt, wenn nur der Papa und kein anderer ihm die Schuhe zubinden darf. Das Kind will und muss erfahren dürfen, dass es ein eigenständiger Mensch ist.

Hundert Jahre deutsche Geschichte hat Christa Meves durchlebt, durchlitten und ab den 1970er Jahren mitgeprägt. In ihrem Geburtsjahr 1925 wird Hindenburg Reichspräsident. Der Rundfunk wird zu einem Massenmedium. Die NSDAP wird gegründet und Hitlers „Mein Kampf“ veröffentlicht, woraus ihr der ältere Bruder Horst vorliest. „Hör zu, Dulla, das ist die neue Zeit!“ Horst war klug, Dulla, wie Christa genannt wurde, hatte ein gutes Herz, so der Familienmythos. Dieses Herz war so mitfühlend, dass sie von der Religionslehrerin nach Hause geschickt wurde, weil sie gar nicht mehr aufhören konnte zu schluchzen, als die Passion Jesu Christi erzählt wurde.

Ihr gutes Herz hatte ein Vorbild bei den liebenden Eltern, die nie stritten. Der Vater war Maler und Kunstlehrer zum Broterwerb, die Mutter webte Teppiche, die noch heute die Wände von Christas riedgedecktem Haus in Niedersachsen schmücken.

Abitur im Krieg, frühes Studium in Breslau

Als der Krieg ausbrach, war Christa eine wissbegierige Gymnasiastin. Trotz Krieg gab es ein reiches kulturelles Leben, Theater, Konzerte, Besuche in der Kunsthalle in Hamburg, enge Freundschaften. Die Kriegsmaschinerie griff immer mehr nach dem Mädchen. Weil man Lehrer zu Soldaten machte, wurde auf peer education zurückgegriffen. Christa wurde mit 16 als Schulhelferin eingesetzt und brachte Vierzehnjährigen den „Erlkönig“ bei. Die Mutter hatte die Tochter gebrieft: „Zieh deine hochhackigen Schuhe an, klacke laut mit den Absätzen, wenn du in die Klasse kommst, knall die Tür zu und rufe: ‘Hefte raus!’“ Für die Mutter und den Vater war die Gleichberechtigung der Frau eine Selbstverständlichkeit.

Als Christa 1943 Abitur machte, wurde Hamburg, 70 Kilometer südlich von ihrer Heimatstadt Neumünster, bombardiert. Sie wurde zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, wo sie Zeitzünder für Bomben einzustellen hatte. 1944 ging sie mit Freundin Harka nach Breslau, konnte dort sogar noch zwei Semester studieren: Germanistik, Geografie und Philosophie. Nach dem Krieg kam in Hamburg noch Psychologie hinzu.

Kurz nachdem sie Ende November nach Hause kam, wurde Neumünster in Schutt und Asche gelegt, auch das Elternhaus zerstört. Die geliebten Freundinnen Antje und Harka kamen dabei ums Leben. Christa hat die Leichen selbst mit aus dem Keller gezogen. In den letzten Kriegsmonaten wurde Christa noch als Flak-Waffenhelferin eingesetzt, um die Bezinwerke in Leuna zu verteidigen – nach menschlichem Ermessen ein Todesurteil! Sie sah die Bomber anfliegen und dann das blutrote Leuchten des Himmels über den Industrieanlagen.

Das Besondere an der Vorkriegsgeneration: Resilienz

Christa überlebte! Im März 1945 schlug sie sich mit Freundin Hille mit Gasmaske und Stahlhelm nach Neumünster durch. Sie irrten durch die Straßen, alles war kaputt. Dass der Krieg wirklich vorbei war und dass sie noch lebten, das war ganz schwer zu begreifen, sagt Christa, wenn sie heute über diese Erlebnisse spricht, die durch die existentielle Bedrohung tief ins Gedächtnis eingebrannt sind.

