„Doktorspiele“ und „sexuelle Bildung“: Wie katholische Kitas bei Frühsexualisierung mitmischen
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfehlen in ihren „Standards für die Sexualaufklärung in Europa“, mit Kindern von 0 bis 4 Jahren solle man über „Vergnügen und Lust, den eigenen Körper zu berühren“ sowie „frühkindliche Masturbation“ sprechen. Auch über die „Entdeckung des eigenen Körpers und der eigenen Genitalien“ sowie die „lustvolle Erfahrung körperlicher Nähe als Teil des menschlichen Lebens“ solle man die Kleinen und Kleinsten aufklären.
Konkret helfen solle man ihnen beim Entwickeln einer „positiven Haltung zum eigenen Körper und seinen Funktionen“, der „Rücksicht gegenüber anderen“ und ergänzend auch der „Neugier gegenüber dem eigenen Körper und dem anderer“. Kindern sollen auch „kommunikative Kompetenzen“ und Nein-Sagen sowie das „Drei-Stufen-Modell“ beigebracht werden („Nein sagen, weggehen und mit jemandem sprechen, dem man vertraut“).
In weiten Teilen empfiehlt der Leitfaden das, was Kritiker als „Frühsexualisierung“ bezeichnen. Er liest sich tatsächlich wie eine Mischung aus Frühsexualisierung und missbrauchspräventiven Versatzstücken – so, als ob Prävention nur dann möglich wäre, wenn man die Kinder vorher zu Doktorspielen und Masturbation animiert hätte. Was aber, wenn dieses Animieren im Grunde genommen schon selbst Schamgrenzen verletzt und deshalb bereits psychischer Missbrauch ist?
Wie wenig dieser Vorwurf aus der Luft gegriffen ist, zeigen die Vorwürfe, denen aktuell die „Kita Hackes“ in Pulheim bei Köln ausgesetzt ist. Besonders pikant: Die Kindertagesstätte St. Kosmas und Damian ist eine katholische – und kein Einzelfall. Die viergruppige Kita bewarb eine Veranstaltung mit dem Titel „Doktorspiele – sexuelle Entwicklung von Geburt an“. Als Referentin wurde Kirsten Stamer genannt, eine Künstlerin und Pädagogin. Im Begleittext hieß es: „Wir machen eine Reise in die Fantasie und Kreativität der Kinder und versetzen uns in die Neugierde und ihren Forschungsdrang und lernen, was es bedeutet, den eigenen Körper spielerisch und geschützt genau kennenzulernen.“ Die Teilnahmegebühr beträgt 5 Euro.
Der Veranstaltungshinweis auf der Kita-Webseite ist inzwischen verschwunden, das Instagram-Konto der Kita auf „privat“ gestellt. In sozialen Medien kursieren Screenshots und es hagelt saftige Kritik. Eine X-Nutzerin schreibt: „Ekelhaft, was das Erzbistum in Köln so fördert!“ Ein anderer fragt sich: „Was soll das werden, Erzbistum Köln?“ und ruft dazu auf: „Greift zum Hörer und fragt unter den angegebenen Nummern nach.“
Beverfoerde: Wissenschaftliche Fundierung kommt auch von „Missbrauchstäter“
Das ist auch geschehen, wie Corrigenda erfuhr. Zumindest erreichten die katholische Gemeinde E-Mails mit harscher Kritik. Warum ist das so? Die Sprecherin der „Aktion für Ehe & Familie – DemoFürAlle“, Hedwig von Beverfoerde, sagte auf Corrigenda-Anfrage:
„Die hier zugrunde gelegten Thesen von der ‘kindlichen Sexualität’ gehen eins zu eins auf den Missbrauchstäter Helmut Kentler zurück, der das Kind als ‚sexuelles Wesen‘ von Geburt an betrachtete und darauf seine Sexualpädagogik gründete, die heute überall verbreitet ist. Kentler behauptete, für ein erfülltes Sexualleben müsse das Kind unter Anleitung von Erwachsenen Sexualität erlernen wie Laufen und Sprechen.“
Beverfoerde betont, es sei „inzwischen erwiesen, dass Kentlers Thesen keinerlei wissenschaftliche Grundlage“ hätten und vor allem auf „die Zerstörung des natürlichen Schamgefühls des Kindes“ abzielten. Sie schützten nicht, sondern sie begünstigten sexuellen Missbrauch. „Eltern und Pädagogen sollten um diesen pädagogischen Ansatz einen großen Bogen machen!“
