Ein Abend mit den schwarzen Schafen der Schweizer Comedy-Szene
Es ist kalt an diesem Abend und noch ziemlich ruhig und leer im Kinosaal. Gabirano steht mit seinen unglaublichen 2,10 Metern vor seinem Laptop und feilt an der Präsentation für die Show. Der Saal ist bunt weihnachtlich geschmückt. Fast familiär. Auch eine Prise Humor durfte bei der Dekoration nicht fehlen. Einem leuchtenden Nikolausgesicht wurden die Augen mit schwarzem Klebeband zugeklebt.
Die einzigartige Comedy-Weihnachtsshow fand am 19. Dezember 2024 im gemieteten Kino Stüssihof in Zürich statt. Organisiert von den Comedians Gabirano und Kiko in Zusammenarbeit mit Muharem Murseli, dem Manager der „Räuberhöhle“, einem Szenetreff und einer Bar an der beliebten Zürcher Ausgehmeile Langstraße.
Gabirano und Kiko bezeichnen sich bewusst als Comedians und nicht als Komiker. Comedians stehen für die moderne Stand-up-Comedy-Kultur, erzählen Geschichten und beobachten den Alltag, während der Begriff Komiker sich auf Bühnenkünstler wie Clowns, Slapstick oder klassische Kabarettisten bezieht.
Seit 2020 gibt es jeden Mittwoch Comedy in der „Räuberhöhle“: „Wir hatten ein Open Mic in der Longstreet Bar, ebenfalls an der Langstraße. Dann mussten wir 2020 aufhören, weil Corona kam. Dann haben wir in der ‘Räuberhöhle’ weitergemacht“, erklärt Gabirano. Die Weihnachtsshow ist die Endjahresfeier der Comedy in der „Räuberhöhle“.
Vom Sexkino zur Comedybühne
Das Kino Stüssihof liegt zwar an einem ganz anderen Ort in der Stadt als die „Räuberhöhle“, es befindet sich im so genannten Niederdorf, in der geschichtsträchtigen und vor allem touristisch geprägten Altstadt von Zürich. Umso erstaunlicher ist es, dass es früher ein Sexkino war. Die Betreiber haben es vor einigen Jahren in ein normales Kino umgewandelt, und als es sich nicht mehr rentierte, haben sie das Filmtheater für Veranstaltungen vermietet. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Gabirano und Kiko den Saal für ihre Veranstaltung gemietet haben.
Die Geschäftsführerin des Stüssihofs, Zoë Stähli, hat die beiden bei der Event-Reihe „Comedy-Röschti“ im Kino Roland kennengelernt, ein ebenfalls mittlerweile geschlossenes Sexkino an der Langstraße, das neu für Veranstaltungen umfunktioniert wird.
„Wir haben früher im Kino Roland Comedy-Röschti organisiert. So habe ich sie kennengelernt. Ich bin ein großer Fan von ihnen. Es funktioniert einfach gut. Der Humor passt zu uns. Der ist nicht immer so angepasst. Nicht so brav“, erzählt Stähli gegenüber Corrigenda.
So rauchig, rau und hart wie die Veranstaltungsorte von Gabirano und Kiko, so klingt es auch, wenn sie auftreten. Das ist nichts für politisch korrekte Gemüter. Es gibt keine Anstandsfilter. Sie machen sich nicht nur über sich selbst lustig, sondern über alle Ethnien, Geschlechter und manchmal auch über besondere Bedingungen wie Behinderungen.
Bei einem Auftritt für „Comedy Clash“ vom SWR vor anderthalb Jahren scherzte Kiko über seine Familiengeschichte. Sein Vater sei auch Künstler gewesen, sogar Zauberer: „Als ich klein war, hat er einen Trick gemacht. Er stand vor mir und verschwand. Und... ja, er ist einfach verschwunden. Hehe.“ Die Konnotation mit dunkelhäutigen Kindern, die allein bei der Mutter aufwachsen, ist wohl beabsichtigt. Kiko stört das nicht. Er lacht gerne über seinesgleichen, egal ob ihn diese Einstellung Sympathien kostet.
Von den geschassten Comedians zu Geschäftsmännern
Zurück zur Weihnachtsshow. Plötzlich steht Gabirano auf der Bühne, als Elfe verkleidet, zusammen mit seinem gitarrespielenden Mit-Elfen Sergej. Schon der Anblick allein ist sehr lustig: Egal, wer neben dem 2,10 Meter großen Gabirano steht, er wirkt wie ein Kleinwüchsiger. Der Elfenanzug kommt dazu und hat es wirklich in sich – es ist schwierig, dabei ernst zu bleiben.