Das ist das Besondere an der Vorkriegsgeneration: Sie wissen, was das Leben wert ist. Sie wissen, was die Freiheit wert ist. Sie wissen, was der Friede wert ist. Sie wissen, was es wert ist, studieren zu dürfen. Das seelische Ergebnis ist Resilienz, Widerstandsfähigkeit bei Widrigkeiten. Dass sie sich bilden kann unter Bedrohung und Bedrängnis, liegt auch daran, dass es darunter den Wurzelboden einer geborgenen, glücklichen Kindheit gibt. Dass er, brüchig geworden, wieder hergestellt wird in kleinen und großen Menschen, dafür wird Christa Meves sich ihr Leben lang einsetzen.

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Die Not der Nachkriegsjahre hindert sie an nichts, nicht am Studieren, nicht am Heiraten, nicht am Kinderkriegen. Mit einundzwanzig Jahren, bereits ein Jahr nach Kriegsende, heiratet sie den stattlichen, fünfzehn Jahre älteren Facharzt für Augenheilkunde in Kiel, Harald Meves. Kurz nach dem letzten Examen 1949 wird Antje geboren, zwei Jahre später Ulrike. Die junge Familie hatte damals nicht einmal eine Wohnung, schlüpfte unter im Ärztezimmer des Krankenhauses – in Hochstimmung: Der Krieg war aus, die Liebe war da.

Zuhören, raten, schreiben und reden für das Wohl der Kinder

Mama tat alles, was eine gute Mutter tut, bis die Kinder flügge wurden und zum Studium aus dem Haus gingen. Aber sie sorgte nicht nur für ihre eigene Familie, sondern machte 1960 eine Zusatzausbildung als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin. Wenn Kinder und Mann aus dem Haus waren, half sie Kindern und ihren Eltern zum guten Leben, das sie ja kannte aus der Kindheit und ihrer eigenen Familie. In der Praxis erlebte sie, wie die Verhaltensstörungen immer mehr zunahmen mit ähnlichen Symptomen wie sie Tiere haben, die zu früh von der Mutter getrennt werden. 1968 schrieb sie ihr erstes Buch: „Die Schulnöte unserer Kinder.“

Christa sieht und erkennt, was in den sechziger Jahren heraufzieht: die Zerstörung des Wertefundaments der Gesellschaft, der Großangriff auf die Familie durch die sogenannte „sexuelle Befreiung“ und die antiautoritäre Bewegung. Sie beginnt zu schreiben und zu reden. Sie muss es tun. Sie folgt dem inneren Auftrag. Ihr Mann Harald steht hinter ihr und sagt. „Du kannst reden. Tu das!“

> Ein Interview mit Frau Meves hat der Programmdirektor und Geschäftsführer des katholischen Fernsehsender EWTN, Martin Rothweiler, im Februar 2025 geführt. Unter dem Titel „100 Jahre Lebensweisheit – Christa Meves im Gespräch“ wird die Sondersendung am 4. März, dem 100. Geburtstag von Christa Meves, um 16 Uhr und um 21.30 Uhr ausgestrahlt. In der EWTN-Mediathek gibt es zudem drei Serien, die EWTN zusammen mit Christa Meves und dem Journalisten Michael Ragg produziert hat: „Das Großeltern ABC“, „Kinder brauchen mehr als Liebe“ und „Der Mensch in Gottes Augen“. Für den katholischen Fernsehsender K-TV hat Michael Ragg ein einstündiges Gespräch mit dem Geburtstagskind geführt: „Christa Meves wird 100 Jahre alt“. Dort fasst Meves ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammen, mit denen sie zwei Generationen von Familien mitgeprägt hat. Ausstrahlung am 4. März um 17.30 Uhr und hier in der Mediathek abrufbar.

Sie tut es mit über hundert Büchern und unzähligen Vorträgen, die sie landauf, landab vor großem und kleinem Publikum, in Kongresshallen und Gemeindehäusern hielt. In ihrem Treppenhaus hängt eine Landkarte, punktiert mit unzähligen roten Stecknadeln für jeden Ort, an dem sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz war.

