Nach Februar kommt Merz. Und dann?
Die schreckliche Messertat von Aschaffenburg hat das politische Klima in Deutschland aufgewühlt. Möglicherweise hat es Friedrich Merz mit der Union jetzt in der Hand, das seit Jahren lastende Migrationsthema endlich zu einer Lösung zu bringen, die nicht an Ideologien, sondern an den Interessen der Bürger orientiert ist. Ein Versuch dazu waren die Abstimmungen im Bundestag in der vergangenen Woche: über den Fünf-Punkte-Entschließungsantrag der Unionsfraktion sowie über das Zustrombegrenzungsgesetz, mit vollem Namen „Gesetz zur Begrenzung des illegalen Zustroms von Drittstaatsangehörigen nach Deutschland“.
Aber die Union stellt nicht die Bundesregierung, Merz ist nicht Kanzler. Auch wenn er dieses Amt mit großer Wahrscheinlichkeit übernehmen wird, dürfte die Situation nach der Bundestagswahl keine einfachen Lösungen und schnellen Entscheidungen zulassen. Wenige Wochen vor der Wahl ist zwar ein Sieg der Union zu erwarten. Allerdings wird dieser Erfolg nicht besonders überwältigend ausfallen, seit über einem Jahr stehen CDU/CSU in den Umfragen beharrlich bei Werten um die 30 Prozent. Damit sind sie zwar immer noch stärker als SPD und Grüne zusammen, aber weit entfernt von einer eigenen Gestaltungsmehrheit.
Das liegt an der AfD, die sich Hoffnungen machen darf, mit deutlich über 20 Prozent durchs Ziel zu gehen und zweitstärkste Fraktion im Bundestag zu werden. Auch wenn dank der Merzschen Migrationszeitenwende Union und AfD im Bundestag gemeinsam stimmten, ist eine Koalition beider Gruppierungen so gut wie ausgeschlossen. Zu groß sind die Unterschiede vor allem im Bereich der Außenpolitik. Die Russlandnähe der Deutschalternativen, ihre Ablehnung der EU und der transatlantischen Westbindung sind weder in der Union noch in der Bevölkerung mehrheitsfähig.
CDU/CSU: Ohne eigene Mehrheit nur Koalition?
Bleibt also eine gewohnheitsmäßig so genannte „große“ Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, die angesichts der sozialdemokratischen Schwindsucht schon längst eine kleine Koalition wäre. Doch welche der markigen Versprechungen, die Friedrich Merz im Wahlkampf gemacht hat, von Wirtschaft bis zur inneren Sicherheit, wären mit einer deutlich nach links gerückten SPD überhaupt machbar?
Schon der Vorschlag, den inzwischen zu einem veritablen Subventionszoo gewucherten Sozialstaat auf die Effizienz der einzelnen Maßnahmen hin zu überprüfen, führt bei Sozialdemokraten regelmäßig zu Tobsuchtsanfällen. Auch außenpolitisch wäre eine SPD-Fraktion, in der tonangebende Politiker wie Rolf Mützenich, Matthias Miersch oder Ralf Stegner die Zeiten der alten Moskau-Connection wiederaufleben lassen, für Friedrich Merz ein zumindest unangenehmer Partner.
Fast all das gilt ebenso, wenn nicht in noch stärkerem Maße, für die Grünen. Der trennende Graben vor allem in der Sozial- und Gesellschaftspolitik, vom Thema Zuwanderung ganz zu schweigen, scheint unüberwindbar. Daran ändert auch die Einigkeit nichts, die in puncto Russland und Ukraine zwischen Konservativen und Grünen herrscht. Auch wenn manche den Ökos zugeneigte CDUler die grüne Position in diesem Feld der Außenpolitik loben, beschränkt sich die Gemeinsamkeit nur auf diesen Bereich.
Schon beim Thema Israel/Gaza und Antisemitismus liegen die Grünen innen- wie außenpolitisch wieder voll im links-orthodoxen Mainstream. Vor allem diesen fortschrittlichen Kräften und ihrer kaum verhohlenen Allianz mit islamischen Antisemiten ist es zu verdanken, dass Juden in Deutschland wieder so viel Angst haben müssen wie seit 80 Jahren nicht mehr.