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Referentin Stamer widerspricht. Sie sagt auf Corrigenda-Nachfrage:
„Die Sexualisierung in den Medien, gerade auch die, die Kinder zu Gesicht bekommen (z.B. über TikTok, WhatsApp, Snapchat ...) können wir nicht mehr rückgängig machen. Gefahren wie Cybergrooming, also das Zugeschicktbekommen von ‚Dickpics‘ oder freier Zugriff auf Pornografie, um nur einiges zu nennen, ist ein großes Thema für uns Erwachsene, wie wir unsere Kinder davor schützen können.“
Ob Stamer davon ausgeht, dass Kinder im Kita-Alter TikTok und Snapchat verwenden oder „Dickpics“ zugeschickt bekommen, lässt Stamer dabei offen. Stattdessen verweist sie auf die Landesanstalt für Medien NRW, laut der das Einstiegsalter von Jungen, die Pornografie gesehen haben, bei acht bis neun Jahren liege. „Dies geschieht unter anderem, weil die Kinder neugierig sind und ihre Fragen nicht adäquat von den Erwachsenen beantwortet werden“, ergänzt sie.
„Präventiv können wir die Eltern über die kindliche Sexualität und die Gefahren von sexualisierter Gewalt informieren und sie bitten, auf die Fragen der Kinder ehrlich und altersgemäß zu antworten.“ Sie empfiehlt einen Ratgeber von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, „Liebevoll begleiten“, der Eltern dazu Informationen biete. Bei der geplanten Veranstaltung in Pulheim handle es sich laut Stamer um eine solche Präventionsveranstaltung. „Präventionsthemen dabei sind zum Beispiel Gefühle, Geheimnisse, ‘Nein heißt Nein’, Rechte.“
Haben Zweijährige einen „selbstbestimmten Orgasmus“?
Der Verein FREIO, in dem sich Referentin Stamer seit 24 Jahren engagiert, bietet laut eigenen Angaben Hilfe für Mädchen und Jungen an, die Opfer sexualisierter Übergriffe durch Erwachsene werden. Der Verein sei „eine Institution des Schutzes“ für solche Opfer. Klickt man sich durch die Seiten des Vereins, stößt man in der Rubrik „Was ist sexueller Missbrauch?“ auf Zeilen wie diese:
„Bereits im ersten Lebensjahr erkunden Säuglinge ihren eigenen Körper. Zunächst sind Haut und Ohren die wichtigsten Organe. Die Babys entdecken ihre Geschlechtsorgane und berühren ihre Vagina (Scheide) oder ihren Penis. In den ersten Lebensjahren werden die kindlichen sexuellen Handlungen nicht bewusst als ‚sexuell‘ im erwachsenen Sinn wahrgenommen, sondern es steht das Bedürfnis nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und sinnlicher Nähe, die Freude und Lust am eigenen Körper im Vordergrund. Das Kind lernt seine erogenen Zonen kennen und sich durch eigenes Berühren lustvolle, sinnliche Momente und befriedigende Entspannung zu verschaffen. Sie lieben es zu kuscheln, zu kraulen und zu schmusen. So nehmen die sexuellen Aktivitäten im zweiten Lebensjahr zu. Mädchen und Jungen genießen es nackt zu sein und finden heraus, dass sie durch Reiben und Anfassen ihrer Geschlechtsorgane sich schöne Gefühle machen können. Einige Kinder erleben bereits als Zwei- bis Dreijährige einen selbstbestimmten Orgasmus.“
Auch über die „Doktorspiele“ wird der Besucher aufgeklärt. „Sie gehören zur normalen Entwicklung von Mädchen und Jungen im Vor- und Grundschulalter.“ Die meisten Drei- bis Sechsjährigen spielten diese. Dadurch würden die „Entwicklung des eigenen Körperbildes“, „die Geschlechtsidentität“ und „die Wahrnehmung der eigenen Körpergrenzen“ gefördert. Das klingt ähnlich den Empfehlungen von WHO und der Bundesbehörde BZgA, die dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist.