Das Wichtigste: die sichere Mutterbindung in den ersten Lebensjahren

Die Buchmanuskripte liefen ihr mühelos aus den Fingern. Sie nutzte Bahnreisen, um sie mit Bleistift auf einem Schreibblock hinzuwerfen. Christa Meves weiß sich als ein Instrument des Heiligen Geistes. Er hat sie berufen und ihr das Wort gegeben, um die Menschen mit Wissen und gutem Rat für ein gesundes Familienleben auszustatten, Familien, in denen Kinder gedeihen, liebes- und leistungsfähig werden, um die Zukunft zu ergreifen. Conditio sine qua non ist dafür die sichere Mutterbindung in den ersten Lebensjahren. Christa Meves kämpfte gegen die Kinderkrippen, aber kam gegen die Pläne der Familienministerin Ursula von der Leyen nicht an.

Christa Meves bei sich zu Hause im niedersächsischen Uelzen

Dieses Wissen, gegründet auf christliche Werte, weitergegeben in allmählichem Wandel von Generation zu Generation, wurde von den rebellierenden Studenten von 1968 angegriffen und ausgehöhlt durch die Verheißung befreiter Sexualität. Inspiriert waren sie von Wilhelm Reich, dem Renegaten Sigmund Freuds, und den sozialistischen Professoren der Frankfurter Schule. Nur zu gern verbreiteten die Medien Fotos von nackten Kommunarden, welche die besitzergreifende Einehe verschmähten zugunsten von Jeder-mit-jedem, auch mit Kindern, vor Kindern und unter Kindern, wie es die Grünen-Partei in einem Gesetzentwurf forderte.

Das war die Geburt der Zwangssexualisierung der Kinder ab der Kinderkrippe durch das staatliche Erziehungssystem, eingeläutet von einem gewissen Helmut Kentler. In seinem Buch „Sexualerziehung“, 1970 vom Rowohlt-Verlag veröffentlicht, empfahl er, Kleinkindern die Masturbation beizubringen, das Inzesttabu abzuschaffen, sexuelle Spiele im Kindergarten zu fördern und für den Geschlechtsakt ab der Pubertät verhütungstechnisch vorzubereiten. Kentler war von 1976 bis 1996 Professor der Universität Hannover. Dass er ein pädophiler Verbrecher war, entdeckte die Universität erst nach seinem Tod.

Sein geistiger Zögling Uwe Sielert, Professor für Sozialpädagogik von 1992 bis 2017 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, setze die Kentlerschen Ideen mittels seines Instituts für Sexualpädagogik in enger Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in pädagogische Lehrpläne um. Sie sind zur Norm in Kindergärten und Schulen geworden und unterminieren das in der Verfassung garantierte Erziehungsrecht der Eltern.

Unermüdlich tritt sie für die Schöpfungsordnung ein

Gegen all das erhob Christa Meves unermüdlich ihre Stimme. 1998 erschien ihr Buch „‘Wer Wind sät …’ Folgen der Entschämung und Jugendverführung“. Sie erreichte Hunderttausende, gab ihnen durch ihr „Elterncolleg Christa Meves“ die Werkzeuge an die Hand, um sich vom familienzerstörenden Mainstream nicht mitreißen zu lassen. Davon zeugen die Dankesbriefe, Blumen und Geschenke, die an jedem Geburtstag, nicht nur am hundertsten, ihr Zimmer überfluten.

Sie war Mitherausgeberin des Rheinischen Merkur von 1978 bis 2006. Sie wurde mit Ehrungen überschüttet, von Axel Springer, Helmut Kohl und Bundespräsident Karl Carstens persönlich eingeladen, sogar ein Ministeramt wurde ihr angeboten. Aber den kulturellen Niedergang durch den Abschied von der Schöpfungsordnung konnte sie nicht aufhalten.

Als eine, die 1987 katholisch wurde und sich immer als Dienerin ihres „großen Gottes“ verstanden hat, weiß sie, dass sie ihm bald von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten wird. Sie kann sich darauf freuen, denn sie hat die Hände voll mit guten Werken.

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