Sie beginnen die Show mit der Eigenkomposition: „Eskimos machen jetzt unseren Job, das tut so unfassbar weh…“ Die Geschichte der Show dreht sich um die Elfen Gabirano und Sergej, die entlassen werden, weil sie ineffizient sind. Sie suchen den Weihnachtsmann, damit Weihnachten nicht ganz ausfällt. Der lässt lange auf sich warten. Plötzlich stürmt er wütend auf die Bühne, redet wie ein Kleinkrimineller, schimpft mit allen und moderiert die Show. Der Weihnachtsmann ist Kiko.
Die Show wurde nur einen Monat lang in den sozialen Medien beworben. Dies ist der digitalen Werbekraft von Gabirano und Kiko zu verdanken. Gabirano hat rund 348.000 Follower, wenn man die Profile auf Tiktok, Instagram, Youtube und Facebook zusammenzählt, Kiko zirka 42.000. Gabirano verdient sein Geld vor allem mit Social Media. Kiko hingegen tritt regelmäßig auf privaten Anlässen auf. Videos der beiden haben Aufrufe im Millionenbereich auf allen Plattformen zusammengenommen.
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Gabirano mit 26 und Kiko mit 39 Jahren haben den Puls der Schweizer Jugend getroffen. Das Stammpublikum der kostenlosen Vorstellungen in der „Räuberhöhle“ ist ihnen somit bei einem Eintrittspreis von 45 Franken (47 Euro) immerhin gefolgt. Der Kinosaal ist ausverkauft mit jungen Leuten, die konzentriert und begeistert die Show genießen.
Die große Bekanntheit rührt auch daher, dass die beiden regelmäßige Comedy-Gäste des Schweizer Fernsehens waren, wie zahlreiche Youtube-Videos des Kanals SRF Comedy zeigen. Bis zum Bruch mit dem Sender während der Pandemie.
Gabiranos Abnabelung vom Schweizer Fernsehen
„Zuerst hatte ich Erfolg mit meinen Videos, dann wurde ich von Stefan Büsser (Comedian von SRF) angefragt, um auf der Bühne aufzutreten“, erzählt Gabirano gegenüber Corrigenda.
Während der Pandemie sprach sich Gabirano entschlossen gegen die Impfung aus und verbreitete diverse Ernährungsthesen, die er heute nicht mehr vertritt. Eine Zeit lang nahm er ausschließlich nur Früchte ein. Damals musste er einen Shitstorm über sich ergehen lassen und verlor sehr viele Werbedeals.
„Schlechte Presse habe ich nur über das, was ich bei Corona gesagt habe. Ich bin deswegen immer noch bei vielen anderen Comedians und Comedy-Bühnen geblacklistet. Ich trete fast nur in der ‘Räuberhöhle’ auf. Bei anderen Mixed-Shows werde ich nie eingeladen. Ich weiß nicht mal, ob ich in anderen Open Mics willkommen bin“.
Auf das in der Schweiz bekannte Arosa Humorfestival angesprochen, antwortet er: „Da kann ich vergessen hinzugehen“.
Und beim Schweizer Fernsehen? „Kann ich auch vergessen.“
„Aber es ist ja alles positiv. Ich musste meine eigenen Sachen machen, meine eigenen Shows. Ich musste mich selbst buchen. Und ich habe ja auch Reichweite.“
Diese Reichweite zahlt auch seinen Lohn: „Ich bekomme immer noch Anfragen. Ich habe sieben Millionen Aufrufe auf meinen Accounts. Mit meinem Instagram, Tiktok und so weiter. Und ich habe immer mindestens 150.000 Ansichten pro Post.“ Nach dem Ausschluss konzentrierte sich Gabirano wieder auf seine Videos: „Man findet mich immer noch lustig, das ist nichts, was weggeht.“
Gabirano sieht es auch als Vorteil für seine persönliche Entwicklung und in finanzieller Hinsicht, dass er heute kein Management mehr hat: „Sie nehmen dir 20-30 Prozent des Einkommens weg und du lernst nichts dabei.“
Es sind vor allem Agenturen aus der Westschweiz, Österreich und aus Deutschland, die ihn anfragen: „Werbeagenturen aus der Deutschschweiz, die fragen mich seit Corona nie an.“
Gabirano ist komplett selbstständig: „Mit ein, zwei Werbungen im Monat komme ich über die Runden. Ich bin meine eigene Marke. Ich verkaufe auch Merchandise und Supplements. Seit meiner Fruchtphase habe ich viel verstanden. Ich verstehe jetzt viel besser, dass Mineralien auch sehr wichtig für den Körper sind.“
Kikos Senkrechtstart und Türöffnung für den Nachwuchs
Kiko ist der Inbegriff des Tausendsassas. Früher war er als Rapper im Duo mit seinem Bruder bekannt. Die beiden haben auch die jamaikanische Boppmannschaft gemanaged. Kiko kennt keine Berührungsängste, neue Dinge anzufangen. Der Einstieg in die Comedy gelang ihm durch ein Interview in der Weltwoche. Der Journalist Rico Bandle stellte den Kontakt zum Comedyhaus Zürich her, als Kiko seine Leidenschaft für Comedy erwähnte. So kam es, dass er in drei Tagen ein fünfminütiges Set vorbereiten musste.