Laut dem Jugendforscher Martin Voigt sind Kentlers Ideen, die auch einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Kindern und Erwachsenen befürworten, über den Kieler Sexualpädagogen Uwe Sielert populär geworden. Das Institut für Sexualpädagogik (isp), für das Sielert arbeitete, und die Gesellschaft für Sexualpädagogik gsp hätten eine Monopolstellung bei der „sexuellen Bildung“ erreicht, die bis heute Kitas präge. Diese Ideen seien mehr oder weniger eins zu eins in die Handreichungen der WHO eingeflossen.
Das Thema Frühsexualisierung ist nicht neu. Schon seit Jahren warnen vor allem christliche Experten davor. Wir hätten deshalb gerne gewusst, warum ausgerechnet eine katholische Kita eine solch kontroverse Veranstaltung organisiert. Trotz mehrfacher telefonischer Nachfrage erhielt Corrigenda jedoch keine Antwort von der Verwaltungsleitung der Pfarrgemeinde, die für die Kitas verantwortlich ist.
Erzbistum Köln: „Körpererfahrungsprozesse ein wichtiger Teil kindlichen Aufwachsens“
Das Erzbistum Köln antwortet ausweichend. „Sexuelle Bildung ist ein verpflichtender Teil des pädagogischen Auftrags von Kindertagesstätten. Dieser Auftrag wird im Erzbistum Köln ernst genommen und verantwortungsvoll umgesetzt“, sagt ein Sprecher gegenüber Corrigenda. Damit das Bistum eine Betriebserlaubnis für Kindertageseinrichtungen erhalte, müsse man ein „inklusionspädagogisches Konzept“ vorlegen. „Teil dieses Konzeptes ist u.a. die Auseinandersetzung bzw. die Verankerung sexualpädagogischer Bausteine im Rahmen sexueller Bildung als pädagogischer Auftrag einer Kindertagesstätte.“ Das bedeutet, dass alle katholischen Kitas in Nordrhein-Westfalen derlei Inhalte verbreiten.
Das Erzbistum betont: „Im Sinne der Begleitung und Förderung einer den Kindern entsprechenden Entwicklung, die sie früh präventiv vor Übergriffen von Erwachsenen schützt, sind Körpererfahrungsprozesse ein wichtiger Teil kindlichen Aufwachsens.“ Allerdings sei „kindliche Sexualität“ nicht mit „erwachsener Sexualität“ vergleichbar.
Zwischen dem Erzbistum und den Empfehlungen von WHO und BZgA, so scheint es, passt kein Blatt Papier. Dabei schicken viele Eltern ihre Kinder eigentlich gerade deshalb in eine katholische Einrichtung, weil sie ihre Kinder vor solchen Themen und Praktiken behüten möchten.
Immerhin: Wie Corrigenda am Freitag erfuhr, ist die Veranstaltung in Pulheim „vorläufig abgesagt“ worden.
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Kommentare
Das ist einfach nur schockierend und macht mich unglaublich wütend!
Wie konnte es soweit kommen, dass Kinder, die schutzbedürftigsten Mitglieder der Gesellschaft, solchen Verbrechen ausgesetzt werden? Und dann auch noch von der Katholischen Kirche organisiert! Die katholische Kirche in Deutschland hat komplett versagt! Das ist nicht nur moralisch falsch, sondern eine Schande für die gesamte Institution.
Was sagt eigentlich Kardinal Woelki dazu? Weiß er, dass solche Dinge in seinem Bistum passieren?
Die Kita-Kinder müssen ausbaden, dass Staat und Kirche einem schon längst widerlegten, pseudowissenschaftlichen Lügengebilde anhangen, das unsere Kleinsten in höchste Gefahr bringt. Welch ein Skandal! Und wie feige von den Bischöfen!!
Überrascht mich nicht, dass die WHO da mitmischt. Hat man ja während Koroner gesehen welch unrühmliche Rolle die spielen.
Und warum haben Kinder immer früher Pornokonsum? Weil sie im Kindergarten und/oder in der Schule sexualisiert werden! Kirchliche Institutionen sollten besser die katholischen Lehre darlegen, nach der jedes Kind ein Recht darauf hat, nicht mit Sexualität belästigt zu werden. Johannes Paul II. hatte darüber wiederholt gesprochen.