Eingelullt von Merkel: ein warnendes Beispiel
Gerade die jüngsten Debatten im Bundestag zeigen, wie weit die Parteien mittlerweile auseinanderliegen. Schwer vorstellbar, wie man vertrauensvoll zusammenarbeiten soll, nur kurz nachdem sich alle Beteiligten zum Teil harsche Beleidigungen um die Ohren geschlagen haben. Und ein Regieren nach dem hessischen Modell, wo CDU-Ministerpräsident Boris Rhein Rot und Grün gegeneinander ausgespielt hat und die SPD an der kurzen Leine führt, wäre im Reichstag kaum denkbar. Denn hier drückt der Ballast bundespolitischer Themen.
Sowohl mit einem schwarzroten Bündnis als auch der schwarzgrünen Variante würde es also beim Mehltau des Altbekannten und „Weiter so“ bleiben. Die Schläfrigkeit der Merkeljahre, während der es den meisten Deutschen gut zu gehen schien und doch eine fatale Fehlentscheidung die nächste jagte, ist ein warnendes Beispiel. Wie stark die Beharrungskräfte dieses „Weiter so“ noch immer sind, zeigt die jüngste Intervention Angela Merkels, mit der sie sich – für Altkanzler beispiellos – gegen Friedrich Merz stellt.
Die möglichen Folgen liegen für viele politische Beobachter auf der Hand: Sie würden die AfD weiter stärken, die schon jetzt vor Kraft kaum laufen kann. Und eine Koalition, deren Hauptzweck darin besteht, die AfD von den Schalthebeln der Macht fernzuhalten, könnte à la longue das Gegenteil bewirken. Die Entwicklung in Österreich, wo sich die ÖVP nur noch als Juniorpartner einer erstarkten FPÖ in der Mitregierung halten kann, liefert dafür lehrreiches Anschauungsmaterial.
Wen die Brandmauer schützt
Wenn Friedrich Merz die „Brandmauer“ zwar nicht direkt einreißt, sie aber in ihrer Bedeutung relativiert, ist das ein sehr kluger Schachzug. Denn die Brandmauer schützt in Wahrheit nicht vor der „rechten“ Bedrohung, sie schützt linke Regierungsbeteiligungen. So kam es in Sachsen und Thüringen zu absurden Verbindungen zwischen CDU und dem Putin-treuen BSW, teilweise unter Duldung der altkommunistischen Linkspartei. Lachender Dritter auch hier die AfD, die nichts tun müsste, um nach den nächsten Landtagswahlen womöglich in die Staatskanzleien einzuziehen.
Wie wenig SPD und Grüne der Union in der Immigrationsfrage inhaltlich entgegenzusetzen haben, wird an ihrer lautstarken Brandmauer-Agitation deutlich. Doch spätestens seit Aschaffenburg stehen sie blank da. Ihr „Kampf gegen rechts“ ist in Wirklichkeit der Kampf gegen ihr eigenes Nichts. Es sind zwei einfache Fragen, auf die sie keine Antwort geben können, die ihre Inhaltsleere entlarven: Wie viele Menschenleben hat die Brandmauer gerettet? Wie viele Menschenleben hat die Brandmauer gekostet?
Die Alternative: Minderheitsregierung
Wenn aber Rot-Grün und Schwarz-Grün nicht gehen und eine Koalition mit der AfD schon gar nicht, was bleibt? Der Historiker Michael Wolffsohn hat vor wenigen Tagen in der Welt eine Lanze für das Konzept der Minderheitsregierung gebrochen. Friedrich Merz müsste und würde sich demzufolge nicht um feste Vereinbarungen mit SPD oder Grünen, erst recht nicht mit der AfD bemühen. Diese unionsgeführte Bundesregierung würde versuchen, für die jeweiligen Themen und Aufgabenstellungen entsprechende Mehrheiten zu organisieren. So wäre es unter Umständen möglich, die zwei größten Problemfelder erfolgreich anzugehen, die Deutschlands Stellung, Frieden und Wohlstand inzwischen ernsthaft gefährden: Wirtschaft und Masseneinwanderung.
In Deutschland ist diese Art des Regierens nur in wenigen Ausnahmefällen erprobt worden – und sowohl CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hat Gedankenspielen über solch eine Option im Bund sogleich eine Absage erteilt wie auch deutlich Friedrich Merz auf dem Bundesparteitag der CDU am gestrigen Montag in Berlin.
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Bodo Ramelow (Linke) war da cleverer: Er führte in Thüringen bis 2024 fünf Jahre lang eine rot-rot-grüne Regierung ohne eigene Mehrheit. Dennoch konnte er eine Reihe von Gesetzen verabschieden, etwa das Brand- und Katastrophenschutzgesetz oder ein Lobbyregister. Gleichzeitig gelang es der oppositionellen CDU zusammen mit der AfD, gegen den Willen der Regierung die Senkung der Grunderwerbsteuer durchzusetzen.