„In der nächsten Woche durfte ich dann zehn Minuten auftreten. Danach kam das Bernhard Theater dazu. Die nächsten Auftritte wurden bereits für das Fernsehen aufgezeichnet.“
Es hat sich für Kiko doch gelohnt, entgegen dem Rat seiner Freunde der Weltwoche ein Interview zu geben.
„Andere Comedians gehen viel auf Tour, Gabirano macht viel mit Social Media, bei mir haben sich Galas, Events, Geburtstage, Weihnachtsessen und Jubiläen etabliert“, das sei nicht so medienwirksam, man könne sich nicht mit ausverkauften Stadien profilieren, aber das Publikum sei schwieriger zu überzeugen. „Die Leute kommen nicht wegen mir, ich bin meist die Überraschung, umso mehr muss ich sie überzeugen.“ Das habe ihn in den vergangenen Jahren abgehärtet. „Heute fällt es mir deswegen viel leichter auf der Bühne zu stehen, denn ich habe keine Erwartung an das Publikum, ich nehme jedes Mal die Herausforderung neu an, sie zum Lachen zu bringen.“
Die Comedy-Abende in der „Räuberhöhle“ sind für Kiko etwas besonders: „Bei uns gibt es keine Richtlinien für ‘Coolness’, jeder ist willkommen, wir haben alle Religionen, alle Farben, alle politische Einstellungen.“ Man wolle in der „Räuberhöhle“ niemanden verurteilen. „Deswegen kommen viele Comedians nicht einmal vorbei, das Publikum ist härter.“ Alle Comedians würden besser werden, wenn sie in der „Räuberhöhle“ spielen, denn das Publikum lache nicht aus Freundlichkeit.
„In der Schweiz haben viele Comedians eine verfälschte Realität, sie treffen sich nur untereinander, werden gehyped, bekommen große Bühnen, und dann denken sie, sie seien gut.“ Wenn man aber die Leute fragt, wie sie Schweizer Comedy finden, kämen meistens negative Rückmeldungen.
„2018 habe ich den Newcomer-Award gewonnen und Comedy den jungen Leuten nähergebracht, davor war es eher ein ‘altes Ding’. Viele, die danach gewonnen haben, hatten den ersten Auftritt in unseren Open Mics.“
Kiko’s Life Matter – der Bruch mit dem Schweizer Fernsehen
„Das SRF hat mich geliebt, die haben mich rauf und runter gebucht. Bis ich in der (Politsendung) SRF-„Arena“ meine Meinung zum Begriff ‘Mohrenkopf’ geäußert habe.“ Kiko hatte sich in der Sendung vom 12. Juni 2020 zum Thema „Jetzt reden wir Schwarzen“ eher neutral geäußert und die Schweizer in Schutz genommen, die die Proteste um die „Black Lives Matter“-Bewegung nicht 1:1 mit der Schweiz assoziierten. Das brachte ihm online einen Shitstorm von Linksaktivisten ein.
Der Aufschrei über die Sendung war so groß, dass in der darauf folgenden Woche erstmals eine zweite Sendung zum selben Thema produziert wurde. Diesmal jedoch ohne Kiko. Er wurde nicht mehr eingeladen. Der Moderator Sandro Brotz entschuldigte sich bei ihm in einem persönlichen Austausch. „Ich bat ihn, die Entschuldigung publik zu machen“, sagte Kiko. Dies ist bis heute nicht geschehen.
Auf Anfrage von Corrigenda schrieb das SRF dazu: „Die Zusammensetzung der Gästerunde in der ‘Arena’ unterliegt der redaktionellen Freiheit. Ein persönlicher Austausch mit Kiko nach der Sendung fand statt.“
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Kommentare
Kings 🙏🏻
Als Behinderter empfinde ich so etwas als Beleidigung, schlicht und einfach.
Ich dachte, diese Seite hebt sich von rechten Idioten ab, das dürfte nicht der Fall sein, wenn Sie so etwas gut finden.
@Thomas Kovacs In welchem Satz steht, dass die Autorin das gut findet? Es steht auch, dass die Location ein ehemaliges Sexkino ist. Das ist Journalismus, es wird berichtet was ist, reine Facts, ohne zu werten und die Meinung des Autors dem Leser mitzuteilen...das kann dann der Leser selbst tun. Darum lese ich gerne corrigenda.
da stimmt so einiges nöd ih dem bricht aber han nüt anders erwartet vo jornalisten