In Sachsen-Anhalt führte Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) seit 1994 eine Minderheitsregierung nach dem sogenannten „Magdeburger Modell“. Seine rot-grüne Regierung wurde von der PDS, der umbenannten SED, toleriert. Nachdem die Grünen 1998 bei den Landtagswahlen aus dem Parlament geflogen waren, regierte Höppner mit seiner SPD allein weiter. Er wurde in der kompletten Wahlperiode bis 2002 weiter von der PDS toleriert. Viele Nachahmer hat das Konzept der Minderheitsregierungen in Deutschland jedoch nicht gefunden.
Nicht immer so negativ: das skandinavische Beispiel
Ganz anders in Skandinavien. Dort gehören Minderheitsregierungen seit 80 Jahren sozusagen zum guten Ton. Dänemark wurde in dieser Zeit zu fast 90 Prozent, Schweden zu rund 70 Prozent und Norwegen zu 60 Prozent von Minderheitsregierungen geführt. Das ist aber auch deshalb möglich, weil das Abstimmungsverhalten in den nordischen Parlamenten etwas anders gewichtet wird. Gesetze können dort schon dann verabschiedet werden, wenn keine Mehrheit dagegenstimmt. Stimmenthaltungen werden hier nicht als „Nein“, sondern als „neutral“ gewertet. Dieses Konzept wird mit dem etwas missverständlichen Begriff des „negativen Parlamentarismus“ beschrieben. Würde Ähnliches in Deutschland eingeführt, könnte das den Alltag von Minderheitsregierungen erheblich erleichtern.
Aber die Frage bleibt, ob die AfD bereit wäre, für den Fall des Falles die erforderliche Stimmenmehrheit zu liefern oder zumindest stillzuhalten, und damit zur Lösung von Problemen beizutragen, denen sie ja zu einem gut Teil ihre Existenz und Stärke verdankt. Als Protestpartei kann ihr gar nicht daran gelegen sein, sich gleichsam der eigenen Grundlage zu berauben. Ähnliches gälte für SPD und Grüne. Wären sie bereit, über ihren ideologischen Schatten zu springen und an der Sache entlang zu debattieren und so zur bestmöglichen Lösung beizutragen? Zweifel sind angebracht, und das um so mehr angesichts der Hysterie, mit der die beiden verbliebenen Regierungsparteien auf Merzens aktuelle Gesetzesinitiativen im Bundestag reagieren.
Die Gefahr ist groß, dass ein Brauch in die deutsche Politik einzieht, der ursprünglich aus ganz anderen Weltgegenden stammt: keine Gelegenheit zu verpassen, eine Gelegenheit zu verpassen.
Kommentare
Für eine Merz-Regierung besteht leider kein Anlass zu Optimismus. Seit einiger Zeit verdichten sich ja die Hinweise, dass für Merz schwarz-grün keine Notlösung, sondern eher das Optimum darstellt. Es ist klar, dass die Mehrheit müde gegenüber einer erneuten GroKo oder Ampel-Regierung geworden ist. Vor dem Hintergrund könnte man schwarz-grün als neue Innovation oder als Versöhnung gesellschaftlicher Gegensätze vermarkten. Es mag fast zynisch klingen, doch meine Prognose ist folgende: In einer schwarz-grünen Regierung werden sich die Grünen in der Migrationspolitik durchsetzen und die CDU in der Wirtschaftspolitik. Das Ergebnis wird sein, dass die Deutschen mehr und länger arbeiten müssen, um damit künftige Migrationswellen zu stemmen. Sogenannter Kapitalismus wäre dann Treiber linker Kulturpolitik. All dies haben wir ja schon die letzten Jahrzehnte erlebt. Ein weiteres Riesenproblem sind die Taurus-Pläne von Merz. Auch diese ließen sich am besten mit den Grünen durchsetzen. Man kann nur hoffen, dass Trump Merz hier noch rechtzeitig einen Strich durch die Rechnung macht und den Ukraine-Krieg beendet. Das nicht einmal bedingt abwehrbereite Deutschland darf keinesfalls in einen Krieg getrieben werden. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Zustände unter einer Merz-Regierung irgendwie gegenüber der Ampel-Regierung verbessern würden, eher verschlechtern. Hier wäre dann nur noch zu hoffen, dass eine solche Regierung durch glückliche Umstände kein allzu langes Leben hat.